[Das ist das Land, wo alle Vöge gerne weilen]

[251] Das ist das Land, wo alle Vöge gerne weilen,

Die Zone, wo die Erdbewohner Nester schonen,

Die Höhe, wo die Arten ihre Lücken heilen

Und durch Gefährtenthum den Ackermann belohnen.


Wenn ich im Lenz gar schwer mein leeres Feld bestelle,

Und Pferde Ockertnollen vor dem Pflug zertreten,

So geht ein Hund stets wedelnd mit, und sein Gebelle

Besänftigt Weib und Kind, wenn wir uns wo verspäten.


Wie gut ist doch ein Hund! Wie liebreich viele Thiere!

Wie reizvoll zwitschern Vögel ihre Liebeslieder,

Und girren tausend Tauben ringsum im Reviere,

Drückt mich die Müh und Lebensgier zur Erde nieder!


Wir schaufeln unser Grab, wenn wir das Land bebauen,

Und weilen schon allein, wenn wir die Furchen graben,

An unsere Armuth denken wir dabei mit Grauen;

An mir wird sich die Erde einstens mühlos laben!


Nein, lieber will ich meinen Leib den Geiern weihen,

Was ich so schwer zu Herz und Hirn emporgetragen,

Das sei mit Leidlustschreien und in breiten Reihen

Von Raubthierleibern, über Alltagsarbeitsklagen,


Gar steil und weit zu Licht und Lichterlust gerissen:

Ich gönne Vögeln meines Leibes Leckerbissen:

Sie mögen keines Körpers Kotgekröse missen

Und siegreich ihr Gefieder immer höher hissen!


Mein Bruder, dessen Äcker an die meinen grenzen,

Hält schweißbedeckt in seiner Pflugschararbeit inne

Und sucht mein Lied, in meiner Nähe, zu ergänzen:

Er will vielleicht, daß sich ein Zeitgespräch entspinne.
[251]

Ich horche denn auf meines Bruders holde Worte

Und lasse sorglos meine brachen Schollen schlafen,

Und gehts zur Arbeit, so bestimmen wir am Orte,

An welchem wir uns eben unversehens trafen,


Für andere Frühlingstage noch Zusammenkünfte:

Und abermals allein, betrachte ich, was er erdachte,

Wie brüderlich vernünftig er die Einzelzünfte,

In sich, zu einem Lichtzusammenschlusse brachte.


Er hat wohl Recht: wir Bauern schaufeln unsere Gröber

Und sind dem Seemann nur unwesentlich verschieden,

Wir ziehn das Tagwerk kreuz und quer, wie jeder Weber,

Und Lichterstreber sind die Priester nur hienieden.


Mein Pflug gleicht wahrlich einem blanken Kiele;

Er sprüht die Krumen, wie den Gischt, aus scharfem Gleise,

Er nähert sich, wie Schiffe, immer einem Ziele,

Doch kehrt er um, verneint er seine Pilgerreise.


Er ist ein braves Fahrzeug, das die Zeit durchsegelt,

Denn nur viel später siehst Du Pflugscharfurchen schäumen:

Erst wenn der Frühlingssprünge Ubermuth sich regelt,

Beginnen ernste Felder blumenbunt zu träumen.


Gischtweiße Pracht siehst Du zumeist zum Licht ersprießen

Und Wellen gleich die Acker weiß und weit bedecken:

Wir dürfen erst der Pflüge Blüthenschaum genießen,

Wenn sich die Arbeitsnachen irgendwo verstecken.


So lockre denn mein Schicksalsboot die trockenen Schollen,

Es ist, als wäre Lenzgezwitscher eine günstige Briese:

Ich horche, wie in mir die Ozeane grollen,

Und mein Verhängniß übersteigt mich wie ein Riese.
[252]

Mein Bruder, ach, Du meintest wohl, was ich empfinde,

Und wärst Du nicht so weit, so möcht ich Dich befragen:

Die Geier, die uns gleich nach dem Verrecken finden,

Sind wohl wie Wolken, die den Tod im Schooße tragen.


Wie oft sieht man sie hoch dem Ozean entragen,

Wie oft die Wogen an der Barke Planken schlagen,

Wie häufig hört man Geier um Kadaver klagen,

Und was uns unterliegt, kann unsere Frist benagen!


Ein Nachbar ist mir jetzt beim Ackern nah gekommen

Und sagt: »Kein Lenz ist je so zeitlich heiß gewesen,

Der Sommer ist wohl heute Morgen schon erglommen:

Zu allen Plagen scheint der Bauer auserlesen!


Wir armen Parsen arbeiten im Glanz des Tages

Und beten, wenn wir uns nach Regenwetter sehnen,

Und dennoch formen Schollen unseres kargen Sonnertrages

Unendliche, im Lenz verbrannte, welke Lehnen.


Zusammen könnten wir den Abhang urbar machen:

Die Felder sollten sich bis dort hinauf erstrecken,

Doch müßte Blau aus Pfützen uns entgegen lachen,

Und blieben selbst die Pferde drin im Drecke stecken,


So ging es immerhin beim Pflügen viel geschwinder:

Die grünen Wiesen würden Frühlingslüfte würzen,

Im Kühlen sangen Vögel und es könnten Kinder,

Durch übermüthige Sprünge, uns die Zeit verkürzen!«


»Dann würde ich den Meder nimmermehr beneiden

Und ließ den Fremdling gern in unserer Mitte, Felder,

In Sternennächten, ihrer Kleinodien entkleiden,

Denn selbst dem Fels entweiden Meder ihre Glieder!«
[253]

Dies hat ein Nachbar, der uns hörte, ausgesprochen,

Da sagt der frühere zu mir: »Fürwahr ich dachte

Gar oft, weshalb hält jener sich des Tags verkrochen

Und warum steigt er Nachts hinab in schwarze Schachtel«


Nun tritt der Dritte nah heran, um fortzunadern:

»Fürwahr, wir Parsen, die das Land beackern, darben,

Wir arbeiten in Hadern und aus unsern Adern

Entsprühn in Wirklichkeit jetzt Irans Frühlingsgarben!


Hingegen scheint der Meder nie sein Feld zu pflegen:

Bei Trockenheit sind seine Schollen grobe Knollen,

Nie sehn wir anderes dort als Lehm nach einem Regen,

Doch tiefverborgenes Gold liegt tief in einem Stollen.«


»Fürwahr,« setzt jetzt der andere Nachbar ein: »Wir sehen

Den Fremdling nur in lauer Mondnacht drüben wandeln,

In blauem Prachtgewand sah ich ihn dort alleine stehen

Und mit dem Eigenschatten irgendwas verhandeln.


Was mag er da Geheimnißvolles einsam machen?

Nach Nebeln, diesen gleich, die jetzt das Licht verschleiern,

Hat er in jener grauen Nacht mit mannigfachen

Handregungen gefahndet, und gleich Riesengeiern


Warf da, nachdem der Mond sich erst von selbst versteckte,

Der Wolkentroß sich auf die todte Vollmondscheibe:

Es graute Menschen, Thieren, die ihr Schweiß bedeckte,

Ein Schaudern sprühte kalt aus jedem Baum und Leibe.


Der Meder aber, glaub ich, blieb noch ausrecht stehen:

Wahrscheinlich konnte da sein Schatten niedersteigen,

Denn als der eisige Nebelgletscher anfing zu zergehen,

Ein goldener Mondring sich vermochte bleich zu zeigen,
[254]

Da schien der Fremde ebenfalls von Gold umsponnen.

Und als der Mond verjüngt den Himmel heiterfegte,

Da wars, als wäre Licht auf seinem Rock geronnen,

Doch Gold wars, das sein Schatten ihm zu Füßen legte!«


Jetztspricht mein nächster Nachbarfassungslos in seinem Zorne:

»Wir wollen diesen Eindringling nicht länger dulden,

Durch unsere Arbeit sprudeln ringsum klare Borne,

Und salzige Laken sammeln sich in reinen Mulden.


Verschwinden werden nächstens jene gelben Lehnen,

Aus denen höhnisch blaue Tümpel uns begrinsen,

Schon schwellt des Fremdlings Frechheit meine Schlafenvenen:

Vertreiben will ich ihn mit seinen letzten Binsen.


Er dient, der Finsterniß ergeben, blos dem Bösen,

Und scheint bei Ahriman gar tapfer auszuharren,

Den Vögeln giebt er nichts von Speiserestgekrösen

Und läßt sich noch, verreckt, dereinst aus Geiz verscharren!


Er krächzt oft Magierformeln wie ein garstiger Rabe:

Abra, abra, abrakada, dabra so fangen

Die Sätze an, und dann folgt rasch ein Fluchbuchstabe,

Und an dem Satzgespinnst bleibt gleich ein Erdschatz hangen.


Das kann in unserm Lande nimmer länger dauern,

Er würde lauter Unheil hier heraufbeschwören,

Beim nächsten Vollmond wollen wir ihm scklau auflauern

Und seine Macht sammt ihrem Zugehör zerstören.«


Ich habe selbst im Herzensgrunde Wuth empfunden,

Doch fällt mir ein, wie ich dereinst mein Weib erfreute:

Der Meder gab mir einen Stein aus seinen Funden,

Und heute reizt er noch den Neid der Nachbarsleute.
[255]

Vielleicht verhexte das Geschenk des Weibes Sinne,

Bestimmt ist es seit damals nimmer zu erkennen,

Es schmückt sich jetzt viel lieblicher zu unserer Minne,

Und öfters seh ich seinen Sehnsuchtsblick erbrennen.


Die Glücksgedanken kann es kaum vom Kleinod scheiden,

Es fühlt mein Weib in mir die Lust an meinen Spenden,

Mein Dasein giebt ihm Kraft, mein Abgang ist sein Leiden,

Doch hält es fest, was ich ihm gab, als Trost in Händen.


Es will die Frau vom Manne Dank und Tand empfangen,

Zufriedenheit kann ich ihr nimmer leicht bezeigen,

Zumal wenn ihr Geschenkgruppierungen gelangen,

Und nur was sie erhält empfindet sie als eigen.


Ein Erbtheil wird sie leichter als ein Gut verschwenden,

Das nacheinander sich um ihren Hausstand gliedert,

Sie sucht sich unsere Gunst durch Weigerung zuzuwenden,

Und oft ists ihre Lust, daß sie kein Glück erwidert.


Das alles habe ich gar rasch in mir erwogen

Und wollte, daß der Fremde uns noch Steine brächte,

Drum sag ich auch: »Wir werden ganz bestimmt betrogen,

Wir haben auf des Meders Geld und Beistand Rechte.


Ach, wäre doch mein Bruder jetzt beim Streit zugegen,

Doch seht, er ackert noch allein dort oben weiter,

Er trachtet, nackt wie ich, die Felder gut zu pflegen

Und bleibt bei seiner Arbeit immer neidlos heiter.


Fürwahr, der würde gütig unsern Gast beschützen,

Er sagte einst, die Wälder, die ich urbar mache,

Erscheinen, meine wachen Träume hold zu stützen:

Es ist, als ob in mir ein Wunderlenz erwache.
[256]

Die Kraft, die unter Tags die starken Stämme fällte,

Treibt Nachts die reifsten Lichtgedanken aus der Seele.

Das Traumlaub, das mir oft den Sonnenweg verstellte,

Beschattet mich, seitdem ich mich tagsüber stähle.


Mich selber seh ich ernst empor zum Äther ragen

Und Licht und Nahrung stolz und froh genießen.

Die Nachtigallen fangen an in mir zu schlagen,

Und immer tiefer will ich sie dabei verschließen.


Mein Bruder, könntest Du jetzt selber weitersagen,

Wie Du begreifst, daß Deiner Nachtigallen Lieder

Nur Antwortsfragen auf der andern Klagen wagen,

Oh kämst Du doch ermüdet jetzt zu uns hernieder!


Du ackerst knapp an Deines Arbeitsfeldes Grenze

Und thust, was Du dereinst in Deinem Traum erschautest,

Ein größeres Gut umfriedest Du mit jedem Lenze

Und schützt dadurch auch das was Du nicht selbst bebautest!«


Mein Bruder wirft mit starkem Mannesarm den Samen,

Oh seht zu ihm, er wird vielleicht herüber denken:

Damit die Lichtgedanken nimmermehr erlahmen,

Vermag er jeder Einsicht ihren Traum zu schenken!


Wie jeder Schößling sich mit Blättern leicht beflügelt,

Und wie die Bäume durch das Laub dem Staub entfliegen,

Birgt jeder Spruch, den man bewußt und kühl erklügelt,

Ursprünglichkeit, Furcht, ungezügelt, zu besiegen.


Mein Bruder komm, des Meders Geiz soll sich entfalten,

Der stumpfe Wurm, als Schmetterling, im Lichte schwirren,

Aus unserm Haß entschäle alle Taggewalten,

Die unsere Sinne jetzt als Hirngespinnst verwirren.
[257]

Wenn Deine Staatsgedanken bald zu Macht gelangen,

Dann ist es recht, daß auch des fremden Ansicht gelte,

Wenn Sonnenlehren einst in unserer Seele prangen,

Verdienen Medergeld und Werthe nimmer unsere Schelte.


Mein Bruder wird Euch immer klug und gut berathen,

Und meines Weibes Einfalt ist im Grunde besser

Als unsere Wuth und haßerfüllten Mannerthaten,

Drum schleifen wir jetzt Edelsteine anstatt Messer.


Es soll mein Weib von nun an goldene Spangen tragen.

Der Meder darf Geschmeide mit dem Hammer schlagen:

Wir alle wollen einen Staat zu gründen wagen

Und vor dem Anschlag auf das Alte nicht verzagen!


Die Erde, die wir plündern, ist voll innerer Güte,

Und ob der Mensch auch noch so unvernünftig wüthe,

Erscheint trotz allem doch kein Frühling ohne Blüthe,

Und diesmal ist es gar, als ob er sich verfrühte.


Die Erde spendet jetzt auch die geheimsten Gaben:

Sie will bestimmt, daß wir nach ihren Schätzen graben

Und uns im Alter durch Erspartes alle laben,

»Es wird der Sohn es besser als sein Vater haben!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 251-258.
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