[Ganz plötzlich ward ein blondes Mädchen irgendwo geboren]

[54] Ganz plötzlich ward ein blondes Mädchen irgendwo geboren.

Sie reizte durch ihr Haar, und Kinder hatten sich verschworen,

Bei jedem wilden Spiel ihr junges Leben zu gefährden.

Drum hätte sie es auch bestimmt, bei einem Streit, verloren,

Wäre ihrs ein einziges Mal mißglückt, der andren Herr zu werden.[54]

Doch sie war stark und nahm es selbst mit rohen Knaben auf.

Die überlangen Haare schlang sie fest zu einem Knauf,

Denn sie belustigten sie oft beim Spiele und im Lauf,

Und wuchs und reifte sie auch rascher als die Spielgenoßen,

Schien dennoch große Üppigkeit in ihren Leib gegossen.

Die bleichen Schenkel schwellten durch das Laufen und das Hetzen,

Wie Milch, die beim Erwärmen aus der Schale ausgeflossen.

Die Brüste sind mit seltener Kraft dem schlanken Leib entsprossen

Und wogten auf, wie Wellen, die sich leicht mit Schaum benetzen:

Und große Anmuth schien sich an den Hüften festzusetzen.

Doch kaum entquoll die erste Milch den vollen Brüsten,

So floh sie mit zwei Jünglingen, die sie im Walde küßten,

Als sie erschöpft, durch die Verfolgung, in das Moos gesunken:

Denn beide hatten von der Jungfrau Athemquell getrunken.

Nun flohn sie alle drei nach einem Ort in fernem Lande,

Dort jenseits, hinterm Wald, vielleicht an einem Weltenrande.

Ein Einziger konnte ihrer Wollust nimmermehr genügen,

Sie wollte Lust zu Lust in holdem Wechselspiele fügen,

Sie trug verschiedene Rassen eingeprägt in ihren Zügen,

Und nur dem Krampf verschiedener Lust gelang es, sie zu sondern.

An ihren Kindern sah sie oft die Spuren beider Väter,

Ihr eigenes Antlitz spiegelte sich meistens in den Blondern

Und später schien der Wesensgang der Vaterschaft Verräther.

Doch damals waren Zwillinge gar oft so grundverschieden,

Daß man nicht wußte, welchem Vater sie das Weib geboren.

Doch lebten alle lange, lange noch im Wald in Frieden,

Denn keinen hatte sich das Weib zu größerer Lust erkoren.

Sie zog mit ihren Männern, ihren Kindern immer weiter,

Durch Wälder, die in kurzer Frist, mit stolzer Wucht, entstanden,

Und immer blieb sie munter, blieben munter die Begleiter.

Nur Glück empfanden diese sorgenlosen Walddurchschreiter,

Bis alle, wie gebannt, vor einem Wunder sich befanden.[55]

Ein Spiegel lag vor ihnen. Silbergrau und dennoch heiter.

Er löste sich, mit sanfter Anmuth, aus den Uferbanden

Und wurde weit das breite Meer und wogte weiter, weiter.

Dann senkten sich die Abendgluthen auf die müden Fluchen,

Und auf den Klippen wars, als ob dort bleiche Flocken ruhten,

Und Rieselwässer, sickernd, sich durch braune Klüfte drängten,

Da Honig oder blonde Harze sich mit Gluth durchtränkten,

Bevor sie bernsteinschwer ihr Gold in grüne Tiefen senkten!

Violette Quallen waren matte Schatten grüner Wellen,

Und tauchten auf, wie untere, festgestockte, salzige Quellen.

Die Möven flogen hin und her, da sie die Vögel schreckten,

Die sie doch selber, als ihr Schattenspiegelbild, erweckten.

Das Weib, das an der Küste stand, umspielten grüne Schatten,

Denn dunkler Wald bekränzte noch die Klippen und die Watten:

Sie stieg auf einen Fels im allerletzten Sonnenscheine,

Und trat dem Wunder stolz entgegen, tapfer und alleine.

Sie sah das dunkle Meer ihr rings entgegenbrausen.

Doch ihre Flanken konnten einen Rassenkeim behausen.

Der kühn in ihr entsprossen und am Meeresstrand erzogen,

Als Volk sich heimisch fühlen würde, auf den trotzigen Wogen.

Sie stellte ihre Macht, mit Würde, einem Meer entgegen:

Vermochte jenes schwere Frühlingswolken aufzufegen,

Aus Wellenbrüsten Lenzesfolgen ewig oft zu spenden

Und dennoch seine Schöpferkräfte nimmer zu verschwenden,

So konnte Ihrem Busen fette Lebensmilch entquellen,

Die Völker säugt, wie sie im Wald die höchsten Stämme fällen.

Und die, in pechdurchtränkten, kornbeladenen, hohlen Bäumen,

Den Winden und den Wellenschäumen sich entgegenbäumen.

Auch ihre Träume wiegte sie gar oft am Meeresstrande,

Und nimmer schied sie von dem holden, wunderreichen Lande,

Wo all ihr Fühlen sich in bunter Bilderreih ergänzte

Und gleicher Rhythmus ihren Athem und die Fluch begrenzte.[56]

Es glich ihr Sturmesodem einer überstürzten Welle

Im Meergebraus; der Seele stillem rhythmischem Gefälle

Entsprachen aber Tage wahrer, klarer Sonnenhelle,

Und viele Jahre später sang sie noch an jener Stelle:

»Wie flüchtige Wünsche, seh ich Wolken mit den Winden ziehen.

Sie gleichen Bräuten, die dem Liebeswunder sich ergeben,

Und scheinen wohl in keuschester Jungfräulichkeit gediehen,

Drum müssen sie auch bleich im goldenen Morgenschmuck erbeben.

Doch sind sie alle nur vergängliche und grause Launen

Erfüllungsschwangerer, unendlich keuscher Sehnsuchtsmeere. –

Und blitzen Fragen auf, durchrollt sie donnernd das Erstaunen.

Entringt sich ihnen Wolkenwonne und urbrünstige Schwere,

So möchte meine Seelensee unendlichlang ihr Glück genießen:

Sie schenkt es nicht. Sie schlürft es ein, aus jedem blonden Strahle,

Dem Lande gleich, wenn sich die Gluthenströme drauf ergießen,

Den Wonnedurft zu stillen aus der goldenen Tagesschale.

Die Erde trinkt doch stets aus überstülptem Sonnenbecher,

Den sie des Morgens mit dem Lippenrande kaum benippte,

Den ganzen Tag. Und ist er leer, so wird ihr Durst erst langsam schwächer.

Auch schlief die Erde stets, sowie die Schale niederkippte!

Ich gleiche einer Welle, die sich sonnewonnetrunken,

In Abendwollust, zwischen Klippen brünstig bettet,

Und die den Schaum, in dessen Goldgeflecht sie fast versunken,

Um Felsen spült, mit denen sie ihr Glück beinah verkettet!

Ich liebe Wellen, die sich zwischen Felsenklippen balgen,

Denn ich vermag es, so wie sie, die Liebe doppelt zu genießen,

Es wählen, quälen ja die Schaumes wellen brünstig zwischen Krustenalgen,

Wie weiche Arme, die sich sanft um rauhe Männer schließen.«

Und ihren Gatten sang das Weib noch schönere Wonnelieder.

Eins klang: »So legt Euch neben mich im weichen Sande nieder,

Denn ungeduldig wogt der Busen und mir glühn die Glieder,

Und keine Fluch, kein Meer giebt mir die holde Kühle wieder,[57]

Und einzig nur ein Kuß von Euch vermag die Brunst zu kühlen.

Ihr, meine Männer, laßt mich Eure kühlen Küsse fühlen,

So küßt und kühlt mich überall, die Gluth hinwegzuspülen.

So küßt die Flechten mir, und in den Euren laßt mich wühlen.

Wie traurig lieg ich Nachts alleine zwischen weichen Pfühlen;

Ein grauses Träumen wallt empor aus scheuen Angstgefühlen,

Und nur aus Albgestalten, ach, aus bildertollen, schwülen,

Verhaucht der Traum, wenn Morgenlüfte unsere Schläfen kühlen.

Bin ich allein, verhängt sich jede Nacht mit schweren Dünsten.

Ich wälze mich am Lager, bis die leeren Plätze dünsten,

Und lüstern spring ich auf, verzehrt von innern Feuersbrünsten:

Doch seid Ihr da, sind Traum und Luft zugleich am allerdünnsten.

Und wacht Ihr noch, seht Ihr mich an, wenn ich in Schlaf verfalle,

So ists, als ob sich klar der Himmel immer höher balle;

Ich träume da, daß ich in stillem Sternenhain nach Hause walle

Und alles blickt mich freundlich an in der geträumten Halle.«

Einst lag, nach langer Zeit, das blonde Weib im Traumesschlummer,

Als sie die Morgenwache längst schon hätte wecken müssen.

Doch alle waren zaghaft, selbst das laute Volk schien stummer,

Und keine Thaten folgten den Verlegenheitsbeschlüssen,

Denn über allen lag ein ungewohnter, schwerer Kummer.

Doch da entschloß ein Sklave sich, dem sie als Weib gewogen,

Die blonde Herrin sanft aus ihrem tiefen Schlaf zu küssen.

»Welch starker Thau heut niederfallt, der Herbst kommt angezogen«,

Sprach da das Weib: »Nun werden uns die Schwalben bald umschwärmen!«

Mit diesen Worten ist ihr letzter Traum hinweggeflogen,

Denn als sie aufstand, hörte sie ganz plötzlich starkes Lärmen,

Und alles drängte aus dem Zelt der lauten Schaar entgegen,

Um sie nicht allzusehr durch ihren Anblick abzuhärmen,

Denn mancher war des Nachts bei Überfall und Mord zugegen.

Und sah der Herrin Liebling mit blaublutigen Gedärmen![58]

Man dachte nun, man werde einen Todten niederlegen.

Doch statt der Bahre schleppte man den Mörder, der sich bäumte,

Vor die Gebieterin, die das Ereigniß rasch durchschaute

Und sah, wie er aus Wuth, geknebelt und gebunden, schäumte,

Daß Geifer plötzlich vorquoll, der sich hinter seinen Lippen staute.

Dann blickte sie um sich und merkte, wie dem ganzen Volke graute.

Erst stand sie stumm, dann eilte sie in wildem Schmerz von dannen.

Ein Sklave folgte ihr mit raschem Schritt, auf einige Spannen.

Lang hetzten sie im Wald umher. Dann liefen sie zur Leiche

Und fanden sie in blutigen Pfützen, die bereits gerannen.

Sie wusch sie ab und stürzte dann auf ihre edle Bleiche.

Dies war der Jüngling, den sie einst zu sich heran gezogen,

Er blieb so lange mädchenhaft in seiner holden Weise:

Nun lag er da, verrenkt, verkrümmt, wie ein zerbrochener Bogen,

Und schien ein Kind, ein todtes Kind, aus einem stillen Teiche

Ans Land zurrückgeschwemmt von unschuldsvollen, stummen Wogen.

Er war ein Kind und konnte nie zum starken Helden reifen,

Drum wars so hold, ihm all das schwere Rüstzeug abzustreifen.

Nun war es aus. Die Glieder waren frostig anzugreifen

Und blieben in der Hand, um ihre Starrheit abzuwägen.

Die Herrin konnte nur zum letztenmal die Flechten pflegen

Und ihre warmen Arme um die kalten Schenkel legen,

Den aufgeschlitzten Bauch mit einem rothen Tuch bedecken,

Die Thränen vor sich selbst und ihrem ganzen Volk verstecken,

Um sich zur Rache und zu neuer That emporzurecken.

»Ich habe meine Pflicht erfüllt, ich hab mich nie verweigert

Und ohne Heuchelei der Männer Leibeskuß empfangen,

Und nach Verdienst, nicht nach der Jugend, meine Lust gesteigert,

Denn meine Brunst war groß, wenn würdige Krieger mich umschlangen,

Und blieben Jäger lange ohne Weiber und Gefährten

Allein im Wald, bis sie mit schwerer Beute wiederkehrten,

So gab ich ihnen, was sie kühn von mir begehrten,[59]

Und war beglückt und brunsterfüllt, wenn sie den reichen Samen

Mit freiem Lusterguß, mir in das leere Becken warfen.

Und welche Männer immer mich in ihre Zelte nahmen,

Das Volk geleitete uns stets mit Fackeln und mit Harfen,

Und selbst den ersten Männern, die der Tod mit fortgenommen,

Ergab ich mich, erschienen sie mir, Nachts, als Larven.

Es durften Sklaven, Kinder, Kindeskinder zu mir kommen

Und meine ewigen Jugendreize konnten allen frommen!«

So sprach das Weib, dann ward vor ihr und ihrem Volk gerichtet.

Der Mörder hatte selbst auf die Vertheidigung verzichtet,

Und beim Verhöre ist er stumm und willensstark geblieben.

Hat irgendwer von seiner Lust und Grausamkeit berichtet,

So peinigte die Menge ihn sogleich mit Peitschenhieben.

Kein mitleidsvoller Blick, kein Trost hat ihn emporgerichtet:

Er fügte sich gefesselt in des Feindes Machtbelieben.

Doch plötzlich schien der Herrin Wuth besänftigt und beschwichtet.

Doch nein, sie log, da ihre Blicke noch aus Haß zerstieben,

Es hat kein großes Lieben ihren Seelenkern gelichtet,

Sie rief: »Er ist ein Krieger, er hat manchen Kampf bestanden

Und einst des Feindes Übermacht in einer Schlacht vernichtet!«

Die Menge aber brüllte: »Kein Mensch in Feindeslanden

Hat je Dick so gekränkt, zum Kämpfen war er doch verpflichtet,

Drum quetscht ihn ein und peinigt ihn mit seinen eigenen Banden!«

Sie aber rief dazwischen: »Ach, gedenkt doch seiner Sänge,

Erinnert Euch der Lieder, die er einst für mich gedichtet,

Bedenkt, bedenkt, er ist ein Sänger und dann mildert Eure Strenge!«

Nun aber tobte es noch ärger in der großen Menge.

Gar viele heulten: »Sagt was kümmern uns die süßen Klänge,

Wir möchten sehn, ob uns kein Minnelied für Dich gelänge,

Wenn uns Dein Arm, wie einstens ihn, in holder Brunst umschlänge!«

Nun hat in jenem Weibe eine Schlange sich verringelt,

Die Wuth, die Eitelkeit, und manche Schlacke brünstiger Triebe,[60]

Verschlangen sich zum Knäule, und ihr Haß hat drauf gezüngelt.

Voll Wonne hörte sie die Rufe und die dichten Hiebe,

Und plötzlich kreischte sie von ihrem ganzen Volk umzingelt:

»Vergeßt es nicht, vielleicht seid Ihr die Kinder seiner Liebe

Und dort, Ihr Peiniger, des trotzigen Mörders Söhne;

So laßt doch ab und hört erbarmungsvoll auf sein Gestöhne.

Giebts keine Einsicht, die Euch endlich mit dem Mann versöhne?«

Nun wars, als ob der ganze Wald vor Wuthgeheul erdröhne.

Man hörte nichts. Doch schiens, daß man das Opfer laut verhöhne.

Und alle schlugen drauf, als ob ein Volk der Mordlust fröhne.

Dazwischen aber wimmerten des Mörders Sterbetöne.

Schon war er fast bewußtlos und man hörte nimmer das Gepfauche,

Noch jene Stimme, die da rief: »Laßt ab, denn ich verpöne

Die grause Lust, da ich das Maaß zum Staatenbauen brauche!

Laßt ab, daß ich mein Werk in letzter Stunde noch verschöne!

Bezähmt die Wuth, damit ich tief in Eure Seelen tauche,

Den Schmuck zu fischen, der Euch einst in fernen Tagen kröne:

So faßt Euch denn und dann empfangt aus meiner Hand die Löhne!

Der hellen Sonne gleich, die nach dem wolkenüppigen Föhne

Das Wesen ihrer Macht in klare, goldene Strahlen kleidet

Und ruhig Sturm und See und Dunst und Berge wonnig scheidet,

Die Feuerbrücken spannt, wo schon der Glanz das Naß zerschneidet,

Und Nebel trennt, wo bald ein Hirt die sanften Schafe weidet,

Vermöge es die Königin, im Volk die Wuth zu schlichten!

Mit ihrem hellen Blick, die ganze Massenwuth zu sichten!

Mit salbungsvollen Worten, die sich auf die Wogen legen,

Die Zorneswirbel durch die wilden Horden fegen,

Das tolle aufgeregte Volk allmählich zu beschwichten!

Und durch Versprechungen die Friedenswünsche zu verdichten!«

Von eigener Brunst begann sie ihrem Volke zu berichten,

Um all der Aufgeregten Spannung auf sich selbst zu richten.

Und siehe, bald begann man auf das Martern zu verzichten.[61]

Kaum hat die Herrin im Gewühl den Zornesprall gebändigt,

Mit Wort und Blick die Urnatur in ihrem Volk gemeistert,

So hat sie kühn, mit einem dreisten Zug, ihr Werk beendigt

Und sich am eigenen Seelenschwung und Wörterrausch begeistert.

Sie hat die Wollust ihrem Redeschwalle eingehändigt.

Es rief das Weib: »Ich schlief mit jenem Kind in meinem Zelte,

Als eine Gluth die Glieder beider zu einander schwellte.

Wir sahn das Blut, das Lust und Liebe durch die Leiber wellte,

Und als der warme Hauch der nahen Körper sich berührte,

Da wars, als ob ein Wesensschaum die holde Lust verspürte:

Ein Schauer überfiel uns, als sich Schwindel in uns rührte,

Und wohl als Jubel sich aus Brust und Kehle sanft entschnürte.

Wir fühlten wonneschwere Leiber ineinander fallen,

Die gute Lust von Glied zu Glied, von Aug zu Auge wallen.

Wir sahn uns an. Ich bebte. Konnte nichts von Liebe lallen.

Und hatte an den Gliedern, die ich wundschlug, mein Gefallen.

Er war so jung, ich wollte mich an seine Jugend krallen.

Ich küßte seinen Nacken und befühlte seine Lenden.

Die steifen Finger wühlten in den weichen Leibeswänden.

Was kann die Nacktheit eines Leibes doch an Prunk verschwenden!

Mit Purpurspangen schmückte ich sein Fleisch, mit meinen leeren Händen!

Und ich erstickte seine Küsse, wollte sie beenden,

Um nach Belieben seinen Körper hin und her zu wenden.

Doch war er gar so sanft und folgte jeder Sinnesregung.

Er sah mich an, so glückerfüllt und fast bereit zu sterben.

Ein schwüles Graun erfüllte mich bei jeglicher Bewegung.

Ich schnürte seinen Hals und sah den Körper sich verfärben.

Ein Blick noch schien, wie um Erinnerung, zu werben.

Und lächelnd wollte er aus meinen Schlangenarmen scheiden,

Von ihrem Druck befreit, von Leid und Leib sich sanft entkleiden!

Da packte michs, ich müßte mich an seiner Sehnsucht weiden.

Ich ließ ihn los und hauchte nun auf seine blassen Lippen.[62]

Wie war das herb, wie fühlte ich ein wonneschwüles Leiden.

Ich rieb und rieb und sah die Röthe zwischen seinen Rippen,

Denn endlich kam das Blut und tilgte seine Schreckensbleiche:

Ich tödtete ein Kind, zum Manne weckt ich nun die Leiche.

Als er erwachte, war ein Abgrund zwischen uns geschaffen.

Wohl half ich ihm, doch blieben wir für immerdar geschieden!

Wir trachteten uns stumm zu neuem Leben aufzuraffen,

Doch unsere scheuen Blicke hatten sich dabei gemieden.

Dann schlich ich aus dem Zelt, in dem der erste Mord geschehen,

Und er lief bald in einen Wald, mir aus dem Weg zu gehen.

Nach Jahren kam er heim in einem selbstgefügten Boote

Und unser Dorf umschlich er scheu, als ob ihm Strafe drohte.

Doch nie empfand ich ihn als Übertreter der Gebote,

Er konnte wiederkommen, doch sein Leben war gebrochen.

Er hatte nie zu einem Weib von süßer Lust gesprochen,

Was ihn umgab, das wollte er zerstören und entschleiern.

Er schuf den Pfeil, um seine Rache auf der Jagd zu feiern.

Es zog sein ganzes Wesen zu den leichengierigen Geiern.

Aus Lust am Rauben hat er kühn ein schlankes Boot gezimmert,

Die letzte Liebe zu der Welt und allen ihren Dingen

Gab ihm die Sucht und Lust in ihr Geheimniß einzudringen. –

Er haßte das Vorhandene, das freudetrunken schimmert:

Er wollte das Bestehende zu anderm Dasein zwingen.

Und hat das Holz geächzt und seine Beute matt gewimmert,

So gab ihm das die Lust, was er begann, ans Ziel zu bringen.

Drum ruf ich stolz, was Ihr erschafft, ist immerdar geschlechtlich,

Was anders käme, wäre freudlos und somit verächtlich.

Die Weiblichkeit ist räthselträchtig, unerforscht und mächtig,

Sie hält ein Stück des Weltgeheimnisses durch Scham verborgen,

Und drum empfangt Ihr auch unwiderstehlich stark und rechtlich,

Aus ihren Armen nur, den jungen Thatendrang am Morgen.

Ihr fühlt Euch einzeln und Ihr sucht Euch allseits zu ergänzen.[63]

Euch macht das Räthsel, das Ihr brünstig sucht, im Weltall Sorgen,

Und das Bewußtsein habt Ihr, weil Gefühle Euch begrenzen.

Als Einzelwesen glaubt Ihr ganz mechanisch an Ergänzung

Der Sinnlichkeit, durchs ewige Eins, das still und unverständlich

Sich tief in allen birgt, weit jenseits allen Daseins Ichumkränzung:

Und Freuden schufen Euch einst thätig, lustbelebt und endlich,

Drum scheinen Euch die Lust und schließlich Welt und Weib verblendlich.

Vom Weibe abseits sucht ein Jeder, von etwas etwas zu erfahren,

Und vom Genusse manches für die Stille zu bewahren.

Wer schwer des Weibes Huld empfängt, wird häufig schwül und bissig

Und wittert in der Welt umher und findet sie bald rissig.

Und der, dem ichs vergällt habe, hat Kräfte überschüssig

Die eigene Welt sich aufzubauen, die Welt mit einem Henkel,

Die Welt in der er Ordnung fand, weil alles eigenschlüssig:

Und zeugt er keine Kinder drin, schafft ihm sein Trachten Enkel!

Und statt im Schamtheil sucht er dann knapp unter ihm im Zwickel

Ein Räthsel, das sich hohl erweist. Doch spreiz ich da die Schenkel,

Geschiehts, damit sich furchtbar stets ein Wonnespiel entwickel.

So bleibt das Weib der Räthselhort! Und könnt Ihrs nicht genießen,

So laßt ihr eine Wollustwelt aus Dreiecken ersprießen.

Seit jenen Tagen hab ich Jünglinge zumeist erkoren,

Da fühlt ich fast das warme Blut den jungen Leib durchstießen:

Hab ihnen Kinder, wie den Männern, schmuck und schlank geboren.

Ich lieb des Jünglings Lächeln nach der ersten Nacht der Liebe,

Und nimmer hats ein Schreck in Kinderzüge eingefroren.

Ich spielte selbst damit und hoffte, daß es lang verbliebe,

Denn selbst des Tags geht solches Lächeln nicht verloren:

Und alles that ich, daß der Freudenschimmer nicht zerstiebe.

Doch jenes letzte Kind, das ich in holder Lust genossen,

Das traurig zu mir kam, als ob ihn grauses Schicksal triebe,

Hat jener dort erdrosselt, ach, hat mir so theures Blut vergossen!

Drum schlagt den Wütherich!! Sagt, weshalb zögern Eure Hiebe?[64]

Erfüllt die Pflicht und martert ihn und peitscht ihn unverdrossen!

Er ist ein Mörder und Ihr peinigt stets die feigen Diebe.

