[Da Deine Sternenaugen nie erblinden]

[3] Da Deine Sternenaugen nie erblinden,

Oh Liebe, Seele aller Weltnaturen,

So flüstre sacht, kann ich die Todte wiederfinden,

Verspürst Du noch der Vielgeliebten Spuren!


Ist alles fort! Sind Menschen ewige Wesen?

Lebt nur von ihr, was sie in uns versenkte,

In uns, die sie aus Liebe auserlesen,

In mich zumal, dem sie ihr Sein verschenkte!


Du stärkste Liebe, Starrkrampf unserer Erde,

Die uns so schrecklich wird durch ihre Klammern,

Wenn sie mit Krallen, aus der Sonnenheerde,

Lebendiges ergreift, daß wir drum jammern,


Dich, ruf ich an, Dich Förderin der Schrecken,

Dich Mörderin, die uns erfüllt mit Grauen,

Du suchst das Gleiche wieder vorzustrecken

Und trachtest Lebensfluthen anzustaunen!


Wirst Du die Keime meiner Todten binden,

Daß ihre Formen sich zum Licht erheben!

Werd ich durch Liebe sie dann wiederfinden!

Kann, was er raubt, der Tod uns wiedergeben!


Durch seine Wüstenschrecken will ich schreiten,

Doch nur, was ich erfahr, will ich verbuchen:

Kein Hoffnungsglaube möge mich verleiten,

Für wahr zu halten, was wir hoffen, suchen!


Nicht süße Heuchler oder Priesterworte

Beweisen, daß die Todten auferstehn:

Doch forschen will ich, ob der Menschensorte

Gestalten, voll und gänzlich, untergehn.
[3]

Oh wüchse doch des Einzelwesens Starke,

Daß es den Tod noch überdauern müßte,

Daß man als Maurer großer Menschenwerke

Doch niemals mehr erbaute als Gerüste.


Dann müßte die Natur uns wieder zeugen

Und abermals zum Meisterwerke stellen:

Wie Gattungen sich nie dem Tode beugen,

So kann der Tod auch keine Helden fällen!


Gar friedlich waren alle Menschen, die mich einst umgaben,

Und fast zufrieden sind die meisten aus der Welt geschieden;

Sie ließen sich von kalten Worten, Staub und Schnee begraben,

Und Flocken fallen auf ihr Grab, fast wie ein Wunsch nach Frieden.


Am Friedhof laßt die Wandersonne ihre letzten Spuren.

Nun sind sie blutig und von Abendschleiern bleich umschattet.

Ich seh mich dort, auf jenen eis und gluthbedeckten Fluren,

Als Menschen, der beim Gehn im harten Schnee ermattet.


Die Schatten werden bald den letzten Tagesschein verdauen,

Und meine Stapfen wird der Wind mit frischem Schnee durchschütteln,

Und auch die Seelennarben werden mehr und mehr vergrauen,

Denn bald schon werden andere Leidensstürme an mir rütteln.


Schon wird es langsam stiller. Der Schnee dient anderm Schnee als Lager.

Und nichts empfindet mehr der frischen Flocken herbe Kälte.

Die Seelen schrumpfen ein: sie werden stumpf, gefühllos, hager,

Da sie ein Schmerzensschrei zu oft, ach gar zu oft, durchgellte!
[4]

Natur, Dein Wunsch nach Ruhe mag sich immerdar erfüllen

Und schließlich folgt ihm auch die Menschheit ohne Widerwillen.

Schon naht die Nacht, da alle Jubelfarben sich verhüllen,

Und alle Dinge ihre Sucht, nur Form zu bleiben, stillen.


Ich selber, frostiger Mond, fühl mich zu Dir hinangezogen

Und leiste gern den Albtribut, den ich Dir schulde:

Auf bleichen Schauerträumen bin ich oft zu Dir geflogen

Und spürte da das Grinsen Deiner hohlen Backenmulde.


Erwachte ich, so fühlt ich auf der schweißbedeckten Stirne

Die Silberhand, die mich zurück ins schwere Träumen drängte,

Und folgte willig fast dem schreckverschwendenden Gestirne,

Das alles, was ich je erfuhr, zur Zwerggestalt verrenkte.


So werd ich schmerzzerfleischt den Tod einst selber rufen:

Auf Fieberwiddern ihm in kalter Nacht entgegen jagen,

Die Böcke werden prustend und verhustend, mit den Hufen,

Mein letztes Zucken, Blitzen gleich, aus eisigen Krusten schlagen!


Wer mag dem Tode langer trotzen als die ganze Erde?

Versprüht sie doch das Leben nur, um völlig zu erstarren:

Dem todten Monde folgt bereits der Erde Traumspukheerde.

Schon stolpert ihm die Fallsucht zu und zerrt am Narrenkarren.


Im Winter, wenn die Wolken sanft das Land beschützen,

Vermags der Mond die festgestockten Nebel zu zerreißen,

Dann löschen trockene Winde ihren Durst in Silberpfützen

Und scharfe Kälte kann, was kaum entsteht, bereits zerbeißen.


Zur heißen Zeit verhaucht die Blüthenfülle ganzer Haine

Gar oft in einer einzigen, schwülen Mondscheinnacht im Süden,

Von Anfang an kreist das Gestirn in honiggoldenem Scheine,

Und Duft auf Duft entweicht den Blüthen, die zu Tod ermüden!
[5]

Verwelkt ist dann die holde Frühlingspracht am warmen Morgen.

Der Mond kann rasch des Lebens Frühlingsbraus entsaugen:

Sein Licht ist schroff. Er selber kennt nicht mehr die Schöpfersorgen.

Und starrt uns müde an, mit langst erloschenen Krateraugen.


Kein Liebesstrahl erfrischt die Tropennacht, die er durchschreitet.

Wie mattes Erz erglimmen seines Lichtes scharfe Klauen,

Womit er Helfen sprengt und Laken neben Laken breitet,

Um grinsend lichtbedeckte Scheingerippe anzuschauen!


Er raubt uns unsern Schlaf, um unsere Kräfte zu verbrauchen!

Er quält, erschlafft uns durch das Träumen, das uns meist zuwider.

Er bläht, berauscht sich mit der ganzen Erde Lebenshauchen

Und stürzt dann blutbesoffen, umgestülpt, des Morgens nieder.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 3-6.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Liebelei. Schauspiel in drei Akten

Die beiden betuchten Wiener Studenten Theodor und Fritz hegen klare Absichten, als sie mit Mizi und Christine einen Abend bei Kerzenlicht und Klaviermusik inszenieren. »Der Augenblich ist die einzige Ewigkeit, die wir verstehen können, die einzige, die uns gehört.« Das 1895 uraufgeführte Schauspiel ist Schnitzlers erster und größter Bühnenerfolg.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon