[Das leiderlöste, fieberfreie Weltenfeuer]

[589] Das leiderlöste, fieberfreie Weltenfeuer,

Die Ewigkeit, die wir durch Flammenkronen fassen,

Durchstrahlt die Nacht als nordeneigener Glanzverstreuer.


Ich wähne seine Sichtbarkeit in blonden Rassen:

Oh Feuer, das die Seele und den Leib erhellte,

Wo Du den Geist durchglühst, da muß der Tag erblassen!


Du goldenes Ruhebett im Raum der Todeskälte,

Schlag auf die Prachtgardine aus vereisten Gluthen

Und zeige uns den Wahrheitskranz am Jenseitszelte.


Du laßt uns eine Himmelshierarchie vermuthen.

Wir Menschen trachten sie auf Erden nachzuahmen,

Doch läßt die Eigenniedertracht uns dran verbluten.


Das Ordnungswollen schürt den Brand von Königsdramen:

Die Hoheit der Gedrückten fordert freie Staaten:

Durch Gottes Zucht und Liebe darf kein Haß erlahmen!


Doch reisen in der Seele hold des Sohnes Saaten:

Die kalte Gluth des Weines hat uns jung verbunden,

Zufriedene Ewigkeit entflammt die LammAgnaten.


Die Gluth in uns verführt, das Fremde zu erkunden:

Das Muttermeer will alle Geisterschaft entrollen,

Wir sollen fern der Sonnenwunden frei gesunden.


Das Meer empfängt und klärt die Gluth der Schollen:

Der Geist, der Weltideen durch uns selbst bethätigt,

Bewegt dabei der Wogen volles Wolkenwollen.


Du Glanzschrift, die um beide Pole Gott bestättigt,

Wann kommt der Tag, da Du die Innennacht erleuchtest!

Mein Lamm, wann sind die Sucht und Fluchwölfe gesättigt?
[589]

Doch Geist, da Du die Purpuradler nicht verscheuchtest,

Und weil die SeelenSee das Eroige uns blos spiegelt,

Bin ich ein Sklave, den Du, Gnadenhauch, befeuchtest!


Solang die Welle ihre Schwester aus dem Grunde wiegelt,

Und noch Geburt und Tod die Leiblichkeit begrenzen,

Hat unser Urgefühl kein Räthselbuch entsiegelt!


Ich sehne mich nach ewig jungen SeelenLenzen,

Und wo ich einem Sonnenwunsche frei entsage,

Fühl ich in mir die gute Muttergluth erglänzen.


Die Sonne ist die Antwort auf die Doppelfrage:

Was ist die Ewigkeit? Und was erhält die Maaße!

Die Waage aller Bildung tritt aus uns zu Tage.


Das Licht der Sonne schafft sich jede Lebensstraße:

Den Wechsel sollen wir mit heiliger Zucht ertragen,

Doch heitere Mittagsnachsicht treibt uns bald zum Spaße.


Und kann die Sonne fast die Dauer überragen,

Und so das Licht, das uns entschlummert, hier vertreten,

Glimmt hinter Arbeitstagen auch der Ernst der Sagen!


Die Sonne widerspricht dem Zwang sich zu verkneten.

Ihr Licht umarmt die Gluth, die sich durchs Dasein windet:

Die Ewigkeit erdämmert in den Polkometen.


Die Sonne schafft den Pfad, auf dem man Gnade findet.

Da man das Urlicht, nach erfüllten Sonnenpflichten,

Als die allgegenwärtige Liebesmacht empfindet.


Die Zeit ist Selbstverständlichkeit von Lichtgerichten,

Die, weiter sich vertiefend, sich auch selbst vernichten,

Und Schönheit ists, ein Ziel in Fliehendes zu dichten!
[590]

Du Gluth, die es vermag, den Urdurst zu beschwichten,

Du bist das Wort, aus dem der Schöpfungstag entstanden:

Und auch der Rechtspruch, um die Weltzwiste zu schlichten.


Du bist das Freiwort, nicht die That, in Kraftmaaßbanden!

Ihr Flammen beider Pole seid die Erdgeistschwingen,

Die Lebensfieber, die im Friedensjenseits branden.


Ihr Weltbrandadler, laßt uns Adel frei erringen:

Ihr sagt: es mag der Mensch die Folgenangst verachten,

Wodurch im Überschwang die Nothketten zerspringen.


Begrüßt die Glaubensgluthen, die in uns erwachten,

Denn unsere Reinheit kann der Zwang nicht mehr begreifen

Und auch die Dauer und den Ruhm nicht tief betrachten.


Drum macht Euch frei von allen Nutzsuchtunterschleifen:

Der Frohgang der Natur steht unter Gottes Würde,

Ihr habt im Herzen keine Weltbegrenzungsreifen.


Das Lamm gehört zu keiner Sonngefolgschaftshürde:

Die Gnade, die es ausstrahlt, kann uns stets erreichen:

Die Zukunftsfurcht an sich ist unseres Daseins Bürde!


Die Gluth in uns versucht es, Gluth Dir anzugleichen:

Um flüchtige Sonnenwünsche lege Urlichtzügel:

So wird im Geist das Reich des Scheines sacht verbleichen.


Dann spannt die Seele ihre bunten Nordlichtstügel

Schon jetzt leibhaftig auf und athmen kalte Flammen:

Bewerthe jede That durch Deines Wesens Siegel!


In Weichgefühlen darf das Wollen nicht verschlammen:

Was ewig aus Dir hallt, versuch es klar zu prägen,

Den Lauten horche, die dem Lautergeist entstammen.
[591]

In warmen Sonnenstrahlen glüht des Vaters Segen.

Im hohen Norden flackern seine Strafgewalten;

Aber der Sohn begrüßt uns schon auf trauten Erdenwegen.


Die Gluth jedoch, die wir in unserer Hut verwalten,

Der Geist, durch den die Wahrheit sich kann offenbaren,

Und Der nun herrscht, verneint der Götter Machtgestalten.


Er ist bereits ein Feind des Sichtbarwunderbaren.

Er ist ein Donnerwort: der Geist, doch nicht die Stimme!

Er zuckt als Lamm! Er kreist nicht in Prophetenaaren.


Wer fühlte nicht sein Himmelsleid im eigenen Grimme,

Den Schmerz des Weltheils, wenn wir es gefährden!

Es strahlt der Geist, daß Liebe rings erglimme!


Doch ist die Welterkenntniß Gottverflucht aus Erden.

Die Gnade aber kann selbst dem Verstand verzeihen.

Durch Urlichtmitleid wird der Stolz gerettet werden.


Die Innengluth mag unserm Leibe Huld verleihen.

Den Fruchtgenuß vergiebt die Liebe jedes Paares.

Die Pfingstflammen beginnen Fleischfreuden zu weihen.


In allen Tagesthaten stammt ein Ewigwahres.

Und wo es Gott ersehnt, dort kann es ihn erlangen:

Der Satan stahl es zwar, doch Gottes Wort gebar es!


Die Gnadenstammen seh ich allwärts prachtvoll prangen.

Der Geist hat den Naturzwist sieghaft überwunden,

In der Dreieinigkeit ruht alles Urverlangen.


Die Erde brennt aus tiefen Lebenswunden.

Polarlicht überstrahlt den Athem des Planeten.

Die Scholle kann des freien Geistes rein gesunden:


Der Mensch wird Gott und Gottessohn im Geist vertreten!


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 589-592.
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