Vierzehntes Kapitel:

Ankunft des Prinzen auf der Schnakeninsel

[63] Kaum hatte Tanzai einige Meilen zurückgelegt, als er die Schnake sah, die ihn übersetzen sollte. Sie war dreimal größer als sein Pferd. Der Anblick eines so ungeheuren Tieres ließ ihm vor Schreck fast das Blut erstarren; jedoch erholte er sich wieder, stieg schnell von seinem Gaule ab und überließ sich mit der völligen Unerschrockenheit eines Helden dem Tier auf Treu und Glauben. Kaum fühlte die Schnake ihn auf sich, als sie ihn in die Lüfte trug. Schon war es Nacht, und der Prinz noch nicht am Ziele seiner Reise. Er begann bereits zu glauben, daß sie nie enden würde, als die Schnake sich auf einer Insel niederließ, wo man ein Gesumme hörte, daß man davon hätte taub werden können. Der Prinz zweifelte nicht mehr, sich auf der Schnakeninsel zu befinden; und indes die Sorge, was er dort machen solle, ihn quälte, brachte ihn sein Führer vor einen stolzen Palast.[63]

Reichgekleidete Schnaken empfingen ihn an der Tür, andere spielten auf allerhand Instrumenten. Man weiß, daß die Mücken von Natur harmonische Stimmen haben. Diejenigen von ihnen, die Musik verstanden, sangen Loblieder auf den Prinzen und machten das sonderbarste Konzert, das man je hören konnte. Tanzai, dem diese höfliche Aufnahme wieder Mut einflößte, wurde in prächtige Zimmer geführt, wo sehr galant gekleidete Nachteulen ihm ihre Reverenz machten. Eine von ihnen fragte ihn, nachdem die ersten Zeremonien vorüber waren, mit gar holdseliger Stimme, ob es ihm gefällig wäre, ins Bad zu gehen? Durch die Neuheit dieses Abenteuers ganz betäubt, willigte er durch ein Kopfnicken ein. Sogleich nahten sich die Nachteulen, um ihn auszukleiden. Meine Damen, sagte er zu ihnen, es scheint mir nicht dem Anstände gemäß, daß ihr euch diese Mühe geben wollt.

Bei einem anderen würden wir es auch unstreitig nicht, versetzte die Oberkammerfrau, wir wissen aber, daß Ihr unsere Scham in keine Verlegenheit setzen könnt. – Tanzai errötete bei diesen Worten, und da er nichts Taugliches darauf zu antworten wußte, begab er sich ins Bad und verbarg sich mit mehr Sorgfalt, als vielleicht geschehen sein würde, wenn er etwas zu verbergen gehabt hätte. Ihr besitzt eine sehr liebenswürdige Bescheidenheit, gnädiger Herr, sagte die spöttische Nachteule zu ihm, aber das wundert mich nicht, denn von allen Mannspersonen seid Ihr zuverlässig die größte Seltenheit. – Auch würde zuverlässig, sagte Tanzai aufgebracht, diese Seltenheit, die Ihr so sehr an mir preist, in Rücksicht auf Euch weniger aufhören, als für jede andere. – Prinz, entgegnete sie, diese Antwort ist eben nicht allzuartig. – Seit zwei Stunden, sagte er, unterhaltet Ihr mich mit lauter elendem Schnickschnack. Macht mich nur nicht noch mehr übler Laune; ich pflege eben nicht vor Nachteulen große Ehrerbietung zu hegen. –[64]

Das Käuzlein war besorgt, den Prinzen zu sehr zu erbittern, und schwieg.

Tanzai verließ das Bad, von Wohlgerüchen umgeben, wie ein Mensch, den man zu den süßesten Abenteuern bestimmt hat. Hierauf wandte er sich zur Nachteule, und sagte: Jetzt bitte ich Euch, meine Neugier zu befriedigen. Sagt mir doch, wem habe ich alle diese Höflichkeiten zu verdanken? Wem gehört dieser Palast? Was bedeuten diese Sonderbarkeiten? Sprechende Käuzlein, bewaffnete Schnaken! Was will man von mir? Wer seid Ihr? Weshalb seid Ihr so außerordentlich geputzt? – Bin ich die erste aufgeputzte Nachteule, die Ihr seht? gab der Vogel zur Antwort. Doch seid deshalb ganz unbekümmert; macht Euch die süßesten Vorstellungen.

Aus einem so stattlichen Empfange könnt Ihr leicht schließen, was man für Euch zu tun gesonnen ist. Glaubt, daß die Reize der Dame, die Euch liebt, ihrer Macht vollkommen entsprechen. Denkt Euch das schönste Meisterstück des Himmels, und doch wird dies Ideal noch lange die Reize nicht erreichen, die man Euch preiszugeben geneigt ist. Mehr will ich nicht sagen, über das übrige sollen Eure Augen selbst urteilen. Die Schöne, die Euch bestimmt ist, wird sich diese Nacht zeigen. Nur sie allein kann Euch wieder in den Zustand versetzen, der Euch vermutlich sehr teuer war, weil Ihr den geringsten Scherz über dessen Verlust nicht ertragen könnt.

Tanzai, dem die Reden der ›Fee mit dem Kessel‹ kein so vollkommenes Glück versprochen hatten, fand seine Unruhe durch die Freuden gemildert, die ihm das Käuzlein verkündigte; er glaubte endlich, daß eine liebehauchende, hellstrahlende Göttin ihm den Vorzug geben würde, ihr Lager mit ihm zu teilen, daß dergleichen Vorfall sogar nicht selten wäre, und daß eine Göttin sich weniger herabwürdigte, wenn sie sich zu einem Prinzen herunterließe,[65] als eine Menge Damen von angesehenem Range, welche Liebe und Ausschweifung täglich zu weit anstößigeren Schritten verleiten. Er fand die Nacht, die er mit einem so vortrefflichen Wesen zubringen sollte, so über die Maßen schon, daß er fast die darüber vergaß, in der die zärtliche Neadarne, bei Verschwendung all ihrer Reize an ihn, ihn unfähig fand, sich deren zunutze zu machen. Er stellte sich vor, daß die Prinzessin, die das vollkommenste Werk war, das die Götter gebildet hatten, sich lange nicht der Schönheit näherte, die ein Raub seiner Begierden werden sollte. Seine Liebe zu Neadarne fing an, sich zu vermindern, und fand er noch feurige Triebe in sich, so waren sie allein auf die Göttin gewendet. Ach, die Verblendung der Liebhaber, die oft dem Bilde, das sie sich von einer neuen Eroberung entwerfen, die Gebieterin aufopfern, deren Herz und Reize sie genau kennen!

Als das Käuzlein Tanzai staunen sah, sagte sie zu ihm: Prinz, ich sehe wohl, was ein so schmeichelhaftes Abenteuer für Betrachtungen bei Euch erzeugt! Aber laßt das und nehmt ein munteres Wesen an. Eure Gebieterin haßt die stummen Mannspersonen. Ich weiß mehr als tausend Liebhaber, die durch Mangel an Gesprächigkeit ihre Gunst verscherzt haben.

Tausend Liebhaber! rief Tanzai. Nun, das ist wohl nur eine Redensart. – Fürwahr nicht, versetzte das Käuzlein, übertreiben ist nicht meine Sache. Zweitausend sind wenigstens vor Euch gewesen; zweitausend und noch mehrere werden Euch folgen. Diese große Anzahl von Anbetern muß Euch überzeugen, wie ausnehmend groß die Reize der Göttin sind. – Und ihre Güte ihnen angemessen, setzte der Prinz hinzu.

Wie ich merke, versetzte die Nachteule, liebt Ihr neue Eroberungen nicht; inzwischen rate ich Euch, nicht zu delikat in der Welt zu sein, Ihr werdet sonst Gefahr laufen, unbeschäftigt zu bleiben.[66]

Es ist zu vermuten, daß das Käuzchen, das die Preziöse und den Schöngeist spielte, es dabei nicht hätte bewenden lassen, wenn eine Schnake von Haushofmeister nicht gemeldet hätte, daß die Tafel gedeckt sei. Der Prinz setzte sich allein zu Tische. Daß das Mahl prächtig und geschmackvoll war, kann man sich leicht vorstellen; die Liebe hatte es angeordnet.

Endlich war die Mahlzeit vorüber, und der Prinz schloß sie mit seinem Gesundheitswasser. Das Käuzlein lachte gar höhnisch hierüber und sagte: Ihr bedürft der Vorsicht. Unstreitig ist dies Getränk ein Präservativ gegen Eure gewöhnlichen Zufälle? – Wie dem auch sein mag, versetzte er, und so kräftig es auch immerhin sein mag, so würde es doch gegen eine Physiognomie wie die Eure scheitern. – Meine Bildung mag wohl nicht schön sein, entgegnete die Eule; vielleicht geratet Ihr aber noch einmal in Umstände, wo Ihr Euch ein Gesicht wie das meinige wünscht. – Ihr habt Euch entweder nie recht im Spiegel besehen, erwiderte Tanzai, oder Ihr besitzt eine lächerliche Eigenliebe.

Quelle:
Claude Prosper Jolyot Crébillon: Der Schaumlöffel. Leipzig 1980, S. 63-67.
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