[Mein Gedanke hat mir Weib und Kind getödtet]

[419] Mein Gedanke hat mir Weib und Kind getödtet,

Mörder! Mörder! dröhnt es um mich her,

Nein, es ist das kein Gesicht eines Phantasten,

Meine Seele ist ein wilderregtes Meer.

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Es scheint mich jenes Licht, das brennt, tief zu verklagen,

Das foltert, tödtet mich mit scharfem Speer,

Es splittert, nein, es beugt sich bis zum Herzen,

Es sticht so tief, so tief hinein! –

Dort scheucht mich jene rothe Blutgardine,

Der langen Gasse einziger Schein!

Er haftet sich an die Erinnerung an,

Er wird der armen Seele blutigrother Fleck,

Es wogt ihm meine Wollenssucht entgegen,

Doch immer wieder packt er mich als Schreck! –

Ach, schrecklich schmiegt er sich, als blutige Schlange:

Jetzt taucht er auf, – taucht empor – mit einem Bild!

Mein Weib seh ich erstarrt in Krämpfen,

Dazu mein Kind, ein blutiges Gebild.


Da liegt sie todt, von mir erdrosselt,

Es hat sie zu viel Lebensmuß erwürgt!


Dort seh ich noch die todten Schlangen, blutige Streifen,

Die Schmerzensspangen, die sie todtgeschnürt.

Ach, hat die Todesangst ihr Licht vernichtet,

Hat sie aufs Leben wissentlich verzichtet,

Hat sie das alles, alles das, gespürt? –

Zu plötzlich faßten sie die Schmerzenskrallen,

Gar rasch ist sie dem Erdentod verfallen,

Es suchte noch ihr Blick nach mir,

Er starrte nach der dunkeln Thür:

Sie spürte Tod und Schmerz in allen Nerven,
[419]

Es zerrte ja an seinen Mutterwurzeln

Ein jungerkeimtes eigenes Sonnensein!

Sie rief dabei bestimmt um Menschenhülfe,

Wie läge sonst ein Weib bei ihr, das ich noch nie gesehn,

Es schluchzt noch immer dort an ihrem Todtenbette,

Und weiter treibt es mich von dieser Schreckensstätte!


Ende des ersten Theiles.[420]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 419-421.
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