Lothos

[127] Ich liege im Kahne und fahre nach Theben

Und sinne, wie Dinge sich sorglos verweben,

Es träumt und es lächelt ein Mädchen daneben,

Sie schläft nun, da Winde sich kühlend erheben.


Die schwellenden Segel entschleichen der Stille.

Der Mondschein belichtet die Palmen am Nile.

Was hascht durch das Wasser, vielleicht Krokodille?

Es plätschern die Wellen jetzt silberne Spiele.


Die Mystik der Stille scheint Träume zu wecken:

Auf riesigen, schimmernden, schwimmenden Strecken

Sich suchender Fluchen, die Wirbel verstecken,

Die silberne Zungen des Schweigens belecken,


Kann leise der fiebernde Lothos erwachen.

Nun will seine Fülle Lichtblumen entfachen

Und mag, überblühend, die Kelche mit schwachen

Lichtkronen umgaukeln, die schaukelnd verflachen.


Der Nil überschwemmt bald mit Schlamm alle Saaten.

Gefunkel bedrängt schon verdunkelte Watten,

Wo Flußpferde schnuppern und uferwärts waten:

Sie scheinen gestockte, verknorpelte Schatten.


Du Mädchen im Kahne, Du kindliche Seele,

Dein Mund, der Traumtrautlichkeit bebende Schwelle,

Durchhaucht meinen Athem, ich trink ihn: die Kehle

Durchsickert die frische, gluthpurpurne Quelle.


Und Küsse auf Küsse entblühen dem Munde,

Ich plündre Dein Wesen in glücklicher Stunde,[128]

Und laß nur die Seele, als blutende Wunde,

Die Lippen, geschwellt zu gluthüppiger Runde.


Du Kind, überreich noch an Lust und Begehren,

Dein wohllüstig Wesen muß heut sich verzehren,

Drum schweele es Freuden, die Freuden gebähren,

Bevor es Gedankengewitter verheeren.


Schon staut sich das Dunkel ringsum zu Ruinen,

Mit Strahlenkonturen und tragischen Mienen,

Von rückwärts von bleiblauem Mondlicht beschienen:

Dann senken sich plötzlich schwarzfinstere Lawinen.


Die Sterne zerflackern in rauchrothen Gassen,

Und Gluthzungen seh ich nach Nilbeute haschen,

Doch decken die Fackeln noch Hafendammmassen,

Bis Nachtkatarakte mich rasch überraschen.

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 127-129.
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