Ja gerne! Selbst wo man bereut! Und jener bleibt verschlossen!«

Doch nun bemerkte jenes Weib ein eigenes Volksgetriebe.

Die Freien und der Henker selbst, mit seinen Spießgenossen,

Vereinten sich zu einem Volk, das seiner Herrin trotzte.

Man drohte dreist und hielt die Mächtige umschlossen

Und sah, wie sie erschreckt, auf ihre Sprossen wüthend glotzte.

Im Augenblicke hatte sich ihr schlichtes Haar geringelt.

Ein Schlangenhaupt erschien dem Volk, das fast mit Frechheit protzte.

Und rasch zerstob der Mob, der dreist das Weib mit Wuth umzüngelt.

Dann rief sie laut: »Nur ich hab jenem Manne Lust gegeben,«

Und hastige zügellose Wuth hat nun aus jedem Wort gezüngelt:

»Mein Haß vermochte hohe, kühne Thaten zu beleben,

Drum bleib ich stolz und Ihr müßt feig und scheu erbeben.

Nun rasch zur Pflicht, jetzt peitscht ihn weiter, und gehorcht aufs Wort,

Entreißt ihm mit Gewalt die letzten Worte vor dem Mord.

Doch nein, sein Todesröcheln, horcht, entgurgelt ihm soeben,

Nun rasch die Axt zur Hand und murkst ihn ab, ich blicke fort!«

Jetzt senkten Ernst und Trauer sich, auf die Gemüther nieder:

Aus Menschenseelen, wie aus Felsenklüften, schien das Schweigen

Als erste Abendahnung schwer und mählig aufzusteigen.

Millionenflügel eines Windes schwirrten hin und wieder.

Die schwülen Hauche senkten müd ihr schlaffes Luftgefieder.

Sie irrten durch den Hain und schliefen ein, auf üppigen Zweigen.

Und alle Aste schienen sich von Luft beschwert zu neigen.

Des Himmels letzte Wolke schwebte nun herab zum Meere.

Sie schien von einer Insel sanft zu sich herabgezogen.

Sie senkte sich wohl selbst, durch ihre eigene Wollustschwere,

Und kam als brünstiger Schwan, aufs üppige Eiland zugeflogen.

Und fern verflüchtigt, senkten sich zwei Wolken thalwärts nieder,

Als wollten sie ihr Liebesthun in dunkler Schlucht verbergen.[65]

Und zum Genusse streckten sie die zarten Schaumesglieder

Gar lange aus, als ob sie überall ein Fiebern bargen.

Die eine hielt die andere fest, in lüsterner Umarmung,

Und ihr Geheimniß wallte auf, bis zu den stummen Bergen.

Und durch die Welt zog nun ein Rausch unendlicher Erbarmung.

Da trat die Königin hervor und sprach zum ganzen Volke:

»Es droht uns Tod und Neid und Streit und seelische Verarmung!

Der Menschheit Frevel liegt auf diesem Strand wie eine Wolke.

Verlaßt das Land, es scheint von einem Alb belastet.

Verscharrt mich hier im Wald und nehmt mich mit in Euren Träumen:

Und träumt von mir und fremden Bäumen, wenn Ihr ferne rastet:

Was Ihr von mir erfaßtet, als Sage laßt es schäumen.

Verlaßt den Strand, aus flotten Booten, hoch und steil bemastet,

Zieht Träumen gleich, auf Schäumen hin, wo Schäume Länder säumen.

Kreuzt selten eine Bucht, da nichts auf Eure Fahrten achtet,

Und zieht der Sonne nach, wenn Euer Sinn nach Fielen trachtet.

Ich selber wähl den Tod und will zur Greisin nicht erfrieren.

Mein goldenes Haar darf seine edle Farbe nicht verlieren.

Ich bin ein Fels, den Abendstrahlen matt mit Gluth verzieren.

Ich bin ein Sagenberg, mit Gold erfüllt und goldumflossen.

Lebt wohl, ich hab genug von holder Sonnenlust genossen.

So legen eigene Kinder mich, als Greise, bald zu Grabe

Und hüllen mich in blonde Flechten ein, die mich umwallen.

Dann ruh ich tief gebettet in der schönsten goldenen Habe:

Denn Gold, nur Gold, wird allseits auf die Glieder niederfallen.

Doch sollt Ihr stets in fernen Herbsten die Mysterien feiern,

Und an die Mutter denken, die nach langem Erdenwallen,

Sich selbst zurück zur Erde sehnte, um in goldenen Flechten

Gar tief zu ruhn, wenn Sänger einst ihr Sagenbild entschleiern.

Ich selber habe aufgehört zu knechten und zu rechten.

Zieht dann umher und singt berauscht, mit laubbekränzten Leiern,

Den Hymnus Eurer MutterErde, der die Saat entsprossen,[66]

Und heut zum letzten Mal, nachdem Ihr meinen Sarg bereits verscharrtet,

Besingt die Erde, der ein reicher Erntestrom entflossen,

Und die bereits die neue Samengluth erwartet.

Belauscht die Sprache, die im Lispelton die Blätter sprechen,

Wenn sie geräuschlos fast von ihren dürren Zweigen fallen.

Belauscht Euch selbst, wenn Schamgefühle aus der Liebe brechen,

Und ein Geheimnißzauber anfängt in Euch aufzuwallen.

Dies ist die Erde. Fürchtet nichts, die gute Muttererde!

Dies ist der Tod, die Stille und die sehnsuchtsreiche Liebe!

Sie schlummern, tief verborgen vor begehrlicher Geberde,

Im Alltag unerkannt, verdrängt von lautem Sonngetriebe:

Doch bricht die Erdmacht vor, so zieht es Euch zurück ins Dunkel!

Was Ihr nur selten fühlt, wird zum Geheimniß Euch, das Lieben!

Was Euch dem Licht entzieht, ja Eures Wesens Lustgefunkel,

Das Sterben ist Euch feindlich und verhängnißdumpf geblieben.

So bleibt denn unbelauscht, wenn Euch die Liebe schwer durchgluthet!

Was Ihr in seltenem Liebesglück Euch gebt, verschließt es innig.

Versenkt es in den Seelengrotten, die Ihr kaum vermuthet,

Und bleibt Euch treu, seid Ihr aus reiner Sehnsucht minnig!

Und wer für Liebe und für Liebesschmerz wie ich verblutet,

Der thut es für ein Räthsel, das voll Schwermuth ist und sinnig!

Die Leiblichkeit des Weltgeheimnisses sind Zucht und Sitte:

Durch Thaten zwingt die Erde uns, es dauernd einzukleiden:

Denn ihre Macht hält zwischen den Bestrebungen die Mitte

Und bleibt sich gleich und zwingt uns stets zum Unterscheiden.

Darum erwägen wir mit Stolz die eigenen Lebensschritte,

Beschließen wir nach freier Art Verworfenes zu vermeiden,

Will sich in uns das herrlichste Geheimniß doch behaupten!

Drum auf! Zu den Mysterien! Zieht im Herbst mit gluthumlaubten,

Verwelkten Zweigen zu den heiligen Grotten der Propheten

Und windet Euch, im Chore, durch die langen sonnbestaubten,

Geweihten Haine, zu den Priesterinnen vor, die beten![67]

Dort weilen Weiber, die noch nie vom Liebeshauch getrunken

Und keines Mannes Schöfperrausch im eigenen Sein empfunden!

Sie bleiben stets in heiliger Erdenandacht tief versunken

Und halten sich mit ihrem eigenen Räthsel eng verbunden.

In Dampf gehüllt wird aller Weiber SonnenIch gebändigt:

Und manche kann dabei, betäubt, Empfundenes dumpf bekunden,

Wovon die innere Erdbestimmtheit sie im Traum verständigt.

Doch wird der Erdenräthsel urgewaltige Vollerfüllung

Durch Euer keusches Thun und Lieben allerzeit beendigt,

Und dem, was sich erfordert, gebt Ihr stündlich die Umhüllung!

Du erderwünschtes Zögern, edle Sprödigkeit des Weibes,

Du wahrst und förderst das Geheimniß unserer Seele,

Dem Sinn entrückt, wirkt Muttererde in der Frucht des Leibes:

Ihr nah zu treten, fühlst Du fast als Schmach und Fehle,

Denn heilig ist die Scham und sie verwirklicht Zuchtbefehle!«


Als nun der Abend seine Purpurdecken niedersenkte,

Und dann der Tag, mit blutigem Schatten, wie zum Abschied, schwenkte,

Da ließ die Herrin einen großen Löwen vor sich führen,

Den ihr, vor kurzem erst, ein mächtiger Nachbarkönig schenkte.

Sie ließ des Thieres Leib mit Stricken fest umschnüren:

Und sieben Männern nur gelangs, den Auftrag auszuführen.

Dann sprach das Weib: »Jetzt will ich meine letzte Lust verspüren!

Ich mag aus freier Wahl den kühnsten Sühnentod erküren:

Nun bindet mich auf dieses Thieres holdgeschmeidigen Rücken.

Sein goldener Leib wird meine weiche Nacktheit noch beglücken:

Dann sprengt die Löwenfessel, laßt uns Klüfte überbrücken

Und seine Wildheit wird uns Euren Blicken rasch entrücken.

Stecht ihm zuerst, mit einem Schwert, in seine fleischigen Lenden,

Der Katze Wuth zu steigern und die Todesqual zu kürzen:[68]

Dann werden wir zusammen bald in einer Kluft verenden,

Denn schmerzzerfleischt wird diese Bestie jäh von einem Felsen stürzen.

Ich bin ein Sturm und will die letzte Wucht und Wuth verschwenden!

Seht dort die Wolken, die um spitze Felsenkegel fegen,

Wo Winde ihre Horste baun, sich drin zur Rast zu legen.

Soll da ein Sturmbraus keine Lust an seinem Ende haben!

Wohl doch! Seht, ich berausch mich an den letzten Flügelschlägen!

Wo Ihr mich finden werdet, sollt Ihr mich sogleich begraben,

Damit ich mich in meine Ewigkeit hinüber dehne:

Im Goldhaar ich, die Rachekatze aber mit der Mähne.

Nun hört auch, welches Wesen ich in diesem Thiere wähne.

Erschaut das giftige Gefunkel seiner Stachelblicke,

Oft scheint sein Fieberauge eine haßdurchblitzte Thräne,

Dem Seelengroll entquoll, und nun durchzuckt es grüne Tücke.

Ein Unheilstern der Menschheit sträubte diese Sonnenmähne:

Drum ruh ich bald auf meines Feindes wuchtigem Genicke

Und menge wollustvoll die beiden Flammendiademe

Und stemm mich auf und krall mich fest, im letzten Schreckensglücke,

Und warte, daß der Tod uns grauenvoll entgegen gähne.

Oh Menschen, als Ihr einst den Wald durchwandelnd einwärts drängtet,

Da ließ die Wildniß Euch am Wege süße Beeren finden.

Als Ihr Euch haufenweise durchs Gestrüppe vorwärts zwängtet

Und hohe Bäume furchtlos fälltet, um Euch durchzuwinden,

Da fandet Ihr die Stacheln neben saftgeschwellten Beeren.

Und als Ihr boshaft Eure Schritte durch den Urwald lenktet,

Da mußte der, zum Schutz, die Schlangenbrut gebaren.

Und als Ihr Wälder dann, aus argem Trutz, versengtet,

Da sollten giftige Flammen Euren Weg im Wald durchqueren.

Sie huschten nachts aus Tümpeln, wo Ihr Euch des Tages tränktet,

Wie Feuerfrösche, schnell hervor, den Marsch Euch zu erschweren.

Ihr fiebertet bereits, als Ihr am Wege abseits schwenktet,

Dem Tod entgegen taumelnd hinter falschen Flammenheeren.[69]

Und wo Ihr Eure Glieder nicht aus Schmerzensqual verrenktet,

[Denn Fieber kamen, Eure Dörfer gräßlich zu verheeren]

Ertrankt Ihr oft, wo Ihr das Wollen in den Wald versenktet,

Im Schlamme, der sich aufgehäuft vor Eurem Sonnbegehren!

Und weiter zogt Ihr, ob Ihr Euch auch martertet und kränktet,

Bis Euch die Wildheit selbst entgegen sprang, um sich zu wehren:

Der Wildniß Wucht und Wuth mit einem Katzensatze zu entleeren.

Ihr Menschen, das Mysterium müßt Ihr aus dem Walde locken!

Es rankt sich, Epheuschlangen gleich, empor an stolzen Stämmen.

Es krampft sich einwärts in die letzten, splitterspröden Brocken.

Es wühlt sich aus der Fäulniß vor, ersproßt in bunten Schwämmen.

Es scheint der Viper gleich, in welkem Laub und Busch zu hocken

Und trachtet überall sein giftiges Sein hervorzuklemmen.

Und muß der Bäume Saft in frischen Stümpfen plötzlich stocken,

So seht Ihr Pilze bald die Waldeslichtung überschwemmen!

Doch zieht es an, das schreckliche Geheimniß wilder Wälder!

Erkennt im Wald des Schädlichen und Bösen giftige Keime:

Erfaßt und hegt in Euch die ersten kindlichen Vermelder,

Von inneren Reuelauten. Jedes Mißtons Echoreime,

Giebt Euch die Seele ganz empfindungsklar von innen wieder:

Oft sind es Laute nur, oft unbezwingbar wilde Lieder!

Ein Sang, ein Lebenshauch durchrauschte sanft mein Lebenswallen

Und ward ein Wind und wehte scharf um jede Lebenswende.

Doch endlich schlief er ein in meiner Seele Waldeshallen:

Doch diesmal ists ein Sturm, sein Echo werfen alle Wände

Gar tief in mich zurück, die Stimmen können nicht zerprallen

Und rufen laut in mir nach einem kühnen Sühnungsende:

Drum kommt! Ihr müßt mich rasch auf dieses Löwen Rücken schnallen!«

Gar hurtig regten sich der jungen Sklaven blutige Hände,

Die nun den Löwen knebelten. Und Blut, vermischt mit Geifer,

Entträufelte den Lefzen dieser Katze, die behende,

Sich ihrer Peinigerschaar erwehrte, die mit wildem Eifer[70]

Nun ihre Herrin auf des Löwen Rücken band und schnürte.

Und noch bevor das Weib die Ohnmacht seiner Glieder spürte,

Da es, die Katze wild umhalsend, seine Arme rührte,

Entsprang das schöne Thier, das seine Königin entführte.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 54-71.
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