Zweyter Abschnitt.

[8] Kammerherr. An sich selbst eine bloße Hofcharge, aber auch sehr oft ein belohnendes Ehrenzeichen für anderweite Verdienste um den Staat. Im letztern Fall hat der Kammerherrnschlüssel eine Aehnlichkeit mit Stern und Orden, welche ebenfalls die Mittel in den Händen regierender Herren sind, um wichtige Verdienste zu bezeichnen; welche, nach Würden zu belohnen, der größte Regent oft nicht reich genug ist.

Herr von Voltaire empfing den Kammerherrnschlüssel als Merkmahl[9] der Achtung, welche der König für seine Talente hatte. Unter eben dieser ehrenvollen Bedeutung trägt der Marquis Luchesini dieses Zeichen der königlichen Werthachtung. Aber es verdient in den Annalen des Jahrhunderts angemerkt zu werden, daß dieser eben so angenehme als gelehrte Italiener ein Verdienst hat, welches hier zu Lande noch kein Fremder und kein Voltaire, oder sonst irgend ein Kammerherr vor ihm gehabt hat – das seltene Verdienst: der Mäcen des teutschen Witzes bey einem teutschen August, und der Vertheidiger teutscher Schriften gegen teutsche Mißurtheiler zu seyn. Der Fall ist ganz neu. Die Franzosen sowohl als die Italiener gaben sonst wenig auf teutschen Witz, und suchten bloß ausländische[10] Produkte geltend zu machen, und auf Unkosten teutscher Werke zu erheben. Dieser liebenswürdige Fremde dagegen, dessen Geist sich nicht auf die Kenntnisse eines einzigen Landes einschränkt – den wir in dem Zirkel der Gesellschaft eines Königs sehen, um dessen Person sich kein einziger müßiger Hofmann befindet – bey welchen man nur Helden und Männer von Verstande und von großen Talenten antrift; bemüht sich durch den Weg der teutschen Sprachkenntniß mit teutschen Schriften vertraut zu werden, um einen König damit zu unterhalten – der – zum Leidwesen der jetztzeitigen teutschen Litteratoren das helle Tageslicht teutscher Wissenschaften erst unsern Enkeln und Urenkeln aufgehen siehet.[11]

Wenn je ein Mann es dahin bringt, den König mit der teutschen Litteratur auszusöhnen, so wird es Luchesini – nicht weil er Kammerherr; sondern weil er Luchesini ist – der selbst meine Schriften mit seiner Aufmerksamkeit beehret, derentwegen manche mich auf gleiche Weise eben so gern gekreuziget hätten, wie die alten Juden den unschuldigen Mann von Nazareth – weil leider damals August schon todt war, und in Ermangelung eines kräftigen Beschützers witziger Köpfe, die den vornehmen Juden heilsame Wahrheiten sagten; die römische Regierung – schwach genug war, sich von dem kombinirten geistlichen und politischen Departement der beleidigten Juden verleiten zu lassen, einen excellenten aber scharfen[12] Sittenlehrer zum Tode zu verdammen. –

Dem Himmel sey Dank daß nicht ein ähnliches Amo da Fe über mich gehalten worden ist, da die Losung dazu bereits wirklich von dem Buchhändler Voß in Berlin gegeben wurde, der über meine unschuldige Charlatanerien schon das Kreuzige! in den Staatsrath – leider ohne Erhörung, hineinrief, und mich der Beleidigung hoher Personen im Staate, (womit er vermuthlich Se. Erlauchten, den alten Abraham meynte) zu bezüchtigen herausnahm. – –

Wie beregter Voß hier unter der Kammerherrnrubrik hingeräth, davon weiß ich keinen andern Grund anzugeben, als weil sein Urtheil ungefehr eben so antipodisch lautet, wie[13] ein anderweitiges Urtheil – von einem luchesinischen Antipoden, einem puren Kammerherrn – der meine Charlatanerien Rhapsodie nennt, und dem ich aus Respekt für seinen Schlüssel so wenig widersprechen will; daß ich wirklich Rhapsodie mache, und alles unter einander mische, was seiner innern Natur nach, wie Hurone und Europäer kontrastirt.

In dem Fall, wo der Kammerherr nicht ein beyläufiges Nebenprädikat wichtigerer Verdienste aus macht, gehört er zu den ganz unentbehrlichen Hofzierathen, wie der Tabouret zur Seite eines Sophas.

Wen die Natur nicht zum Soldaten hat gebohren werden lassen, und wen die Kunst nicht in anderweiten[14] Staatsverhältnissen hineinpassen kann; der darf mit gutem Gewissen einen solchen pur lautern Hofzierath repräsentiren – auch Podagra und Chiragra wenn es zu einem so hohen Grade gestiegen ist, daß sich von einem gebohrnen Baron nichts weiter zum gemeinen Besten fordern läßt, giebt eine komplette Berechtigung – nichts weiter als Kammerherr zu seyn. Ohne diese körperliche Infirmitäten wird immer einige Verdienstlichkeit fürs gemeine Wesen erfordert, um den goldnen Schlüßel nicht ganz umsonst zu tragen, und sollt's auch nichts mehr als die Geschicklichkeit seyn, eine Toilette zu arrangiren, Schönheits- Riech- oder andere gebrannte Wasser abzuziehen. – Sich in höheren Sphären zu versteigen, ist[15] einem puren Kammerherrn nicht einmal zu rathen – –

Der Marquis d'Argens erzählte ein warnendes Beyspiel, welches meine obige Behauptung allenfalls rechtfertigen wird.

Ein Kammerherr besuchte den Marquis, welcher letztere zwar selbst auch Kammerherr, aber auch noch etwas mehr war, Sie haben, sagt er zum Marquis, Bücher geschrieben, die sehr schön seyn sollen, lassen Sie mich doch eins davon lesen. D'Argens giebt ihm den ersten Theil seiner jüdischen Briefe, welche der Kammerherr mitnimmt, nach Verlauf etlicher Tage wiederbringt, und sich ein ander Buch ausbittet. Der Marquis d'Argens kannte seine Leute – machte Mine, als ob er ein ander Buch[16] suchte, und gab das vorige wieder zurück – – diese Komedie wurde noch einmal wiederholet. Der Kammerherr glaubte immer ein neues Buch zu erhalten, las immer das alte wieder, ohne etwas zu merken. Endlich fragte ihn d'Argens, wie ihm seine Schriften gefielen? Très bien, antwortete der Kammerherr, mais mon cher Marquis il me paroit que Vous Vous repetéz un peu. (Sie schreiben allerliebst, mein lieber Marquis, aber ich glaube, daß Sie sich ein klein wenig wiederholen.)

Hieraus folgt übrigens, daß zwischen zwey Kammerherrn nicht allezeit so eine Aehnlichkeit herrscht, um den einen mit dem andern schlechterdings zu verwechseln.


[17] Kaiserlich – – Ueber die Frage: Was gut kaiserlich, und was nicht gut kaiserlich ist? darüber hat der selige Präsident Moser am Darmstädtschen Hofe ein Ding geschrieben, was wie ein Buch aussahe und im Grunde eine Charlatanerie war, der man es an der Nase ansehen konnte, daß Moser einstweilen gern Reichshofrath werden wollte.

Eine genetisch-historische Entwickelung der kaiserlichen Qualität entscheidet indessen obige Frage, auf die zuverläßigste Weise. Die Wiederherstellung des Kaisertitels im heiligen Römschen Reich, sollte nach der Anlage Carls des Großen das zu Grunde gegangene altrömische souveraine Kaiserthum wieder aus seinen Trümmern hervorrufen.[18]

Anstatt dessen entstand eine Art von Republik – eine Verbindung souverainer Fürsten und kleiner Freystaaten, welche mit gesammter Hand einander beystanden, ein gemeinsames Ganzes ausmachten, und unter ein erwähltes Oberhaupt ungefehr das allgemeine Reichswohl auf gleiche Weise behandelten – wie ein Landeskollegium unter dem Präsidio eines Chefs, welcher die Zunge zwischen den Waagschalen ist und das Ganze im Gleichgewicht zusammenwirkender Kräfte erhält.

In der Folge erwachte indessen das Bild der alten römischen Monarchie in kaiserlichen Seelen, und es wurde Grundprinzipium der Erziehung für künftige Kaiser – das vormalige italienische Regierungssystem auf teutschen[19] Boden zu pflanzen, wozu unter Carl den fünften und besonders im dreißigjährigen Kriege gar ansehnliche Anstalten gemacht wurden, um die alte Römische Monarchie wiederhergestellt zu bekommen.

Es ist gut kaiserlich gedacht, wenn man diesem System ergeben ist – – – wer aber lieber unter einem souverainen Gebieter, als unter Statthaltern der monarchischen Beherrschung eines altrömischen Kaisers in neuern Zeiten zu leben wünscht, der denkt nicht gut kaiserlich.


Künstler sind von Fürsten und Herren nach dem Maaß der ihnen verliehenen Weisheit allezeit sehr hochgeschätzt worden. Mancher unwissende Taugenichts vom Stande glaubt dem[20] Künstler Gnade zu erweisen, wenn er ihn in seiner Werkstatt besucht, oder ihm stehend Audienz ertheilt, und doch könnte mancher vornehme Mann noch viel lernen, um erträglicher in seinem Geschwätz zu werden, wenn Künstler und Kunstkenner ihm die Wohlthat erweisen, ihre edle Zeit, in welcher sie für die Nachwelt arbeiten, auf die ungewisse Karte zu setzen, und einen Versuch zu machen, einem Herrn von Geschmack, den er in Broderien und Firlefanz besitzet, einigen Geschmack an Meisterstücken der Kunst beyzubringen.


Knabe – nach biblischen Stil giebt es Knaben von hundert Jahren, das ist verdollmetschet Leute, die nie klug werden – sie gescheit zu machen,[21] wäre ein Mirakel, welches selbst einem wunderthätigen Muttergottesbilde Ehre machen würde, – solche alte Knaben aber zu züchtigen, und den Kallüs, der ihr Gehirn einkerkert, wegzubeizen, ist noch immer Wohlthat, welche Dank verdient.


Laune, der oft bisarre tiefsinnige Scharfsin, ein Sohn des englischen Spleens, vermählte sich einstweilen mit dem französischen petillirenden Esprit, und beyde zeugten eine Tochter – ein Mädchen mit nachdenkender schalkhafter Mine, nicht so freymuthwillig als der lautlachende Scherz, und nicht so bitter und menschenfeindlich als ein englischer Heraklit, der herb' ist, auch wenn er einmal weinen und mit dem Fuße dabey wider die Erde stampfen[22] sollte – Nein, dies Mädchen hatte einen Zug des bedeutenden Tiefsinns und geistiger Schärfe von ihrem Vater, und einen Zug von ihrer Mutter, der wie ein kleiner Schelm ihr aus den Augen sanftlächelnd hervorsah – ein gutes, loses aber empfindsames Mädchen – es hängt sich mit voller süßer Gewalt an den, welchen es einmal in Affektion genommen hat, und es macht die Prüde gegen viele, die gern mit ihr buhlen möchten, und doch nicht für sie gemacht sind – man nennt es Laune, wen sie nicht sucht, verfolgt und freywillig anklebt, der gebe sich doch ja keine Mühe, sie zu erobern – sie wird ihn fliehen, indem er ihr nachläuft, und wenn er sie erhascht zu haben glaubt, so wird sie ihm schon[23] entwischen und in den Armen eines ihrer Lieblinge geflogen seyn, während der eingebildete Conquerant mit einer schlüpfrigen Dirne litterarische Unzucht treibt.


Lieder – waren zu allen Zeiten wirksame Mittel einen gewissen Grad der Wärme und siedenden Enthusiasmus in Herzen zu gießen. Die alten Barden sangen durch ihre Lieder, großer Thaten Lob und Feuer des Heldengefühls in Männerseelen – Citherens Oberpriesterin, die Liebe glühende Sapho, sang durch Zaubertöne – stärker als durch die schmelzende Töne der Harmonika, weiches Entzücken der allerwollüstigsten Regungen in gefrorne Herzen – Anakreon sang alle Götter der Freude und des witzigen[24] Scherzes um sich her – und machte lustige Brüder oft aus Greisen, die komisch genug hinter ihm her anakreonisirten. – –

In neuern Zeiten stärken lustige Lieder den ausgesogenen Franzosen, daß er den Druck der Fermiers und der Armuth – oft Hunger und Durst in die weite Welt singt, und der böhmische Sklave das Gefühl der Knechtschaft fern von sich wegtrillert – – Calvin sang durch fromme Gassenhauer seine neue Lehren nicht ohne rüstigen Erfolg durch die Straßen von Paris. Der enthusiasmirte Luther richtete durch seine bardenähnliche kraftvollen Lieder gewiß nicht weniger aus, als durch seine populaire männliche Beredsamkeit – Porstens gesammlete Kirchenlieder wiegten oft[25] ohne Einfluß auf Gedanken, die Oberfläche des Herzens in melancholicher Andacht – – – Die jetzigen neuen Kirchenlieder sollen berichtigte logikalische Begriffe den Leuten ins Gehirn singen – da aber dürfte wohl nichts draus werden, so lange ein Lied mehr auf Enthusiasmus, als auf Vernunft wirkt, und die neue oder neu ausgeflickte alte Lieder den Enthusiasmus, der noch hier und da durch die Vernunft unterstützt wird, gegen sich haben – Diesen Enthusiasmus, mit welchem die kurrenden Knaben schon von Bürgerthüren ohne Gabe weggejagt sind, weil sie das ihnen geschenkte neue Liederbuch in der Tasche hatten – diese natürliche Vernunft mit welcher ein Bauer dem Geistlichen darthat, daß das alte Lied:

[26] Gott der Vater wohn' uns bey, besser wäre, als der neue Ausdruck: Gott der Vater steh uns bey. Denn, sagte der Bauer, (welcher nie so geschwind auf den indezenten Begrif des Beywohnens verfällt, als ein gutgenährter städtischer Müßiggänger,) wenn Gott der Vater bey mir wohnt, so bleibt er bey mir, wenn er aber nur bey mir steht, so kann er mich geschwinder verlassen – und fast möchte ich sagen, daß der Bauer aus einem reinern Herzen erklärte, als der Vernünftler auf Verbesserung gedacht hatte, um sein Herz nicht in Versuchung zu führen, und sich bey Absingung des alten Liedes in der Kirche nicht an seine Frau zu erinnern.


Litteratur – Vielleicht ist das einer der vorzüglichsten Fehler, den man mit[27] Recht der teutschen Litteratur vorwerfen kann, daß sie in vielen Fächern zu sklavisch nach der Litteratur der meisterhaften Alten abgemessen wird, und gerade dadurch nicht zu der Originalität gelangt, wodurch sich die Alten unsterblich gemacht haben.

Es ist wahr, daß die alten griechischen, römischen und noch weiter zurück die chaldäischen und egyptischen Litteratoren in den meisten Werken des Genies Meister und größtentheils noch unübertroffene Meister sind. Aber wurden sie Meister, weil sie wie wir jetzt thun, von andern Meistern lernten, oder nicht vielmehr weil sie gar kein Muster und kein Modell vor sich hatten, wornach sie arbeiteten? Zuverläßig schöpften die uralten Bramanen ihre Weisheit aus[28] der unmittelbaren Quelle der Wahrheit, die ältesten egyptischen Priester hatten bloß ihre eigene Vernunft zum Lehrer – als sie durch kluge ihrem Lande angemessene Gesetze, durch Einrichtung ihrer Staatsverfassung und durch allegorische Religionsgebräuche, welche die lauterste Wahrheit zum Grunde hatten, unsterblich wurden. Homer hatte keine Regel vor sich, als er sein großes episches Gedicht, die Iliade, verfertigte. Sein Original war die Natur, und die Manier seines Pinsels und die Behandlung seines Objekts hatte den alleinigen Grund in seiner reichen Einbildungskraft – das Kolorit seiner Malerey gab ihm sein eigenes feines Gefühl des Schönen. Likurg hatte seine Staatskunst und seine Legislation[29] nicht aus Büchern, von keiner juristischen Fakultät und nicht vom Catheder gelernt. Der Zweck, den er vor Augen hatte, eine feste männliche und kriegerische Nation und eine eiserne Republik zu bilden – seine eigene Kombinationskraft, mit welcher er die Mittel wählte und ordnete, die zu diesem Zweck führen konnten – das war die Quelle, woraus er schöpfte, sein eigenes Ideal, war das Muster, wornach er arbeitete.

Alle Weisen des Alterthums wurden dadurch groß, weil sie aus sich selbst schöpften, aus sich selbst und aus den innersten Falten ihrer eigenen Seele Begriffe und Vorstellungen hervor entwickelten, die sie von keinem andern gelernt hatten. Sokrates raisonnirte so vernünftig – nicht[30] weil er annahm, was andre ihm vorgebetet hatten, sondern weil er selbst dachte – Aesopus machte die schönsten, leichtesten und natürlichsten Fabeln, weil er keine Vorschrift hatte, wie er Fabeln machen sollte. Sapho bleibt unübertroffen, weil sie kein Muster zu ihrer Vers- und Dichtungsart als – in sich selbst hatte. Horaz – Juvenal – Ovid, alle diese Muster hatten kein Muster als Natur und Welt, und keine Regel als ihr eigenes Genie – und dadurch eben wurden sie Muster und Regel – Petron hatte zuverläßig nicht die Regeln des Boileau – sein Objekt war der Hof seines Kaisers und – die angeborne Gabe treffend zu seyn, war sein Lehrmeister – – Mit einem Wort die Alten sind Muster, weil sie[31] nicht nach Mustern arbeiteten, sondern Original waren – – – Die Teutschen waren ursprunglich ein Originalvolk – das beweist der Reichthum teutscher Sentenzen – und die Litteraturregel: Daß ein jeder singen muß, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Wenn der Teutsche ein litterarischer Stümper ist, so kommt das daher, weil er die Alten – nur nachahmet.

Unsere Sprache mag sonor seyn oder nicht – das ist eine Nebensache – die griechische Sprache ist es gewiß weniger – stark und männlich ist die teutsche gewiß, und biegsamer, als die römische – – auf Gedanken, auf Wendungen, auf Geist kömmts bey aller Nationallitteratur am meisten an, und diese Eigenschaften[32] kann jede Menschenseele aus sich selbst entwickeln, die nicht im Zuschnitt verdorben ist. Aber diese Materte erfordert eine besondere Abhandlung, welche nächstens erscheinen wird.


Lingvet. Ein wahrer Beweis, daß der Franzose fast immer ausschweift, wenn er einmal warm wird. Als Advokat ist's ihm zu verzeihen, wenn er mir Hitze die Sache seiner Parthey treibt, und alle Sophistereyen zu Hülfe nimmt, um den Demosten zu machen, und dem Richter das Recht über den Kopf wegzunehmen. Als Schriftsteller thut er wohl, wenn er die hinreichende Gabe der Beredsamkeit und Worte, welche die Miene der geschmückten Wahrheit an sich tragen,[33] anwendet, um einzunehmen, und sein Publikum durch witzige Unterhaltungen zu täuschen, ohne es durch richtige Darstellung der Sachen aufzuklären – – Wer nur den Zweck hat, gelesen zu werden und zu schimmern, welches eigentlich wohl Lingvets Fall seyn mochte, der hat nicht nöthig, immer wahr zu seyn – – Voltaire machte es als Geschichtsschreiber nicht besser – er schrieb schön, aber darum und um Witz bekümmerte er sich auch mehr, als um historische Richtigkeit – Als Philosoph war's dasselbe – – Wahre Gedanken wahren entlehnt, die Wendungen waren sein, und seine Beweise verführten, ohne den scharfen Prüfer zu zu überzeugen. Warum sollte Lingvet, dieser fameuse politische Sophist,[34] nicht gleiches Recht haben? Als Satirenschreiber kann ich's ihm nicht verdencken, wenn er der Großen Fehler nicht schonte – – aber er vergaß, daß die Fehler der Großen, wenn sie wirklich große Leute sind, und Verdienste besitzen – wenn sie der Sonne gleich mehr Glanz als Flecken haben, – daß alsdenn diese Fehler selbst Achtung verdienen, und außer der Sphäre der Spötterey liegen. Ein großer Mann, der durch Geist und hohe Eigenschaften groß ist, hat eine Art von Privilegium, auch Fehler zu haben, die dem kleinern Geist nicht ungestraft hingehen müssen. Ein erlauchter Schriftsteller sagt sehr treffend:


»daß man selbst über die Fehltritte des Sohns aus Egard für die[35] Verdienste seines Vaters einen Schleier ziehen müßte.«


Dieser Grundsatz ist so wahr, so richtig, daß er zur Regel besonders dem Satirenschreiber dienen muß.

In mindern Fällen wird eine ähnliche Maxime beobachtet. Wenn ein Mädchen auf der einem Schulter einen Buckel hat, und auf der andern mit der schönen Bürde von hunderttausend Thaler beladen, meine gerade wohlgewachsene Frau seyn will; so bin ich erbötig, vor ihren Buckel stockblind zu seyn, und ihr nach meinen besten Kräften eben die Pflichten zu leisten, als wenn sie die schönste Taille von der Welt hätte.

Voltaire unter uns gesagt, betrog Juden und Christen, er that dadurch böses im Kleinen – aber man vergißt[36] diese Flecken in seiner Geschichte, wenn man den Geist in seinen Schriften bewundert, und die Dienste in Betrachtung ziehet, welche er im Grossen der Welt durch Aufklärung und durch seine unsterbliche Toloranzlehren geliefert hat.

Im höhern Grade müssen die Flecken in ruhmwürdigen Fürsten, welche durch ihren Geist und durch ihre Handlungen Wohlthäter des menschlichen Geschlechts sind, übersehen, und von dem Geschichtsschreiber mit äußerster Delikatesse behandelt werden. Das vergaß Lingvet – seine Satiren wurden mehr Impertinenz als Witz, indem er das Uebergewicht von Verdienst und von Fehlern nicht erst gegeneinander abwog, und als ein wahrer unbesonnener Franzose[37] nicht einmal so viel Rücksicht auf seine eigene Sicherheit nahm, um sich nur einen einzigen Staat offen zu halten, wo er hoffen durfte nicht in die Bastille gesetzt zu werden.


Lektüre, ist eine Modebeschäftigung müssiger Leute, so wie sie bey denkenden Köpfen ein Mittel ist, sich auf eine nützliche Art zu unterhalten, oder vielmehr in Stunden der Erholung, wenn man müde ist, selbst zu denken, sich einmal von andern vordenken zu lassen.

Wer von der letztern Classe sich blos durch Lektüre Kenntnisse sammlet, ist im Grunde nur ein praktischer Compillator – ein ewiger Gast, der immer von anderer Leute Tisch satt wird, und nie andern wieder[38] zu essen giebt. Größer als der belesenste Mann, ist der Selbstdenker, der aus eigenem Vermögen hingiebt, um der einreißenden Armuth des Geistes zu steuren.

Die meisten Leute von Lektüre indessen lesen nicht einmal, um auf anderer Aecker Aehren zu ihrem Seelenunterhalt zu sammlen – sie lesen – weil's Mode ist, aus Langeweile, aus Ton um mit mitzusprechen zu können, und gerade durch hirnloses mitsprechen ihre Schwäche zu verrathen. Sie prahlen mit gesammleten Titeln von Büchern, wie mancher mit einer Bibliothek, die er gar nicht lieset – sie blos als Geschmacksvolle Meuble eines Zimmers, als eine Tapete nach der Mode betrachtet.[39]

Ein ehmaliger hiesiger Banquier war im siebenjährigen Kriege reich geworden, und wollte jetzt auch den Mann von Geschmack vorstellen. – Sein Haus gewann in allen Stücken ein fürstliches Ansehen, – und nun mußte er auch eine Bibliothek haben. – Leider kannte er auch keine Bücher, und da sich in den schönen Verschlägen, welche die Wände zierten, noch ein großer unausgefüllter Raum zeigte, so schrieb er an einen hiesigen Professor, und bat ihn um ein Bücherverzeichnis um etliche zwanzig Ellen leeren Raum auszufüllen. – – Aber kein Professor konnte den leeren Raum seines Gehirns ausfüllen, so wie bey aller Modelektüre leere Köpfe großentheils wohl bis am jüngsten[40] Tage unausgefüllt bleiben dürften.


Leichenpredigt thut die Dienste der Absolution, und erklärt einen jeden wes Standes und Würden er seyn mag, vor taxmäßige Gebühr, für heilig im Leben, und für selig im Sterben. Ohne zu untersuchen, was eine Leichenpredigt für einen Effekt auf die Seligkeit des kanonisirten Verstorbenen macht; bringt diese Charlatanerie dem Leichenprediger reelle Vortheile und manchen schönen Thaler. Wenns allenfalls mit meinen Charlatanerien nicht mehr fort wollte; so erbiete ich mich einem jeden für die Gebühr noch bey Lebzeiten seine Leichenpredigt zu halten. Liebhaber können sich deshalb melden, und wenn sie's nicht thun, nicht für eigene Rechnung die[41] Kosten daran wenden wollen; so bin ich entschlossen, nächstens ein Bändchen Leichenpredigten über lebende Personen, welche Lob- und Seligsprechung höchst nöthig haben, öffentlich herauszugeben, in der festen Versicherung, daß sie das Publikum ihres erbaulichen Inhalts wegen mit Vergnügen bezahlen wird. Auch dient zur Nachricht, daß ein jeder der keine Leichenpredigt über sein rühmliches Leben gehalten wissen will, solche für einen raisonnablen Recompens abkaufen kann, denn bekanntermaßen sind Leichenpredigten schlechterdings eine bloße Geldsache.


Manna – eine schöne Sache für Leute, die nicht gern arbeiten mögen, und ein vortrefliches Mittel in sterilen Gegenden des Schlaraffenlandes, wo[42] keine Früchte wachsen, und wo es nichts zu stehlen giebt, zu ernähren. Man sagt es noch bis diese Stunde unserm lieben Herrn Gott nach, daß er auf diese Manier in der sandigten Wüste Arabiens, einen großen Trup egyptischer Zigeuner gespeiset habe – daß er täglich so viel Mehl von der schönsten Sorte vom Himmel fallen ließ, daß sechsmal hundert tausend Mann ohne Weiber und Kinder sich Kuchen davon backen, und Klöße oder Brey davon kochen konnten, und welches wenigstens schuhhoch muß gelegen haben, weil es sonst schwerlich von dem Treibsande hätte aufgesammlet werden können, ohne daß es zwischen den Zähnen was zu knirschen gegeben hätte – – In dem berühmten Schlaraffenlande, wo die[43] gebratene Tauben einem ehrlichen Manne so gerade ins Maul fliegen, die Seen von schön appretirten Fischen voll sind, die Weiden von eingepöckelten Ochsen begraset werden, denen man nach seinem Appetit ohne Mühe ein Stück Salzfleisch oder Roßbief aus dem Leibe schneiden, und aus jedem Brunnen oder Bache nach Belieben Champagner und Burgunder dazu trinken kan – – in diesem verloren gegangenen Lande, und – in den glücklichen Gegenden, wo es weiland Manna regnete – die Raben Fleisch stahlen, um einen hungrigen Propheten satt zu machen – wo ein frommer Mann mit ruhigem Gewissen unter hungrigen Löwen sitzen konnte, ohne gefressen zu werden, und der Koch Habakuk noch eine[44] Spatzierfahrt durch die Luft vornahm, um einem frommen Daniel in der Gruben zu essen zu bringen, damals konnte ein ehrlicher Mann noch in der Welt ein recht ruhiges Stück Brodt geniessen, ohne es sich sauer werden zu lassen. Heute zu Tage und in den jetzt bekannten Ländern ist man weit schlimmer dran – Keine acht Tagelang liefern Raben jetzt Fleisch, und andere Lebensbedürfnisse, ohne einem sogleich ein Conto hinterdrein zu präsentiren. Man mag gottlos oder fromm seyn, und beten was das Zeug halten will, es muß jetzt alles bezahlt werden – Der liebe Gott giebt sich mit keiner immediaten Lieferung mehr ab, und wer in diesen gar ökonomischen Jahrhunderten nicht arbeitet, der bekommt auch nichts zu essen.[45] Das einzige Mittel sich ohne Arbeit zu ernähren, besteht noch darin, daß man den Leuten die Wunder der Vorwelt und des Schlaraffenlandes erzählt, und mit homiletischen Amplifikationen über die ehemaligen Speisungsarten erbauliche Reden hält – In katholischen Ländern ernährt das seinen Mann reichlich, und unter den Protestanten läßt es sich bey diesem kommoden Metier auch fertig werden. Aber auf Manna zu rechnen – die Zeiten sind leider vorbey.


Maximen, der Charlatan gauckelt welche die er nicht hat, der reelle Mann befolgt Maximen, die er nicht zur Schau ausstellt, und scheint bisweilen nach Maximen zu handeln, die im Grunde nicht die seinigen sind – – –[46]

Oeffentliche Schriftsteller haben wirklich die Maxime – wider ihre eigene Meynung, keine Meynung zu äußern, welche nicht die Meynung des Pöbels ist. Die heilsamste Maxime von der Welt ist die, ohne Rücksicht auf sklavische Bedenklichkeiten treffende Wahrheiten zu sagen, und die Leute zu zwingen, daß sie sich so gut aufführen, damit man keine unangenehme, sondern lauter lobenswürdige Wahrheiten von ihnen sagen und schreiben könne – die beste Maxime aber Schriftsteller zu seinem eigenen Vortheil zu seyn, ist keine andere, als nur solche Sachen zu schreiben, die am geschwindesten abgehen, – Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, sind diese Charlatanerien gewiß nach der besten[47] schriftstellerischen Maxime bearbeitet, welches mir kein Charlatan abstreiten soll.


Militair, gehört nur in denen Staaten zu den Charlatanerien, wo das Militair den Zweck des Militairs verfehlt – bloß das Spielwerk eines kleinen Fürsten ist, der sich ohne andere Absicht mit seinem Paar Männerchen im Exerciren übt, wie die Kinder Soldat spielen, und zum Zeitvertreib das Manövre der wahren Soldaten auf dem Paradeplatze nach machen. Wenn zum Beyspiel so ein kleiner gefürsteter Abt, der ganz unfähig ist, sich einen rechtschaffenen Feind vom Leibe zu halten, etwa ein Paar hundert Husaren hält, die er kaum zum Rekognosziren brauchen kann, um zu erfahren, wie[48] nahe der Feind ist, um sich zu rechter Zeit zu reteriren, seine Pretiosa und seine Husaren selbst einzupacken, und damit weiter zu gehen, wenn er nicht alle Beute in den Händen der Feinde zurück lassen will – – wenn ein solcher Abt im tiefen Frieden, wo er die innere Sicherheit seines Landes, auch allenfalls durch hundert Häscher befördern und unterhalten könnte, wenn der die Hälfte seiner Zeit mit Exerziren und militairischen Uebungen verliert, von der andern Hälfte des Tages ein Drittel zur Messe anwendet, ein anderes Drittel im Weinfasse vertrinkt, und das übrige unausgefüllte Restchen seines Charlatanlebens mit Unterschreibung seines Namens unter landesherrlichen Verordnungen zubringt; so ist er nicht ein[49] haarbreit mehr Militair, als ein Theaterheld, der auf der Bühne Commödianten in Uniform gekleidet, mit leerer Gravität aufmarschiren läßt.

In großen Staaten ist das Militair der respektabelste Stand, der seiner Bestimmung und seines innern Werths wegen, den Vorrang vor allen übrigen Ständen verdient. Das Militair ist die hinlängliche Vormauer des Landes, welche sich um dasselbe herzieht, um die innere Staatenglückseeligkeit gegen alle feindliche Angriffe zu schützen – der Soldat garantirt mit Blut und Leben die Ruhe des Bürgers, und in einem Lande, in welchem sich eine stehende und ganz disciplinirte Armee befindet; sind die gefährlichsten Staatenkrankheiten, die[50] unmittelbar ans Herz der innern politischen Glückseeligkeit nagen, Bürgerkriege, wo rasende Aufrührer in eigenen Eingeweide wüten – diese landverderbliche Unruhen sind in einem militairischen Staate nie zu befürchten – da wohnt ein jeder ruhig unter einem Souverain, welcher Befehlshaber seiner Armee, und der Hausvater in seinem Lande ist.

Von dieser und von jeder andern respektablen Seite betrachtet; ist in preußischen Staaten der Militairstand derjenige, welcher sich in Vergleichung mit andern Nationen und Ständen, am meisten in Achtung gesetzt, und bisher erhalten hat. Der preußische Officier wird bey allen übrigen europäischen Truppen für ein Beyspiel von Tapferkeit – für den Lehrmeister[51] der Dienstkenntniß und Kriegserfahrung gehalten – und wenn wir im Innern des Staats alle Stände durchgehen; so finden wir nirgends mehr und kräftigere Spuren von altteutscher Redlichkeit, von dem was bieder und in jedem Betracht brav ist, als unter der Classe der alten Officiers – fast mögte ich sagen, nirgends mehr wahre Gottesfurcht, als gerade bey dem alten Officier, dem mans gleich ansieht, daß er Feldzüge gemacht, mehr als einmal dem Tode starr ins Auge geschaut, und sich auf dem entscheidenden Punkt gefühlt hat; in Erfüllung seiner Berufspflichten mit entschlossener Resignation auf Welt und Leben seinen letzten Schritt – aus der Schlacht unmittelbar vor Gottes Angesicht zu[52] thun. Zwar so viel Complimente macht ein alter Solat nicht mit Menschen, als ein Hofjunker, aber was er sagt, darauf kann man sich etwas mehr verlassen – und für den lieben Gott hat er nicht einen so ästätischen wortreichen Vortrag, wie ein Geistlicher, der darauf ausgelernt ist, dem guten Gotte, der einem jeden Audienz giebt, recht viel schönes vorzuplaudern; aber wenn so ein alter Militair im Kugelregen seine Seele Gott zur fernern Disposition empfiehlt, so geschieht es kurz, voll Ernst und voll Nachdruck.

Die Classe der jüngern Offiziers zeichnet sich jetzt mehr als sonst durch Applikation auf Wissenschaften aus, welche nicht eigentlich den Dienst betreffen, aber viel beytragen, den[53] Offizier zu bilden, und ihn zum angenehmen und liebenswürdigen Menschen zu bilden, ohne ihn darum zum Petitmaitre herab zu stimmen.

Die preußische Armee hat eine nicht geringe Zahl solcher Offiziere, die nach dem Muster ihres Königs nicht bloß Soldaten, sondern auch Männer von Kenntnissen und Geschmack sind. Wir haben einen General Stille und einen Major Kleist gehabt, die von dieser doppelten Seite Zierden der Armee waren. Von einem Offizier kam mir kürzlich auf den letzten eine Grabschrift zu Gesichte, welche Kleisten und dem Witze seines Lobredners gleich Ehre macht – sie ist zu schön, um nicht den Verfasser in dem Lieutenant von Rahmel unter dem Flemmingschen Regimente[54] zu nennen, und sie verdient zu sehr allgemeiner gewußt zu werden, um sie aus seinem Werke nicht ganz abzuschreiben, hier ist sie:


Hier Wandrer ruht der Barde Kleist

In ihm beweint das Musenchor

Zum erstenmal den schönen Geist

In einem preußischen Major.


Als vorzüglicher Charakterzug des preußischen Militairstandes verdient besonders noch das Heiligthum der höchsten Menschenwürde – das wahre Point d'Honneur bemerkt zu werden. Die Ehre ist erstes Gesetz und erste Pflicht des Soldaten. Wenn Lachete in andern Ständen wie eine Sündfluth auf der Erde sollte überhand nehmen, so wird sich ein Stamm von Ehre in der Arche[55] des Militairstandes erhalten, und wenn der Mahler das Bild eines sehr würdigen Offiziers vorstellen, und diesen Charakterzug weglassen wollte; so würde er ihn nur halb mahlen.


Mirakel, darin sind die Menschen von Anbeginn der Welt, und so weit die Geschichte zurück führt, ausnehmend verliebt gewesen, und werden es bleiben, bis am Ende der Tage. Leute von Kopf, wenn sie ihrer Herrsch- und Gewinnsucht genügen wollten, spielten, falls andere Mittel ihnen fehlten, Mirakelkomödie und durch Wunderwerke, die sie Leuten vorgauckelten, regierten sie die Welt. Zur Ehre unseres erleuchteten Jahrhunderts, und zum unsterblichen Ruhm unserer hellen Berliner muß ich anmerken, daß durch mirakuleuse Charlatanerien,[56] durch Wahrsagungen aus der Kaffeetasse, durch Kartendeuterey, durch Inspirationen, Geistererscheinungen, Gespenstergeschichten – – man selbst bey Leuten vom Stande, besonders feminini generis, mehr Beyfall und Glauben verdienen kann, als durch handgreifliche Vernunftgründe. Ein purer Planetenleser kann hieselbst durch seine Kunst reich werden – ein neuer Meßias findet Anhänger und Glauben. – Jeder Charlatan mit sympathetischen Wunderkuren ist herzlich willkommen – das erste beste Mährchen von der Erscheinung eines Geistes gilt mehr als ein Evangelium. – Die berühmte weiße Frau auf dem hiesigen Schloße. – ohngeachtet sie schon vor geraumer Zeit einmal ausgepeitscht worden ist,[57] hat noch ihre Partisans – – Dergleichen Fratzenglauben macht ein Hauptstück der jetzt noch immer fortherrschenden Lokalreligion aus. – – Ist es zu verwundern, wenn derjenige, welcher keinen solchen Mirakelglauben hat, für einen Atheisten ausgeschriehen wird?

Das beste von der Geschichte ist, daß ein großer Theil derer, welche die alten und neuen Mirakel selbst für nichts mehr, als für Fratzen halten – selbst der größte Theil der heutigen Theologen die unzüchtige Pretension machen: daß unser einer dergleichen Rasereyen um deswillen verschonen, und nicht lächerlich machen müsse; weil sie so vielen hübschen Leuten ehrwürdig wären![58]

Wenn dieser Grund gelten könnte, so möchte ich wissen, warum ihr Herren! das alte jedem ehrlichen Bürger und Bauer ehrwürdige Porstensche Gesangbuch nicht bey seinen Würden gelassen habt? Ich möchte wissen, warum uns nicht noch alle Eselsfüße der Welt, welche Christum in Jerusalem hinein getragen haben sollen, zu küssen gegeben werden? Dergleichen Reliquien waren tausenden ehrwürdig. – – Aber man will der Vernunft aufhelfen, und das Ehrwürdige geschont wissen – was das vor Zwitteranstalten sind!


Lobreden – – Wenns denn schlechterdings nicht anders seyn kann, so muß ich mich schon entschließen, ein Bändchen hübscher Lobreden zusammen zu schreiben, um sie allen den[59] braven Männern zu Füßen zulegen, welche sich durch meine Schriften scandalisirt finden, und auf mich schelten, weil ich der einreißenden Geistestheurung abzuhelfen suche, und die hungrigen Seelen sättige, mithin eine sehr lobenswürdige Sache verrichte.

Das weiß doch der liebe Gott, daß bey allem gelehrten Ueberfluß marktgängiger Meßwaaren, wenig Nahrung für die gesunde Vernunft – wenig Zieltreffende kraftvolle Wahrheit vors Geld zu haben ist – – Selbst unsere erleuchtete Akademie der Wissenschaften ist noch zweifelhaft, obs gut sey, den Leuten die reine Wahrheit zu sagen? oder sie beym leeren Schaalengenuß der Feenmährchen und magrer Vorurtheile[60] zu erhalten? Der größte Theil der hellesten Köpfe ist davor – den Aberglauben und die Unvernunft nur ein wenig vernunftmäßig zu machen, nicht aber ihn ganz auszurotten. – Alle aber sind beynahe der einstimmigen Meinung, daß man viele Wahrheiten gar nicht sagen müsse – wollen ein Haufen Chalatanerien unangetastet wissen, nur nicht das heilsame Gegengift meiner Chalatanerien, welche bey ihrer genießbaren Appretur doch noch ziemlichen Abgang finden und hoffentlich manchem ganz gut bekommen werden, wenn gleich einige – die zu jeder Medizin eben so wenig Appetit haben, als zu gesunder Hausmannskost, etwas Herzklopfen, kleine Uebelkeiten und Magendrücken darnach verspüren dürften,[61] weil ihre Verdauungsgefäße gar zu sehr geschwächt sind. Unpartheiisch müßte selbst das Collegium Sanitatis ein vortheilhaftes Urtheil über meine kräftige Seelenspeise fällen, was auch immer diejenigen, welche einige leichte Uebelkeiten darnach empfinden, dagegen einzuwenden haben mögen.

Um indessen dem Unheil des bösen Gerüchts, womit die gute derbe Geistesnahrung ungewohnter Wahrheiten verschrieben werden will, auf die sicherste Weise abzuhelfen; muß ich schon ein übriges thun, muß nach dem Muster anderer Charlatane, und nach dem Rath meiner Freunde, mir eine Parthey zu machen, und selbst meine Gegner in mein Interesse zu ziehen suchen. Offenbar kann dies durch kein zuverläßiger Mittel geschehen, als[62] wenn ich selbst auf Kosten der Wahrheit allen denen eine Lobrede halte, welche bisher ihren lauten Tadel über meine Schriften zu äußern Belieben getragen haben. Eine Hand wäscht die andere, und wenn ich meine Tadler recht kräftig herausstreiche; so werden sie schon künftig besser meine Partie nehmen.

Es ist ein bekanntes Exempelchen, daß einstweilen ein guter ehrlicher Bürger von dem Stadtmagistrat bey aller Gelegenheit viel bittre Wahrheiten sagte – wie z.E. die Herren des Raths die Leute drückten, – so oft sie Geld brauchten, ein neu Gesetzchen aufbrächten, oder ein altes aufwärmten, welches freylich nach Liebe zur Ordnung schmeckte, aber wie eine schön versilberte Pille nur beygebracht[63] würde, um die Bürgerschaft ein wenig purgiren zu lassen, und ihnen den Beutel zu erleichtern, maaßen ein jeder – wie dieser Mann sagte, die Contravention denen Aufsehern abkaufen konnte u.s.w. – – Anfangs wollte der Magistrat dem Bürger, der solchergestallt, wie der gottlose Ham die Schaam seiner Väter aufdeckte, zu Leibe; aber er schützte sich mit seinem Bürgerrecht, und mit der Versicherung, daß er die Wahrheit rechtlich beweisen wollte, wodurch denn der arme Magistrat bey dem Landesfürsten in eine schlimme Opinion hätte kommen können. Der Magistrat nahm bey so bestalten Sachen eine andere Wendung, erwählte den Bürger unter lauten Lobsprüchen seines bekannten patriotischen Eifers[64] zum ordentlichen Mitgliede, ließ ihn mit theilen – – und a dato fing der neue Rathsherr sofort an, den Magistrat zu vertheidigen, unterschrieb alles treulich mit, was zum Besten der Stadt beschlossen wurde, und man sahe ihn mit Leib und Seel zur Seite des Magistrats stehen – der wie alle Apostaten seine neue Parthey verfocht, und seine alte vorhin so sehr getadelte Herren Collegen – – – Du bist gar nicht mehr, wie du sonst warst; sagte sein Nachbar zu ihm, sprichst aus einem ganz andern Ton vom Magistrat, der's jetzt ärger macht, wie vorher – – – Ja sagte der neue Rathsherr, der eben von einem Theilungsaktus zu rück kam, und den Braten roch, der für seine Tentieme ihm unterdessen ins Haus[65] geflogen war – ich dachte es sonst nicht, daß es beym Magistrat so ehrlich herginge!

Nach diesem Modell denke ich auch die Herzen meiner Gegner, die mich für nichts weniger, als für einen Giftmischer ausschreyen, auf meine Seite zu bringen – – Zwar nicht auf die Art, daß ich sie mit mir wollte theilen lassen, wenn ich in der Stadt und im Lande umher Contribution ausschreibe, auch nicht durch Braten und andern körperlichen Eskulantien – aber durch wohlriechenden Weyrauch schöner Lobreden, die ich meinen angesehensten Antipartisans halten werde, und wovon ich bereits das Register angefangen habe, um in kurzen ein mäßiges Bändchen erscheinen lassen zu können. Wer[66] mir ein volles Dutzend solcher lobfähigen Personen nahmhaft hat, die der Mühe verlohnen, daß ich sie durch Lobschriften zu meinen Freunden mache, der erhält ein Exemplar gratis.


Moses, dieser fameuse Mann, der so viel Spektakle in der Welt gemacht hat, war der erste Fündling, dessen die Geschichte erwähnt. Angeblich war er ein Israelitisches Kind, welches hatte weggesetzt werden müssen, um nicht getödtet zu werden, weil damals von dem König der Egyptier war befohlen worden, alle jüdische Knaben, die geboren wurden, sofort umzubringen, damit diese fremde Race nicht weiter überhand nehmen, und den Landeseinwohnern über den Kopf wachsen möchte. Dieses[67] ist einer der allerunwahrscheinlichsten Artikel, in der mit Fabeln und abentheuerlichen Mährchen ausgeschmückten altjüdischen Geschichte. Wenn wir als wahr annehmen, daß die Israeliten eine besondere Provinz, Gosen genannt, inne hatten, daß die Egypter einen Greuel für dies Hirtenvolk hatten, und sich für viel zu edel hielten, um unter diesen arabischen Horden zu wohnen, daß die Israeliten sechsmal hundert tausend Mann zählten, folglich ein Volk ausmachten, welches Weiber und Kinder darzu gerechnet, wenigstens anderthalb Millionen Menschen stark war; so hätte es mit dem Teufel zugehen müssen, wenn ihre Weiber nicht hätten gebähren können, ohne daß die Egypter es hätten ausspioniren[68] können, ob Jungens oder Mädchens zur Welt gekommen wären. Angenommen, daß auch fünfzig tausend Egypter Tag und Nacht patroullirt hätten, um zwischen den Wohnungen der Juden auf das Kreißen der gebührenden Weiber zu horchen und Acht zu haben, daß dem emanirten Edikt zufolge alle Knaben getödtet würden, so hätten dieser Spionen ohngeachtet, doch immer hundert Weiber sicher nieder kommen können, ohne daß solches hätte verrathen werden dürfen, zumal die Hebammen nach der Versicherung der heiligen Geschichte damals verschwiegener waren, als heute zu Tage, und selbst den frommen Meineid begingen, und nicht thaten, wie ihnen der König befohlen, und sie ihm geschworen hatten,[69] daß sie thun wollten. Wenn die Knaben aber einmal wohlbehalten zur Welt gekommen waren; so durften sie nur in Mädchenskleidung aufwachsen – so gar genau würden Patrouillen der Egypter die herumlaufende Mädchensfiguren ja wohl nicht examinirt haben, um unter weiblicher Kleidung ein männliches Merkzeichen zu entdecken. Die Mutter des kleinen Mößchens falls sie wirklich eines ehrlichen Israeliten Eheweib gewesen wäre, hätte folglich nicht nöthig gehabt, ihr Kind aus dem Lande Gosen zu tragen, um es nahe bey dem königlichen Schlosse am Ufer des Nils auszusetzen, da es nicht wahrscheinlich ist, daß die königliche Prinzessin mit ihren Hofdamens eine Promenade bis in die Provinz Gosen[70] wird gemacht haben, die Juden aber so nahe an der Residenz zu wohnen sich nicht unterstehen durften.

Vielleicht war Moses gar ein Kind der frühen Liebe von der jungen Prinzessin, was weggesetzt, und von ungefähr hatte gefunden werden müssen, um die in Cognito geschehene Niederkunft der Mutter, die nothwendiger Weise noch als Vestalin vermählt werden mußte, nicht zu verrathen. Aehnliche Fälle sind mehr in der Welt bekannt, daß außer eheliche Kinder zur Konservation der Ehre ihrer Väter und Mütter erst weggesetzt, und wie ganz von ohngefähr wiedergefunden werden, um ihnen die zärtlichste Erziehung unter dem Titel der Großmuth und christlichen Liebe, als Fündlingen angedeihen zu lassen.[71]

Wenn dies allenfalls getroffen seyn sollte; so wäre Moses nicht nur ein Fündling, sondern noch oben drein ein Kind der Liebe. Der Erfolg scheint dies zu bestätigen – denn er war wie die meisten Kinder der Liebe, zu deren Ausarbeitung die lebhafte Einbildungskraft mehr beyträgt, als die meist schläfrige Ehepflicht, ein heller Kopf, und ein fast vollkommener Mann, von dem kein andrer Fehler bekannt war, als daß er eine stotternde Sprache hatte.

Indessen paßirte er – bey den Juden wenigstens, die aus altväterlichen Wahn keines unbeschnittenen Sohn zu ihrem Hauptmann haben durften, für einen ächten Israelitischen Abkömmling – Vielleicht ans keinem bessern Grunde als der verunglückte [72] Pugatschev für Peter den Dritten auf und angenommen wurde, um den Enthusiasmus des Aufruhrs anzufachen. Er wurde wie ein Prinz in aller Weisheit der Egypter erzogen, und lernte von den Priestern die Geheimnisse das Volk durch scheinbare Wunder zu täuschen, und die feinsten Staats-Künste der Vorwelt, noch besser, als wenn er bey den Jesuiten in der Schule gegangen wäre. Als ein junger feuriger Mann fühlte er sich zu sehr Prinz erzogen, um als bloßer privat Mann ein müßiges unbemerktes Leben zu führen. Mit allem angebohrnen und ausgebildeten Ehrgeiz konnte er sich keine Hofnung zur Egyptischen Krone machen – er legte es also drauf an die zahlreiche Israeliten an sich zu ziehen, und sie[73] zur Empörung zu reizen, welches um so leichter war, da dieses Volk ziemlich sclavisch behandelt wurde, und wieder seine Neigung arbeiten mußte; welches nie eines Juden Sache war, da bekanntermaßen die Allerärmsten von dieser Nation lieber halb nackend gehen und trocken Brodt essen, als Holzhacken, oder andere sauere Handsarbeit sich gefallen lassen.

Diesemnach suchte Moses zuvörderst das Zutrauen und die Liebe dieser Nation zu gewinnen – er strich auf den Feldern herum, wo die Israeliten unter der Aufsicht egyptischer Frohnvoigte arbeiteten, und affektirte als ihr freundlicher Beschützer die Schläge von ihnen abzuwenden, durch die sie zum Fleiß schlechterdings aufgemuntert werden musten, wenn[74] was geschehen sollte, und er machte sich ungebeten über einen Egypter der einen Juden prügelte, schlug ihn todt und begrub ihn, damit der befreite Jude den ihm geleisteten heldenmüthigen Beystand seinen Brüdern erzählen, der todte Egypter aber seinen Mörder nicht verrathen oder ihn Injuriarum belangen mögte. Ganz hatte diese That nicht den Einfluß auf die Israeliten den er sich versprechen mogte. Er wollte bey einer andern Gelegenheit, da sich zwey Juden prügelten, wieder den Schiedsrichter machen – der eine aber, der keines Richters bedurfte, und sich auf die gute Sache seiner eigenen überlegenen Faust verließ, komplimentirte ihn ziemlich unhöflich weg, warf ihm seine an dem Egypter verübte Mordthat vor, mit[75] dem Bedeuten, ihn bey dem egyptischen Generalfiskal zu denunziiren, wenn er sein unbefugtes Scharfrichter- Amt nicht würde niederlegen und wenn er sich fernerweitig in fremde Händel mischen würde.

In Egypten war damaliger Zeit mit dem Generalfiskal nicht zu spaßen – Dieser furchtbare Staatsoffiziant konnte von Amts wegen und wenn er nicht gar zu kommode war, seine Pflichten zu erfüllen; den ersten Staatsminister Sr. Egyptischen Majestät über Malversationen in Anspruch nehmen. Das wuste Moses. – Es konnte ihn also nicht schützen, daß er der geliebte Fündling einer Prinzessin und vielleicht die erste Frucht ihres frühen Temperaments war, und aus so triftigen Konsiderationen nahm er[76] weißlich reisaus, und legte durch diesen Schritt den er aus dem Lande that, den ersten Grundstein ein Avantürier zu werden. Unvorbereitet zu dieser schleunigen Flucht, hatte er vermuthlich seine Börse vergessen – In der Fremde ist es ein schlimm Ding ohne Geld und ohne Creditbriefe zu reisen; aber ein geschickter Kopf wird sich in solchen Gelegenheiten immer aus der Affaire ziehen – Bis auf bessere Zeiten trat er bey einem gewissen Itero in Kondition, und ward ein Viehhirte. – – Bey einem Manne von Kopf kommt es nie darauf an, was man einmal gewesen ist – – Jakob war auch nichts anders als Schäfersknecht, und wurde doch nachher Lehnsherr vom Lande Gosen. Joseph trug seinen Brüdern, welche[77] alle Viehhirten waren, das Frühstück nach der Weide, wurde als Sclave verhandelt und Haushofmeister bey dem Cabinetsminister Potiphar, und weil er dessen Gemahlin, die während der Zeit daß ihr Gemahl sich mit Staatssachen plagte, viel Langeweile hatte, nicht bedienen wollte; so kam er gar ins Gefängniß, und von da wurde er durch die immer wichtige Gabe der Weißagung, und durch Projektmacherey zu der Würde des ersten dirigirenden Staats- und Finanzministers und eines Generalstatthalters von ganz Egypten erhoben. Saul in spätern Zeiten wurde von seinem Vater abgeordnet, Esel zu suchen, gerieth unter die Prophetenknaben von welchen Samuel zu der Zeit Direktor war, und weil er diesem ein sehr[78] brauchbares Subjekt schien, Titularkönig zu seyn, Samuel aber eben einen so unmündigen König suchte, in dessen Nahmen er die Rolle eines Herzogsregenten spielen konnte; so salbte er den Eselknaben zum Könige über Israel – – David war auch nichts mehr, als ein Hirtenknabe, wurde Hofmusikus beym Könige Saul, um ihm auf der Harfe vorzuspielen, wenn Se. Majestät nicht nach der Pfeiffe tanzen wollten, dieserhalb ausgescholten wurden, und unter der Hofmeisterschaft des alten Samuels, dem er nichts recht machen konnte, oft bey übler Laune waren – auch dieser Knabe poußirte sich durch die weise Veranstaltungen Samuels, in dessen Grillen er sich besser als Saul zu schicken wuste – heirathete die Prinzeßin[79] Michal, errichtete ein Freykorps von Landstreichern, die auf Raub und Beute ausgiengen, ward ein Ueberläufer, gieng als Freybeuter in fremde Dienste, und endigte diese glänzende Laufbahn nach Sauls Tode mit Ersteigung des höchsten Ehrengipfels, indem sein alter Patron Samuel, der ganz in dem Geiste eines Priesters, vor sein Leben gern Könige machte und Könige regierte, sofort den Herrn Freyobristen aufsuchte, und ihm die Krone über Israel aufsetzte.

Es that also auch nichts, daß Moses eine Zeitlang das Vieh hüten mußte – deswegen vergaß er doch seine Absichten nicht, ein großer Mann zu werden. Er hatte Zeit und Muße hinter der Heerde seinen Plan recht durchzudenken, wie in spätern Zeiten[80] Mahometh als Kameeltreiber auch nicht müßig mit seinem Kopfe war, wenn er sich in seinen maschinenmäßigen Berufsgeschäften auf Reisen befand. Moses legte sich auf die damals geltende Priesterkunst mit Gott zu sprechen, kehrte nach Egypten ganz als Jude zurück, indem er selbst auf dieser Rückreise seinem Sohn Zipor, die bis dahin unterlassene Beschneidung angedeihen ließ, assoziirte sich mit Aaron, der ein guter Redner war – wiegelte die Israeliten auf, sich der egyptischen Oberherrschaft zu entziehen, machte Künste vor dem Könige Pharao, gewann ganz die Herzen der Juden, indem er sie lehrte die Egypter zu bestehlen, und bey Nacht und Nebel fortzugehen, zog mit diesem Volke viele Jahre in der[81] Wüsten umher, hielt sie durch lauter Wunderwerke in Ordnung, gab ihnen Gesetze die mit denen in Egypten viel Aehnlichkeit hatten – versprach ihnen ein Land, welches als General zu erobern, er selbst nicht Herz hatte, und starb zur rechten Zeit – um sich als ein großer Mann bey einem unvollendet gelassenem Werk auf die klügste Weise aus der Affaire zu ziehen.


Nach rechtem Maaß und rechtem Gewicht – eine Replik für meine mißvergnügte und unberufene Kritiker – Ich sann meinem Schicksal nach, daß so manche Menschenklassen über mich und über meine Schriften ein mißvergnügtes Urtheil fällen – und wenn ich nicht sehr irre, noch ferner über mich fällen werden. Diejenigen, welche ich nach reiner Wahrheit,[82] aber nicht nach ihrem Sinn karakterisirt habe, sprechen mir ohne Umstände mein Verdammungsurtheil und würden nur mit Milde über mich urtheilen, wenn ich ihnen – auch ohne Verdienst, mithin aus pur lauterer Gnade und Barmherzigkeit eine herrliche Lobrede gehalten hätte – – Was soll ich diesen Leuten zum Trost sagen? wie soll ich sie zufrieden stellen? Ich war um eine recht passende Replick recht sehr verlegen – – Indem bringt mir mein Bedienter eine Probe Thee in einem gedruckten Blättchen – – Ich machs auseinander und lese folgende Fabel:


Aesopus und der Esel.

Der Esel sprach zu dem Aesopus: Wenn du wieder ein Geschichtchen von mir ausbringst; so laß mich etwas[83] recht vernünftiges und sinnreiches sagen.


Dich etwas sinnreiches! sagte Aesop; wie würde sich das schicken? würde man nicht sprechen, du seyst der Sitenmahler, und ich der Esel?


Lieben Freunde? wenn ihr hört, daß jemand mit der Zeichnung, die ich von ihm gemacht habe, nicht zufrieden ist, wenn ihr's jemanden an der Nase anseht, daß er gern in einem vortheilhaftern Lichte erscheinen möchte – als Wahrheit und Freymüthigkeit ihm beylegen konnte; dann denkt an obige Fabel, und gebe Gott! daß jeder mißvergnügte Urtheiler darin Trost – und eine ihm hinreichend beruhigende Antwort finden möge, wie sie nach rechtem Maaß und[84] rechtem Gewicht ihm eignet und gebühret.


Nichts umsonst. Ist eine sehr gute Regel in der Welt, und wenns bloß der Ordnung wegen wäre; so muß Niemand etwas umsonst thun oder verlangen. Jede gute Handlung verdient Belohnung, jede Wohlthat, jede freundschaftliche Gesinnung ist wenigstens eines Danks wehrt; wenn man sie nicht mit That vergelten kann, und doch finden sich für den Aufmerker immer Gelegenheiten Dankbarkeit in thätlichen Dienstleistungen zu zeigen. Der Allergeringste kann selbst dem Größten einmahl nützlich seyn, und die kleine ungeachtete Mauß, welche, wie die Fabel sagt, einstweilen in der Macht des Löwen fiel, und aus Großmuth unzerquetscht loßgelassen[85] wurde, zernagte zur Vergeltung das Netz, worin der mächtige Löwe verstrickt wurde, und verschafte Rettung seinem Erretter.

Aber auch keine Beleidigung muß einer umsonst prätendiren. Der Größte ist verloren wenn der Kleinste Gedächtniß genug hat, sich eine empfangene Beleidigung zu merken, und es wird nur ein klein wenig Kopf erfordert, sich zu seiner Zeit zu rächen. Wenn das nicht geschähe so würde alles Gleichgewicht im Reiche der Dinge aufhören. Nur dem Geringern kann man eine Beleidigung hingehen lassen. Es ist also ein Kompliment, was man jemanden macht, wenn man ihn wichtig genug hält, seiner bey Gelegenheit für eine empfangene Beleidigung zu gedenken,[86] als wovon dieses kleine Werkchen mehr als einen Beweis darbiethet, falls sich nur gütiger Weise erinnert wird, wodurch ein jeder die ihm wiederfahrne gar gelinde Züchtigung verdient hat. Und solchergestalt wird bloß gebethen, vors erste und bis zur nähern Berechnung vorlieb zu nehmen.


Nosce te ipsum, (erkenne dich selbst! oder fasse dich bey deiner eigenen Nase), das war sonst einer der wichtigsten Klugheitslehren, welche bey der alten Erziehungsmethode, als noch keine Philantropine und französische Erzieherinnen die Jugend nach der Mode bildeten, nie vergessen wurde. Wenn je ein Studium in unserm jetzigen Zeitalter vernachläßiget wird, so ist es gerade das Studium der Selbsterkenntniß,[87] von welcher Seite aus mannigfaltigen Standpunkten wir es auch betrachten mögen.

Von Kindesbeinen an wird ein jedes mit andern Dingen außer sich, nur nicht mit sich selbst bekannt gemacht. Und in jedem liegt der Keim der Begierde, alles zu erforschen, nur nicht sich selbst. Nur in sofern achtet der Mensch mit partheyischem Blicke auf seine eigene geliebte Person, in sofern er durchs Verschönerungsglas der Eigenliebe, nur das Gute was freylich ein jeder und selbst der schlimste hat, an sich siehet – aber nie seine Schwächen.

Nur in so fern wird dagegen der Nebenmensch betrachtet, als man durchs Vergrößerungsglas der Tadelsucht[88] seine Fehler siehet, die ein jeder auch hat, aber nicht sein Gutes.

Richtige unpartheyische Prüfung und Kenntniß seiner selbst, führt zur richtigsten unpartheyischen Prüfung anderer, wenns darauf ankommt, Menschenwerth abzuwägen. Der Mensch, der nicht zu hoch von sich selbst denkt, wird nicht zu niedrig von andern denken. Der Mensch, der seinen eigenen übertriebenen Werth fühlt, und nicht zu hoch von andern denkt, wird mit dem wahren Gefühl seiner eignen Menschenwürde, nicht wie Sklave vor einem andern kriechen, der mit den höchsten äußern Prädikaten nur immer noch Mensch – nichts mehr ist. In diesen Sätzen dürfte die Kunst der Selbstkenntniß[89] für den, der drüber denkt, aufgeschloßen da liegen.

Die Probe ob jemand mit der Kenntniß seiner selbst nicht fremd ist, dürfte allenfalls auch die seyn, wenn er nicht wild gegen denjenigen wird, der ihn auf das Gefühl seiner Schwächen und Fehler führt, und wenn jemand nicht wüthend wird, indem ihm eine leichte Hand ein Geschwür aufsticht – wer das nicht leiden kann; hat sicher nicht Lust sich selbst kennen zu lernen, und in diesem Fall sind alle seine übrige Wissenschaften, nur Charlatanerien, weil sie nie zu seiner eignen Vervollkommung beytragen werden.

Es ist noch eine andere Art von Selbstkenntniß, die zum Unglück für die Welt entweder gar nicht, oder[90] nicht auf die rechte Art kultivirt wird – das Forschen in Tiefen seiner eigenen Seele, das Entwickeln seiner eigenen Kräfte – das Graben in den reichhaltigen Mienen der Weißheit, welche ein jeder von Natur in sich selbst hat. Die meisten saugen, wie Kinder an den Brüsten ihrer Ammen saugen, an fremder Weißheitsnahrung – wissen es nicht, daß jeder Geist Nahrung für sich selbst in Ueberfluß hat, um sich selbst Befriedigung zu verschaffen, und noch andern mitzutheilen. – Wer diese Kunst versteht, aus sich selbst zu schöpfen, das aus sich selbst heraus zu holen, was in ihm steckt, der wird nie andern nachbeten – wird in seinen Ideen immer neu seyn.


[91] Nutzen, eigner Nutzen ist die erste große allesbelebende Triebfeder aller menschlichen Handlungen, und ich kenne kaum eine größere Chalatanerie schön-schwatzender Moralisten als wenn sie von der Uneigennützigkeit bey dem was zu thun und zu lassen, unsere Pflicht und Wahl ist, etwas herpredigen, was sie weder verstehen, noch befolgen. Jede unserer Mühe und Arbeiten, welche unsere Tage zusammenketten, jede gute That – jede milde und edle Handlung, die auszuüben, wir unsere besten Seelenkräfte anspannen, ist ein Capital welches wir austhun, um davon Interessen und Nutzen zu ziehen. Wer uneigennützig ohne Absicht handelt, giebt, andern beysteht – oder ins Gelach hinein wegwirft; ist ein Thor, der seine[92] Saat auf einer Landstraße wirft, wo er nie Erndte zu hoffen hat. All unser Thun muß Zweck haben – der Mittelpunkt aller weisen Zwecke, welche aus der weitesten Peripherie unserer Thätigkeit zusammen fließen, ist kein anderer, als daß uns wohl seyn möge. – Aber freylich wird dieses Wohlseyn, was der Mensch suchet, und worin sich all unsere Handlungen konzentriren, oft die meiste Zeit in Dingen gesetzt, die nur gut schmecken, und nachher übel bekommen, im Grunde unser Wohl in uns selbst zu zerstöhren, und darin liegt die Quelle des falschen Eigennutzes, welchem man Ehre guten Namen – am meisten aber die innere Menschenwürde aufopfert. Dieser falsche Eigennutz ist der Grund[93] einer Menge Unheils, und erschüttert jede öffentliche und Privatglückseligkeit – die Folgen dieser Art von Eigennutz sind fürchterlich, auf ihn faßt der Schurke festen Fuß – wenn er ein reicher Schurke ist, und des Eigennutzes wegen ist es oft gefährlich, ein ehrlicher Mann in öffentlichen Verhältnissen zu seyn. – Denn unbestechbare Männer, die ihren Eigennutz bloß in der wahren Ehre, in der innern Befriedigung ihres Gewissens suchen, werden im Reich der Kabale immer für Leute gehalten, die man fortschaffen muß.


Oben und Unten, wenn es den Rang bezeichnet, ist eine Charlatanerie, welche in der Welt oft was zu lachen giebt. Wer darin sein Verdienst und seine Gemüthsruhe sucht,[94] oben an zu sitzen, und einen andern herunter zu drengen, daß er unten an kömmt; der wird entsetzlich tantalisirt, wenn ihm der theure Rang einmal abgelaufen wird.

Wer nach innern oder einzeln Verhältnissen wirklich den Vorrang hat, der sitzt immer oben an, welche Stelle er auch einnehmen mag. Bey Friedensunterhandlungen, wenn man friedliebende Gesinnungen grimaßiren will, im Herzen aber wünscht, daß noch kein Frieden sobald werden soll; da bringt es die Politik mit sich, etliche Monate mit Rangstreitigkeiten zu verlieren, ehe man zur Sache schreitet. Siehe die Geschichte vom Westphälischen Friedensschluß. Wenn aber das Heil des heiligen Römischen Reichs nicht vom Range abhängt,[95] da kann man sich geschwinder expediren, und sich allenfalls aus des Milius Gesetzsammlung, worin noch eine alte Rangordnung befindlich ist, geschwinder Raths erholen.


Original. Ein Originalgenie, wenns auch nur ein mäßiges Genie ist, hat mehr Werth, als die beste Kopie – und wenn sie nach Raphael, Angelo, oder Rubens, oder van Dyk gemacht wäre. Originale nennt man auch solche Narren, die ganz ihre eigene Narrheit vor sich haben. Es giebt eine Menge von Charlatanen in allen Fächern, die solche Originale sind. Um sie richtig und nach dem Leben zu mahlen, muß man – wie Moliere z.E. seinen Pinsel nicht blos zum kopiren gewöhnt haben.

Quelle:
[Cranz, August Friedrich]: Charlatanerien in alphabetischer Ordnung als Beyträge zur Abbildung und zu den Meynungen des Jahrhunderts, 1–4, Berlin: 41781, 21781, 1781, 1781 [Nachdruck Dortmund 1978], S. 8-96.
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