[Ich sage fanatisch: Ihr Huren und Memmen]

[337] Ich sage fanatisch: »Ihr Huren und Memmen,

Ihr dürft die Dreieinigkeit nimmermehr nennen,

Den Fluchausspruch brauch ich in Euch nicht zu hemmen,

Ihr werdet gar bald Eure Gluthbrunst ausrennen.


Die Wabe der Gnade wird bald am Gestade,

Dort jenseits der HeiligenGeistSee entflammen,

Dann tanzt hier fürwahr keine Ronachmänade,

Denn Jahwe wird grade Altasien verdammen!«


Jetzt wirft sich mir Papias ekstatisch entgegen:

»Ich habe einst Simon den Magier gesehen,

Auch der zog mit Helena frei allerwegen,

Und nie ist den beiden ein Unheil geschehen.
[337]

Und mein Protoplastevangelium wird immer,

Solange das Weltall besteht, einzig gelten,

Erfaßt Du es nicht, nun gut, desto schlimmer

Für Dich, unsere Gegner sind hier bereits selten!«


Doch siehe, es wagt es kein Mensch mir zu nahen,

Hingegen zerfleischen sich selber die Horden,

Fürwahr, nie wars klarer, daß Wunder geschahen,

Als da und ich sage: »Gluthwogen umborden


Soeben das Ufer vom riesigen Nordmeere:

Und seht, Eure Leiber durchgischtet die Geilheit

Der prachtvollen Wabe: hier wirft alles Hehre

Aus sich einen Rauschschaum und prallt von der Steilheit


Der Wasserwand abermals einwärts ins Gluthmeer,

Der schrecklich erregten, gehetzten Volksseele:

Und bald wißt Ihr niemand, vor furchtbarer Wuth, mehr

Was gut sei zu glauben und recht zu erwählen.


Es ward einst vulkanisch der Stamm der Ägypter,

Aus Westen, herübergeschleudert: und Isis

Ward damals bereits aus der Gluth umgekippter

Felsriesen, im Krampfaugenblicke der Krisis


Und Volksgottkatharsis, sammt Chnun aufgelesen:

Doch schwand sie bald wabebang hin: selbst in Theben,

Dem Gluthursprung naher, verstand man ihr Wesen

Kaum mehr, als im Delta, nach jenem Erbeben.


Doch als Indias Wabe das Nilthal erfaßte,

Der Tag kam auch da, in sein Lichtsein zu schauen!

Da saht Ihr, daß Ra, Ptah sammt Amon erblaßte

Und suchtet aus Gluth Pyramiden zu bauen.
[338]

Der Stammartserinnerung ist Isis entfliegen,

Und wiederum ward sie in Tempeln gefeiert,

Und alle die Weiber, die tanzend sich wiegen,

Ob nackt, ob in Purpur, ob lieblich verschleiert,


Sind nichts als die Priesterschaft jener Brunstfürstin.

Ihr opfert die Griechin: die Christin hingegen,

Sucht Jesum und ruft schrill, es dürst ihn

Nach leiblicher Liebe, und will sich aufregen.


Doch das ist die Brandung unglaublicher Gluthen,

Bald wird sie sich jenseits des Meeres zerstreuen,

Das Urfeuer nimmer aus Märtyrern bluten,

Der Heiland sich drüben des Sieges erfreuen!«


»Oh sage,« fällt Papias mir rasch in die Rede:

»Hat Ino von Thalamae solches verrathen?

Ich gebe nicht viel auf ihr Tempelgerede!

Verplapperte Isis den Zweck ihrer Thaten,


Gestand Dir Vulkan seine tückischen Ränke!

Du hast wohl in Memphis im Tempel geschlafen!

Dort träumt einem oftmals, für Opfergeschenke,

Im Arme der Gottheit, von furchtbaren Strafen,


Mit denen die Nemesis jeden Feind züchtigt –

Doch glaube nicht dran, das thun dumme Theurgen,

Ich kenn einen Magierschlund, tief und berüchtigt,

Dort zeigte mir Simon sein Weib in zehn Burgen!«


Gar traurig sagt Papias jetzt weiter: »Erfahre,

Auch ich bin dereinst fromm und Bischof gewesen

Und lag für die Christen bereits auf der Bahre,

Doch konnt ich durch Simon noch einmal genesen.
[339]

Dann ward ich ganz heimlich ins Nilthal getragen

Und härte von Simon, was Christus bedeute,

Dann sing ich an, selbst meinen Geist zu befragen

Und was ich ergrübelte, glaub ich noch heute.


Es sucht sich was liebt, fest zusammen zu halten,

Doch Wachsthum zum Lichte bedingt die Askese:

Ins Dasein voll Brunst soll man frei sich einschalten,

Und nur die Enthaltsamkeit schafft die Auslese.


Doch wisse, das Feuer, das Christum erzeugte,

Strahlt heute urheiter ins Antlitz des Lichtes:

Der Fluch, der das Weib vor dem Mann herabbeugte,

Verblich mit dem Grund unseres Liebesverzichtes.


Die Kette der Liebe ist wieder geschlossen:

Das Weib kann die Gottheit im Manne berühren,

Es ist durch den Heiland zu ihm aufgeschossen

Und darf auch, aus Liebe, um Seelenlust küren.


Das Licht und die Erde sind freundlich verbunden:

Der Mann wird das Satansweib schamfrei umfangen,

Denn wahrlich, die Schlange ward ganz überwunden,

Jetzt darf jeder Engel an Jahwes Hals hangen.


Die sinnliche Liebe ist wirklich gereinigt:

Das Fleisch ist bereits von den Todten erstanden,

Denn Sünde und Tod, schon seit Adam vereinigt,

Gehn beide bereits durch die Heilkunst abhanden.


Der Gott, der im Manne die Erde beschreitet,

Hat stets durch den Sohn seine Frau angezogen,

Der Sohn ist der Phallus, und den da begleitet

Das Weib, das für ihn sich um Eden betrogen!«
[340]

»Es lebe der Phallus!« beginnen im Chore

Die Weiber zu singen: »wir sind nicht vernünftig,

Wir dienen dem Phallus, als Fallmeteore,

Es lebe der Phallus, denn er herrscht zukünftig.


Wir loben den Sohn des lebendigen Gottes,

Das Glied, das uns ganz mit dem Manne vereinigt,

Wir führen ein frommes, gottseliges, flottes

Brunstdasein, und wer uns bedroht, wird gesteinigt.


Wir feiern die Nacht, da der Heilstern erschienen,

Wir lieben die Sterne, die zitternd ersterben,

Wir gleichen den blumenumschwärmenden Bienen

Und wollen um Wollust und Schlummerwohl werben.


Wir wirbeln, dem Winde gleich, wild um uns selber,

Wir baun in die Mitte die Sehnsuchtsaltare,

Und packt uns ein Schwindel, durchzuckt uns ein gelber

Brunstfunke, damit sich die Lust offenbare,


Dann fallen wir Mädchen, wie Schnuppen, ins Dunkel

Der männlichen Seelen, und nachtschwarze Haare

Bedecken die Leiber, und Seelengefunkel

Und endloses Küssen vereinigt die Paare!«


»Ihr Weiber, Ihr Weiber!« beginn ich mit Strenge:

»Ihr dürft nicht den Heiland mit Isis verwechseln,

Aus Jesu strömt Freiheit und keine Brunstenge,

Ihr Hexen laßt nimmer ein Zapfenkreuz drechseln.


Hinweg mit den Kapseln und Abrarasgemmen.

Ihr seid nur des Bacchus verruchte Manaden.

Es ist meine Pflicht, Eure Unzucht zu hemmen,

Um nicht Christi Fluch auf uns alle zu laden.
[341]

Und Du, alter Papias, verlotterter Schwärmer,

Ich habe noch niemals bei Götzen gelungert!

Und bin doch trotz allem an Einsicht nicht armer

Als Du und wer sonst noch nach Weltweisheit hungert.


Du weißt es, der Heiland braucht keine Asketen:

Und haßt die gewaltsamen Brunsteruptionen.

