Eine Dichterkrönung

[72] Einer bin ich, bin's in zwei Gestalten,

Doch die Menschen, an den Schein gebunden,

Heißen heut' Genie mich, morgen Wahnsinn,

Heißen Brüder uns getrennte Wesen;

Was nur eines Wesens Doppelformen.

Selig der, zu dem ich ungerufen,

Von der Mutter nur gesendet, trete,

Aber weh' dem, der mich zwingt zu kommen.


Ein gewölbtes, winkelreiches Zimmer,

Krause Möbel von verblich'ner Pracht,

Todtenstille; – gelber Lampenschimmer

Um ein Schreibpult, weiterhin die Nacht.

Halbgeschloss'nen Auges, schlummertrunken,

Tief im Lehnstuhl, überschlank und bleich

Ruht ein Jüngling, in sich selbst versunken,

Ohne Regung, einem Todten gleich.

Plötzlich aber fährt er aus den Kissen,

Wie berührt von Geisterhand, empor,

Dumpfgebroch'nen Lautes, qualzerrissen,[73]

Rollt und grollt es jäh aus ihm hervor:

»Schwach und hilflos, aller Welt zum Hohne?

Alte Puppen im erneuten Kleid?

Nur ein lendenlahmer Epigone?!

Das mein Schicksal?! Nein! noch ist es Zeit!

Sei's durch Gift und Kunst auch, ich will denken,

Will unsterblich und ein Dichter sein!«

Zitternd zuckt die Faust nach trüben Tränken,

Gierig saugen sie die Lippen ein;

Fieberhaft beginnt das Blut zu kreisen,

Dunkler seine Wange glänzt und glüht,

Seinem Mund entquellen wilde Weisen,

Sein entflammtes Auge blitzt und sprüht.

Raubthierwüthig jagt er durch das Zimmer,

Von den Schläfen tropft's ihm heiß und kalt,

Jubel wechselt mit der Qual Gewimmer,

Und er donnert, säuselt, kreischt und lallt.

Da – auf einmal steht er traumverloren,

Nur sein Fieberauge starrt und starrt:

Ist's ein Mensch, gleich ihm in Fleisch geboren,

Ist's ein Trugbild, das die Sinne narrt? –

Majestätisch schreitet ihm entgegen

Eines Mannes mächtige Gestalt;

Um das marmorbleiche Antlitz legen[74]

Sich die Locken schwer und dichtgeballt,

Von den Schultern quellen reichgeraffte,

Königliche Falten, goldverbrämt,

Und das Haupt, das schöne, grausenhafte,

Räthselvolle, ist bediademt.

Seltsam-starre, dunkle Blicke senken

Sich vom Gaste zu dem Dichter her,

Sie verlöschten Dichten ihm und Denken

Löschen, löschen alles los und leer.

Schauernd vor dem Gast im Scharlachkleide

Mit dem düster-schönen Angesicht,

Mit dem kronengleichen Hauptgeschmeide,

Schauernd – der Poet zusammenbricht.

Da, wie sich im Fall die Augen wenden

Wie sein Blick mit eins zu Boden rollt,

Sieht er plötzlich in des Gastes Händen

Einen Kranz von dunkelrothem Gold.

Jubel wird und Lust sein banges Stöhnen

Siegestrunken, stolz sein Aug' erglimmt!

»Ach, Du kamst als Dichter mich zu krönen,

Mir zum Preis ist dieser Kranz bestimmt!

Lass Dein hämisch-zages Zaudern enden;

Das der höchsten Wonne mich beraubt,

Her den Kranz! Ich selbst will ihn vollenden

Meinen Sieg« – und er umzinkt sein Haupt. –

Klagend aber stürzt er, schreiend nieder,[75]

Denn die Krone glüht auf seiner Stirn,

Zuckend wälzen sich die schlanken Glieder,

Und er stöhnt: »Mein Hirn, mein armes Hirn!«

Will vom Haupte sich die Krone reißen,

Immer tiefer frisst sie sich hinein.

Roth und röther ihre Zacken gleißen,

Schauerlich umloht ihn Purpurschein.

Im verglasten Aug' ein letztes Schimmern,

Halberstickt von rettungsloser Nacht,

Schaumbedeckt die blauen Lippen wimmern:

»Diese Krone, wer hat sie gebracht?

Mann, wer bist Du, wer hat Dich gesendet?

Nein, zuerst die Krone mir vom Haupt,

Dass die Qual, die Todesqual doch endet,

Die den Schädel mir zu Scherben schraubt.

Soll ich vor Dir winseln?, soll ich beten? –

Sag', was Deinen Qualenhunger stillt!

Willst Du meine Seele ganz zertreten?

Nicht den Blick, aus dem der Wahnwitz quillt,

Weg mit Dir! Wer trug nach Dir Verlangen?,

Dein Geschenk ist Untergang und Graus!

Deinen Bruder glaubt ich zu empfangen,

Warum tratest Du zu mir in's Haus?«

Und, mit hochgespreizten Geierkrallen,

Springt er brüllend auf den dunklen Gast,

Taumelt rückwärts mit verthiertem Lallen,[76]

Stürzt zu Boden, von der Wuth erfasst;

In den Kleidern wühlt er mit den Nägeln,

Bis er sich auf Fleisch und Knochen gräbt,

Seine Fäuste schleudert er gleich Schlägeln

Sich in's Antlitz, bis es Blut verklebt.

Nimmer ahnt er, dass er je gesungen,

Nimmer ahnt er, dass er je gedacht,

All sein Wollen hat mit eins verschlungen

Rettungslos, für immerdar die Nacht.

Quelle:
Felix Dörmann: Sensationen, Wien 1897, S. 72-77.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sensationen
Sensationen (German Edition)

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon