[Dies irae, dies illa]

[27] »Dies irae, dies illa,

Solvet saeclum in favilla,

Teste David cum Sybilla!«

Klang es plötzlich aus der Stille:

»WeltenEnde ist der Wille

Unseres Gottes Zebaoth!

Mensch, begreif die Weltennoth!

Sieh was allen Wesen droht,

Denn der Tod ist Urgebot!«


Wahrlich alles kam in Schwanken.

Mein Bewußtsein nur blieb still.

Stumm zerbarsten Felsenschranken.

Doch urplötzlich dröhnt es schrill.

Das sind ganzer Völkerstämme

Todesschreie in der Nacht –

Doch der Berge offene Klemme

Hat sie rasch zur Ruh gebracht.


Wohl gelingt es den Vergeudern

Des Geschaffenen, für den Tod,

Meere in die Luft zu schleudern.

Aufgedampft aus dunklem Schlot,

Thürmen sie in hohen Sphären,[27]

Sich zu Wolkenburgen auf:

Doch es muß das Urmaaß wehren,

Nie entgleists in seinem Lauf.

Unserer Erde Sonnbegehren,

Das die Völker einst durchzuckt,

Muß sich jetzt als Gluth verzehren,

Die aus Kratern Inseln spuckt!

Dort das Volk wird sich erhalten,

Da es schnell und dauernd schwimmt.

Kind und Greis und Weibsgestalten,

Hei, wie das den Fels erklimmt!

Aller Völker Lebenssäfte

Schlagen jetzt aus diesem Stamm.

Ob ein Wuthhund plötzlich kleffte,

Schäumt nun fern ein Wogenkamm.

Kollossale Bergesrachen

Seh ich ganze Meere spein.

Alles muß zusammenkrachen,

Und die Menschheit hör ich schrein: »Ra«

Als ein Echo ohne Ende

Hat der Schrei nun fortgegellt.

Wenn die ganze Welt verschwände,

Dieser Schrei blieb als die Welt!

Ringsum Alles ist verschoben,

Felsendome ziehn mich an:

Was ist unten, was ist oben?

Frei bin ich vom Erdenbann!

Hei, Du wildes Felsgekrämpel,

Ängstigst nicht das Erdenkind,

Denn ich schweb in Deinen Tempel,

Dessen Lücken ringsum sind.[28]

Erdenklammern oben, unten,

Machen unsere Seele frei,

Und es strömt aus lebensbunten

Fenstern jetzt das Licht herbei.

Wie ich mich so haltlos wiege,

Denk ich, daß in größter Noth,

Einst der Mensch dem Land entfliege,

Wenn der Ländereinsturz droht.

Denn die feste Menschbedingung,

Die sich still im All verwebt,

Ist ein Theil der Weltbezwingung,

Die der Sonne Macht belebt.

Unverschieblich, unverletzlich,

Ist das Sonn und Erdenband:

Unser Dasein drum gesetzlich:

Sonnbeschützt auf schwankem Land.

Bis die Erde sich noch bindet,

Ob sie noch so tobt und wühlt,

Ihren Schwerpunkt wieder findet,

Und mit Meeren Wunden kühlt,

Die am tiefsten eingerissen,

Sprengt sie nichts von dem Gesetz,

Das verknotet, als Gewissen,

Frei nun herrscht auf seinem Netz:

Auf dem Netz, das urversponnen,

Freies Sonnbewußtsein hegt,

Und das, wo es nachgesonnen,

Erdenheimweh sonnwärts tragt!

Meere seh ich niederwallen,

Aufgewühlt zu schwülem Dunst.

Menschenschreie hör ich schallen,

Schrecklich durch die Wolkenbrunst.[29]

Ist doch alles eingefallen

Und die Menschheit langst zerstört!

Kann das Echo nicht zerprallen?

Da man noch das Rufen hört?

Was ertönt wird schrill und schriller.

Plößlich kreischt ein heiserer Schrei.

Und dann ists, als huscht ein stiller

Riesenvogel dumpf vorbei.

Und von neuem hör ichs rauschen:

Ja, das ist ein Flügelschlag!

Schallgebilde, rings, vertauschen

Ihre Flugbahn scheu und zag:

Wenn sie stumm um Kanten biegen,

Zwischen Felsen in der Nacht,

Hör ich dumpf ihr schweres Fliegen,

Da das Echo rasch erwacht.

Ganze Stimmenleitern ringen

Sich vom Mutterrufe los,

Um als Schreie zu verschwingen,

Abgesprüht vom Echostoß!

Und zu Bündeln paaren andre

Echowirbel sich im Kreis,

Und da scheints, das Leben wandre

Schon zurück in sein Geleis.

Hier wird gar kein Schrei vernichtet,

Alles schallt von Fels zu Fels:

Ja, die Welt wird neu verdichtet,

Lauscht dem Aufschwall des Gefälls!

Scheint ein Ruf wo abzuprallen,

Irgendwo vom Erdenrand,

Rasch im Chaos zu verhallen,

Steigt schon eine Bergeswand[30]

Hoch empor, ihn aufgefangen!

Jeder Berg und jedes Werk,

Das zu sein nur angefangen,

Ward, daß es die Menschheit stärk!

Alles was nur quillt und schmelzt

Oder aus Bestimmungsbangen

Plötzlich sich ins Dasein wälzt,

Krümmt und thürmt sich nur zu Stufen,

Die dereinst der Mensch besteigt.

Gar nichts wird emporgerufen,

Was sich nicht vor Zwecken neigt!

Immer starker schwanken, beben

Bergkollosse im Entstehn.

Furchtbar ist ihr Haupterheben,

Kurz war das Zugrundegehn!

Ja, ich merk an jener Schlote

Langgefügter Doppelreih,

Daß sein Dasein sich verknote,

Das einst weltharmonisch sei.

Die Natur greift in die Tasten

Und bezähmt bestimmt die Welt,

Alles wird durch Rasten, Hasten,

Immer nur ins Maaß geschnellt!

Ganze Wandermeere dampfen

Aus den Orgelschlünden auf:

Kogel, Knäufe, Gipfel krampfen

Sich nun überall zu Hauf.

Doch das Alles scheint zu wackeln.

Alles wallt empor und fällt.

Still nur leuchten Riesenfackeln,

Wie als Ahnung aufgestellt!

Und ich laß den Traum gewähren,[31]

Der mir lieblich zugeraunt:

Sieh, das sind die Cordilleren

Die Du werdend angestaunt.

Ja, wir wurden eben beide.

Alles was ich da erschaut,

Ist die Macht im Traumeskleide,

Die das Schicksal aufgebaut.

Was ich seh ist längst verschwunden,

Nur die Folgen schleifst Du nach,

Und dem Dasein eng verbunden

Bleibt was jäh zusammenbrach.

Feiern mag ich das Entstehen

Dieser Welt, die noch besteht,

Ihren Ursprung werd ich sehen:

Ursturz werde ein Planet!

Eben ist der Wirbel mächtig,

Irrgestirne zieht er an,

Weltkometen, schlank und prächtig,

Alles stürzt in seinen Bann.

Vieles krampft sich jetzt zusammen.

Der Kometen Flügelschweif,

Der ihn forttrug, auf den Flammen,

Wird zum steifen Erdenreif!

Plötzlich, aus dem Ozeane,

Hebt sich manches schroffe Kap:

Flügellahme Welttitane

Stürzen steil und rasch herab.

Über mir, in Felsenkrämpfen,

Ringt ein Riese mit dem Tod.

Er verpfaucht in Sturm und Dämpfen

Und sein Rumpf ist feuerroth.

Endlich berstet im Giganten[32]

Das Gekrös und gluthenwund

Speit er seine schmerzverbrannten

Eingeweide aus dem Schlund.

In den Rippen, in den Knöcheln,

Zerrt ihn seine letzte Gluth,

Plötzlich schweigt sein Todesröcheln.

Wie verschnaubt er seine Wuth?

Um die Flügel und die Glieder

Hat sich rasch die Nacht geballt,

Aus dem grausen Schaumgefieder

Wich des Riesen Gluthgewalt.

Ja, der Gluthenrest vom Hasse

Des Giganten ist entzitscht.

Donnernd stürzt die kalte Masse.

Hei, die Fittige sind dicht.

Blitzend sprühte er von dannen.

Alles ward nun hart und schwer.

Auch des Riesen Wolkenspannen

Schlummern beide bald als Meer.

Tief in einer Erdenspalte

Stockt und friert der Feuerfluß

Und der große, felsenkalte

Recke ist der Kaukasus!

Mitten in der Erdzerspaltung

Taucht in mir die Ahnung auf,

Daß der Feind der Ungestaltung

Und der tödtliche Verlauf

Allen Daseins die Empörung

In den Leidenswesen schuf:

Und so folgt nun der Zerstörung

Unser Fluch, ihr Sünderruf.

Nun so seh ich die Erscheinung,[33]

Jetzt als Christ und Sünder an,

Schließlich bleibt die tiefste Meinung

Nur ein tüchtiger Steuermann!

Grollen will ich mit den Mächten,

Deren Knecht ich bleiben muß,

Immer such ich nach dem echten

Unerreichten Seelenguß.

Denn mein Tod ist meine Sünde

Und ich ahn die Todesschuld:

In mir selber sind die Gründe

Meiner großen Ungeduld.

Doch: sie nimmer eingestehen,

Ist im Kampf von großem Werth,

Werd ich sie nur um mich sehen

Hab ich mich schon halb bewehrt!

Drum was einstürzt ist mir feindlich,

Mein Gewicht von mir getrennt,

Und mein Leib bedingt vermeintlich

Was man Tod und Strafe nennt.

Sonnwärts wird der Mensch nun stiegen,

Da er seine Schwere haßt.

Jeder Braus in Sonnenkriegen

Sei als Erdflucht aufgefaßt.

Alle Lastersucht versinke,

Da die Sonne Schlankheit heischt.

Seht vor Euch die Sonnenzinke,

Hört den Aar, der sie umkreischt!

Erde, bliebst Du meerumschlossen,

Flög ein flockiges Geschlecht,

Leicht dem Wogenschaum entflossen,

Nie durch Erdenbrust geschwächt,

Steil empor aus Sonnenwegen,[34]

Als der Erde Danktribut,

Dem Planetenschwung entgegen,

Fast als freie Sonnenbrut!

Meer, oh bliebst du allerorten!

Nein die Wüste steigt empor!

Schreckniß, faß ich Dich in Worten?

Tod und Sünde wie zuvor!

Jammer zeigt sich meinem Wittern.

Meer, so öffne Dich, versckluck

Klippen, Riffe die zersplittern:

Doch von unten kommt ein Druck:

Und ich ahne Satanalien.

Stimmen tuschelns hin und her.

Und nun hebt sich ganz Australien

Ungeheuer aus dem Meer.

Schnuppen seh ich erdwärts stürzen.

Schroff und schräg und kreuz und quer!

Schuppenpanzer zwängen, schürzen

Jetzt den Erdball ringsumher.

Hei, das ist ein Feuertaumel:

Wie das heiter prasselt, zischt,

Und das bunte Birngebaumel

Bald sich mit der Gluth vermischt!

Flammen sprühn den Schnuppenregen

Feurig flimmernden Metalls

Erdenessen steil entgegen.

Schon im Wirbelkern des Balls

Lüstern sie, sich zu verschließen,

Einzufrieren in die Rast,

Formlos sich ins Sein zu gießen.

Und in wilder Werdehast

Thürmen Felsen sich unendlich,[35]

Wo ein Menschthum fußen wird;

Und sein Schmerz wird unabwendlich,

Wenn es Wüsten einst durchirrt!

Von der Erde bis zur Sonne

Ist in uns ein steiler Weg,

Und es wälzt sich die Kolonne

Tapferer Völker schwer und trag

Immer weiter nur nach Westen:

Jedes Ziel bleibt unerreicht:

Auch der Uberschwang der Besten

Wird durch Selbstsucht eingedeicht.

Freudenlaute schrill und lüstern

Pfauchen jetzt Titane aus:

Allseits aus den weiten Nüstern,

Schnauben sie ins Weltgebraus:

»Sich im Erdenschacht verkrallen,

Das ist der Titanen Lust,

Krampfhaft sich zusammenballen,

Bein um Arm und Steiß an Brust!«

Also dröhnt es durchs Gepruste:

»Bald giebts keinen Unterschied,

Alles wird zur Felsenkruste,

Jedes ein geschlechtlich Glied.

Nur durch unsere dunkle Starre

Wird die Lust gezeugt, bewacht;

Uns erscheints, daß alles harre,

Ewig dauern Lust und Nacht.

Welches Glück in sich zu finden,

Was sich scheinbar flieht und haßt.

Lust und Ruhe, die sich binden,

Kaum hat man sich ganz erfaßt,

Ihr mögt dauernd Euch belohnen,[36]

Schient Ihr ewig auch getrennt,

Kommt es plötzlich nach Äonen,

Daß Ihr Euch als Eins erkennt!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 27-37.
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Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

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