[Fürwahr, ich habe Tropenwälder schon im Traume]

[9] Fürwahr, ich habe Tropenwälder schon im Traume,

Als Nord und Südlicht, wunderbar erblühn gesehn,

Ich fühlte Morgenröthen rings im Mittagsraume

Aus unserer Erde plötzlich kindlichrein entstehn.


Ich faßte mich und nahte manchem jungen Manne

Und lauschte gern auf seines Wesens Wirkungslied;

Ich fand ihn ganz allein und doch im Urlichtbanne,

Und sah, wie er den Kern von alten Schaalen schied.


Es schienen lauter Hände mir fast Urwaldfächer,

Ja Knospen gar, aus denen Blüthen aufgezuckt;

Und schon ihr Daseinsrausch durchsprühte Scheibendächer

Und hat mit Flammenzungen Düsterzeit verschluckt.


In Riesentreibhäusern sind die verschwundenen Wälder,

Als grüne Flämmchen und als Blüthenschein erwacht,

Der Dampf gemahnte an die heißen Nebelfelder

Von einer tiefvergrauten fernen Lebenspracht.


Und jeder Jüngling hütete die eigene Blüthe;

Sowie er kam, entzuckte sie aus seiner Hand,

Aus jedem Wirten glühte aller Kerne Güte,

Doch gleich verglomm der Glanz, sobald sein Gärtner schwand.


Mit Feuerschwertern ward die Starre aufgerieben,

Mit Samenpfeilen selbst das Eisen kühn erweicht,

Sein Blut aus seinem Wesensgrund emporgetrieben,

Die ganze kalte Weiblichkeit vom Geist geaicht.


In die Natur sind lauter Kolben vorgestoßen,

Die Walzen und die Nacken haben rings geschwitzt,

Aus Allem wühlte sich die Sehnsucht nach dem Großen,

Ein Urgewitter hat in Menschenhut geblitzt.
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Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 9-10.
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