[Zu Wüstensand verbrannte]

[85] Zu Wüstensand verbrannte

Der Erde trockener Theil,

Und in die Wildniß sandte

Apoll den ersten Pfeil.


Der Wüstenathem brachte

Ihm nichts als heißen Sand,

Er schmachtete und dachte

Vielleicht an Phöbos Hand.
[85]

Die Gluthenstrahlen drangen

Gar tief ins grüne Meer

Und regten das Verlangen

Nach Wolkenschutz und Wehr.


Gar duftige Gestalten,

Vom Wellengang geschnellt,

In Nebelmänteln wallten

Nun in die blaue Welt.


Sie kamen unvermuthet

Zum ausgedorrten Pfeil,

Er war beinah verblutet,

Sie brachten ihm das Heil.


Er wäre bald verkommen,

Er schmachtete im Sand,

Sein Leben schien verglommen,

Die letzte Hoffnung schwand.


Die Nebel kosten, küßten

Den dürren Zukunftsbaum,

Sie labten ihn mit Brüsten,

Erfüllt von Lebensschaum,


Sie sagten: Nicht verzagen,

Es wird die Hoffnung bald

Im Boden Wurzel schlagen,

Sie sei Dein fester Halt!


Sie rauschten das mit Wärme,

Erst hörte er sie kaum,

Dann sah er Nebelschwärme

Ringsum im ersten Traum.
[86]

Bald drangen frische Kräfte

Zum letzten Federnsaum,

Und grüne Frühlingssäfte

Durchfieberten den Baum.


Oft hat die Langeweile

Die Palme dann gequält,

Von einem andern Pfeile

Ward ihr darauf erzählt.


Zu unverheilten Wunden

Rang sich ihr Sehnsuchtsdrang,

Da ward die Brunst entbunden

Und blühte liebesbang.


Die Hoffnung wollte lieber

In keiner Blume ruhn,

Sie schwang sich noch hinüber,

Als Duft sich zu verthun.


Den andern Baum bethörte

Der Düfte Überschwang,

Sein Blüthenohr erhörte

Was sein Gemüth durchdrang.


Doch hat der Blüthenzungen

Geflüster nicht die Scham

Der Blume gleich bezwungen,

Als sie von Lust vernahm.


Erröthend nur erhörte

Ein Kelch den Duft sogleich,

Die meisten aber störte

Er nicht, sie welkten bleich.
[87]

Verdurstend, elend, standen

Die Palmen oft allein,

Die Nebelkinder fanden

Sich lange, lang nicht ein.


Vom alten Baume blieben

Sie ganze Monde fern,

Da ward er aufgerieben,

Es brach sein Lebensstern.


Die letzten Wesensstrahlen

Erblühten noch voll Pracht,

Es sind die Purpurqualen,

Als Abschiedskranz, erwacht!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 1, München; Leipzig 1910, S. 85-88.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon