[Die Burg prangt auf Irans gewaltigster Lehne]

[297] Die Burg prangt auf Irans gewaltigster Lehne.

Es weidet der Geist, der sie schuf, Glücksgefühle

Den Schloßbau entlang, denn es ruht jede Sehne:

Zufriedenheit birgt hundert Seelenrastpfühle.


Der erste Gewaltherr erstrahlt im Palaste,

Die späteren sechs nahen langsam den Hallen,

So wird jede prachtvolle Himmelsglastquaste

Dereinst als Weltherrscher von oben einfallen.


Am Bergabhang, rückwärts, erglüht die Felskante.

Mein Bruder entzündete dort sechs Herzherde,

Und, als ob das Schloß Feuerflügel ausspannte,

Um aufzufliehn, strahlt die iranische Erde.


Die Gäste sind lange im Prachtsaal versammelt,

Ich selbst will hineingehen, mich drin zu erfreuen:

Am Eingang gewahr ich, daß etwas da bammelt,

Und düster empfängt mich das Brüllen von Leuen.


Wahrhaftig, zwei Sklaven sind dort angekettet,

Es trachtet der eine, die Fesseln zu sprengen

Und schreit: »Ach, ich habe die Freiheit verwettet,

Wer kann jetzt noch Machthaber angstlos bedrängen.
[297]

Du Wandrer, gewahr meine Schmach: ich verschmachte!

Die Schlange war gar nicht so arg und gefährlich,

Die Adlerschaar wars, die das Menschenleid brachte,

Der Wabewurm bleibt uns zum Schutz unentbehrlich.


Es wollte die Erde die Nachtmacht benutzen: –

Du weißt es, sie fliegt mit gestirnten Spannen

Dem Manne entgegen, – um Schwaches zu stützen,

Als plötzlich die Aare zu hacken begannen!


Wohl siehst Du das Schloß jetzt, gewaltsam vollendet:

Doch wie zwischen Menschen und Thieren des Lichtes,

Ist nun auch die Freundschaft der Stände beendet,

Das sag ich Dir dreist, und willst Dus, bericht es.«


Von Schmerz überwältigt verstummt nun der Sklave.

Er hängt am Pilaster, ein Schaustück der Straße.

Er zerrt an der Last der Palastarchitrave,

Und Muskeln erwuchern zum Kraftübermaaße.


Der andere ist schöner: voll Jugend, ganz Anmuth!

Und scheint doch schon lange als Sklave zu leiden:

Er schmiegt sich ans Schicksal: man sieht, er gewann Muth

Und läßt still die Striemen ins weiche Fleisch schneiden.


Die Urkraft, sein Erbtheil, hier muß sie verkommen.

Sein üppiger Brustkorb beschwert schon die Lenden.

Sein Athmen ist plastisch, unsagbar beklommen.

Die Kraftarme enden in weiblichen Händen.


Die fleischigen Beine, in männlicher Länge,

Scheint weibliche Keuschheit beinahe zu kreuzen:

Es ist, als ob eines zum anderen dränge,

Und plastisch, statt geistiggeschlechtlich, zu reizen.
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Nun sagt mir der Jüngling: »Gar lang muß ich schmachten!

Im Wesen der Welt liegt es, Wesen zu scheiden,

Die Sonne scheint ewig nach Trennung zu trachten

Und sammelt die Thränen im Brunnen der Leiden.


Ganz Mann kann der Arier sich jetzt hehr erheben,

Das reine Geschlechtsweib entsinkt seiner Nähe,

Ich selbst muß verachtet den Zwist überleben,

Ich weiß, daß ich mittendrin weiterbestehe.


Um mich zu verleugnen, erzieht Ihr Eunuchen,

Ihr Leid muß im Streit der Geschlechter vermitteln,

Ein Kettenglied sind sie: mich mögt Ihr verfluchen,

Ich träume mein Ursein und will nirgends rütteln!«


»Ich kann nicht Dein Freund sein, mir fehlt das Verständniß

Für Zwittergestalten, mein Ruf gellt nach Reinheit:

Dein Schrei ist beinahe ein Ohnmachtsgeständniß,

Ein Mann sein ist Pflicht und ein Fluch Geschlechtseinheit!«


Das, sage ich, brülle dann wüthend hinüber:

»Es darf kein Eunuche das Lichtreich bestecken,

Hinweg mit dem Kunstnichts, kein Weib ist mir lieber,

Als Hunderte unter die Fuchtel zu stecken!«


»Du wagst es, auf KönigsEunuchen zu schimpfen!

Du Hund Du, was kleffst Du hier zwischen den Säulen,

Du willst unsern würdigen Stand verunglimpfen,

Zurück, Hund, zu Hunden, hier darfst Du nicht heulen!«


Das haben jetzt sieben Eunuchen gerufen,

Harbona und Bizta, daneben Mehuman

Und Zethar verfluchen mich eben die Stufen

Herunter, sie zetern: »Den Frechling da thu man
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Sofort in den Kerker!« Und Karkas, Abagtha,

Selbst Bigtha bestimmen: »Den Wicht,« mich, »den bindet,

Den argarroganten Geschlechtsmann, den packt da

Und reißt ihm den Stolz aus, bevor man ihn schindet!«


Natürlicher Weise beirrt mich kein Fluchen.

Ich schreite empor, doch der Wächter Ginknagtha

Behindert mich gleich bei den Eintrittversuchen,

Und sagt, ganz Verachtung: »Was macht der, im Sack, da!«


Fürwahr, ich bin wirklich nicht festlich gekleidet,

Schon werde ich ringsum als Bauer verspottet:

Ein Troß, der mir Stolz und Verachtung verleidet,

Hat rasch sich im Schloßhof zusammengerottet.


Da wandeln Altparsen mit Tiaren vom Saale

Herüber. Sie tragen Bartlocken und lange Talare.

Das sind meine Nachbarn! Sie wandeln zum Mahle.

Wer weiß, ob ich auch meinen Bruder gewahre!


Sie schmunzeln und sprechen zu mir, halb mit Lachen:

»Mein Lieber, Du wirst nicht zu Hof zugelassen,

Du halfst nicht beim Herrscherpalastüberdachen,

Du hieltest beinah zu den meuternden Massen.


Damit hast Du fast unsern Adel beleidigt.

Die Adler beschautest Du auch wildgehässig.

Zuerst aber hast Du den Meder vertheidigt

Und warst bei der Volksamtzutheilung sehr lässig.«


Fast platzend vor Lachen, mit grauser Grimmasse,

Fährt einer noch fort: »Auch Dein Stand ist nicht ehrlich!

Es heißt, daß sich niemand mit Handwerk befasse,

Was Edle auch machen, stets sei es entbehrlich!
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Dazu fängst Du an, auf Eunuchen zu fluchen,

Und sieh, die Kastraten sind arg staatsgefährlich,

Und Du, was kannst Du, gegen Throne versuchen,

Dein Reichthum und Anhang ist wahrhaft zu spärlich!«


Nun trubeln die Weiber des Harems zur Rampe,

Und tanzend umsausen sie dumme Eunuchen,

Und eine schreit herzfrei: »Die Buhlin schlampampe!

Wie Falter die Lampe, zum Luftballett, suchen,


So wirbeln wir Weiber um machtvolle Wesen!

Lang schlafen wir Mädchen allein in der Kammer,

Doch hat uns der Buhle zur Lust auserlesen,

So tanze ihn aus, Deinen brunsttiefen Jammer.«


»Asketen geht weg, denn ich will mich auslaufen«,

So rufen nun alle: »Du Weiser bist häßlich,

Wir tanzen Dich kurzweg im Nu übern Haufen,

Nein, Milde laßt walten, jetzt sind wir vergeßlich!«


Hinüber, vorüber. Der Troß ist zerstoben.

Gewänder verschwinden schon längst hinter Säulen.

Jetzt will sich der Haß der Kastraten austoben,

Und einige drohn mir mit knotigen Keulen.


Da winkt rasch ein Parse und zeigt nach der Halle:

Es lassen die Wächter die Schwungwaffen fallen:

Jetzt zeigt sich mein Weib, bleich, entkleidet, – ich pralle

Zurück und ich fühle die Fäuste sich ballen.


»Umsonst,« ruft die Hure: »Du mußt mich vergessen!

Hier herrscht Myr Militta, das Weib eitler Geilheit,

Ich liebe es, Lust aus der Schmerzbrunst zu pressen,

Die einzige Tugend hier heißt Schmeichlerfeilheit.
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Du hast mich dem Hofe nicht selbst angetragen,

Dafür bleibst Du draußen, den Geiz muß man strafen,

Ich selbst mag mich deshalb fürwahr nicht beklagen,

Ich kann meinen Wollustrausch täglich ausschlafen!«


Jetzt klettern die Massen auf allerhand Masten,

Und einige lachen herab von Giraffen,

Selbst jene, die einst den Palastadel haßten,

Versammeln sich rings als Altparsenschlaraffen.


So ist es! Der Spott, der mich trifft, wirkt erfreulich,

Man blickt auf das Schauspiel und mich froh hernieder!

Da sagt mir mein Weib: »Du erinnerst Dich, neulich

Umfaßtest Du noch meine Brunstfieberglieder,


Und heute verschaffe ich reicheren Buhlen,

Die neugierig alle, nach Lustbarkeit geilen,

Die Feinheiten aller Geschlechtspriesterschulen,

Und selbst Deine Marter kann Qualdurstige heilen.


Jetzt laßt mich alleinig das Finstre genießen,

Die Nacht meine weibliche Nacktheit umschließen;

Kein Mädchen kann dunklere Wollust erschließen

Und tieferen Reiz aus sich selber ergießen.


Ich liebe die Weichheit der Finsternißkissen,

Ich mag der Geheimnisse Brüste nicht missen,

Die Nacht soll von mir jede Einsamkeit wissen,

Ich hab mich ins dichteste Dunkel verbissen.«


Man schwenkt Feuerstümpfe. Man klatscht auf den Masten

Und freut sich am Jubel der Königseunuchen.

Man sieht Korrybanten aufs Schloßpodium hasten.

Die ganze Palastrampe dröhnt von Versuchen,
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Sich selbst und das Pack durch den Tanz zu erhitzen.

Man pufft und man schleift einen Mann mit Prachtmähne.

Das Haremsvolk guckt durch die Hinterwandritzen.

Der rasende Aufrührer tritt auf die Szene.


Jetzt nahen hieratisch gekleidete Weiber,

Sie tragen Luftschleier, fast zarter als Farren,

Sie folgen, bewacht, dem Palastzeitvertreiber,

Und fangen rings an, auf das Opfer zu starren.


Jetzt fesseln die Henker den schweren Rebellen

Und lassen ihn dann auf die Steinrampe fallen.

Man peitscht ihn, daß weithin die Schmerzschreie gellen,

Und Klatschen und Jubel entbuchtet den Hallen.


Schon naht man dem Manne, mit flimmernden Spießen.

Auf ihn sind auch allerhand Blicke gerichtet,

Denn Menschen, die gerne ein Schauspiel genießen,

Sind ringsum, herum um das Podium, geschichtet.


Wie Sterne im Morgengrau krampfhaft verstahlen,

Und starr, fast im Tagpanzer, langsam verblassen,

Erscheinen mir jetzt diese grausamen Strahlen,

Die fast trachten angestrengt Qual anzufassen.


Den Schrei des Gemarterten würgt das Gezeter

Der Zirbanitpriester, die ringsum sich zeigen,

Und Zither und Zymbelspielkinder, Trompeter

Durchwirbeln der Zirbanit lieblichen Reigen.


Das Weib ist, in Spitzen gekleidet, erschienen.

Ein reizreicher Diener umschmiegt ihre Lenden.

Und Zirbanit zittert. Sie kräuselt mit Kienen

Die Haut des Rebellen: mit fiebernden Händen
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Ergreift sie die Krause und zieht sie vom Leibe

Und zwitschert dann leise und sinkt in die Arme

Des Liebesgespielen: sie sieht eine Scheibe

Mit Gluthmarterzeichen und drinnen im Schwarme


Der grellen Gespenster des Lieblinges Lippen.

Sie zittert heran an die brünstigen Schwülste.

Sie fletscht mit den Lefzen. Sie fühlt seine Rippen.

Sie beißt und erzeugt sich im Jünglingsfleisch Wülste.


Jetzt hört man am Mastwald ganz fieberhaft lachen.

Dort oben verkrampfen sich geile Gestalten.

Du merkst kaum, daß einzelne Lustbäume krachen.

Ich suche aus Angst mich an etwas zu halten.


Ich glaube: ich muß jeden Augenblick stürzen

Und fühle ein schmerzhaftes Brennen der Sohlen,

Ich mag mir die Lust nicht so kümmerlich würzen

Und höre schon wieder im Schloßhofe johlen.


Jetzt kommt schon ein Priestertroß vorwärts gelaufen,

Es ist, als ob Rudel Betrunkener nahten,

Das ist der Beschnittenen und Schnittlinge Haufen,

Denn wenige leben in MönchsZölibaten.


Ich sehe, sie schleppen den greisen Hebräer,

Der früher mich ansprach, hindurch durch den Trubel.

Er scheint mich zu kennen. Jetzt tritt er mir näher.

Und ruft nun hindurch, durch den Saufbrüderjubel:


»Hazazel, Hazazel, schreckliches Fatum!

Mein Leib treibt nach unten, man zwingt mich zum Bösen,

Nun bin ich verloren, denn schlägt je das Rad um,

So läßt sich der Sündenbock nimmer erlösen.
[304]

Du einsamverspotteter, wirklicher Priester,

Warum schlugst Du Babels Brut nicht schnell in Fesseln?

Du einzig von Jahwe, in Persien, erkiester,

Vernimm es, jetzt peitscht uns das Kebsweib mit Nesseln.


Dein Bruder sieht weit, doch es fehlt ihm die Steile:

Er hat Irans Reinheit an Babel verrathen,

Er sieht selbst im Laster den Lichtkeim zum Heile

Und glaubt an das Urmuß der bösartigen Thaten.


Jehova jedoch ist ein reiner Gedanke.

Er ist fast nur Zukunft. Der Erdschmutz sein Ekel!

Er läßt wohl, daß Babel sein Dasein umranke,

Damit sich sein Gestern mit Schlechtem verhäkel,


Er selbst aber steigt hehr hervor aus der Erde.

Ein einziges Volk nur vertritt seine Größe:

Und Zebaoth heißt er, als Herr seiner Heerde,

Die Laster und Unkraut, durch Schwert und Axtstöße


Um Jahwe her, wegräumt: denn wisse, das Böse

Ist überall dort, wo sich Heiden befinden.

Es reicht Euch vom Scheitel bis tief ins Gekröse

Der Erde hinab, wo die Teufel sich winden.


Das Gute hingegen, reicht nur von Hebräern,

Die eifrig Jehovah im Herzen erstreiten,

Aus ihnen, den irdischen Umvolkvorstehern,

Empor bis zum Schöpfer, zu Urfreiheitsfreiten!«


Es wollte der große Hebräer noch sprechen,

Doch schon hat der Strudel ihn vorwärts gerissen,

Nur: »Hazazel, Hazazel, wer wird Dich rächen?«

Ertönt es noch hinter den Säulenkulissen.
[305]

Jetzt strampeln acht wollüstige Panther zur Rampe:

Bacchantinnen tanzen mit nackten Kumpanen,

Es folgt jede lachend dem schlankwüchsigen Kampe,

Ein Lampe und Schafe sind da: Ägypanen,


Mit Zitzen am Ziegenhals, sitzen die Thiere

Bereits hier im Bacchuszug, rings auf der Ferse.

Am Bambusstuhl, prachtvoll im Pampasspaliere,

Erscheint nun ein Dichter und singt seine Verse.


Mit Eselohrbüscheln, mit Flachshaar und Larve,

Umzischeln die Masken den Rhythmenauffinder.

Ein Arschaffenschwanzpanisk zupft auf der Harfe.

Genau gegen mich wischerln spielgeile Kinder.


Da kommt eine reife, fast platzende Traube:

Ein Zugsägypan ists, mit Zitzen und Kröpfen,

Es scheint, daß er gerne beim Wandern erlaube,

Den Brustneckar rings aus den Eutern zu schöpfen.


Drum hängen sich Thiere an alle Milchzitzen,

Auch Tauben umflattern den Jüngling und gurren:

Ein Urwaldsatyr unterhält uns mit Witzen,

Er schlägt Purzelbäume, erzählt freche Schnurren.


Epheben, mit Schellen an Füßen und Händen,

Belustigen Nymphen durch Luftkapriolen.

Satyrkinder lassen sich unverschämt schänden,

Und laufen sogar große Lümmel zu holen.


Ein Mohrägypan ist soeben erschienen,

Ein Schreivögelwirbel umstiegt seine Zitzen,

Sein Traubenrumpf könnte ein Volksheer bedienen,

Er sieht sich genöthigt, Milch selbst auszuspritzen.
[306]

Der Kropfägypan und sein Bruder der Neger

Geleiten den Weisen Milesier zur Rampe.

Der schneuzt sich, dann sagt mir der Mythenausleger:

»Zieh fort, sind ein Weib und vergiß nicht die Lampe,


Denn jetzt bleibt es lange noch finster und traurig:

Du wolltest ja selbst alles haarscharf erkennen:

Da hast Dus: der Nachtkern der Dinge bleibt schaurig:

Und Du kannst jetzt säubern, nur immerfort trennen.


Ich selbst bin nur hier, auf der Durchfahrt nach Hause.

Ein Gott, der schon einmal in Hellas geboren,

Der Pentheus, (wie Du, ein ganz dummer Banause,)

Einstmals schon zu kostbarem Spott sich erkoren,


Verschwand in der Heimath, vom Feinde zerrissen.

Doch jetzt ist sein Tag da: gleich wird er erscheinen.

Ich seh ihn bereits hinter Säulenkulissen:

Er kommt, um die Menschen durch Lust zu vereinen.


Selbst ich, der vernünftige Viereckedenker,

An dessen Spitzkanten der Gott sich aufwetzte,

Bin jetzt ein zufriedener Rollwagenlenker,

Und was das Genießen betrifft, nicht der Letzte.


Du siehst, daß ein Mädchen mich heimwärts begleitet.

Ein Knabe liegt oft neben mir auf dem Lager.

Ein indischer Koch, der die Mahlzeit bereitet,

Ist auch da und gleichfalls ein alter Wahrsager!«


Ich weiß nicht warum, doch ich muß plötzlich niesen!

Ists der, der mich derartig seelisch verschnupfte?

Ein Cymbelschlag folgt gleich aufs Niesen und diesen

Witzgruß gab ein Kobold, der blitzschnell entschlupfte.
[307]

Da kommt schon der Gott mit vollendeten Locken.

Er ist in den indischen Tropen geboren:

Oh Hellas, bald kann Dein Gefilde frohlocken:

Dein Dionys tritt aus den Sonnengoldthoren.


Er selbst hält sein sonniges Antlitz verschwiegen

Und schreitet bedeutungsreif weiter nach Westen,

Er sieht, wie die indischen Kinder sich wiegen,

Und schwelgt in der Seele bei lieblichen Festen.


Dort torkeln Besoffene mit thränenden Augen,

Ein grunddunkles Blau schaut mir traurig entgegen,

Und Kinder, die kaum noch zum Korbtragen taugen,

Verstreuen rings Tauben auf Dionysos Wegen.


Jetzt kommt auch Triptolemos heimwärts gezogen.

Das Goldkorn, der Weinbau gedeihen auf Erden.

Nun kehrt er zurück und in riesigem Bogen

Bereist er mein Land, nach den Weltkriegsbeschwerden.


Und überall wuchern und blauen die Trauben.

Der Gott zog vorüber. Nun bleib ich alleine:

Urstill wird es rings in den heiligen Lauben.

Geheimnißvoll reifen die kostbarsten Weine.


Die griechischen Trauben voll indischem Feuer,

Durchzuckern die eigenen, gluthschweren Safte,

Sie sprühen mir zu, ach, stets blauer, urtreuer,

Erfreut, daß mein Auge sich sanft an sie hefte.


Urtrunkenheit dunkelt aus perlendem Schmelze:

So glühn auch Pupillen mit gleisendem Saume,

Denn wenn ich Gesichter, ums Schlummerrad walze,

Erschau ich oft Trauben von Augen, im Traume!
[308]

Wie herrlich die Reben Geländer umlocken:

Der Zug ist bereits tief im Weinlaub verschwunden,

Das Schloßdach umglasten fast sonngoldene Flocken,

Und doch wird die Nacht noch dereinst überwunden!


Ein Lichtvogel scheint mit verkreuzten Windflügeln

Gar glücklich und still über Trauben zu brüten.

Ein Frühfrühling strotzt nun aus allen Lichthügeln,

Und rings um das Schloß tragt ein Wiesenpfuhl Blüthen!

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 297-309.
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