[Was mir erscheint, ist das der große Gotteshimmel]

[13] Was mir erscheint, ist das der große Gotteshimmel,

Ists Sternenglanz, der sich im Traumesdome regt?

Ist es die Nacht auf wildbewegtem Wolkenschimmel?

Ists kühler Wehmuthsschnee, der sich aufs Herze legt?


Du Traumesruhe, die auf reifer, abgemähter,

In schlafversunkener Mutterflur die Schmerzen heilt,

Du bleiches Bild, Du Sternenwelt im Purpuräther:

Ihr Glücksgefühle der Unendlichkeit, Ihr weilt!
[13]

Mir ists, als ob nun eine Ähre hell entsteige,

Schon schwebt sie frei, sah ich die Hand, die sie gepflückt?

Nun scheints, daß sie die vollen, goldenen Köpfe neige:

Ists ein Komet, der sich zur Erde niederbückt?


Ein goldener Strahl scheint zitternd aus mich her zu kommen.

Ein Meteor der meinem bangen Herzen naht!

Ein Bote ist vor meinen Augen schon erglommen,

So morgenklar und ernst wie eine freie That:


»Es kann das Menschenherz die Wahrheit streifen,

Es ahnt der Liebe und des Friedens Macht.

Hier mag der Same ewiger Freiheit reisen

Und er ist würdiger als Sternenpracht!


Der Mensch ist nicht von Gott verstoßen,

Er sündigt mit dem Sterne, der ihn trägt,

Es kann sein Thun nicht freuen noch erboßen,

Schon wirkt das Heil, wo man erwägt.


Die Menschheit soll ein Liebesband umschlingen,

Vernunft ist für Gerechtigkeit gereist,

Kein Schmerzensschrei wird unerhorcht verklingen,

Wo er im All ein Menschenherz ergreist.


Vernunft allein wird keine Wege finden,

Sie dient der Gnade, die die Welt verdient,

Ist Anfang nur und laßt den Schluß verschwinden,

Zeigt Euch das Nichts, wo Ihr am Ziele schient!


Die Freude wirble nun in Menschenseelen,

Der Frohsinn sei uns allen nicht vergällt:

Zum Troste mögt Ihr nach Äonen zählen,

Bis alles Leben mit dem Ball zerfällt.
[14]

Doch die Gerechtigkeit ist nur Erklimmung

Von Maaßen in der Schmerzenswelt.

Erlösung ist des Weltalls Urbestimmung

Und Gnade ists, die unsere Hoffnung schwellt.


Was leib und lustbegehrlich hier ersprossen,

Was weltharmonisch sich zusammenkrönt

Und sich vernünftig in die Form gegossen,

Das wird von Gnadenstimmen überdröhnt.


Schon die Vernunft ist ein Geschenk der Gnade,

Vor der die Welt in Ewigkeit erstarrt:

Kein Anfang sprüht empor vom Zeitenrade,

Wenn die Vernunft auf ihrer Kraft beharrt.


Das Fleisch ist nun erlöst aus der Verachtung,

In die der Sonne Strenge es gebannt,

Und die Vernunft entwandt sich der Umnachtung,

Wo sie die Gnade früh und schwach erkannt.


Heut mag die Gnade Euch Bestimmtheit schenken,

Sie schäumt und träumt urewiglich empor,

Nicht glauben mögt Ihr, sondern würdig denken,

Und keine Angst beklemme Euern Chor.«


Und als der Bote dies im eigenen Glanz verkündigt,

Verschwand er rasch, doch seine Stimme klang noch fort:

»Der Wahn verschwinde, daß die Schöpfung sündigt,

Doch nun verdunkle die Vernunft das hohe Wort!


Ja, Hohn und Leiden mag das Gnadenkind erfahren,

Da Ahnung seinem holden Sein entschwellt,

Denn aus der Welt, die wir durch Sinnentrug gewahren,

Erstrahlt auch Wahrheit, die uns der Verstand vorstellt!«
[15]

Die Silberwölklein, die ich rings um mich gewahrte,

Zerpflückten sich zu allerliebsten Engelein,

Blos Schönheit wars, die meinem Blick sich offenbarte,

Und eigenes Glück, dem sich die Seele konnte weihn.


Der helle Flockenschein auf winzigen Wolkenköpfen,

Der wurde Mang und Sang und Jubelmelodie.

Die Englein schienen aus dem Heil ihr Sein zu schöpfen,

Das stets der Welt ihr Licht und ihren Klang verlieh.


Sie sangen klar: »Wir grüßen Dich, Du große Gnade,

Die aus dem Heil sich in die Ewigkeit ergießt,

Um da als Welt zu wirken, ihrem eigenen Gnadenpfade!

Dich Gnade loben wir, die sich in Leidensformen schließt,


Die sich als Sünde suhlt und Sünderschmerzen leidet,

Bis Gnade sie in ihrem Gnadenschooß erwählt:

Die Gnade zu erfahren, selbst um Gnade neidet,

Da Gnade dann der größten Sünde sich vermählt!«


Dann sah ich rings um mich die Engelschaaren.

Sie wollten niederknien aus Wolkenkissen,

Doch da sie viel zu leicht und lustig waren,

So neigten sie im Chore Lichtnarzissen.


Sie sangen jubelnd: »Erde, Deinen Pollen,

Den Nordlichtsamen streust Du in den Ather,

Du schenkst die Keime hohen Sehnsuchtsschollen

Und wirkst als Deines Heiles Übertreter.«


So schweift denn, freie Flammengoldkometen,

Bis Wirbel Euch in eigene Fesseln legen:

Wenn Sonnen sich aus Liebesgluthen kneten,

So müssen sie im Schooß die Gnade hegen.
[16]

Wir Engel pflücken winzige Heilsgefühle,

Die spärlich auf dem Sonnenacker blühen,

Wir sehn das Menschenherz im Kampfgewühle

Und strahlen durch sein muthiges Lichtbemühen.


Ein einziger Gedanke, ein Empfinden,

In letzter Stunde mag ein Wesen retten:

Die Furcht und Reue mögen sich verbinden,

Ein Sein mit unserm Heile zu verketten!


Was Gnade wünscht und freie Gnade spendet,

Erweckt das Heil im Schooße eigener Gnade,

Durch Gnaden wird der Weltenlauf vollendet,

Vermag sie es, daß sie sich selber schade.


Erfülltes Heil in einem Weltenwesen

Muß alle grause Weltenlust zertrümmern,

Drum trachten Engel Gnade aufzulesen

Von Wesen selbst, die schwach und schlecht verkümmern.


Ein freies Nein ist starker als Gestirne,

Die blind, in ihrem Glanz sich eitel drehen,

Die Welterlösung hängt an einem Zwirne,

Nur muß ein Wesen frei zu Grunde gehen.


Der Mensch verstreut den Samen solchen Kommens,

Durch sichentgrenzendes und freies Wirken:

Das Heil vereitelt Knechtschaft eigenen Frommens:

Und drum verwünscht den Wunsch nach Sonnbezirken!


Pocht jetzt der Glaube plötzlich an mein Urgewissen!

Wie, sollte es schon bald mit mir zu Ende gehen!

Von lauter Skrupeln wird das wahre Ich zerrissen,

Und vor dem Tode sollst Du bleich in Stummheit stehen!
[17]

Den Wald, die Flur mag ich im heiligen Herbst betteten,

Und meine Seele gleiche dem entlaubten Baum –

Da mag kein Strauch die Andachtsfrist verspäten:

Er sammelt seines Wesens tiefureigenen Traum.


Der Baum, der üppig seine Lebenskraft verschwendet,

Der in des Daseins lustigem Schwelgen mitgewirkt,

Hat sich dem eigenen Räthselwesen zugewendet:

Er fühlt die eigene That, die sich in ihm verbirgt.


