[Oh Sonne, Sonne, großer Lichtgedanke]

[407] Oh Sonne, Sonne, großer Lichtgedanke,

Der Du das Unding zur Gestaltung raffst,

Oh, wüßtest Du, wie brünstig ich Dir danke,

Daß Du ein Kind durch meine Liebe schaffst.


Des Weibes stummer Blick hat mir verrathen,

Daß meine Sehnsucht heilige Wurzeln treibt,

Daß Träume wogend sich als Keim bejahten,

Und daß ein Wunsch von mir sich nun beleibt.


Du Kind, mein Kind, Du Frucht von meinem Wesen,

Erstehe stark und hold im Mutterschooß,

Oh Du mein Schmerz, sei endlich mein Genesen,

Oh ringe, ringe Dich von mir nun los!


Dann schmiege Dich als Glücklicher auf Erden

Durch die Erkenntniß an das Lichtgebot,

Es gabs ein Sonnensohn den Sonnenheerden,

Wie es am Sonnenantlitz, wechselnd, loht.


Wir Menschen wurden die Beschlußverkünder

Des Daseins, das sich überm Licht erwägt,

Die Einfalt und die Geistigkeitsergründer

Der Dinge, die den Tod in uns gelegt.


Gebt ab, Ihr Seelen, was Ihr kurz empfunden,

Vertieft in Euch was Ihr berauscht erfuhrt.

Es bleibt der Geist mit Eurem Nichts verbunden

Und Echtheit strahlt in jede Nacktgeburt.
[407]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 407-408.
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