Das Fleisch ist ihm gleich: der Tod kanns zertreten:

So fröhnt ihm, vermögt Ihrs, die Seele zu schonen!


Doch seid Ihr ihm ähnlich, fast brunstfrei geboren,

So wird es Euch leichter, den Geist zu ernähren,

Doch völlig für Gott und sich selber verloren,

Sind jene, die niemals die Fremde begehren.


Ihr habt nicht viel Zeit, Euch zusammen zu halten,

Ihr dürst, was Euch eigen ist, ewig durchfühlen:

Drum trachten die Jahre, das Gut zu verwalten,

Und laßt nicht die Wünsche im Wechselspiel wühlen.


Das Weib ist gerettet! Doch ernster und schwerer

Bleibt vorläufig noch seine Seelenerhaltung.

Verrucht ist der Leichtsinn: drum Weib, der Verklärer

Erwartet von Dir strenge Geist und Leibspaltung.


Vergeßt nicht, Jehovah wird immer noch strenger

Und nur durch die Liebe des Sohnes gemildert,

Ihr selbst wäret nichts, als die ersten Anfänger

Des Menschensohnreiches, und seid schon verwildert!


Ich weiß wohl: die Wabe in Euch schäumt zu kräftig

Empor, um die Gnade von Jahwe zu fassen,

Hier brandet das Feuer wahrhaftig zu heftig

Und muß, anstatt Gott zu umarmen, schal prassen!«
[342]

Jetzt scheint ein Tumult ringsumher zu entstehen.

Ich greife zum Schwert, um mich leibhaft zu wehren.

Doch mag sich der Tanz um was ganz andres drehen,

Denn alles fängt an, sich jetzt rasch umzukehren.


Ich sehe im Umkreise lichtblaue Schatten.

Dann nackte Gestalten, mit Schlangenglastfackeln.

Wa schleicht da herbei! ach, das sind Wasserratten!

Was giebts da! Der Mastenwald fängt an zu wackeln.


Jetzt faß ichs: man will uns die Christinnen rauben.

Schon hört man die Weiber und Fleischräuber kreischen.

Es mag jedermann eine Jungfrau aufklauben,

Und glaubt dreist, er darf seine Helena heischen!


Ich lasse den Menschenknäul raufen und pfauchen:

Die Wuth dieser Weiber wird sicherlich schneller

In fremden und kälteren Ländern verrauchen,

Ich bin ja doch selbst dieser These Aussteller.


So bleibe ich da und beschau mit Behagen

Das spaßhafte Schauspiel der raufenden Frauen

In tausend Bauchlagen und auch Unterlagen,

Die schnaubend mit Fäusten aufs Räuberpack hauen.


Doch fängt ihre Wuth langsam an zu verschnaufen.

Ich merke es rasch an den lüsternen Mienen.

Jetzt scheinen die lichtblauen Mäntel und Haufen

Von Leibern, wie Wellen im Spiel mit Delphinen.


Das fletscht und das schlängelt sich hin zu den Schiffen.

Und alte Mänaden, die niemand bedrohte,

Entschließen sich rasch zu Gewaltübergriffen

Und packen Epheben und stürmen die Boote.
[343]

Es treiben bereits viele Schiffe am Meere,

Und Glastkörper flimmern ringsum auf den Masten,

Noch setzt sich im Hafen kein Wächter zur Wehre,

Drum braucht auch das Räubervolk gar nicht zu hasten.


Jetzt sind wohl die Barken schon allesammt draußen.

Gar wunderbar glitzern die vielen Schiffslichter.

Ich höre auch wieder die Seebrandung rauschen,

Denn weg ist das ganze erregte Gelichter.


Doch prächtig und grell sind der Maststerne Tanze,

Ich träume mit ihnen, als ferner Beschauer,

Verdunkelt sind alle Nachtstrauße und Kränze,

Nur dort glimmt, oh Schauer, der ganze Kentauer!


Nun stürmen aufjauchzende Jünglinge wüthend,

In nilgrünen Hüllen, hinüber zur Düne:

Nur einer hat Glück, einen Schützling behütend,

Verwünscht er die Flüchtlinge, kündigt er Sühne


Und furchtbare Strafen für alle Schreckthaten

Dem Schiffervolk an, das die Frauen fortraffte.

Die anderen fangen jetzt an zu berathen,

Obs irgend was gebe, was Barken herschaffte.


Verzweifelt beginnt man auf Christum zu schimpfen

Und meint, er sei schuld, wenn das Diebsvolk verrohte,

Und würden die unzüchtigen, flüchtigen Nymphen

Nicht wieder zurückkehren, gebs Christentodte!
[344]

Ein Wunder geschieht: Haufen heidnischer Weiber

Entspringen Bordellen, Brautzimmern, Kemnaten

Und geißeln sich selbst und die bleichen Zutreiber,

Und schließlich die Gatten, zum Schluß auch Soldaten.


»O Weihnachten, Weihnachten« kreischen sie heiser:

»Dem Heilande sind wir alleine ergeben!«

Jetzt naht aus dem Tempel Serapis ein Weiser

Und sucht die Besessenheit rasch zu beheben.


Schon stürzt sich ihm Papias, verrückt fast, entgegen,

Und schreit: »Môab, Agok und Ackhap, Phalaris,

Ich traue Dir nicht, denn Du nährst Dich vom Regen,

Bekränz Dich mit Reben: an unserm Altar iß!


Nur dann kann ich glauben, was Du prophezeihtest,

Es müsse das Kreuz, unten ferne im Süden,

[Wahrscheinlich weil Du die Kabale bereitest]

Stets weniger leuchten und schließlich ermüden.«


Da lachen die Weiber im Chore und singen:

»Für uns ist der Heiland am Kreuze gestorben.

Es wird Dir kein ähnliches Wunder gelingen,

Drum wirst Du auch niemals wie Jesus umworben.


Der Heiland verzieh unsere fleischlichen Sünden,

Er liebte das Weib, das die Ehe gebrochen,

Er ließ durch sie selber sein Wirken verkünden,

Gestattete niemals, auf Keuschheit zu pochen!«


Jetzt schwingt jener Magier den Stab der Beschwörung

Und sagt: »Durch die Kraft dieser klaren Smaragde,

Erlöse ich Euch von des Juden Bethörung,

Den damals an Golgatha Todesangst packte!«
[345]

Da schreien die Weiber als wären sie eine:

»Es sagte der Heiland zum Vater gewendet:

Dein Wille geschehe, oh Herr, nicht der meine!«

Da denkt sich der Heide: Wer hat sie verblendet!


Dann ruft er: »Im Namen von Dis und Diana,

Durch Jupiter Stigius, Erhalter der Geister,

Erscheine vor mir Apollonius von Tyana,

Du Göttin der Nacht, zeige gleich meinen Meister!«


»Was rufst Du mich, Priester des Jovis Serapis?«

Durchdringt eine Stimme die zitternde Menge:

»Du halbe Gestalt, Du Vernunft nur vom Apis,

Was wärest Du ohne die Stiernabelstränge.


Du hängst ja an ihm, Du gespaltener Kentauer,

Und wagst es alleine, den Christ zu besiegen,

Ich kauerte lange, im Volk, auf der Lauer,

Man kann es bezeugen, um gleich herzufliegen!«


Kaum zeigt sich der Greis unter uns, auf dem Plane,

So kreischt auch schon Papias: »Ich weiß, prima vista,

Durch Christum und Christam, (ich spreche nicht im Wahne,)

Du bist Adonai und Merkur Trismegista.


Abraras, Kaulaka, das bist Du, das krächz ich,

Du selbst und der Priester betrügst niederträchtig,

Sechshundert ist jener und Du sechsundsechzig,

Nun, Astharoth hast Du es ab! Und nun räch Dich!«


Da singen die Weiber und treten uns näher:

»Wahrhaftig, der Heiland vollbrachte acht Wunder,

Auch heut gab er Manna für uns Manichäer,

Sein Blut wurde Gluth, und wir alle sind Zunder.
[346]

Drum soll man ihn preisen, sich stets um ihn schaaren,

Und Luzifer nimmer, noch Jupiter dienen,

Doch möchten wir gerne von Isis erfahren:

Drum sprich Apollonius, wie bist Du erschienen?«


»Das war Goëtie,« sagte nun rasch der Befragte:

»Die hilft mir aus Zeit und aus Erdkreisbezirken,

Erst kam ich aus Ländern, wo eben es tagte!«

Dann lispelt er listig: »Der Stier wird gleich wirken!«


Drauf wird er von Papias voll Wuth unterbrochen:

»Nach Mitternacht ist ein Komet wohl erschienen,

Der hat allen hier in die Augen gestochen,

Wir blickten empor mit verwunderten Mienen,


Doch wars nicht die Sonne, verächtlicher Schmäher:

Zwar wird sich gar bald unsere Weltnacht erhellen,

Dann leuchtet das Lamm, und wir treten ihm näher,

Doch Dich wird ein Engel in Satans Schlund schnellen.


Die Nacht ist wohl einmal am Tag angebrochen,

Das war, als der Heiland am Kreuze erblaßte,

Da haben die Felsen die Unthat besprochen,

Man sah, wie die Bäume ein Schüttelfrost faßte.


Man sah, wie sie plötzlich die Seele verhauchten,

Um nackt, wie das Kreuz, in das Dunkel zu ragen:

Fürwahr, die Dryaden und Faune verpfauchten,

Wahrhaftig, aus Jesu allein wird es tagen!«


Da singen die Weiber: »Für dich Hierophanten

Ists eigen, die armen Dryaden zu hassen,

Für alle, die Simon und Helena kannten,

Mags wahrhaft nicht leicht sein, Dein Wesen zu fassen.
[347]

Der Wind ist vom Himmel herniedergestiegen:

Zwei Füllhörner haben ihn ganz ausgegossen,

Man sah weiße Wolken vom Jordan aufstiegen,

Die haben den Golgotha plötzlich umschlossen.


Es schien eine Grotte das Kreuz zu umstarren,

Denn dort war die ganze Weltmystik vereinigt,

Ganz athemlos sah man das Drama beharren:

Dann plötzlich war alles im Weltall gereinigt!«


Nun ruft Apollonius: »Warum, Simoniten,

Ist Jesus allein vor den Juden erstanden?

Ich selbst spreche hier und sogleich in Gebieten,

In denen soeben zwei Erzgötter landen.


Die Füllhörner aber, die Simon gesehen,

Sind jene, die Könige häufig gewahren,

Sie können zumal in Ägypten erstehen

Und scheinen die Stadt vor Gefahr zu bewahren.


Ein solches entragte der Erde am Tage,

Da Prinz Alexander das Weltlicht erblickte,

Genau in entgegengesetzter Strandlage

Entstammte der Brand, der Diana erstickte.«


Nun sage ich selber: »Ihr seht nur das Leuchten

Der äußeren Regungen irdischen Waltens,

Doch wichtiger will es mir wahrhaftig deuchten,

Den Weltgrund des ethischen Menschenverhaltens


Genau zu durchschauen und sittlich zu streben:

Oh seht, diese Weiber, die niemand belehrte,

Verkünden den Heiland und kennen sein Leben,

Fürwahr das ist wunderbar: folgt dieser Fährte!
[348]

Die Welt muß sich selbst durch den Tod überwinden,

Der Geist wird allein ohne Ende bestehen,

Was starr bleibt, wird einstmals vollständig verschwinden,

Was wechselt, wird langsam zu Gott übergehen.


Die Pflanzen versuchen bereits auszuhauchen,

Doch kann nur die Gattung in Eden bestehen,

Die Thiere, die blos als Versuche auftauchen,

Läßt Gott in den einzelnen Menschen aufgehen.


Die alten Barbaren, bei denen die Sinne

Beinahe die ganze Gefühlswelt erwühlen,

Sind selten vortrefflich für himmlische Minne,

Drum muß sie der Trubel der Rassen durchspülen.


Nur wenig in ihnen kann Gott ganz erfassen,

Doch wird ihre Artung ihr Nachgeschlecht retten,

Jetzt will dieses Meer uns nicht weiterziehn lassen,

Drum zerren die Seelen an Fleisch und Skeletten!


Die Trennung ist längst schon in uns vorbereitet,

Doch nun will der Geist seine Raumfesseln sprengen,

Und da unser Leib nicht im Kinde fortschreitet,

So muß, was sich schuf, sich aus Zeitrhythmen engen.


Ein großer Versuch, ohne Kinder zu zeugen,

Sich selbst durchzusetzen, ist wahrlich gelungen,

Vor Christi Geburt muß die Menschheit sich beugen,

Da hat unser Meer Asiens Wüste bezwungen,


Fürwahr, was wir alle in uns hehr empfinden,

Ist heiliger Geist und wird bald herrlich siegen:

Die Dinge, die wirksam im Sinn sich verbinden,

Sind nur dazu da, vor dem Geist zu verfliegen.
[349]

Wahrhaftig, ein ehernes Muß hält das Leben,

Ja, jegliches Wesen, das nachwächst, umklammert,

Denn Reichthum und Sünde, die hart daran kleben,

Sind schlecht, daß der Geist ob der Niedertracht jammert.


Was frei schon, wie Christus, am Weltschöpfer haftet,

Das wird seinen Leib außer sich faulen sehen:

Ihr Weiber, das was Ihr dem Fleische entrafftet,

Das Wunder in Euch, wird ins Lichtreich eingehen.


Das Göttliche hielt sich in Wasser und Wabe,

Als Seele, im heiligen Geist fortzuleben.

Oh seht, seine herrlichste, himmlische Gabe,

Der Heiland, den hat uns der Geist schon gegeben.


Oh seht, dieses riesige Meer ist der Speicher

Des Geistes und Deich des Fleischpfades,

Er macht unser Dasein begeisterter, reicher

Und schwellt unsere Seelen hervor aus dem Hades.


Es kann uns wie Nebel zum Lichte erheben!

Oh hört, wie es brandet: es möchte uns taufen!

Oh hört doch: es singt uns vom ewigen Leben!

Oh seht, wie die Salzschäume laut niedertraufen.


Das Meer, dessen Wellen sich weit überlaufen,

Das rastlos, unendlich ganz Asien umbrandet,

Das aufprallt, als schrie es: wo sind denn die Haufen,

Zum Taufen, die fiebernd und satt hier gestrandet?


Das Meer da, das ward eine machtvolle Taube,

Die hat eine Jungfrau in Reinheit geschwängert:

Das Meer und die Wabe in uns sind der Glaube,

Aus dem unsere Einsicht zu Gott sich verlängert!«
[350]

»Wahrhaftig!« sagt Papias: »Das war eine wahre

Erhabene Jungfrau, die Jesum geboren.

Oh laßt, daß ich das, was ich sah, offenbare,

Oh horcht doch, wozu hätte sonst jemand Ohren!


Ich war in Bethanien: da winkte vom Himmel

Ein leiblicher Stern, den ich niemals gesehen!

Im Träume erschien mir ein herrlicher Schimmel,

Da war ich entschlossen, auf Wallfahrt zu gehen.


Ich pflegte am Wege Gespräche mit Leuten,

Die staunend die Pilger ums Wunder befrugen,

Denn Magier erschienen, das Zeichen zu deuten,

Und einige sah ich, die Weihbecken trugen.


Und als ich im Finstern, zur Stelle gewesen,

Betrat ich den Stall mit der Wanderlaterne

Und sah, wo die Jungfrau des Kindes genesen,

Ein eigenes Zwielicht und Spiel winziger Sterne.


Der Herr war verschnürt: ganz in Windeln gewickelt,

Und glich einer Mumie. Die fruchtbare Mutter

Durchschaute mich huldvoll. Wie hat das geprickelt:

Da gab ich verlegen dem Maulthiere Futter.


Die Gänsehaut hatte mich ganz überlaufen.

Ich konnte nicht länger beim Christuskind bleiben.

Es trieb mich hinaus zum gewohnten Volkshaufen:

Noch konnte ich niemand den Eindruck beschreiben.


Ich weiß ganz genau: ich gewahrte die Nase,

Die Ohren der Jungfrau, ganz frei von Gehängen:

Ihr Blick aber brachte mich so in Ekstase,

Daß edle Geschmeide ihr Traumbild umdrängen!«
[351]

»Heil Weihnachten, Weihnachten!« singen die Weiber:

»Der Heiland sei heute aus Erden gefeiert,

Gelobt seist Du Papias, Du Heilbotschaftsschreiber,

Du hast uns das Weibheitsgeheimniß entschleiert.


Das Christkind ist selbst in Ägypten gewesen,

Nur Wenige haben es damals gesehen,

Doch hab ich die Schrift eines Priesters gelesen,

Der sah die Familie am Nilstrande gehen.


Des Nachts schliefen Mutter und Kind unter Palmen.

Stets waren die Bäume von Sternen durchleuchtet.

Der Vater bedeckte das Kind sanft mit Halmen,

Sonst hätte der Thau es am Morgen befeuchtet.


Heil Weihnachten, Weihnachten, wollen wir singen,

Das Weib und das Fleisch hat der Heiland gerettet,

Wir selbst werden Gottes Befreiung vollbringen:

Er träumt noch in sämmtliche Seelen gebettet!«


Nun spricht Apollonius: »So laßt mich doch sprechen,

Zu lange schon haben die Christen gewettert,

Und wäre ich nicht da, die Gottheit zu rächen,

So hätte Euch Jupiter längst schon zerschmettert.


Ihr Weiber zumal, seid entsetzlich verblendet,

Es hat Euch kein Magier am Jordan gerettet,

Hingegen die Isis für Euch sich verwendet:

Der Staat Alexandrien hat Euch gerettet.


Kein Theraphim ist zu Euch niedergestiegen.

Der Kampf war gewaltig. Es gab viele Todte.

Kleopatra konnte die Mannheit besiegen:

Ihr nennt sie, im Volksmunde, heute die Rothe.
[352]

Zu Hathor blickt auf, zu der Todtenumworbenen!

Sie trägt auf dem Kopfe die Sonne mit Hörnern,

Das sind Lohderseelen der leiblich Verstorbenen:

Als Aour ersteht sie urewig, aus Körnern.


Ihr Ododem sprengt alle Samen und Eier.

Sie ist das Mysterium der Weltphiladelphen.

Sie spinnt Isis sinneverwirrenden Schleier

Und will jedem Rechte der Weiblichkeit helfen.


Als Arrinoë überwand sie die Feindschaft

Der beiden Geschlechter und liebt ihren Bruder:

Seitdem das Geschwisterpaar Leben vereint schafft,

Beruft es beruhigt das Weib ans Staatsruder.


Es trinkt jetzt der König die Milch seiner Schwester,

Wie diese den Samen des Bruders empfangen:

Der Nilfürsten Doppelreifkrone sitzt fester,

Seitdem auch die Weiber zur Herrschaft gelangen.


Ihr Weiber, fürwahr Euer Undank ist gräßlich!

Ihr folgt jenem Mann, der die Fleischlust anklagte,

Der selbst seine Mutter, als wär es nicht päßlich

Auch sie einzuladen, vom Festmahl wegjagte.


Bei Gott, Ihr versteht nicht den Lauf der Geschichte:

Ihr glaubt eitlen Gauklern und dreisten Aufrührern,

Doch Isis geht bald mit der Welt zu Gerichte,

Dann stürzt sie Euch, samt Euren keuschen Verführern!«


»Daduchas, Du mußt unser Unglück verhüten!«

Beschwören die Weiber den heidnischen Meister:

»Du magst gegen Priester und Aufrührer wüthen,

Doch uns zeige lieber die Macht Deiner Geister.
[353]

Es sollen die Todten Serapis auftauchen,

Den Weibern, im Krieg um die Herrschaft, zu dienen:

Wir können sie gegen die Christen gut brauchen:

Ist Jesus nicht irgendwo plötzlich erschienen?


Du Licht der Hermetik, wir wollen Dir glauben,

Doch lasse uns früher zu Weihnachten taufen,

Du darfst uns der Festtage nimmer berauben,

Man liebt es sogar, andere Namen zu kaufen!«


»So fahret denn hin, Ihr verlorenen Seelen!«

Beginn ich, gefaßt, zu der Menge zu sprechen:

»Ihr mögt Euch, der Königin gleich, Namen wählen,

Der Haremsgeist fängt wieder an auszubrechen.


Es wird Euch der Priester in gar nichts einweihen,

Da bald alle Geister Ägyptens entweichen,

Ich selbst will das Weib aus dem Kerker befreien

Und werde dereinst Euch die Manneshand reichen.


Erfahret jedoch: Gott verpönt die Kabale,

Nur unreine Geister umflattern Erdleiber,

Das Farum steht da, und die Zukunftssignale

Giebt Gott, wann er will, durch prophetische Schreiber.


Ein Brand wird das ganze Serapium wegraffen,

Denn todt ist die große Gelehrtenmethodik,

Die Menschheit ist frei und soll unbewußt schaffen.

Das Buch vom Geschicke, und seis auch noch so dick,


Als jenes der zehn grundverschiedenen Sibyllen,

Ist werth, daß die Wuthgluth von Gott es versenge.

Diktirt ist dergleichen vom garstigen Willen,

Sich selbst zu verachten und stets auf die Strenge
[354]

Der Weltallgesetze die eigenen Fehler

Und selbst unsere Schuld, da zu sein, abzuwälzen.

Ich selbst bin ein Wunder und Normenvermähler,

Doch Ihr seht Mirakel bei Magiern auf Stelzen!


Mein Tag ist ein Kunstwerk, das manches bedeutet,

Das Wissen von jenen hingegen ist Fläche,

Ein Götze, der alle fünf Jahre sich häutet,

Wo ich ganz im Gegensatz ringsum absteche.


Ich spreche ganz klar: ich bekenne die Geister

Und glaube an Gott und das ewige Leben,

Doch sage ich niemals, so ist er und heißt er,

Und will mich nur wirksam zum Ursprung erheben.


Mein Weltgesicht wird aber trotzdem ein Weiser,

Bestimmt nur symbolisch verstehen und deuten:

Fürwahr, als ein umsichtiger Zeitfelsbereiser,

Bewegt die Vernunft mich, die Glocken zu läuten.


Ich stiege auf Strahlen des Lichtergeheißes,

In mir, zu mir selber zurück oder weiter,

Denn was meine Inbrunst bewältigt, wer weiß es?

Mich selbst aber stimmt dieser Urlichttrieb heiter!«


»So trachte denn Du, die Natur nachzuahmen,

Die kann sich Gott selbst atheistisch auslegen,«

Erwidert der Magier: »Ich will nicht erlahmen

Durch Geister den christlichen Sinn auszufegen.


Ihr schreitet wohl fort: stets in Tortelquadraten

Bewegt Euer Geist sich, dem Leibe gleich, weiter,

Das kann mir zwar ganz Eure Mannheit verrathen,

Doch langweilig wird einem schließlich die Leiter.
[355]

Es drangt Euch stets, einer für alle zu handeln,

Bedenkt dieses Wort, denn auch das ist quadratisch:

Ich selbst bin genialer und will nur lustwandeln

Und diene dem Volk weder laut noch asthmatisch.


Mein Wesen ist ganz einem Kreis eingeschrieben.

Ich geh nicht bedacht, denn ich fahr durch das Leben.

Ich will nicht mein Werkzeug nach rechts und links schieben:

Ich kann mich auf Blasen ins Traumreich erheben.


Mein Wesen besiegt, wie Ihr seht, leicht die Weiber,

Die sind ja zum Rollen am besten geschaffen.

Zwar bin ich ein Gaukler, ein Kunstübertreiber,

Dafür aber will jeder Mensch mich begaffen.


Ich sang meinen Anhang an laut zu verhöhnen:

Das schadet mir nichts, denn ich kann etwas bieten:

Das Weiberpack mag sich auch daran gewöhnen:

Nun staunt, denn die Kirche geht ganz aus den Nieten!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 337-356.
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