[Die Sonne glüht die Weltgesetze]

[404] Die Sonne glüht die Weltgesetze,

Ihr strenges Antlitz giebt sie kund,

Gebote, die man nie verletzte,

Verkündet sie mit Feuermund!


Doch ihre großen, goldenen Strahlenarme

Ergreifen Hände einer andern Welt,

Sie schweifen hin zu manchem Flammenschwarme,

Den ihnen fern ein Stern entgegenschwellt.


Die Sonne birgt in gleichen Lichterhüllen,

In Lebensfalten, die sie schön entrollt,

Geschöpfe, die ihr Lichtgebot erfüllen,

Ideeen, die ihr heißer Kuß gewollt!


Planeten waren einst mit ihr verbunden:

Umfaßt von ihrer goldenen Mutterwand,

Gelang es ihnen selbst sich abzurunden,

Doch nie verletzten sie ihr Liebesband.


Nun will die Liebe uns zur Sonne bringen,

Es sprengt die Seele ihre Erdgestalt,[404]

Die Nacht wird nie die Sehnsucht niederringen,

Sie ist Gesetz und hat in sich den Halt!


Sie ist die Liebe jeder EinzelBlüthe,

Die Welteneinheit, die sich wirklich fühlt,

Der Ring, der unsere Erde einst umglühte,

Die Macht, die jetzt die Starrheit unterwühlt.


Doch ist der Mensch noch tief an sich gebunden:

Wann hat er es bis übers Ziel gebracht?

Nur stufenweise wird das All empfunden,

Und selbst das Ursein ist beschränkt gedacht.


Es wird der Mensch vom Licht in seine Kreise

Durch geistige Wirklichkeit gebannt

Und in der Erde Seelengluthgeleise

Das All, als Ganzheit, erst in ihm erkannt.


Verschieden wurden sämmtliche Planeten,

In sich, ein sonderbarer Sonnentheil,

Und mußte jeder sich auch rund verkneten,

Trifft alle doch der gleiche Sonnenpfeil!


Und da das gleiche Licht auf allen lodert,

Erglüht auf jeden stets ein andrer Kuß:

Was jeder Strahl ist, wird von ihm gefordert,

Daß ihm das Seltene sich ergeben muß!


Durchs Leben wird es an den Tag gewunden,

Ihm Gleiches will das Sonnenangesicht,

Als Lust wird jeder Sonnenkuß empfunden,

Nur was sich liebt und trifft, das ist das Licht!
[405]

Ganz unergründbar sind die Sonnenseile,

Die uns auf Seelenhöhen schon gebracht,

Doch Licht sind die erlösten Erdentheile,

Und wärmend ringt, was bald als Licht erwacht.


Das ist die Macht der innern Sonnenmystik,

Die erdenseltenes Seelenlicht erhebt,

Denn durch heroische Charakteristik

Wird in der Welt der Adel streng belebt.


Doch drängt die Massengluth zur Sonnenscheibe,

Erheischt der Mensch für sich ein weites Wohl:

Er selbst vollendet sich in seinem Weibe

Und macht das Gold zum Sonnenglückssymbol!


Es gleicht das Gold erstarrten Sonnenstrahlen,

Gold wollen ist oft Sonnensohnespflicht,

Für Lust erleiden wir auch Schmerz und Qualen,

Denn so will es das Licht, ist Lust doch Licht!


In uns erglüht die Freudenfeuerkette,

Der stumme Nuß der Erd und Sonnengluth,

Und Sonnenwandlung bringt uns stets zur Stätte,

Wo, unser harrend, Glück auf uns beruht.


Doch hat der Ring der Freuden goldene Schranken,

Gar eng ist drum der Kreis vom Erdenglück,

Selbst Starke, die ihm nahe kommen, schwanken,

Denn SonnErkorene stoßen sie zurück.


Blos wer im eigenen Lichtmoment geboren,

Der jauchzt und jubelt unentwegt:

Es lacht das Licht, die Lust, in Feigen, Thoren,

Und freut sich, daß es so die Welt bewegt.
[406]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 404-407.
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