[Schwindel packt mich, Bilder eilen]

[20] Schwindel packt mich, Bilder eilen

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Ringsumher in wildem Tanz,

Hergeschleppt viel tausend Meilen,

Sprühn sie auf, in matten Glanz:

Keines mag um mich verweilen,

Jedes schwankt als Firlefanz.

Leiber scheinen sich zu theilen

Und verschwinden plötzlich ganz;

Doch in einem bleichen Haine,

Wo sich Ast und Ast verflicht,

Zeigen plötzlich sich Gebeine –

Und auf einmal wieder nicht.

Eva huscht in rothem Scheine,

Kauernd fast, hervor ans Licht:

Eingestemmt sind ihre Beine,

Abwärts schaut ihr Angesicht.

Ob sie jäh der Mutterscheide

Als ein reifes Weib entsprang,

Und dem Druck der Eingeweide[20]

Schmerzhaft sich, mit Wucht, entrang?

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Wie gedrückt zu ewigem Leide,

Reißt sie sich vom Nabelstrang:

Und schon schwanken alle beide,

Mann und Weib, den gleichen Gang.

Deutlich will der Tod sich zeigen

Und er grinst mich hönisch an:

»Sieh, was einem Sein zu eigen,

Sprich, ob man noch hoffen kann!

Alles will sich hier verzweigen,

Setzt die besten Kräfte dran:

Menschen die zum Lichte steigen

Drehn sich schon in meinem Bann!«

Kurze Beine, schöne Büsten,

Weiber ohne Ebenmaaß,

Sah ich, die sich läppisch grüßten,

Komisch, ohne rechten Spaß!

Ob sie für die Ichsucht büßten,

Die ihr Sein aus Grüften las?

Tod Du wirst den Spuk verwüsten, –

Er zerspringt wie sprödes Glas!

Musiker mit Löwenmähnen,

Häupter ohne Leiberhalt,

Hat ein tiefes Lichtersehnen,

Plötzlich fast, emporgeballt.

Alles scheint sich hier zu dehnen.

Ist noch nichts als Ungestalt.

Sucht sich aber schon zu wähnen:

Wird bewußte Urgewalt!

»Solches Ineinanderklingen

Gab dem Leben Melodie,

Brachte mit gereiften Dingen[21]

Auch den Zwerg in Harmonie.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Kann nicht so die Sichel schwingen,

Wie sie Schönheit einst verlieh,

Könnt mich um das Unkraut bringen,

Doch verschwinden werd ich nie!«

Kaum hat dies der Tod gesprochen,

Den ich blaß im Zwielicht sah,

Kamen Sphinxe angekrochen –

Und schon waren sie mir nah.

Wie von Zweigen abgebrochen,

Waren auch Harpyen da,

Und mein Herz begann zu pochen,

Als ich merkte was geschah.

Alle letzten Erdengäste,

Die im Todeskrampf entstehn,

Abfallszwitter, Lebensreste,

Die im Menschthum untergehn,

Wollten sich zum letzten Feste

Noch in Folterqualen sehn!

Was sich grausam würgte, preßte,

Lüstern, leidend, zu vergehn,

Fand, als Abglanz, aus den Wänden

Eines Saales jetzt Gestalt.

Manche Sphinx hat beim Verenden

Sich dort oben eingekrallt;

Nur ein Weib bis zu den Lenden,

Blickt sie um sich stumm und kalt,

Doch verräth ihr Nackenwenden

Einer Löwin Hinterhalt!

Ferne scheint mir, goldverschwommen,

Daß ein Weib im Takt sich dreh.

Wirbelnd wird sie naher kommen,[22]

Ob ich sie dann besser seh?

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Ist denn noch kein Blick erglommen,

Hier im Weck m meiner Näh?

Ach, wie bin ich angstbeklommen,

Denn der Tod ward Salome!

Hei, sie tanzt mit Castagnetten –

Wie das klappert, wie das klirrt,

Um den Leib, die goldenen Ketten,

Haben klimpernd sich verwirrt.

Will sie vor dem Haupt sich retten,

Das sie surrend jetzt umschwirrt?

Nein, die Haare will sie glatten,

Und da steht sie unbeirrt.

»Sieh, das Ich in vollem Siege,

Wie es plastisch triumphiert,

Sieh, die Glieder, die ich biege,

Sieh, die Jugend, die sich ziert;

Daß sie nimmer unterliege,

Lobt den Tod, der sie gebiert:

Schaukelnd steht er bei der Wiege,

Da ers Leben balanciert."«

Als die Worte rasch verklangen,

Die Salome zu mir sprach,

Kamen Greise angegangen

Und die Jugend folgte nach;

Und mir wars, als ob sie sangen,

Als das Schloß zusammenbrach.

Doch von Mauern noch umfangen

Sah ich plötzlich ein Gemach;

Vieler frommer Greise Hände

Trugen sanft ein zartes Kind,

Statt des Mutterleibes Wände[23]

Hieltens Menschen, wohlgesinnt!

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Denn wenn Fleisch und Warme schwanden,

Da wir kaum geboren sind,

Müßten wir gar schnell verenden,

Ist was schroff ist und geschwind,

Doch an sich der Grund der Leiden,

Da er Liebesketten sprengt!

Uns der Ichsucht zu entkleiden,

Die in Jammer uns gedrängt,

Und vom Tod und Sünde, beiden,

Die noch über uns verhängt,

Uns mit Liebeshand zu scheiden,

Ward ein Mensch der Welt geschenkt.

Sterne flogen hin und wieder,

Botschaft kündend nächtelang,

Und die Menschen knieten nieder,

Nahmen Jesum in Empfang.

Königsmienen, still und bieder,

Eine Mutter schwank und krank,

Eines Kindleins zarte Glieder,

Sah ich jetzt im Traumgerank,

Plötzlich ist der Tod erschienen,

Als ich kaum das Bild gewahrt:

»Alles muß mir ewig dienen!«

Höhnte er nach Siegerart.

Mütter mit Verzweiflungsmienen,

Sah ich jetzt um mich geschaart:

»Hab gewüthet unter ihnen,

Keiner blieb ihr Leid erspart!«

Ries der Tod und tanzte schrecklich!

»Hei der Tag vom Kindermord!«

Scholl es: »war für mich erklecklich,[24]

Nie ergötzt ich mich wie dort.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Selbst die Gluth blieb unerwecklich,

Die mich tödtet und verdorrt!«

Niemals tanzte er so kecklich

Und dann endlich war er fort!

Söldner seh ich spielen, wetten,

Christen, die um Gnade stehn,

Und zum Golgatha, in Ketten,

Jesum durch die Menge gehn.

Kann ein Mensch die Götter retten,

Die bedingt im All bestehn?

Wenn sie Macht zur Hilfe hätten,

Würde sie kein Sturm verwehn!

Alles will nach oben streben,

Höhenrausch umfangt uns schon,

Selbst der Tod kämpft um sein Leben,

Furcht gebiert schon seinen Hohn.

Ja, ein Gott ward uns gegeben,

Ohne Ende, ohne Lohn.

Zu ihm kannst Du Dich erheben,

Läßt Du neidlos ihn am Thron.

Götter mußten arg ergrimmen,

Als ein Mensch in Freiheit starb.

Konnte nicht der Tag verglimmen,

Als sein Leib am Kreuz verdarb?

Nicht die Nacht den Thron erklimmen,

Als ein Mensch um Gottheit warb?

Nutzlos tönten Donnerstimmen:

»Blutiger Himmelsriß, vernarb!«

Nein, die Wunde blieb geröthet.

Gluth ergoß sich aus dem Schnitt.

Götzen, die das Volk gelöthet,[25]

Stürzten ohne Halt und Kitt.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Menschen, die Ihrs Kreuz erhöhet,

Wo ein Mensch fürs Leben stritt,

Einen Gott habt Ihr getötet,

Doch er riß die Götzen mit!

Da erfaßten mich Skelette,

Statt des Todes Wiederkunft,

Sah ich mich in einer Kette

Von Gespenstern selbst verschrumpft.

Eine Stimme rief: »Ich wette,

Du verknöcherst in der Zunft,

Dichter, laß, daß ich Dich rette,

Folg nun wieder der Vernunft!«

Und nun fühlt ich mich im Fallen.

Sah Gerippe über mir.

Sank allein durch blasse Hallen,

Ausgeschmückt mit Ungethier.

Hielt an Fühlern mich von Quallen.

Und die sahn mich an mit Gier.

Dann entfiel ich ihren Krallen,

Durch ein andres Albspalier!

Und den ganzen Weg des Tanzes,

Den der Tod mit mir getollt,

Schien mir wie ein Drachenganzes.

Hart gestockt! In sich verknollt!

Und im Grün des Panzerglanzes,

In der Schuppen Flimmergold,

Sah ich mich von seines Schwanzes

Knorpelgliedern eingerollt.

Ruckweis ward ich vorgeschoben.

Rhythmisch schwankt ich hin und her.

Durch das Zucken dieses Kloben[26]

Glitt und fiel ich immer mehr.

[Rand: Der testamentarische Todtentanz]

Plötzlich schwamm ich wieder oben.

Ob der Schweif der Jordan wär?

Denn den Drachen hör ich toben:

Sicherlich das Todte Meer!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 20-27.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon