Die Pyramide

[85] »Verwegener was willst Du?

Was peitscht Dich aus der Ruh?!«

Erscholls in meinen Träumen,

Als jähbewußter Schrei.

»Ich kann Dich nimmer zäumen,

Du Lichtbrunst schön und frei.

Ihr Wünsche zu erfahren,

Euch schnellt ein Sonngeheiß,

Die Lust am Faßbarklaren,

Empor zum Bild von Sais!«

Dies hab ich rasch gestammelt,

Als ich Ägyptens Ra,

Vor Tempeln traumverrammelt,

In heiliger Würde sah.

Das Volk war rings versammelt.

Da schien es mir beinah,

Als trügen jene Schaaren

In sich den Urbeweis

Der Kraft des Sonnenwahren

Bis vor das Bild zu Sais.

Dort hockten stumme Beter.

Da drang, nach Art und Weis

Der Krieger, ein Trompeter

Hervor aus einem Kreis

Ekstatisch krampfverdrehter

Erleuchteter von Sais!

Er blies und rief: »Für Väter

Der Gaue schafft ein Gleis,

Ihr andern folgt erst später:[85]

Der erste sei ein Greis!«

Ich aber rief: »Wo geht er?

Daß er um keinen Preis

Vor mir, dem Lichtvertreter,

Den Schleiertand zerreiß?«

Nun hört ich ein Gezeter.

Es heulte das Geschmeiß

Der Weiber, Missethäter,

Besessener zu Sais.

Da lag das Pack in Krämpfen.

Ein Knäul von nacktem Fleisch!

Um Wuth und Brunst zu dampfen,

Schrie Ra durch das Gekreisch;

»Das Heil will Ich erkämpfen:

Verstummt, da ichs erheisch!«

Doch brüllten Weiber, Kinder,

Jetzt stärker und zu Fleiß.

Und Bauern trieben Rinder,

Mit Peitschen, in den Kreis.

Und riefen: »Schmerzverwinder,

Wann hilfst Du uns zu Sais?

Was soll mir Pein und Mühe,

Was Plage, Drangsal, Schweiß,

Zerstampfen Stier und Kühe,

Das eigene Weib, als Geis,

Wenn ich in Fieber glühe,

Am Feld, das junge Reis!«

»Es sollt Ihr armen Bauern,

Versammelt hier zu Sais,

Im Traume nicht erschauern,«

Rief Ra: »Und zum Beweis,

Begründ ich vor Beschauern[86]

Was stets RaArbeit heiß.

Die wird Euch überdauern:

Ihr gebt mir nur den Gneis:

Ein Werk daraus zu mauern,

Wie ich allein es weiß!

Kein Volk wird es betrauern:

Der Welt vermach ich Sais!«

»Wir werden schmähen, keifen,

Bis Du uns nicht erhörst,

Uns fest darauf versteifen,

Daß Du den Alb zerstörst,

Und jammernd Sais umschweifen,

Bis Du den Spuk beschwörst!

Wir schließen einen Reifen,

Und wenn Du Dich empörst,

So wird man sich vergreifen,

Weil Du das Land bethörst.

Versuch nicht zu entkneifen,

Da Du den Strauß verlörst!«

So schrie beim Stadtumstreifen,

Ägyptens Volk vor Sais.

Dies ward ein Johlen, Pfeifen,

Ein wüthendes Gekreisch.

Selbst Kinder sah man kneifen,

Zur Stärkung ihres Schreis.

»Ihr seid zu viele Bauern.

Ich schaff den Priesterstand.

Wenn Träume Euch belauern,

Entschüttelt sie durch Sang

Und gebt mit Felsbehauern,

In einer Riesenwand,

Tief zwischen Felsenmauern,[87]

Dem Schreckgesicht Bestand!«

Dies hatte Ra verkündet!

Wo man sich schlug und wand,

Da war sein Kult begründet,

Im nilgeborenen Land.

Da hat den Glaubensbrand

Wo still der Schlammstuß mündet,

Die Sprache Ras entzündet,

Gott schaffend, gottgesandt!

»Die Widder kommen nächtlich,

Als Spuk in unsern Gau.

Die Zahl ist gar beträchtlich,

Wir sehn sie ganz genau,

Stumm sehn sie und verächtlich

Auf uns, in unserer Au,

Und scheinen unanfechtlich

Bis spät im Morgengrau:

Drum sperr Du sie bedächtlich

Des Nachts in ihr Verhau!«

So rief man: »Ist es rechtlich,

Daß eine große Sau

Mit Ferkeln, mitternächtlich,

In unserm Kürbisbau

Gefräßig und geschlechtlich

Am Dasein sich erbau?«

So mischten mit Emphase

Sich Andere ins Geschwätz:

»Bei uns ist es der Hase,

Der wider das Gesetz,«

Schrie plötzlich eine Blase:

»Uns plagt. Und wie ich schätz,

Frißt er den Kohl im Grase,[88]

Wenn je ich solchen setz!«

»Kein Alb soll Euch entsetzen,

Daß man sich drauf verlaß,

Ich kann ihn grabwärts hetzen!«

Rief Ra begeisterungsblaß;

»Nach seinen Lebensplätzen,

Sucht traumgrau, voller Haß,

Was Ihr mit Axt und Netzen,

Und ohne Unterlaß,

Getrachtet zu verletzen!

Drum zieht nunmehr fürbaß,

Das Thierbild beizusetzen,

Im eigenen Nachtgelaß!«

»Kein Reiher läßt sich fassen,

Wenn ich im Schlaf mich wetz!

Des ganzen Gaues Sassen

Verstricken sich im Netz,

Wo Vögel früh verblassen,

Ob sie das Licht verletz:

Drum sag, wie man Grimassen

Der Nacht sich widersetz?!«

So riefen die Erwerber

Der Landschaft hart am Nil. –

»Und uns umrauscht der Sperber,

Wir tödteten zuviel.

Wir wurden Jagdverderber,

Weils Morden uns gefiel.

Kein Landvolk hauste herber,

Beim grausen Jägerspiel!«

So rief ein starker, derber

Gaustamm mit Aarprofil;

»Jetzt sind wir Rangbewerber,[89]

Mit Hohenpriesterziel:

Sind wir einst Machterwerber,

Bleibt doch der Stand servil!«

Da rief der Kraftverleiher,

Ägyptens Ra: »So seis,

Oh Sperbergau, Du freier,

So komm, ich überweis

Dir Macht und Schutz vom Schleier

Der Gottgewalt zu Sais.

Euch Priester, Prophezeiher,

Euch Wissende umkreis

Der Sperber heiliger Weiher,

Als Sohn des SonnenEis:

Am Mittag aber, sei er

Euch Sinnbild, Hort und Preis!

Ich will, daß man ihn feier,

Verehr und monatweis,

Als Sohn vom Lebensfreier,

Von Ra, der Urkraft, preis!

Ihr Andern kriegt den Reiher,

Und was Euch quält, die Geis.

Die Hasen, Storch und Geier,

Gewährt Euch wechselweis

Mein Gau und Gotteinweiher:

Auch Träger des Geweihs

Bekommt Ihr Bauern, Meier,

Nach Schreck und Zweck zu Sais!«

Nun heulten Männer, Weiber:

»Oh Herr, ein böses Thier

Ist unser Ruhvertreiber!

Doch sind wir alle hier,

Gesellen, Weber, Schreiber[90]

Und flehen fromm zu Dir:

Oh, heile Seelen, Leiber

Vor der Dämonengier!

Wir sind nicht Übertreiber!

Doch glaub, ein Albvampyr

Ist jener Nachtdurchbleiber

In unserm Schlafquartier,

Wir spüren nur den Schrecken,

Wir fühlen einen Druck

Und können uns nicht recken,

So bleischwer wiegt der Spuk.

Ein Sarg will uns bedecken,

Da kann kein Stoß und Ruck

Der Sklaven uns erwecken,

Da ist es, als verschluck

Ein Würgerschlaf, in Sacken,

Den Rumpf, daß er verzuck!«

»Das sind die Todtenlehren!«

Rief Ra gedankenschwer:

»Verstorbene begehren

Die Sonnenwiederkehr.

Sie wollen Euch beschweren:

Begrenzen Euch stets mehr,

Zurück zu sich, zu kehren:

Was langsam im Verkehr

Sich ändern kann, verzehren:

Denn bleibt Ihr wie bisher

Und haltet Ihr in Ehren,

Was heilig ist und hehr,

So könnt Ihr fort Euch wehren:

In ewiger Todeswehr

Wird jung sich das gebären,[91]

Was nie den Stamm versehr,

Dann taucht Ihr in der Rasse,

Als Form, die stets sich gleicht,

Und werdend nur erfasse,

Was ihr die Urform reicht,

Als ewiger Hintersasse,

Empor, wo Gleiches weicht!

Und solche Völkermasse

Erzeugt sich straks und leicht:

Denn, daß Bewehrtes passe,

Bleibt überrall erreicht.

Kein Krieg, geschürt vom Hasse,

Der, bildend, Euch durchschleicht,

Erzwingt sich eine Gasse,

Die Jungformen umdeicht.

So horcht auf Eurer Ahnen

Sichselbsterhaltungsschrei,

Friedförderliches Mahnen

Und Schlafaufwiegelei:

Beschreitet ihre Bahnen,

Macht Euch vom Albdruck frei!

Der Kultus, den wir planen,

Verlängert Eure Reih

Zu Lebenskarawanen

Im Schutz der Wüstenei.

Verbleibt beim Gutgethanen,

Aus Ahnenschwärmerei,

Und steht als Unterthanen

Den RaErstarkern bei!«

So sprach der Gott, da brachte

Ein junger Menschenbund,

In dem der Kult erwachte,[92]

Ein Unthier groß und rund,

Aus einem tiefen Schachte

Vom Fels herab zum Sund.

Beim Tragen überdachte

Sein Rumpf die Männer und

Der Eindruck, den er machte,

War wunderlich und bunt.

Man trug den Unhold sachte

Und gab den Leuten kund,

Dies sei ein Gott und schmachte

Nach Kult am Erdenrund.

Man rief, er übernachte,

Verschrumpft am Grottengrund,

Und wenn auch todt, so trachte

Der hohle, heilige Fund,

Daß ihn der Mensch betrachte!

Trotz Bauch und Leberschwund,

Empfehl es sich, man schlachte,

Für den bezahnten Schlund,

Ein Opferthier und achte

Auf seinen Rumpfbefund.

Und wo man dies erdachte,

Ward man zur Stund gesund!

»Ach Ra, aus Schreckensnächten,

Vom Zorn des Albgottskloß,

Mach uns mit regelrechten

Beschwörungsformeln los.

Bestimm, uns selbst zu knechten,

Wir wünschen den Verstoß

Und wollen nimmer rechten,

Denn unsere Not ist groß!

So hilf den Spuk zu ächten:[93]

Gar schrecklich ist das Los,

Gewürgt von Werggeflechten,

Erstarrt und athemlos,

Verklemmt in Todesschächten,

Zu sinken in den Schooß

Von feindlichschlechten Mächten:

Die Freiheit gieb uns blos!«

So schrien bejammernswerthe

Gepeinigte nach Frohn.

Und Ra, der Gott, bescheerte

Ägypten seinen Thron.

Dem Volk zu Sais erklärte

Er kühn die Sonnvision:

»Das, was ich Euch gewährte,

Wird jetzt zur Religion.

Es sehn die Priester schon,

Daß sich zum Guten kehrte,

Was Euch, zu Spott und Hohn,

Als Alb, den Schlaf verwehrte;

Drum lebe jetzt und wohn,

Wer lang die Rast entbehrte,

In Glück daheim, zum Lohn:

Und Priester und Gelehrte

Bewachen die Nation!

Ihr müßt Euch gleich erhalten!

Drum schafft ein Glaubensbild

Des gutbewährten Alten.

Und Inbrunst kühn und wild,

Laßt rings im Stein erkalten.

Was jung und frisch entquillt,

Mag Eure Kunst gestalten.

Doch was am meisten gilt:[94]

Euch selbst müßt Ihr verwalten,

Wie Ra Euch einst gedrillt!

Dies wird den Kult entfalten,

Und durch ein Lichtgebild,

Bleibt Ihr dann ungespalten:

Der Wechseltrieb gestillt!«

Da war es, als entstamme

Urplötzlich Ra das Land.

Im aufgebrachten Stamme

Geschah nun allerhand.

Da schrie man: »Ra, verdamme,

Was Dir als fremd bekannt,

Und schütz mit festem Damme,

Nur was uns eng verwandt;

Erzwing durch unduldsame

Verbote den Bestand!«

»Ich laß vom Bräutigame,«

Schrie plötzlich brunstentbrannt

Ein Mädchen. »Zieh als Amme

Zum Kalb, das Ra gesandt!«

Befahl dem Weib ein Gatte,

Der eben sich entmannt.

»Oh Vater mein, gestatte!«

Rief jemand überspannt;

»Daß ich Dich neu bestatte,

Der Du in Nacht gebannt!

Ich heb die Felsenplatte,

Vom Grab mit eigener Hand;

Was ich am liebsten hatte,

Das sei Dir zugewandt.

Nun ruh auf anderer Matte,

Da nimm auch mein Gewand!«[95]

Dann war es, als ermatte

Der Grabgestikulant.

Nun wurden lange Züge

Einander stumm gewahr.

Die brachten Eimer, Krüge

Und was ihr Hof gebar,

Den Fruchtpreis ihrer Pflüge,

Spontan zum RaAltar!

Man dachte, es genüge,

Bringt jeder Opfer dar,

Daß sich ein Staatsgefüge

Fest aufbau und bewahr.

Doch änderten die Züge

Der opferwilligen Schaar

Sich rasch, als Ra, zur Rüge,

Nun aufschrie: »Die Gefahr,

Die Gauen droht und Glauben,

Ist stets der Seelengeiz!

Wohl haben Lämmer, Tauben

Für Priester Werth und Reiz,

Doch nie werd ich erlauben,

Daß sich ein Reicher spreiz,

Weil er von üppigen Lauben

Am Felde, allerseits,

Die beste Frucht kann klauben!

Zur Linderung Eures Leids,

Müßt Ihr Euch schwer berauben:

Beim Schwören eines Eids

An Alle, die verstauben,

Wird nur des Ahnenneids

Plagkraft und Wucht verschnauben.

Drum nehmt das Liebste! Weihts[96]

Für ewig Euren Todten,

So lang Ihr lebt und leibt!

Auch Euch wirds einst geboten,

Wenn Ihr Euch jetzt verschreibt

Und thut, was ich geboten!

Der Sohn, der hinterbleibt,

Erhalt Euch mit devoten

Gefühlen wohlbeleibt,

Und frag bei Todtenboten,

Ob Ihrs, wie einstens, treibt!

Im Dasein sich verknoten

Vermag, wer sich beweibt.

Doch das ist ganz verschieden,

So wie es Könige gilt

Mit Freuden, wie hienieden,

Im Westlichen Gefild,

Für ewig zu umfrieden!

Denn Könige sind gewillt

Von allen Unterschieden

Der Stände sich ein Bild

In loser Form zu schmieden:

Drum bergt, was ungestillt

Verloht, in Pyramiden!

Auf Sorgen flüchtig wild,

Legt einen todtsoliden

Sargdeckel, wie ein Schild.«

Da schleppte man die Blöcke

Ekstatisch hin zu Ra.

Auch waren Opferstöcke,

Von überall schon da.

Geschrei und Bocksgeblöcke

Verriethen was geschah.[97]

Die Obern schwangen Stöcke

Und tödteten beinah;

Doch band man sich an Pflöcke

Ganz willig und man sah,

Wie Menschen Kühe, Böcke

Umtanzten, mit Hurrah!

»Laßt Urerfüllungszacken

Als Wunderbau entstehn!

Die schwanken, scharfen Hacken

Der Bilder, die verwehn,

Ergreifen sich und packen

Euch stets beim Untergehn.

Jetzt tragen sie als Nacken

Von Männern, die da flehn:

Kein Albgott soll sie zwacken:

Sie thürmen und zergehn.

Ihr Sein ist Ziegelpacken,

Befehlen und verstehn,

Verunglücken, beim Backen,

Vor Schmerz, das Aug verdrehn!«

Rief Ra: »Fürwahr, das Große

Ist nötig, schon gethan.

Nun lohts vom Erdenschooße,

Empor als Menschenwahn.

Der Schmerz vom wuchtigen Stoße,

Gab Schürung dem Orkan:

Daß man sich schlag, erbose,

Gehört zum Brunstvulkan!

Doch bleibt vom Tagalbkloße

Nichts übrig als ein Zahn.

Beim Aufbau schon Ruine,

Durchweht vom Todeshauch,[98]

Entsteh das Grab und diene,

Beim Werden, als Verbrauch

Des Seins und als Maschine,

Die Sonnwucht knapp verpfauch!

Doch Bauer und Beduine,

Im Bann vom neuen Brauch,

Der Menschen Stromlawine,

Die sich ums Zweckmal stauch,

Das Weib mit Schreckensmiene,

Mit aufgeschlitztem Bauch,

Das gläubig zu empfangen,

Sich wild der Frucht entleert,

Und voller Brunstverlangen,

Die Ahnen, die es ehrt,

Die längst schon heimgegangen,

Als Kinder nur begehrt,

Das sind die Schicksalszangen,

Die ewig unversehrt,

Aus dumpfem Zukunftsbangen,

Urmächtig, unverwehrt,

Scharf ineinander hangen!

In diesem Fall verzehrt

Der Raffzahn der Erfüllung

Sich spurlos nicht und läßt

Des Nöthigen Leibumhüllung

Als Felseck scharf und fest.

Und tiefster Krafwerknüllung

Stumpfwunderlicher Rest

Erstarrt in Stein auf Erden!«

Der Pöbel schien mir Gleis

Und Pläne zu gefährden,

Da blickt ich sehnsuchtsheiß,[99]

Empor aus diesen Heerden.

Inmitten des Geschreis

Stand Ra, mit Kraftgeberden.

Sein Mantel, schwer und weiß,

Konnt nimmer blutig werden

Und zu mir sprach er leis:

»Nach Trübsal und Beschwerden

Berausch Dich nun zu Sais!«


Ach, Fata Morgana der Sagensahara,

Erhabener Abglanz des alten Ägypten,

Ich las Deine Texte von Wandmanuskripten,

Ich wagte und schwankte; da kamen und kippten

Die Tempel, mit Inschriften, um. Und all das da sah Ra!

Da stand Er auf endlosen, schwebenden Treppen.

Ich kniete auf Stufen, am untersten Rand,

Und fühlte des Baues erstarrten Bestand:

Da wollt ich mich lichtwärts zum Taggotte schleppen.

Es warf noch sein Leib einen menschlichen Schatten,

Der fiel über Treppen, als Teppich, herab.

Ich stammelte lange, und bat ihn dann knapp,

Er möge mir Eintritt und Einsicht gestatten.

Dann kam ich zum Schatten. Ich faßte den Saum.

Denn dieser war wirklich, die Treppe ein Traum!

Ra blickte nach Westen und streckte den Arm

Zur Sonne hinüber, die aufwärts gewuchtet.

Der Tag war entstammt und das Dunkel verschluchtet.

Sein Auge ganz klar und sein Athem so warm.

Und Ra starrte schweigsam dem Taggott entgegen,

Der war uns im goldenen Karren genaht:[100]

Kein Wind schien durch Ärmel und Falten zu fegen,

Und dennoch verwehte und schwand sein Ornat;

Auch brauchte kein Wollen den RaArm zu regen,

Nackt ragte er sonnwärts, als Warnung und That!

Da packten gar grimmige Riesen den Wagen,

Der Horus von Osten herüber getragen.

Sie ballten und krallten sich fest an die Räder.

Sie sprühten und glühten und bebten aus Wuth.

Es barst fast ihr rachsuchtentflammtes Geäder,

Da nirgends der Himmel Gewitter entlud!

Nun zogen auch wirklich die gierigen Hände

Der feindlichen Mächte den Wagen hernieder.

Nun wars, als ob alles im Brande verschwände.

Es fanden der Rosse geschmeidige Glieder,

Sammt Speichen und Deichsel und Karre, ihr Ende.

Da öffnete Horus, der Lichtgott, behende

Das flimmernde, herrliche Tagesgefieder!

Zum blauenden Saume verzitterte Iris.

Es trugen des Sonnenballs machtvolle Spannen,

Zerflitternd den leuchtenden RaSohn Osiris,

Aus stammendem Karren der Ankunft, von bannen!

Von Eindrücken, die mich so innerlich packten,

Hat wohl mein Bewußtsein nur einige erhascht.

Wo war ich? In grabpyramidenumzackten

Gefilden des Delta, mit Staub überascht?

Hat Fließen und Branden von Nilkatarakten,

Vielleicht meinen Halbtraum gar stark überrascht!

Ein riesiger Kessel umschloß mich im Kreise.

Auch stand ich so hoch, daß ich Gleise und Reise

Des Stomes in weitester Ferne gewahrte.

Ich sah, wie der Nil sich im Süden zertheilte,

Durch Schluchten schnell eilte, im Sande verweilte,[101]

Sich einte und trennte und abermals paarte.

Doch gab es kein Ende, als glühenden Sand,

Und näher beinah, eine flammende Wand,

Und rückwärts vielleicht einen anderen Brand!

Der Nilstrom schien langsam herunter zu fließen.

Er schlich durch die Wüste in breiter Verschlingung,

Um rasch unter mir dann vorüber zu schießen.

Dies war, wie ein Anlauf zur Aufstiegserzwingung,

Um mühsam den Schlamm in die Höhe zu wälzen

Und endlich empor auf den Abhang zu kommen.

Gar prächtige Vögel auf riesigen Stelzen,

Umzogen den Strom, der die Nordwand erklommen,

Dann schienen sich Haine und Licht zu verschmelzen!

Dies war wohl ein Trug, der am Himmel erglommen?

Oft schien er so deutlich, oft goldrauschverschwommen!

Nun konnt ich den Blick schon zur Sonne erheben,

Zwar tiefer als wir, steht sie nirgends und nimmer,

(Die Warte sei hoch oder meerspiegeleben,)

Doch scheint sie des Morgens der See zu entschweben;

Versinkt sie des Abends im fluthenden Schimmer,

So stehn wir so hoch wie die Pupurgluthbrandung,

In der sie im eigenen Lichtsturm zerprallt,

Denn nur was uns scheint, trägt der Logik Gewandung

Und giebt unserer Urvernunft dauernden Halt!

Ihr Gräberkollosse, symmetrisch und protzig,

Erstarrte Symbole unbändiger Stumpfheit,

Ihr macht mich rebellisch, verwegen und trotzig!

Nur anspruchsvoll, ausspruchslos, dumm fast und klotzig,

Verwahrt Ihr die Mumien in modriger Dumpfheit;

Ihr sagt zwar, daß Völker gar lang, als Barbaren,

Des Stammlandes Wesensart halten und wahren,

Und wenn innere Gluthen den Wechsel entfachen[102]

Und Horden als fahndende Menschen erwachen,

So wuchte die Starrform gespensterhaft nach

Und baue sich Fetisch und Ahnengemach.

Doch ist, was nur ruhn will, verrucht und verflucht.

Die Scholle soll geben. Die Erde muß spenden.

Und wer sie begehrlich, mit Lust, untersucht,

Den will sie mit Schätzen verwirren, verblenden,

Dem wird sie auf Wänden mit Schattenlegenden,

Die Bahnen bedeuten, das Werk zu vollenden,

Um Furcht, von sich selbst und der Menschheit zu wenden!

Sie schenkt und versagt ihren weiblichen Reiz:

Vergiebt uns die Habsucht, doch nimmer den Geiz:

Mir selber verzeiht sie und liebt mich bereits!


Ihr Seelenkrampfkrystalle, todte Pyramiden,

Alte Stillstandsmale, starre Dauertrümpfe,

Wie ist die Menschheit doch von Euch verschieden!

Ich hasse Euch, Ihr starren Urwuchtstümpfe!

Verachtung zoll Euch, Ihr gewaltsstupiden

Albhorte, jetzt die Plebs der Sudelsümpfe:

Ich will, daß gegen Euch, nach Störenfrieden,

Die Nasen störrisch selbst der Rudel rümpfe.

Wer sind die Gäuche, die ich rings vermuthe,

Die gräßlich nun entstehn, daß ich erbleiche?

Vampyrenbrut, Du trinkst von meinem Blute!

So weiche doch, noch bin ich keine Leiche,

Kaum ahnst Du selber Dich eine Minute,

Und schon ists, als ob Dich Lust durchschleiche:

Schon regt sich, was soeben scheinlos ruhte.

Welch neuer Alb erscheint im Mumienreiche!

Es ist, als ob mir Furcht und Muth entfluthe,[103]

Und ringsum Rümpfe zum Gefühl erweiche.

Ach, wie entstehn doch alle Weltenwesen:

Was ist Bewußtsein, was Geschlecht, Verstand,

Was Sitte, Leib und Seelenantithesen,

Wie geht, was sich bekämpft, stets Hand in Hand!

Wie könnten wir von Spuk und Furcht genesen!

Du Sonne, brich der Starrheit Widerstand!

Wozu, mein Ra, hast Du mich auserlesen,

Was wollt Ihr Bestien wuth und brunstentbrannt?

Soeben seid Ihr nichts als Alb gewesen

Und schon erscheint Ihr meinem Sein verwandt!

Die Hälse reckt Ihr überlang vom Rumpfe,

Auch zwangt aus einigen sich bereits ein Kopf.

Dort ists, als ob ein Löwenleib verschrumpfe,

Und seine Mahne flechtet sich zum Zopf.

Zu Klumpen scheinen Stuten zu verstumpfen,

Doch wächst ihnen dafür ein Menschenschopf.

Nach Leben sehnt sich aber wirklich alles:

Die Ruhwucht, Urbrunst des Uräußerrings

Vereint sich selbst, bei des Ellypsenfalles

Vernunftgeburt, und zeugt sich neuerdings,

Beim Umlauf, kraft des Aufwärtspralles

Und der Beweglichkeit des tiefsten Dings,

Und starrt als Schwerpunkt unseres Dogmenwalles!

Und wie im Zauberbanne eines Winks,

Versteinerte nun jedes Thier zur Sphinx

Und reihte sich um mich: und rechts und links

Erblickte ich priapisch steile Obeliske.

Da wars vom Weiberhaltenden, als drings

In weiche Leiber, als fixierten Basiliske

Das Strakserstarrende, zur männlichgeraden Sphinx!

Und taufende von RaOsiris Sonnendisken,[104]

Im Vollbesitze ihres Irislichtgeblinks,

Umschwirrten Purpursphinxe weiter Tempelzonen,

Wie Lichtgedanken zwischen Gluth und Blutvisionen.

Es mußte Ra in solchen Tempelhallen thronen,

Damit sein Ruhbewußtsein sich für uns bewahre,

Und RaGedanken, lauter unsichtbare Aare,

Umkreisten mich im Flügeltakte von Äonen!


Ein Albdruckgebirge, menschmächtig und nächtlich,

Entwuchs nun der Erde und scharrte mich ein.

Sein Sphinxblick nach innen durchdrang mich verächtlich,

Und rings das Gekröse erstarrte zu Stein.

Da schlug meine Seele, ein ängstlicher Vogel,

Ihr weißes Gefieder. Dann schwand mir das Licht.

Die Sphinx ward zum Berge. Ihr Kopfknauf ein Kogel.

Ihr Rumpf wohl ein Thierleib: ein Gott ihr Gesicht.

Und endlich erwacht ich aus Enge und Graun.

Und schlotternde Schatten, verschwommen und braun,

Gestatteten gelbes Gerank zu erschaun.

Gestalten verschwanden und trennten sich, wippten

Wie einst ich sie sah, nun in schweflichem Glanz.

Da rief eine Stimme: »Erwach in Ägypten!

Germane, verträume das Träumen beim Tanz!

Verschling, die vom Nektar der Traumgötter nippten,

Und stehe dann fest und gehöre uns ganz!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 85-105.
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