[Es schweben jetzt in sich erhellte Engel stille]

[364] Es schweben jetzt in sich erhellte Engel stille

Herbei, um meine Nachtvision zu klären.

Der Friede quillt aus jeder englischen Pupille,

Und Christi Schmerzen spiegeln sich in ihren Zähren.
[364]

Sie stehn, soweit die Einsicht reicht, in bleichen Reihen,

Wie Pfeiler einer Nebelkirche streng zusammen.

Die einen scheinen weiche Scheine zu beschneien,

Von andern mag das Licht vom eigenen Herzen stammen.


Die weißen Engel bringen frische Stengellilien,

Von Himmelswiesen, für die keuschen Kinderseelen,

Und singen lieblich ihre Hymne an Cäcilien,

Die andern tragen Prachtzibarien voll Juwelen.


Ein goldener Pollenstrom entflockt aus allen Kelchen,

Und aus den Erzgefäßen nebeln Glitzerthränen.

Nach welchen Dütenblüthen oder Wehmuthsquellchen

Der Schicksalsschalen darf sich bang die Seele sehnen?


Ich ahne nichts und darf kein Glück zu wissen haben,

Der Anblick solcher Pracht allein ist voll Erfahrung,

Denn was ich fühle, kann mich gleich bei Geistern laben,

Und wahrlich, wahrlich, da gebricht es nicht an Nahrung.


Hab ich die Sinne noch? Ist dies noch Lichtgeflimmer?

Ich kann noch Katharinas Marterrad gewahren!

Ihr Jungfraublut durchstrahlt mich wie Rubinenschimmer,

Und Rosenduft mag sich zugleich mir offenbaren.


Ganz als Granatenstrahlen und als Bernsteinschnüre,

Und dann als wunderbare Gluthrubinendrusen

Durchschauern mich der Heiligen Blutgeschwüre:

Die Wärme ihrer Farben drängt sich an den Busen.


Dufthauche, wie von Heliotrop und von Reseden,

Umspielen meine frischbelebten Fieberschläfen:

Die Lippen küßt ein reiner Kindermund aus Eden,

Wo wärs auf Erden, daß sich solche Reize träfen!
[365]

Ich höre nun die sieben Weiber leise singen:

»Oh sanftes Lamm, der Schwingenstier und Flügellöwe

Vermögen es, bis hin zu Deinem Licht zu dringen,

Und ich umflattre Deinen Strand wie eine Möve.


Ein inneres Bangen läßt uns nicht zu Dir gelangen:

Oh Herr, laß uns die Furcht auf Erden überwinden:

Ich möchte meine Pilgerfahrt sogleich anfangen,

Oh laß uns, Jesus, tief den Martermuth empfinden!«


Es bilden jetzt die Engel sieben Dornenkronen,

Aus goldenem Ode sind sie sonderbar geflochten,

Sie scheinen aus Zitrinen oder Kalzedonen

Mit Disteln drin, und oft mit Blutlichtdochten,


Die leise glimmen, tief und wunderbar gestaltet.

Als Meeropalhalbkugeln voller Chrysoprase,

Als Quallenhaupt, aus dem sich eigene Gluth entfaltet,

Versinnbildlicht sich mir die Marterparaphrase!


Die eine meiner lieben Glaubensfrauen

Nimmt Abschied jetzt von ihren trauten Schwestern.

Für sie fängt nun das Geisterreich an zu vergrauen.

Sie hört nicht mehr den Strom von Gottes Sternorchestern.


Schon heißt sie Katharina jetzt, die Keusche.

Sie will die Pilgerfahrt auf Erden fromm antreten.

Sie mischt sich unter Menschenbrunst und Sinnesräusche,

Doch folgt sie unten blos den großen Heilspropheten.


Jetzt höre ich die Schwestern, wieder sieben, singen,

Und sehe auch zugleich, was ich als Lied vernehme:

»Maria, laß Dir unsere Schönheitshuldigung bringen,

Wir preisen Dich in Deinem Schmerzensdiademe.
[366]

Oh Jungfrau, als Du uns den Heiland hast geboren,

Da gab der Himmel seinem Kinde Lichtgespielen,

In Bethlehem hat er die Säuglinge dazu erkoren,

Es waren jene, die Herodes Wuth verfielen.


Der Erde raschentraffte Kinderseelen mußten

Dem Mensch gewordenen Gottessohn zur Seite stehen,

Auch heute merkt man, wie sie die kaum durstbewußten

Bettbengelchen als Tandelengelein umwehen.


Zu Weihnachten umstehen sie im Purpurscheine,

Im tiefsten Innerlicht des einigen Marterblutes,

Oh Gnadenjungfrau, Dich, Du holde und Du reine:

Nun segnet uns Dein Kind, auf Deinem Schooße ruht es!


Es ist so bleich wie Du. Ihr scheint ein Mondgebilde.

Des Kindes Röthe wird vom Engelkreis vertreten.

Aus Dir, oh Mutter mit dem Kind, strahlt Silbermilde!«

Und wirklich, mein Gesicht kann, was geschieht, anbeten.


Ich singe mit: »Oh Jesuskind, Du kannst nur Güte

Aus Deiner Mutter Apfelbrust für uns eintrinken:

Oh Jesuskind, daß Dich der Herr für uns behüte!

Aus Deinen Augen seh ich bessere Welten blinken!


Maria mit der stolzen Siebenperlenkrone,

Im Schleierkleid aus keuschem Menschenherzgebeten,

Du herrschst im Mondlichthermelin am Liebesthrone,

Dein Schimmerwellenpelz verwebt sich mit Kometen!«


Jetzt tritt aus der Gemeinschaft, der ich selbst entspringe,

Und die ich rings um mich in stiller Pracht gewahre,

Ein Heiliger mit einem Amethystenringe,

Ein Bischof, auf mich zu und sagt: »Erfahre:
[367]

Ich bin das Wesen Augustini. Wisse

Von der Mission, die mir und Dir der Geist gegeben.

Ganz Afrika sammt Asien fallt ins Ungewisse:

Oh Bruder, beide müssen wir darob erbeben.


In Alexandria und in Karthago haben

Des Vaterlandes Gnadenflammen ausgeflackert:

Oh weine nur, vermögen Thränen Dich zu laben,

Bald wird der Heimathsstrand vom Antichrist beackert.


Es wird das nordische, gottlose Rom, als Festung

Der ganzen Christenheit, dereinst die Welt bezwingen,

Im Süden wüthet dann die heidnische Verpestung:

Das Kreuz muß dennoch klar zu allen Herzen dringen!«


»Ich bin ein Prinz aus Kapadozien und beweine

Die ganze Erde, die Natur, die Gott verfluchte!«

Entgegne ich: »Und nicht allein Altasiens Haine,

Es dauert mich das Weib, das Fleisch und die verruchte


Handarbeit: selbst das Tischlerbeil von Christi Vater

Wird lange noch, wie ich es weiß, verachtet bleiben:

Der Heiland war so gut, für alle Dinge bat er,

Er konnte Baal Zebub überall austreiben,


Doch seinem Vater folgend, läßt er noch entgeistert

Und heidnischunrein die Natur zurück in Sünde:

Wahrscheinlich, daß der Tod, vom Menschen einst gemeistert,

Vor Gott und ihm ein leibliches Verdienst verkünde!«


»Mein Bruder, Du und andere Helden sind berufen,

Von ihren Ungeheuern die Natur zu saubern:

Die Krumen, die sie trotz des Kreuzes jung erschufen,

Sind schuld daran und drum verflucht von Ruheräubern,
[368]

Von Geisternebeln, Albgestalten arg gepeinigt,

Und selbst besessen noch zu sein!« Entgegnet bitter

Karthagos heiliger Sohn: »auch wird der Mensch gesteinigt,

Der sich zum Licht bekennt, als Kreuz und Heilandsritter.


Du weißt, Du wirst den Wasserdrachen einst erschlagen,

Dem Ungeheuer, das den Menschheitsweg verlegte,

Sofort, kaum daß der Tag erscheint, zu nahen wagen,

Da sich Dein Wesenswerden einzig dazu regte.


Oh Bruder mein, im Geiste, siehe die Gemeinschaft

Des Christenadels, bald wirst Du ihr angehören:

Und da der Mensch sein Werk mit Geistern im Verein schafft,

So wird er schließlich jedes Götzenbild zerstören.


Dereinst vergiebt der Heiland jede Erdensünde!

Dann wird das Fleisch der Todten auferstehen.

Jetzt öffnen sich für Dich bereits die Grabesschlünde:

Das Gnadenwunder wird sogleich mit Dir geschehen!«


»Wahrhaftig, Gott mein Gott, jetzt bin ich Mensch geworden!

Aus tiefster Tiefe ist mein Leib empor gestiegen.

Mich fröstelt, Herr! Ich habe Furcht: man kann mich morden!

Man haßt mich da, oh lasse mich als Mensch entfliegen.


Jetzt bin ich nicht ein Geist, der sich mit Od behaftet,

Um plötzlich als ein Meteorstrahl zu erscheinen:

Ihr Menschen, die Ihr mich beim Sturz begafftet,

Jetzt bin ich ganz wie Ihr, so kommt Euch auszuweinen!«


Ich merke keine Heiligen, um mich, im Kreise.

Ich sehe, völlig Mensch, die Sterne rings am Himmel.

Nur Augustinus zeigt sich sonderbarerweise:

Wahrscheinlich tritt er bald ins menschliche Gewimmel.
[369]

Ich höre ihn: »Oh laß Dir, Mensch, den Schweiß abwaschen.

Du hast voll Tapferkeit fürs heilige Kreuz gestritten,

Du ließest Dich von keinem Feinde überraschen

Und hast für Jesum, schon vor ihm, gelitten.


Die Thränen, die Du weintest, sind zu Gott gestoßen.

Im Geist, mit uns vereint, wirst Du die Erde schützen.

Das sündige Weib und seinen brünstigen Fleischgenossen

Wirst Du, vor Gottes Thron, voll Güte unterstützen.


Die Freiheit aller, auch der Schwachen, sollst Du fördern,

Daß jeder, froh, dem Gottessohne Ehrfurcht zolle.

Ich übergebe Dich, zum Zweck, den Christenmördern

Und taufe Dich katholisch: Georg, Sohn der Scholle!«


Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 364-370.
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