[Lebensgold ist jedes Blatt und es kann nicht sterben]

[418] Lebensgold ist jedes Blatt und es kann nicht sterben,

Nichts als Same, selbst der Stiel edles Sichverschwenden:

Was da weste, werden wir urbewußt ererben,

Ja, wir folgen immerdar inneren Palmenhänden.


Ach es blüht, entzaubert sich unsere Lebenssäule.

Reinheitsrosen schmücken sie. Volle Keuschheitskelche

Überwuchern sich zum Wald. An der Sonne grasen Gäule.

Und im Schatten wittern rings stille Friedenselche.


Todesschreie gellen tief, dort in meinen Tiefen,

Hinter Fieberlinden sind sicherlich die Nester

Dieser argen Hälslinge: ach, wenn sie doch schliefen!

Doch vernimm, sie schlafen ja! – Schliefen sie noch fester!


Kaumverfleischlichtes entreißt jäh sich seinen Eltern,

Was sich nur erhalten kann, mag sich schon besitzen,

Oh die Lust, doch auch der Tod, schäumt drum aus Behältern,

Die mit Schweiß und Thränen sich ewig überschwitzen!


Eine Sonne sinkt in mir, denn ich sehe Herzen

Sich erfunkeln und der Nacht Wesenspulse pochen,

Augenblicklich freuen mich meine tiefsten Schmerzen,

Doch die Freuden kommen schon düster angekrochen!


Ja, die Sterne flimmern doch, so wie sie uns scheinen:

Alle hämmern wie ein Herz, züngeln nach Geschicken,

Flackern aus dem Innersten, funkeln nach dem Reinen,

Lebend, durch Lebendigkeit, voll sich zu erquicken!
[418]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 418-419.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht