[Entschlag dich aller Ding auff Erden]

[499] Entschlag dich aller Ding auff Erden,

O meine Seele, denn du bald

Von mir solst abgefordert werden!

Gott ist der Wittwen Auffenthalt,

Der Waisen Schirm und Schatten,

Und wird aus lieber Treu

Den Frevel nicht erstatten,

Das ihnen schädlich sey.


Was hinten ist, laß bleiben,

Tracht darnach, was da vornen ist,

Sucht sich die Sünd an dir zu reiben,

Bekümmert dich der Höllen List,

Schau Christus offne Seiten,

Fleuch gläubig da hinein,

So wird dich nichts bestreiten

Und du wirft sicher seyn.


Laß stets in deinem Hertzen schweben

Den Himmels-Bau, der Frewden Saal,

Dahin du bald dich wirst begeben

Aus diesem Angst- und Thränen Thal,

Da wo die Frommen halten

Ihr Hall-Jahr allezeit,

Wo Lust und Leben walten

Und tausend Herrligkeit.


Da wirstu erstlich hören klingen

Die Musica, das Himmels-Kind,

Für der die Lieder, so wir singen

Auff Erden, Träum und Schatten sind;

Da läßt sich David hören

Und seine Canterey,

Gott, unsern Hort zu ehren,

Daß er die Liebe sey,


Daß er die Welt sampt allen Sachen

Erschaffen hab nur uns zu gut,

Todt, Sünde, Höll und ihren Drachen

Erwürgt durch seines Sohnes Blut,

Der für uns ist gestorben

In höchster Schmach und Hohn,

Dadurch er uns erworben

Die ewig' Ehrenkron,


Er giebt sich gründlich zu erkennen,

Da sieht man uns in seiner, ihn

In unsrer Liebe hertzlich brennen

Und tausend Frewden auff uns ziehn.

Da geht es nur in Sprunge,

Da kennt man keine Pein,

Da sieht man aller Zunge

Nur Ruhm und Lachen seyn.


Was säum ich mich? Komm, mein Verlangen,

Herr Jesu, komm und spann mich auß,

Ich habe Lust dich zu umbfangen,

Nimm mich in deines Vaters Hauß!

Du kommst? Sey willkomm! Erde

Sammt deinem falschen Pracht,

Nun ich so selig werde

Entbunden, gute Nacht!

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 499-500.
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