[Waren dies die Spinxfelsfibern]

[105] Waren dies die Spinxfelsfibern,

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Die da schwollen und erstarrten?

Wars ein Ruck von Weltverschiebern,

Die noch tief in Grotten harrten?

Oder kam ich selbst ins Fiebern,

Als um mich die Berge knarrten!

Welch Gezücht von Ottern, Biedern

Quietschte in den Felsenscharten,

Als aus Höllenschluchtkalibern

Grufteinbrüche sie verscharrten.

Bache sträubten sich und zischten,

Auf und nieder durch Kulissen.

Wo sich Fels und Wasser mischten,

Ward der Strudel fortgerissen.

Eulen, die mit Hast entwischten,

Prallten auf an Hindernissen;

Und ich sah die mörderischten

Szenen jetzt ins Schattenrissen.

Riesengroße Schlangen fischten,

Aufgereckt, nach Leichenbissen!

Aufwärts langten sie nach Beute.

Senkrecht standen sie im Kessel.

Und ich wußte: dies bedeute,

Daß, was todt schien, sich entfessel:

Und bald peitscht die Albspukmeute

Uns mit Dorngerank und Nessel!

Mumien sehn ein neues Heute.

Tod sitz fest auf Deinem Sessel,

Denn, was Deine Hand zerstreute,

Bricht die Raum und Zeitmaaßfessel!

Und als Schlangenhälse barsten,

Da entkrochen Lurchenkröpfen[106]

Nestbesätze mit bizarrsten

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Schwulstentschlüpften Doppelköpfen,

Und die allersonderbarsten

Vögel, mit Gesicht und Zöpfen,

Flogen aus den todtenstarrsten

Mumien auf und Urnentöpfen.

Schlünde sah ich rasch verkarsten

Und im Nu ihr Schreckbild schöpfen.

Felsen zeigten, daß sie leben,

Daß die todtgeglaubten Steine,

Ewig wechselnd, sich erheben.

Katzenklumpen, Riesenschweine

Schienen fast im Sprung zu schweben.

Und im letzten Wonnehaine,

Trat ein Stier auf heilige Reben.

Rosse schleppten Menschenbeine,

Und von Dreck und Aas umgeben,

Schnaubten Hunde Feuerscheine.

Plötzlich klaffte eine Spalte,

Und des Tages gelbe Grelle,

Die ins dunkle Wirrsal prallte,

Bannte uns an Ort und Stelle.

Nur ein Mannestorso ballte

Sich empor mit Riesenschnelle:

In ihm staute und verkrallte

Sich die letzte Lebenswelle,

Und der Glast, der einwärts wallte,

Glich da einem Löwenfelle.

Ja, es krümmten sich und zuckten

Rumpfgestalt und Muskelbänder,

Denn sie alle würgten, schluckten

Unthierspuk und Leichenschänder.[107]

Keine Kopfknaufschwülste guckten

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Wuchernd über Halsstumpfränder,

Denn die Brut von Spukprodukten,

Lang verheerter Unglücksländer,

Schrumpfte ein, und manche duckten

Selber sich im Zweckvollender.

Berge wurden Muskelgruppen.

Rückgratfurchen Gießbachsschachte!

Achselhöhlen Grottenkuppen:

Jedes Ungeheuer brachte

Abfallschnitzel, Wesenschnuppen

Unter, als ihr Herr erwachte.

Knorpeln, Muskeln, Fleisch entpuppten

Stets was ihr Entstehn entfachte.

Drachen, Lurche, Urbrunsttruppen

Wurden, daß ein Arm sie schlachte!

Rings auf albbefreite Länder

Schien der Mittag heiter nieder,

Wolkenberge, Inselränder

Gaben klar die Wollust wieder,

Die das Meer, der Liebesspender,

Aus dem Irisflittermieder,

Rings durch Schleier, durch Gewänder

Und mit Lust und Luftgefieder,

Wallen läßt, als Freudensender!

Und um schroffe Inselglieder

Wand sich eine Strandguirlande,

Und die See, die weiblichweiche,

Spielte mit dem feinen Sande.

Sie, die trug und schimmerreiche,

Schwellte Flittergold zum Strande:

Und da warfen Klippen, Teiche,[108]

Scheine, Splittergold, zum Pfande

[Rand: Der klassische Todtentanz]

See zurück, fürs Gleiche;

Und so suchte, im Verbande,

Jedes, daß es Lust erschleiche!

Aus den Räthselbuchten fuhren

Windgetragene Seegelboote,

Und auf ihren goldenen Spuren

Sah ich, wie die Schönheit lohte.

Volle junge Kraftnaturen

Folgten da dem Lichtgebote,

Fernen, fremden Kreaturen

Nichts zu sein als Liebesbote:

Und ich wünschte, fern auf Fluren,

Glück dem Schönheitsaufgebote!

Rings um Brunnen, klare Quellen,

Wuschen Königskinder Linnen:

Solches Mädchenspiel mit Wellen

Wollte Venus einst ersinnen,

Daß der Busen holdes Schwellen,

Vor der Mädchen Prüfersinnen,

Sich dort spiegeln und erhellen

Müßte, stündlich, vor dem Minnen:

Pracht zur Strahllust zu gesellen,

Ist der Venus Urbeginnen!

Aller Herrlichkeit Vollendung

Sah mein Aug, im Abendglanze

Vor sich stehn, als reife Sendung.

Nackt, mit einem Myrthenkranze,

Ward ein Weib, mit keuscher Wendung

Ihrer Hüften jetzt der ganze

Inbegriff von Schönheitsspendung!

Ach, in einem Todtentanze,[109]

Traf mich plötzlich volle Blendung:

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Helena stand auf der Schanze

Priamus, und Troja brannte!

Und ich sah, wie sich begehrlich

Heldensinn zu Fernen wandte!

Völker schienen unversehrlich,

Als die Not sie westwärts sandte.

War die Fahrt auch grundgefährlich,

Kam man doch um Riff und Kante.

Fehlte auch was unentbehrlich,

Wenn kein Wind die Segel spannte,

Blieb doch Raubsucht unverzehrlich!

Grüne, schmale Länderstrecken,

Zwischen gelben Horizonten,

Silberranken, Städte, Flecken,

Felsenlehnen, die sich sonnten,

Kollossale Gräberrecken,

Ewig stumme Gruftremonten,

Tempel zu Begräbnißzwecken,

Schrecklich starre Festungsfronten,

Sah ich rings das Feld bedecken,

Das mir Träume geben konnten.

Aller Vögel Zufluchtstätte,

Anhalt meiner Trostgedanken,

Reich der Todten, stau und rette,

Was Du kannst, in schattenschwanken

Wunschphantomen: ach verkette

In den blassen Traumesranken,

Jetzt im stummen Spukballette,

Aller jener, die versanken,

Die, die ich so gerne hatte:

Ach, vermöcht ichs, Dir zu danken![110]

Helden wohl nach dem Gebahren,

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Mann und Weib in Brunst verschlungen,

Konnt ich nun genau gewahren.

Just ist Lust ins Weib gedrungen.

Er, bedeckt von ihren Haaren,

Schwand beinah vom Weib bezwungen:

Manneswucht zu offenbaren,

Ist er keuchend aufgesprungen.

Sie ist mit emporgefahren:

Keinem ist der Sieg gelungen.

Tief verschmolzen, brunstbeklommen,

Konnte niemand matt entschleichen,

Zu einander zuckten, klommen,

Beide wonneschauergleichen

Leiber, deren Lust erglommen.

Wieder hat sie seine reichen

Lebenskräfte aufgenommen,

Doch nun mußte sie erbleichen,

Plötzlich war sie weißverschwommen,

Und ihr Fleisch schien zu erweichen.

Und sie hockten alle beide

So verkrümmt, aus Brunstverlangen,

Daß die Blicke, voll vom Leide

Ihrer Lust, mich wild bezwangen.

War ich beider Augenweide?

Galt mein Schmerz und Schauderbangen

Als der Ausdruck nur vom Neide,

Weil sich Schemen hold umschlangen?

Hell erblitzte ihr Geschmeide,

Ihre Augen, ihre Spangen,

Denn nun war sie weiß wie Kreide.

Wieder hat ihr Leib empfangen.[111]

Dennoch wars, als ob er leide:

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Sprühend waren seine Wangen,

Unerschöpft die Eingeweide:

Sie doch blieb, von ihm umfangen,

Ein Skelett im Schleierkleide,

Ihre letzten Gluthen drangen,

Wie durch leichte, bleiche Seide.

Augen und Rubinenschlangen,

Glühten jetzt so schauertrunken:

Alles was ich um mich sah,

Schien ein Streit von Wollustfunken,

Ach, und ich erkannte da

Jener Augen Glühn und Prunken:

Meiner Todten war ich nah!

Wie, sie winkte halbversunken?

Gräßlich war nun was geschah:

Schon zersetzten dunkle Tunken

Antonius und Kleopatra!


Wie bist Du furchtbar hingeschwunden,

Geliebte mein, Geliebte mein,

Wie konntest Du mich so verwunden,

War Deine Seele niemals rein?

Nein, nein, sich so verrucht bekunden:

Der Frevel geht mir nimmer ein!

Als Buhlin jenem dort verbunden,

Soll dies ein Neugierantrieb sein,

Daß ich in grausen Marterstunden

Dich nun verfolg mit Graun und Pein!

Ist dies die Feindschaft der Geschlechter,

Der ewige Amazonenkrieg!

Schon seh ich Männerschaaren, Fechter,[112]

Mit ewigvorbestimmtem Sieg.

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Dort ists, als ob ein Troß bezechter

Mänaden sich durchs Dunkel schmieg:

Und schon durchzuckt mich Brunstgelächter,

Das lang in meiner Seele schwieg.

Auch scheint mir gar nichts folgerechter

Als, daß schon Eins beim Andern lieg.

Nun will das Weib den Mann bezwingen.

Wie es bestrickend ihn umnetzt!

Er muß die Weiblichkeit durchdringen.

Ach, wie der Mann die Beute hetzt!

Nein, beide wollen sich verschlingen!

Der Haß wird langsam abgewetzt.

Der Friede will auch hier gelingen:

Es ist im Urlauf festgesetzt,

Daß Ruheformen jung entspringen,

Wo irgendwas das Maaß verletzt.

Die Schatten seh ich rings verschwinden.

Nun taucht ein Jüngling strahlend auf.

Mein Auge scheint fast zu erblinden,

Als ob es Goldgeflock betrauf.

Wie Knospen langsam sich entrinden,

Entschwellt nun Anmuth jedem Knauf

Der Sehnen, die sich herb verbinden,

Und endlos ist ihr Fleischverlauf.

Des Jüngling Namen will ich finden,

Ich denke nach, wie ich ihn tauf:

Antinous, nicht Bacchus heißt er

Und wird als Ziel emporgeschnellt.

Als Frucht entschwundener, entgleister

Gestalten, die er rings zerschellt,

Ist er versuchsgeburtumkreister[113]

Endzweck, der sich ins Menschthum stellt!

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Wird ein Geschlecht sein hehrer Meister?

Erscheint die Zeit, da er verfallt,

Und andre junge SonnenGeister

Befruchten was sein Maaß erhält?

Leibhaftig sah ich ihn soeben!

Die Einsicht hat ihn mir erhellt:

Weltkräfte, die uns Knorpeln geben,

Die Weiblichkeit, die Busen schwellt,

Die haben sich als Formbestreben,

Zusammen hier als Leib gesellt.

Von Milch der Weichlichkeit umgeben,

Von Mädchenanmuth zart umwellt,

Seh ich den Jüngling keusch erbeben:

Um den Epheben ringt die Welt.

Tod, Du menschlicher Gedanke,

Sag, wann wirst Du ausgewischt?

Was nicht harren kann, das Kranke,

Wann wirds plastisch aufgefrischt?

Werden uns nach wildem Zanke,

Wenn die Rachsucht einst verzischt,

Feste Bissen mit dem Tranke

Seliger Räusche aufgetischt!

Noch erzwingt sich keine Schranke,

Bis der Aufruhr nicht erlischt!

Hier in diesem Herd der Gährung,

Seh ich alles wild vermengt:

Sklaven, ohne Rast und Zehrung,

Werden rasch zurückgedrängt.

Wer nichts suchte als Belehrung

Wurde nutzlos angestrengt.

Wünschte jemand gar Bekehrung,[114]

Weil ihn Todesfurcht bedrängt,

[Rand: Der klassische Todtentanz]

Hat er Urtheil, Gott, Entbehrung

Selber über sich verhängt!

Zwischen rundverzweigten Schienen

Ist der Tod ein Sektorschnitt,

Durchgefurcht durch Brunstlawinen,

Voll bewegtem Lebenskitt.

Hier kann nur Erfahrung dienen.

Sonst hält der Verstand nicht Schritt!

Unter Fratzen, wilden Mienen,

Geht der Tod mit Würde mit,

Doch er ist als Bild erschienen,

Platon ists, der ihn vertritt!

Unfügbar ins Wechselganze

Bleibt das feste Ideal,

Drum gehts auch im Todtentanze

Weiter ein für allemal.

Tod, zu unserm Lebensglanze,

Bist Du selbst der tiefste Strahl:

Larven auch, zum Mummenschanze,

Schenkst Du uns, zur eigenen Wahl:

Gott und Mensch und Thier und Pflanze

Streben aus der Scheidungsqual!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 105-115.
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Das Nordlicht (Florentiner Ausgabe)
Theodor Däubler - Kritische Ausgabe / Das Nordlicht

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