[Die Menschen kamen fast allein in steinige Lande]

[48] Die Menschen kamen fast allein in steinige Lande,

Und dann erst wucherte die Lebensfülle nach:

Sie hungerten und dursteten im Gluthensande,

Denn Sturm und Sonne lüfteten nun allgemach

Die Wolkendünste, die das Erdenrund bedeckten,

Und Gluthenströme stürzten nieder auf das Land.

Die Wüstenlehnen, die sich weit und weiter streckten,

Entstanden kahl und brach im großen Sonnenbrand.

Der Himmel selbst verlor sich hinter Feuersbrünsten:

Nur Abends zeigte sich ein Gluthenkatarakt.

Dann ward es dunkel und der Erdendunst am dünnsten

Und Gold umschwirrte Felsenzacken, gelb und nackt.

Die Menschen, die sich oft zu Dritt, zu Viert, verloren,

Vermochten nie allein oder getrennt zu ziehn.

Sie trafen plötzlich Andere, die gar weit geboren,

Und dies hat ihnen ihre Lebenskraft verliehn.

Sie blieben mindesten zu Dritt und eng verbunden.

Sie schleppten müd und traurig eine Kettenlast.

Sie sahn sie nicht. Doch niemals ist sie ganz geschwunden.

Sie hielt sie unzersprengbar fest und schwer umfaßt.

Dies waren unserer Ahnen große Fesselqualen.

Doch Selbst und Pflichtgefühl ist nur dadurch erwacht!

Sank einer hin, verwundet von den Sonnenstrahlen,

So ward vom andern ihm ein Labetrunk gebracht.

Die Schlangen, die fast unbemerkbar rasch entstanden,

Vergifteten die Menschen oft durch ihren Biß,[48]

Die andern saugten gleich wo sie ein Tröpfchen fanden,

Wodurch der Lebensdurst dem Tod ein Sein entriß.

Doch stürzte irgend einer jäh in eine Tiefe,

So warfen sich die andern alle blindlings nach.

Es war, als ob ein Wesensband durch alle liefe,

Das Schwindel zeugte, wo ein Glied zusammenbrach.

Das Gleiche sehn wir heute noch bei unsern Ziegen,

Sie folgen rudelweise einem einzigen Bock

Und sehn sie ihn in eine Schlucht hinunterstiegen,

So folgt dem einen Bock sogleich das ganze Schock!

Und mußte dann ein Mensch im Wüstensande sterben,

So haben sich die andern doch nicht mehr von ihm getrennt,

Sie mußten angeschmiedet dort im Nu verderben,

Dies aber zeugte, was man Freiheitssehnsucht nennt!

Doch eines Tages fanden sich gar viele Stamme

Auf einem Kap zusammen, das meereinwärts stach,

Nun wars, als ob es Leben überschwemme,

Wo machtlos sich das Meer an seinen Klippen brach.

Hier konnten sich die Menschenfesseln plötzlich lösen,

Denn alles zog sich allseits durcheinander an

Und warf den Samen zur Erkenntniß alles Bösen,

Das sich, als menschenfeindlich, je ein Mensch ersann.

Die Allgemeinheit konnte bloß das Sein befreien.

Durchs Pflichtgefühl giebt Jedermann an sie zurück

Was das Gemeinwohl schafft, wo Wollende gedeihen,

Und um den Heldenglauben wogt das Völkerglück.

Der Menschheit Sonnbewußtsein will, daß wir uns ändern:

Und jeder opfert gerne seinem Sonnenziel.

Der Glaubenszwang, die Strafen in verschiedenen Ländern,

Sind Völkern, wie den Kindern, heitres Spiel.

Es muß sich solch Gebahren lange vorbereiten,

Bis später es der Mensch zur Sitte prägen kann,[49]

Um Sonnenkinder stark am Sonnenweg zu leiten,

Auf dem ein Wahnbild selbst Bedeutung oft gewann!

Wir sehn das Vorbedachte sich in Formen wälzen,

Da nur das Tiefbedingte in Erscheinung tritt;

Und können große Sonnenbrände unsere Götzen schmelzen,

Genügt zum neuen Guß bereits ein Wageschritt!

Wir nennen weltharmonisch, was schon vorbereitet,

Urplötzlich faßbar, vor beschränkten Sinnen steht:

Oft sehn wir nicht, was schon bewußte Bahn beschreitet,

Weil Sonnenwollen dem Geschehn entgegenweht.

Nicht solche Lichtgedanken, aber Sonnenthaten,

Ersann allein auf einer Klippe dort ein Mann,

Aus einem Riff, das andre Menschen nicht betraten,

Da jetzt die Fluth ringsum die Oberhand gewann.

Er sah die jungen Menschen sich durch wilde Tänze

Der neuerworbenen Freiheit hier am Kap erfreun;

Es war, als ob sich alles ganz beim Fest ergänze,

Als suchte Leben volle Pollensaat zu streun.

Man wollte lang und frei am steilen Riff verweilen,

Und Jünglingsgruppen schleppten goldenes Korn herbei.

Und andere sah er froh zu brünstigen Spielen eilen,

Und unersättlich, rastlos wogte noch die Reih

Der nackten, jungen, lüstern tollenden Gestalten,

Und mächtig zogs den Einsamen zurück zum Spiel.

Er sah nun einen Mann das Weib im Arme halten,

Das ihm vor allen andern wunderbar gefiel!

Er wollte rasch durch jene Sturmesfluthen schwimmen,

Dem Jüngling zu entreißen, was er fest umschlang,

Da hörte er auf einmal weiche, innere Stimmen,

Und leise horchte er dem eigenen Seelensang.

Da ist ein ewiges Weib in einer Mannesseele,

Die Sonnensitte, jäh, mit keuschem Blick, erwacht.[50]

Ihr Auge flehte, laß, daß ich mein Lieb erwähle,

Und rasch hat sie ihr Schöpfer plastisch ausgedacht.

Er sah die Anmuthsreiche sich im Tanze schmiegen,

Die Weiblichkeit der Menschheit, Weichheit der Natur,

Die Kriegerbrunst im Manne einst besiegen,

Und er empfand die Anmuth schon auf freier Flur! –


Die Sonne hatte viel aus ihrer eigenen Kraft getrunken,

Nun sank sie übersatt und überrund herab.

Da stand der Mann, in seine Einzelheit versunken,

Gar tiefbewegt und stumm auf jenem schroffen Kap.

In seiner Ruhe blieben alle Rhythmen rege,

Die dort in brünstiger Lust sich üppig ausgetobt:

Nach Sonnverscheiden wurden alle müd und träge,

Doch ward das Licht, in ernster Andacht, noch gelobt!


Schon wogte Nacht: Schon fühlten sich die schlaffen Glieder,

Als jenen Sonnbefreiten rasch die Sonne sank.

Und sonnberauscht und müde sank die Menge nieder

Und wußte, unbewußt, den Schöpferstrahlen Dank.

Doch kaum wars dunkel, kam das Übel angekrochen.

Man fühlte, daß die Freiheit mit der Sonne schied.

Die Nacht hat sanft ihr erstes Machtwort ausgesprochen:

Die Sterne kündeten es funkelnd vom Zenith.

Und schon begann das Sonngefühl sich zu umnebeln,

Es zogen sich die Menschenknäule brünstig an.

Die Wucht des Leibes konnte bald die Stimme knebeln,

Die heut, beim Sonnenfest, ihr Sonnenlied begann.[51]

Das Sonnenfest, das Sonnenglück war abgebrochen.

Man würgte sich und preßte sich in wilder Gier.

Raum ward es dunkel, kam das Übel angekrochen:

Die ganze Menge schnaubte wie ein brünstiges Thier.

Erdrosselte vermengten sich bereits zu Haufen,

In einem lustdurchwühlten, engverkrampften Knäul,

Und man vernahm, vermischt mit ächzendem Verschnaufen,

Verschlungener Menschen brünstigstöhnendes Geheul.

Die Stärksten trachteten zum Strand zurückzuschleichen.

Sie sahn, mit Graun, den Leiberwust in fahlem Schein,

Und mitten drin erstickte Menschen, schlaffe Leichen,

Und, auf dem Fels, den einzig freien Mann, allein!

Da packte sie die Wuth und einige warfen Steine,

Auf jenen Helden, der persönlich sich erhielt.

Dann schleuderten sie alle, blindlings im Vereine,

Doch nur die ersten Würfe waren wohlgezielt.

Nun sanken ihre Arme schwer und steif hernieder,

Sie langten wohl noch lange schlafbefallen aus,

Doch alle Kenntniß schwand, es senkten sich die Lider,

Und schlummernd überwand ihr Sein den ersten Graus.

Sie krochen unbewußt zurück zu jenem Haufen,

Der sie mit Ekel und mit dumpfem Graun erfüllt.

Es konnte keiner sich zu seinem Heil verlaufen,

Sie waren alle bald mit jenem Knäul verknüllt.

Der Mann auf seiner einsamsteilen Felsenklippe

Empfand die Kettenlast, die ihn hinüberzog,

Ihm wars, als ob er selber mit dem Felsen wippe,

Als ob nun alles um ihn her in Dunst zerflog.

Ein Sprung ins Meer wäre bestimmt sein Tod gewesen:

Der Gischt, der über Klippen jäh emporgebraust,

Erschien ihm jetzt ein Heer von wasserflüchtigen Wesen,

Verschränkt emporgeschnellt, verschlungen und verkraust.[52]

Der Schaum, der stach zurrückglitt, die verstreuten Leichen,

Die jetzt die See in einem Wirbelgrab verschlang:

Er fühlte auch, er könnte nie das Land erreichen,

Und tief in Ohnmacht lag er viele Träume lang.

Doch als man Steine warf, da war das Werk gelungen!

Er richtete sich auf, als wär er selbst aus Gneis.

Die Kette, die ihn fest umschlang, war jäh zersprungen, –

Doch ward in kurzer Frist aus jenem Mann ein Greis.

Als er die Menschen sah, die ihn aus Neid bewarfen,

Da sprach er nichts, doch seiner Seele wilde Gluth

Verrunzelte sein Antlitz und in schroffen, scharfen

Verkreuzten Furchen, da erstarrte seine Wuth.

Ein Ackerfeld, das kaum der Lebensgeist bepflügte,

War jetzt des freien Menschen kühnes Angesicht,

Und was er selber über sich am Fels zerfügte,

Das machte er der ganzen Menschheit nun zur Pflicht.

Sein Fieberodem stockte rasch zu Wolkenmassen,

Voll Zornesdonnern beim befruchtenden Erguß,

Um mit den Flammen Blindbelebtes zu verprassen:

Und Mahnblicksfolgen blitzten durch der Seele Überfluß.

Die letzten Steine sah er jetzt am Riff zerprallen,

Da hat der Menschen Ohnmacht ihn in Wuth gebracht,

In Sonnenkriege ließ er Völkermassen wallen

Und Machtgedanken flatterten bereits zur Schlacht.

Verbote, die sich Panthern gleich aufs Opfer stürzen,

Hat auf die Lauer er vor manches Ziel gelegt,

Gewitter, die zur Erntezeit die Lüfte würzen,

Die haben sein erträumtes Sonnenfest durchfegt.

Zerstören mochte er, was allzurasch gelungen,

Zur Menschbefreiung aber wollte er den Zwang,

Der ihn vom Knäul getrennt, bis dessen Reif zersprungen,

Durch alle legen, als ein sonderndes Gerank.[53]

Ein Baum ward so gepflanzt, ein Kunstwerk hold begonnen.

Wie Blüthenthau, der durch den Morgen schwebt,

Hielt nun ein leiser Duft den Hauch der Welt umsponnen.

Ein Sonngeschenk, in dem das Erdenglück erbebt,

Ein Kunstwerk ward gepflanzt. Der ganze Hain begonnen,

In dem der Mensch sein Opfer gegen Himmel hebt.

Da mochte jeder sich in heiterm Glücke sonnen,

Ward doch durch alle auch sein Einzelzweck erstrebt!

Nun ebbte es und siedend flohen schon die Fluchen,

Da wußte wohl der Mann, der Staaten ausgeträumt,

Es würde, wenn auch Sturm und Meer nicht bald gesondert ruhten,

Der Rückweg ihm doch immerhin geräumt.

Und da begann der Sturm den Samen fortzutragen,

Der aufgespeichert um die brünstige Rotte lag.

Er wurde westwärts in ein fernes Land verschlagen

Und überschwemmte es mit Korn am nächsten Tag.

Der Menschen Brunstgestöhne und ihr Angstgepuste

Entflatterte der Erde steil im Sturmesflug,

Die Stimme gabs der Möve, die entstehen mußte,

Und kam zum fernen Strand, wohin der Vogel es vertrug.

Das Echo ward von jungen Möven gleich erwidert.

Im Neste weckte sie der erste Mutterruf.

Bald hatten alle Lebensschreie sich befiedert,

Da alles Dasein sich ein Lebensurlaub schuf!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 48-54.
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