[Einer Frucht, die reif ist, ähnlich]

[408] Einer Frucht, die reif ist, ähnlich,

Stürzt die Sonne in die See:

Unerdenklich, unerwähnlich,

Ist es Abends Abschiedsweh.


Schatten, die uns überraschen,

Da das letzte Licht versinkt,

Scheinen Hände, die erhaschen,

Was im Äther rasch verblinkt.


Wie von lauter Flammenbündeln

Ist das Düster überloht,

Ringsum seh ich Argwohn zündeln,

Und ein Wolkeneinsturz droht!


Fällt der Aar getroffen nieder,

Schwingt das winzige Volk der Luft

Augenblicklich das Gefieder

Und schon schwirrts in Kluft und Schluft.


Alles Flimmern, das geblieben,

Dieses letzte Zwitterlicht,

Wie es Flederwische lieben,

Ist auf Haar und Schmuck erpicht.


Weiberaugen, Schminkgesichter,

Federfahne, Ring und Knopf,

Gleißen stärker öffentlicher,

Widersinn bezwingt den Kopf.


Weg aus solchen Brunstmomenten,

Niemand hält den Räthseln Stand!

Wär es endlich doch, als trennten

Lauter Sterne Meer und Land.
[408]

Schmale, kahle Dünen schmiegen

Ihren Pharus an das Meer,

Und ein Glockenschwall von Ziegen

Tönt vom Thale leise her.


Ängstlich wimmern diese Glocken:

Ob ein Heimchen mich umschwirrt?

Nein, ich höre nun frohlocken,

Eben singt der muntere Hirt.


Schlug man dort, tief eingebuchtet,

Einst ein blutiges Seegefecht,

Denn warum entreißt, entwuchtet,

Rings sich ein Gewaltgeschlecht?


Jene Schemen sind Zypressen,

Die in Gruppen einsam stehn

Und den Zug der Fluch von Pässen,

Sammt den Fluren, übersehn.


Oh, sie ringen aus dem Boden,

Sich entwurzelnd fast, empor:

Wollen sie zusammenroden

Was sich dort an Blut verlor?


Wehmuthsvoll und stumm verbluten

Wolkennarben immer mehr,

Und in farbenschweren Fluchen

Schwimmen Knaben hin und her.


Zwischen goldenen Plätscherkronen,

Die das Tintenblau erwühlt,

Kann sich erst der Schweiß verlohnen,

Wird er kühl hinweggespühlt!
[409]

Seht, das Meer tauscht mit den Wipfeln

Seinen ersten Windesgruß,

Und die Dämmerung giebt den Gipfeln

Ihren blutigen Abschiedskuß.


Doch nun glimmt es vor Altaren

Unserer sanften, lieben Frau,

Stimmen, Wesen, die sie ehren,

Bringen selber sich zur Schau.


Und die Stadt, die sich erhellte,

Gleicht im lichten Nachtgewand

Jetzt von selbst dem Himmelszelte

Mit dem Sommerdämmerrand.


Drüben am Vesuve schwellen

Seine Adern blutig auf,

Seines Wesens Grimmeswellen

Lenken unsern Schicksalslauf.


Er vergräbt sich wild in Pläne

Und erfüllt sie auch sogleich,

Seines Hauptes Schlangenmähne

Übersieht das Sonnenreich!


In Geschicke fügt er immer

Noch sein strenges Wirken ein,

Stirnenrunzeln, Wuthgeschimmer

Sind uns dessen Wiederschein.


Fühlte doch die erste Bleiche

Eruptiv die Daseinsnoth,

Ward die schwangere Wolkenweiche

Plötzlich ganz vom Geist durchloht!
[410]

Ja, der ersten Liebesschäume

Duftig zartes Dunstgedicht

Reckte sich, als Lebensträume,

Stracks zur Buhlschaft mit dem Licht!


Zucken immer noch Entschlüsse

Durch des Berges Flammenhaupt?

Drohen uns die Lavaflüsse?

Seht, wie grauenvoll er schnaubt!


Kann er gar das Fatum lenken,

Rührt er langsam seinen Arm?

Welches Volk will er ertränken?

Wo versinkt ein Inselschwarm?


Taucht er Skandinaviens Küsten,

Für Atlantis, aus der Fluth?

Mag zum Südpol er sich rüsten,

Wohin gährt sein Lavablut?


Oh Vesuvius, es umschlingen

Würmer Dein Medusenhaupt,

Gifte, die sich Dir entringen,

Werden in den Wind verstaubt.


Todverheißend sind die Schlangen,

Die in Deiner Nacht entstehn,

Lauernd auf den Raub gegangen,

Sprühn sie, wenn sie Leben sehn.


Angeschlemmt mit Todesflammen,

Selber fast ein Lavabrei,

Kneten sie sich erst zusammen

Und dann bersten sie entzwei.
[411]

Flammendrache, grauser Wühler,

Du bist Du und nur Dein Schein,

Deines Grundes Lavafühler

Greifen in das Dasein ein.


Was bezweckst Du hier im Leben,

Schäumender Verderbnißkrug?

Menschen, Thiere, Wald und Reben

Tödtet schon Dein Athemzug.


Bis zur Meersirenensippe

Rann sich oft Dein Gold verziehn,

Denn dort wollen auf der Wippe

Weiber rasch damit entfliehn.


Ja, sie balgen und sie streiten

Raschelnd sich ums Aftergold,

Netze sehn wir sie entbreiten,

Und kein einziger Schein entrollt.


Doch der Berg bleibt lebenlenkend,

Unerbittlich gluthverhüllt:

Wechselweise sich verschenkend,

Ist das Sein durch ihn erfüllt!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 408-412.
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