[Verworren scheint mir, was ich eben hörte]

[37] Verworren scheint mir, was ich eben hörte,

Doch in mein Wesen dringt der alte Friede,

Es war, als ob mein LichtIch sich empörte,

Daß uns die Erde noch an schwere Ketten schmiede!


Doch gerne fühl ich jetzt die Macht der Erde,

Und die Genesung zuckt in jedem Gliede,

Erbauung sprüht aus jeglicher Geberde,

Ich will den Schein, daß ich den Leib besiege.


Sag, Erde, wann bekleidest Du die Heerde

Der freien Menschen und der Sonnenthiere?

Ihr Feuerwesen glüht in Deinem Flammenheerde,

Daß nimmer sich ihr Lebensgrund verliere.


Wir werden wiederum dem Festlande entstammen!

Sowie die Ruhe kommt, den Ball zu heilen,

So sprudelt Leben gleich aus seinen Schrammen,

Dem meine Wünsche schon entgegeneilen!

Die ganze Sehnsucht fühle ich im Glücke,

In jungen Formen, Mensch an Mensch, verweilen;

Es scheint, daß uns die Erde schwer bedrücke,

Doch hält ein Sonnenwahn den Mensch umfangen,

Daß er dem Erdenglücke stets entrücke.

Wir jubeln wohl aus heiterm Sonnverlangen:[37]

Doch spricht die Erde hier ein Wort der Theilung:

Die Sonnenbrunst bleibt an Geschlechtern hangen,

Und selbst am Ich, das sie, zur eigenen Heilung,

In Menschenwerth und Stammeshort gespalten.

Auch da beruht das Glück nur auf Verweilung,

Da Sitten unsere Stammesart ergänzen;

Denn lassen wir den Glauben gerne walten,

Gilts Stammesart durch Brauche zu ergänzen.

Wo Sitten bald zur Lebensform erkalten,

Dort ruht der Mensch in seinen heiligen Tanzen;

Halb Erdenkind, halb freier Sonnenkrieger,

Schnellt er sich fort, in seiner Schnelle Grenzen;

Da scheint der Leib der Leiblichkeit Besieger

Und seine Seele weilt in sich versunken.

Oh Leib, Du seeleninniger Sonnenflieger,

Nun wirble bald, am Eigenwesen trunken,

Auf Erden, glückerfüllt, wie freier Äther,

Wie starrer Fels, wie ewige Sternefunken!

Wirkt fort, Ihr sonnensündigen Erdenkneter,

Besorgt die Formung einstiger Lustempfinder,

Denn aus dem Wuste starrer Felsvertreter,

Steigt einstens der Gebildeüberwinder.

Statt lüsterm Schlaf, erfüllt er dann die Lüste

Eines Erzeugers eigener Sonnenkinder:

Ja, doppelt, denn er saugt die Gluth der Brüste

Der Erd und Sonnenflammen und empfindet

Die Lust der Erdenruhe, die er überwinden müßte!

Doch da so vieles Glück in ihm sich bindet,

Kann solches Doppelspiel sich nur erfüllen,

Wenn durch bewußtes Wollen jenes schwindet,

Das unsere Sonnenblicke kann verhüllen

Und sich als Erdentrieb bewahrt in Stunden,[38]

Wenn Leiber sich in Brunst zusammenknüllen.

Oh Erde, endlich werde ich gesunden!

Oh Erde, Erde, Wille Du zu meinem Leibe,

Oh Erde, trachte Dich zum Ball zu runden,

Zur stachen berg und tiefenlosen Scheibe.

Wohl sind die Erdentriebe sonnensündig,

Doch sehn ich mich nach sündhaftem Getriebe,

Auch werden Menschen durch die Flammen mündig,

Die durch die Menschenliebe sonnwärts strahlen,

Denn unsere tiefste Lust ist weltenbündig,

Und gern ertrag ich alle Wüstenqualen,

Kann ich dafür das Sonnenziel erreichen.

Drum wältzt Euch tief in Flammenbacchanalen

Der Gluthverschluchtungen, Ihr lavaweichen,

Bald festgestockten, frischen Leiblichkeiten.

Versucht es, Euch in Ruhe einzudeichen.

Erstarrt, um neu den Lebensspalt zu weiten,

Den einst die Menschenseele überbrücke,

Wenn Völker wieder diesen Ball umschreiten!

Nun öffne Dich, Du große Weltenlücke,

Oh, daß die Erde sonnenfeindlich würde!

Du Erde, weih uns sonnenfremdem Glücke,

Denn wollustträchtig ist die Leibesbürde,

Mit ihrem sonnenfernen Erdenhange:

Auch giebt der innere Abstand uns die Würde.

Die Seelenschroffheit zeigt sich schon am Gange,

Dem Merkmal seelenschlanker Sonnenkinder,

Mit ihrem stolzerfüllten Thatendrange!

Drum Flammen, engt Euch ein und werdet minder,

Dann sollt Ihr rasch im Felsenschlund verwehen:

Der Starrheit und der Freiheit Weltverbinder,

Der Mensch, der Wüstenherrscher, muß entstehen![39]

Ich liebe Dich, Du Trotz im Weltdämone,

Nicht lieb ich nur, ich kann Dich auch verstehen:

Du bist in mir die Kraft zum Kampf und Hohne,

Du bist ein Räubertrieb voll jugendhafter

Vielseitigkeit im Tanz um ewige Throne.

Du nährst den Bauch mit Klumpen sonnentraffter

Verwesungsjauche und Du pfauchst ein nasses

Gewalg, ins Sonnenantlitz, aus dem Aster,

Als Ausbruch Deines ewigen Sonnenhasses!


Die Erde kreist im weltbestimmten Pilgerschritte,

Um täglich ihre lebenskräftigen Lenden

Dem Licht, zum heißen Leibeskusse, zuzuwenden:

Und schon entsprüht das Leben ihrer Flankenmitte.


Orkane, die Ihr wild das Felsgewirr durchkeuchtet,

Iht legt Euch langsam jetzt zur Ruh in tiefen Schluchten,

Doch in der Höhe mögt Ihr zwischen Wolken wuchten,

Dort hoch im Lied der Erde, das ihr Leid durchleuchtet.


Doch die Vulkane, die den Wolkenwust durchflittern,

Verschrumpfen auch zu stumpfen, ausgebrannten Augen.

Mag wohl die Erde nun zum alten Leben taugen,

Und alles Beben in der Sonnensaat verzittern?


Unendlich fühl ich mich zu Dir hinabgezogen,

Doch Erde, gute Mutter, sei mir jung gepriesen:

Schon flackern die Gesichter bärtiger Riesen

Aus Flammengarben, die von selbst zusammenwogen.


Es muß sich alles jetzt zu kräftigen Bündeln einen

Und wird sein Dasein so als Einzelwesen retten,[40]

Was sich getrennt benagte, muß sich fest verketten,

Und unsere alte Welt im Morgenglanz erscheinen!


Die Erde soll sich neue Lebensformen gießen

Und Sonnenwesen stark im eigenen Bann erhalten,

Die Sonne wird den Menschen grad und schlank gestalten,

Denn frei wird er im neuen Lebenstag ersprießen.


Schon blinkt die Mondessichel durch die rothen Dämpfe,

Doch brach liegt noch das Bett erstarrter Lavafluthen,

Zu Lebensformen blocken sich erfrorene Gluthen,

Wie starre Todes und zugleich auch Lebenskrämpfe.


Es ist, als wollten Beine, Rümpfe sich erheben,

Es mag kein Arm getrennt von seinem Leibe bleiben:

Ein Schlachtfeld ists, wo Stümpfe durcheinander treiben,

Und alles hebt und drangt ein dumpfes Erderbeben.


Ein eigenes Weltgeräusch durchzittert noch die Öde,

Durchs Echo ward der letzte Völkerschrei zersplittert:

Nun hörst Du ihn, als Rhythmenschwall, der Leben wittert,

Zurück geschleudert von Gebirgen, schroff und spröde!


Dem Erdbereiche ist kein einziger Laut entkommen.

Gebirge haben seitwärts sich für ihn erhoben.

Es donnerten die Wolken ihn zurück von oben

Und unten wurde jeder sorgsam aufgenommen.


Jetzt können Töne sich als Stimmen gar zerstreuen.

Am Lavafelde wogen sie nun auf und nieder,

Und immer schriller geben sie die Spitzen wieder,

Als wollten sie bereits ein Weltidiom erneuen.


Ich seh kein Pferd und höre das Gestampf von Hufen,

Auch Menschen nicht und doch vernehm ich ihre Stimmen,[41]

Wenn alle Lebenstrümmer wieder zu einander stimmen,

Dann werden Münder ihre Einzelsilben rufen.


Und Ohren werden sie, zur Rettung, gleich empfangen.

Und sprechend werden Leiber sich zum Tag erheben.

Und aller Länder Echo wird als Mundart sich beleben

Und jedes Volk wird unverschiedenen Klang erlangen.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 37-42.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

Buchempfehlung

Dulk, Albert

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Die Wände. Eine politische Komödie in einem Akte

Diese »politische Komödie in einem Akt« spiegelt die Idee des souveränen Volkswillen aus der Märzrevolution wider.

30 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon