[Die Erde treibt im Norden tausend blaue Feuerblüthen]

[8] Die Erde treibt im Norden tausend blaue Feuerblüthen

Und übermittelt ihren Sehnsuchtstraum der Nacht,

Drum soll der Mensch auch seinen Flammenkelch behüten,

Wenn er, durch ihn belebt und lichterfüllt, erwacht.


Fürwahr, es sind die Gluthanschürer Gärtnerschaaren

Von einer langbegrabenen, auferstandenen Pracht,

Versteinte Wälder wollen sich uns offenbaren

Und Pilger holen sie aus finsterem Erdenschacht.


Ja, Pilger graben, wühlen sich stets mehr hinunter,

Stets tiefer in der Erdenmutter dunkles Heiligtum;

Ihr Herzschlag, ihr Gehämmerwerk, erhält sie munter,

Asketen aber sind sie zu des Urlichts Ruhm.


Auf ihrer Freiheit, ihrer Glutenkernesnähe

Beruht und tagt das ganze Dasein dieser Welt,

Sie sorgen, daß das Totgeglaubte auferstehe,

Durch sie wird jede Nacht vom Nordlichte erhellt.


So wandeln wir in wunderbaren Flammengärten,

Es thürmen Feuerlauben sich ins Grau empor,

Die fernen Drachen wurden freundliche Gefährten

Und schimmern still vor meines Weibes sicherm Thor.


Ihr Grubenarbeiter, Ergrübler freier Wunder,

Vertraut dem Irrlicht nicht, das listig Euch umschwirrt

Bleibt unbeirrte, biedere Erdenherzerkunder,

Seid Eurer eigenen Willensthiere ernster Hirt.


Der Sonne könnt ihr blos im Erdenschooße nahen,

Dort unten stoßt ihr auf den Sinn von dieser Welt,

Und auch das Licht der Dinge, die noch nie geschahen,

Wird grundbestimmt durch Euch in uns hervorgeschwellt.
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Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 8-9.
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