[Es schlingen durch Liebe verkettete Stunden]

[412] Es schlingen durch Liebe verkettete Stunden

Ein wonniges Band durch die innere Nacht,

Nun können sich Sterne der Unschuld bekunden,

Doch trüben wir gerne, was ferne erwacht.


Die keuschen Gefühle sind winzige Sterne,

Sie können kaum blinken und winken sich zu,[412]

Sie lächeln wie Kinder in lautferner Ferne,

Sie weinen ein wenig und gehn dann zur Ruh.


In uns Urverliebten, in mir und im Weibe,

Erweckt sie und stärkt sie die große Natur,

Es bittet mein Weib, oh verbleibe mir, bleibe!

In mir aber wüthet es: Sei, Kreatur!


Auch draußen erscheinen die Kleinen, die Freien,

Sie folgen der Mutter natürlichem Wink,

Sie nicken bescheiden in kindlichen Reihen:

Da sind wir und freun uns am eigenen Geblink.


Die Sonne ist längst schon nach Westen gegangen,

Doch schleppt sie im Sommer noch Goldschleier nach,

Drum sehn wir am Ozean Schaumkronen prangen,

Doch schwindet auch dieses Gefunkel gemach!


Durch innige Bande der Liebe verschlungen

Sind Wärme und Lüfte die Buhlen der Welt,

Damit in den triftigen Felsniederungen,

Selbst früh, nicht das Eine dem Andern entfällt.


Ich sehe in Liebe erglühende Sterne

Und auch der Planeten treuhaftenden Blick,

Die Inseln und Berge in nebliger Ferne,

Und alles erfüllt und erfährt sein Geschick.


Das ist es, das ist es, drum sind wir geboren:

Die innere Bestimmung erschaun wir stets mehr!

Kein Blick und kein Einblick geht jemals verloren,

Naiv sind die Sterne und wissend das Meer.
[413]

Doch was unsere Augen nicht sehn und nicht merken,

Wird heimlich und herrlich in Herzen erhellt,

Wir können erleben, beleben, uns starken,

Wir sind zweier Menschen geschlossene Welt.


Wie herzhaft erleiden wir Räthsel der Freude:

In Dich leg ich alles, ich bin ja durch Dich,

Oh Freude, oh Freude, oh Traumesgebäude,

Gabs jemals ein Licht, das mit Euch sich verglich?


Wo Du mich durchwitterst, da bin ich der Meine,

Verschiedene Seelen empfanden einst mich,

Doch Du bringst mein Wesen erst freundlich ins Reine,

Mein Weib, ja ich weiß es, Du selber bist »Ich«!


Ein räthselndes Schwingen, Erleiden und Fliegen,

Erläutert uns leuchtend, erklärlich und wahr,

Ein zeitliches SichinderEwigkeitWiegen

Betäubt, was sich eben dem Tage gebar.


Du dunkelerfunkelte, sterneversprühende,

Dich selber zum Tempel verzaubernde Nacht,

Auch ich bin und habe dir glücklich erglühende,

In sich lustverzückteste Hymnen gebracht.


Ihr Schemen des Forderns, zu Lüsten gesteigert,

Wo Ihr, wie von uns grundgesondert, erscheint,

Wenn nichts Eurer Brunst, in uns selbst, sich verweigert,

Sind Körper getrennt und die Seelen vereint.


Es sendet die Welt sich, getrennt, ihr Gefunkel,

In Schnuppen beseelt, in sich selber zurück,

Es weiß das Erstrahlte sein innerstes Dunkel

Und schwellt und erzittert sich ewig sein Glück!
[414]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 412-415.
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