[Zum sternigen Himmel italischer Nacht]

[398] Zum sternigen Himmel italischer Nacht,

Versteigt sich der duftige Odem Sorrents,

Soeben sind Boten des Tages erwacht

Und überall freuen sich die Rinder des Lenz.


Es schwellt der Orange benebelnder Duft

Fast heimlich herbei und berauscht meinen Sinn,

Es kühlt stiller Lorbeer die windstille Luft

Und Myrthen enthaucht es, kaum merkbar: ich bin!


Ins traumhafte Dunkel der Nachtigall dringt

Das klagende Brausen der jauchzenden See:

Den Grotten, den Orgeln der Brandung, entringt

Der Rhythmus der Sehnsucht sich ewig und jäh.


Smaragde umschwirren das traumhafte Blau

Vom eingenickt still sich bethauenden Grün,

Und ruhen diese Thierchen auf blühender Au,

So scheinen rings Kelche und Sterne zu glühn.


– Jetzt tagt es, – denn überall sickert das Licht

Ins stetig vergrauende Blauen der Nacht,

Es flüstert auf einmal im Heckengeflicht:

– Es kommt schon der Morgen, – Ihr Wesen, gebt acht!


Das sind keine Rehe, – das Leben beginnt! –

Was knistert? Wer flüstert? – Was ists, das verstummt? –

Oh seht, wie sich etwas besinnt und entspinnt,

Ich liebe Dich, Biene, die immer noch summt! –


Die Sterne verschwinden wie Mythen im Grau,

Nur Sirius, der funkelnde Winterdemant,

Erwartet, wie Morgens der Blick einer Frau,

Den Tag, der die Welt als Gestalt übermannt.
[398]

Die bleiche und träumeumschleierte Erde

Besinnt sich des eigenen Ichs und erwacht:

Dahin ist des Nachthimmels Schicksalsbeschwerde,

Die Erde, der Tag, der sie freit: alles lacht.


Sie sehen sich, fasten sich, beide erröthen,

Ein wonniges Athmen entschnürt sich der Braut,

Es ist, ob sich Wesen zur Huldigung erböten,

Es neigt sich der Lorbeer, im Walde wirds laut!


Es schüttelt der Wind die verwelkenden Blüthen

Von thauüberschimmerten Bäumen herab,

Es regnet beinah, und es ist, als verfrühten

Die Lichtbringer rings ihren hastigen Trab.


Es zeigt ihrem weißen und herrlichen Ritter

Die Erdbraut, berauscht, ihre gastliche Pracht,

Durch alle Erlebenden zuckt das Gewitter

Des siegreichen Gatten, der fliehenden Nacht.


Es streichelt der Tag nun mit wonnigem Arme

Sein innig ergebenes, herrliches Weib,

Und lauter vergeistigte, wonnige, warme

Gefühle verhaucht nun der weibliche Leib.


Die See selbst durchzittern jetzt Wonnegefühle,

Die Felsen und Höhen sind sonnenbestaubt,

Und steil über Dünsten, wie Nachtlagerpfühle,

Erhebt der Vesuv sein lebendiges Haupt.


Sein Rauch ist so weiß wie ein bräutlicher Schleier

Und senkt sich fast unsichtbar ringsum herab,

Doch nahen jetzt Knappen des Tages, als Freier,

Sie kommen zur See, sie biegen ums Kap!
[399]

Die helleren Segel erscheinen zuerst,

Bei Capri entstammt sich das mächtigste Schiff,

Du Held, der Du rings Deine Schlachtflotte mehrst,

Du fürchtest wohl nirgends ein Seewirbelriff?


Das segelt bereits aus der finstersten Bucht,

Das ist ja die Große Armada des Lichts,

Sie schlagt alle Schemen sofort in die Flucht,

Denn seht doch, schon bleibt von der Dämmerung nichts.


Doch wächst sie noch an,

Wir sehn ihre Macht,

Im Sonnenlichtbann

Gewinnt sie die Schlacht!


Da kommt der Korvetten verschlungene Reih;

Mit schneidender Briese, mit stechendem Strahl,

Erfüllt sie die That, daß es Sonnentag sei!

Und immer noch mehrt sich der Lichtschiffe Zahl.


Mit schlängelnden Hälsen, auf schäumendem Gischt,

Zerreißen die Schwänegallionen die See,

Die seidig ergleißend und gluthuntermischt

Noch dalag wie milchige Weiten im Schnee.


Es spielen die Schwäne mit Silbergeschirr

Und reißen noch immermehr einwärts ins Meer,

Es schwirrt ihr Geklimper und schrilles Geklirr

Ringsum mit den Schiffen des Lichtes einher.


Ach, wie mich der sonnige Morgen erfreut,

Oh seht, jener Wölkchen italische Pracht,

Sie scheinen ja Fächer mit Flitter bestreut,

Und alles am Meer, alles Strahlende lacht.
[400]

Wie seelig durchschauert mich irdische Liebe,

Es feiern der Geist und der Wind ihren Rausch,

Sie dringen noch mehr als das Licht ins Getriebe

Und schwärmen sich überall glutherfüllt aus.


Jetzt spielt meine Seele mit Pinien im Walde

Und flüstert bereits den Gesang eines Baums,

Wir beide verstehen Dich, Mutter, und balde,

Italia, umsprüht Dich der Hauch meines Traums.


Oh Pinie, ich stehe auf südlicher Erde,

Wie Du, voller Wurzelgesundheiten, fest,

Doch träum ich mich fort, über jede Beschwerde,

Und fiebere und flüstere wie Du im Geäst.


Du athmest die freiesten Lebensergüsse,

Es meint Deine Schlankheit den krönenden Geist,

Oh Baum, Du empfindest fast Seelengenüsse,

Du bist ja ein grünender Psalm, der sie preist!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 398-401.
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