Ihr klaren Äste steht die hehrsten Herbstgebete,

Und in die goldene Stille starrt Ihr fromm empor:

So ringt nach Ruhe, wenn ich stumm den Wald bettete,

Ich such von mir, was ich im Jugendrausch verlor!


Die Buchen wollten sich dem Leben schenken.

Es hat am Walde sich der Baum berauscht:

Doch mag er jetzt sein Eigenwesen tränken,

Die Einzelheit, die jedes Sein behaust!


Versenk ich mich in meine Wurzeltiefen,

So glaube ich an einen Lebenskeim,

Dort wo die tausend andern weiterschliefen,

Erwachte er im üppigen Lebensschleim.


Daß Er dann Leben rauben muß und geben,

Weil er nicht mehr als aller Staub besteht,

Daraus erklärt sich Sitte, EinzelStreben,

Nur wünscht und fühlt der Mensch, wie er vergeht!


Von allem Gleichen freundlich angezogen,

Verschenkt er gütig, was sein Ich verlangt,

Er merkt es kaum, wie er vom Schein belogen,

Nur zwischen sich und seiner Freude schwankt.
[18]

Hat Irgendwer mein ganzes Sein ergriffen,

So ward mein Ich in größter Lust zerstreut:

Doch wird durch Raub der Mensch so hart geschliffen,

Wie dies das Leben für sein Ich gebeut!


Und doch banal ist was ich hier verfechte,

Die Weltmechanik deuten mag ein Tropf!

Nur ob ein Gott das Urgeschick verflechte,

Ob eine Allmacht ans Gewissen klopft,

Ach, wenn ich dies zu einer Lösung brachte!

Doch nein, dazu genügt kein klarer Kopf!

Die Welt aus ihrem Gleichgewichte heben,

Dies möchte jeder, der persönlich denkt.

In Weltgerüsten, die zusammen streben,

Wird alles, was im Ganzen ist, gezwängt;

Was sich nicht fügen laßt, das bleibt daneben,

Und unsere Seelenkreise werden so verengt.

Drum ist man höchstens noch berufen,

Durch schöne Täuschung, die das Herz erfreut,

Die Menschen vorzulocken vor die Stufen

Des neuen Götzen, der in uns gebeut!

Ersehntes kannst Du wohl zur That berufen,

Doch nur Gewänder werden so erneut!

Gelingt es Göttern, aus der Gruft zu schweben,

Empor zu steigen aus dem schönen Sarg,

Durch den ihr Mythos sich noch mag beleben,

Gar lang nachdem die Gottheit sich verbarg,

So müßten auch die Todten sich ins Sein verweben:

Blieb doch in allen uns ihr Bildniß klar und stark!

Mein Gott, wie kann ich mich zu dem Gespenste wenden,

Zu jenem Wesen, das ich voll erfaßt:

Sie fleht zu mir, mit ihren weißen Händen:[19]

»Vergiß mich nicht, bin ich auch jetzt erblaßt,

Als bleicher Schatten müßte ich verenden,

Wär ich nicht länger Deine Leidens Last!«


Kein Gott und keine Sonne kann mich stärken,

Vernichtung, gieb mir wieder, was Du nahmst,

Nein Leben, sag, was ändert sich an Werken,

Die Du doch immer wieder ahnst und ahmst?

Wird Meinesgleichen einst sein Weib bemerken?

Wenn Du uns wieder in Dein Wirken rahmst?

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 13-20.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

Buchempfehlung

Weiße, Christian Felix

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Atreus und Thyest. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die Brüder Atreus und Thyest töten ihren Halbbruder Chrysippos und lassen im Streit um den Thron von Mykene keine Intrige aus. Weißes Trauerspiel aus der griechischen Mythologie ist 1765 neben der Tragödie »Die Befreiung von Theben« das erste deutschsprachige Drama in fünfhebigen Jamben.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon