[Der Löwe Galliens liegt am Rhônestrome in Schlummer]

[430] Der Löwe Galliens liegt am Rhônestrome in Schlummer

Und träumt von Raubzügen, die er des Nachts vollbringt.

Bei Tag ist er ein Schnarcher, Spinner oder Brummer,

Da alles drin von Räderwerken wiederklingt.


Das ist das Stadtthor mit dem Leu und Lilienwappen!

Ein ganzer Jagdzug geht daraus mit Lärm hervor.

Die Pferde drängen sich. Die Hunde bellen, schnappen.

Der Troßvogt spaßt. Der Schloßnarr kratzt sich hinterm Ohr.


Der Jagdzug, auch der Staub, die Schatten sind vorüber.

Da steht ein Gasthaus, wie in Deutschland, knapp beim Thurm.

Ein Lümmel kriegt vom Wirthen einen Nasenstüber;

Ich kehre ein, ich fühle Dich, mein durstiger Wurm.


Ich trete lieber in das dichtgefüllte Zimmer,

Da hebt ein Schatten stets den andern Schatten auf.

Dafür giebt es Gestank! Pour moi, ist das nicht schlimmer,

Ich nehme diesmal ihn als malerisch in Kauf.
[430]

Ich rufe: »Wein her, Wirth, ich kann Euch baar bezahlen,

Denn edel bin ich, wenn auch durstig wie ein Frosch,«

Man schreit: »Tout de suite!« da sich Soldaten jetzt empfahlen:

»Monsieur le Chevalier sans tache et sans réproche!«


»Soldaten habt Ihr wohl genug in Eurem Lande!«

Beginne ich zur Wirthsfrau, die mich stink bedient.

»Ihr seid ein Deutscher wohl, und vom Gelehrtenstandel«

Erwidert sie: »Ich sahs, als Ihr im Thor erschient!«


»Ei freilich!« meine ich: »Sagt habt Ihr was dagegen!«

»Ach nein, vor kurzem war der Kaiser unser Herr.«

Spricht rasch das Weib und ruft: »Giebt es hier deutsche Degen?

So kommt doch her und laßt Geplänkel und Geplärr!«


Von einem Tische, wo ein Weib aus Streitsucht weinte,

Erhebt sich jetzt ein junger prächtiger Soldat,

Der zwar der Wirthin Frage mit dem Kopf verneinte,

Sich aber artig einen Platz bei mir erbat.


»Ich war bei Euch und habe Teufel dort gesehen!«

Beginnt er: »Sagt ob diese Hexe Euch gefallt.

Sie wird Euch ihre Brunst und Liebe eingestehen,

Sie hat sich oft zu fremdem Wandervolk gesellt!«


»Den Teufel saht Ihr! Sprecht, wie habt Ihr ihn gefunden?«

Befrage ich den Söldner lachend und erstaunt.

»Aus der Erinnerung ist mir das beinah entschwunden,

Doch ich erzähle es!« Sagt jener woblgelaunt.


»In einem Wirthshaus, irgendwo in Deutschlands Norden,

In einer großen Kaufmanns und Soldatenstadt,

Ist mir das Glück, das ich erwähnt, zu Theil geworden:

Ich weiß, wie mich das Schauspiel hergenommen hat.«
[431]

Nun weiß ich es! Betrunkene Zecher schwätzten, stritten

An einem wohlbesetzten Tisch! Ich blieb allein.

Auf einmal balgten sich, entfuhren oder ritten

Zwei Spießgesellen unter uns, zum Dach, herein.


Der Schreck war gar nicht arg. Ich lachte wie die Meisten,

Der eine war schon alt. Der andere hatte Bart.

Ich kann mich noch erinnern! Die Lumpenbrüder kreisten

Um uns herum, voll Spottlust und ganz sonder Art.


Sie sprachen viel von Liebe, mehr von guten Weinen,

Und saßen plötzlich wo am wohlbesetzten Tisch.

Sie schienen Kraft mit wahrem Anstand zu vereinen,

Und wollten sies, entzischte irgendwo ein Wisch.


Ein Höllenwein quoll aus dem Korke unserer Pfropfen.

Darob erboßte doch kein einziger Trinklochtropf.

Sie konnten rings an allen Kellerpforten klopfen,

Und oftmals sträubte sich, zum Juxe blos, ein Schopf.


Der Bartlose war Satan selbst: ich kann es schwören!

Der andere schien blos sein Kumpan und Mensch zu sein.

Die Ösen nestelten aus unsern Hosenöhren:

Aus Flaschen, Spiegeln, guckten Weiber nackt herein.


Haha, wir freuten uns, wir schwelgten fast und lachten

Und dachten uns, da giebts bald einen Sabbathtanz!

Wir thaten so, als ob wir uns daraus nichts machten.

Nur einer sprach: »Du glaubst, ich sehe nicht den Schwanz!«


Er kicherte verschmitzt mit spitzen Zwinkerblicken.

Ich hörte gut, was er da sprach von seinem Sitz:

»Du kennst die Sitten wohl, die sich für Menschen schicken,

Doch hinten hat Dein Kleid einen verflixten Schlitz.«
[432]

Und leise fuhr er fort: »Dein Schwanz ist mir wohl sichtbar!

Die Natter auf der Kellerstiege sieht man schon!

Dein Steiß ist sicherlich nicht ganz gesichtsbaar,

Doch schweige ich, giebst Du ein Weiblein mir zum Lohn!«


»Was Du da munkelst,« fahre ich dem Söldner in die Rede;

»Das Märchen ist gar alt, doch immer taucht es auf.

Liegt wo ein weiser Mann mit Pfaffen kühn in Fehde,

So heißt es gleich, daß der dem Teufel sich verkauf!«


»Wie, sagt, das glaubt Ihr nicht, braucht Ihr Erlebnißdaten?«

Vernehm ich jetzt das Wirthsweib, das im Winkel spricht.

»Wir sind zu dreien. Trau nur,« ruft es: »dem Soldaten,

Du hinkendes und hektisch bleiches Milchgesicht! «


»Ich schleife meinen Fuß aus Müdigkeit, Frau Wirthin,

Doch Ihr habt recht, denn meine Seele scheint mir lahm!«

Erwidre ich: »Laßt ab, Ihr Hexe, Ihr verwirrt ihn!«

Sagt der Soldat: »da er voll Unschuld zu uns kam!«


Es lacht das Weib und sagt: »Kommt, Satans Schwanz betasten!

Haha, mein Mondkalb, antwortet mir doch, Ihr wollt!«

Ich sehe beide an, und fühle Geilheit glasten.

Ich merke auch wie gräßlich er die Augen rollt.


Jetzt schlägt das Weib dem Mann auf Brust und Schulter

Und ruft: »Der Schurke da, der flog schon einmal mit,

Das ist ein wohlgeschulter, zur Ausfuhr eingelullter

Gesell von Beelzebub. Sprich, keck war unser Ritt!«


Der Söldner fangt jetzt an in wilder Brunst zu stöhnen

Und nickt der jungen Hexe schwül und lüstern zu.

»Das nächste Mal fährst Du mit einer andern Schönen,«

Sagt sie und lacht: »Heut Abends salbe ich die Schuh.
[433]

Eilf Brautstandhexen kommen und eilf Satansenkel,

Doch sagt, gefiel Euch nicht die Lust bei Sonnenschein?

Von Dir mag ich den Mund, bei Dir die Muskelschenkel,

Ich lechze Mensch, ganz Mensch, ja weniger zu sein!«


Bald gröhlt man vor dem Haus. »Das sind die Johanniter!«

Schreit jetzt das Weib. Doch sind wir alle rasch gefaßt.

Der Söldner hastet auf. Ich seh, den Degen zieht er.

Ich faß nach irgend was und packe einen Ast.


Gesindel das, Vertheidiger verdammter Pfaffen,

Durchzuckt es mich und schon erschlag ich einen Mann.

Da geben uns fünf andere, im Nu, zu schaffen,

Doch jeder von uns beiden tödtet, was er kann.


»Du Hund, vermaledeiter Galgenvögelröster!«

Durchloht es mich und vor mir röchelt ein Soldat.

Der andre ist nickt feig, zwei Fleischpilger erlöst er.

Weh Dir, Du Hexenschinder, der mir naht!


Ich habe ihm das Hascherhirn jäh eingehagelt.

Stürz um, Spion von Rom, verfluchte Fehlgeburt.

Ihr hättet Christum ebenso ans Kreuz genagelt,

Wie Ihr mit freien Ketzern gestern erst verfuhrt.


Auch Dich erschlag ich, dicker Führer feiler Rotten!

Du hast wohl einen Mann, für eine falsche Mark,

Bereits lebendig irgendwo, um Prägerlohn, gesotten,

Und baumeln ließst Du manchen schon für einen Quark!


Da liegen jetzt sechs Weltbürger, von uns erschlagen,

Und es beschnuppern Hunde, wie berauscht, ihr Blut.

Die Schuld von vier Mordthaten muß ich selber tragen,

Derweilen auf dem andern nur die Halblast ruht.
[434]

Wir sehen uns an: das waren eigentlich Soldaten!

Ich zucke mit der Achsel. Mein Gefährte spricht:

»Nun desto besser, keiner kann uns mehr verrathen,

Und uns verfolgt man, ganz bestimmt, für die da nicht!«


Jetzt stürzt auf einmal eine Wölfin aus dem Keller.

Juhei, die Hunde kleffen auch schon hinterher.

Das rennt und bellt: das flüchtige Thier läuft aber schneller.

Die flinkesten Köter kriegen es wohl nimmermehr.


Doch meinem Spießgesellen scheint das nicht geheuer,

Er sagt und kratzt sich gar bedenklich hinterm Ohr:

»Der Ausriß unserer Huldin kostet uns noch theuer,

Doch die Verfolgung machen uns die Hunde vor!


Doch was, das schadet nichts, wir sind zwei wackere Degen.

Halt, sag, Du bist so derb, magst Du kein Landsknecht sein!«

Doch ich erwidre, ohne kurz zu überlegen:

»Nein, nein, mein lieber Streitgenosse, nein doch, nein!«

Quelle:
Theodor Däubler: Das Nordlicht. Teil 2, München; Leipzig 1910, S. 430-435.
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