[Ich sah einmal in einen Regenbogen]

[5] Ich sah einmal in einen Regenbogen,

Er schien mir aller Stürme stilles Thor,

Dann ward ein Karren plötzlich durchgezogen,

Es zerrten Büffel ihn stets weiter vor.


Es gingen diese Thiere selbst des Weges,

Längst hatte sie der Mensch für sich betäubt,

– Es hieß das noch etwas, – wers kann, erwäges –:

Ich sah hinweg, ins Licht, das nie zerstäubt!


Oh weiße Sonne, Deine goldenen Strahlen

Berauschen und erwecken meinen Geist,

Du bist die Arbeit, und mit heiligen Qualen

Trifft Dein Gebot mich, wenn das Herz vereist.


Was Du bedeutest, Sonne, ist der Seele,

Auf dieser Welt, am innigsten verwandt,

Es ist, als ob die Glut den Kern entschäle,

Denn mein Erbarmen gibt mir selbst Bestand.


Ich bin so blos wie Du, geliebte Sonne,

Und wo ich nackt bin, herrschst Du über mich,

Und folg ich Dir, so ist das reinste Wonne,

Denn Dein Gebot ist mir ganz wesentlich.


Ja, meine Freiheit sind die Weltgesetze,

Der Geist ist Überkraft ihres Vereins,

Dort bin ich tief wie ungehobene Schätze,

Ein Theil des allerjüngsten Eigenseins.


Es kann mein Geist entsetzlich sich ereifern,

Denn alles, was in ihm sich selbst bestimmt,

Wird durch die Schatten, die ihn blaß umgeifern,

Da sie veraltern und zergehn, ergrimmt.
[5]

In mir erglimmt die allerreinste Weiße,

Ein Licht, das mich in Sonnentreffen ruft!

Es klirrt beinah: »Was Dich beengt, zerreiße!«

»Ihr Urlichttiefen, schützt, was Ihr erschuft!«


Ich habe jetzt die Welt in mir empfunden

Und langsam überdenk ich, was geschah;

Ich konnte mich, mir selber, klar bekunden,

Ich war als Schöpfer mir Geschöpf ganz nah!


Jetzt weiß ich auch vom Grund der Himmelsdinge,

Die Erde trägt im Kern ihr Sonngebot,

Befiehlt das Licht es, sprengt sie Felsenringe,

Und was verstumpfte zeigt sich goldumloht!


Versucht die Schöpfung in den Raum zu drängen,

Denn zeitlich faßt ihr nicht das WeltenEi.

Und wißt, wo Sterne in einander hängen,

Erkennt das Urlicht sich und schöpft uns frei.


Wo sich die erste Weltenweiße spaltet

Und plötzlich in ihr Urereigniß tritt,

Erscheint der Tag, den sie geheim verwaltet,

Und rollt sein Schweigen in die Sphären mit.


Die Sonne wahrt ihr Wesen stets am hehrsten

Und hat es still der Erde anvertraut,

Die schimmert nun am Pol, wo sie im Leersten

Der Einheit helles Urgebot erschaut.


Der weiße Erdenkelch, der dort ersprossen,

Beweist der Welt, daß der Beschluß

Der Dinge, die sich tief in sich ergossen,

Sich unabwendlich ernst ereignen muß.
[6]

Wie es vom Licht die Erde überkommen,

So hegt sie ihr Geschick im eigenen Kern,

Und ist im Menschen das Vertraun verglommen,

Wird sie sofort ein goldener Rachestern.


Auf unserer Freiheit, unserm Innerlichte,

Beruht der Erde stille Schaffensglut,

Doch furchtbar geht die Sonne zu Gerichte,

Beherrscht sie nicht ein geistiger Erdtribut.
[7]

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 5-8.
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