In kalter Winters-Zeit

[490] Gerechter Gott, wo wil es hin

Mit diesen kalten Zeiten?

Was Straffe hastu doch im Sinn

Mit uns verkehrten Leuten?

Was wird der stete Reiff und Schnee,

Der Schlossen Fall zu Land und See

Uns Armen noch bedeuten?


Die Sonn ist hoch, der liebe Tag

Beynahe funffzehn Stunden,

Noch liegt das Erdreich wie es lag,

Durch strengen Frost gebunden.

Dem Landmann sincket Muht und Hand,

Dieweil das Eisen-harte Land,

Noch keinen Pflug empfunden.


Der Himmel steht nicht wie er stund

Mit Land und See vertragen,

Natura scheint den alten Bund

Erzürnt uns auffzusagen,

Dieweil ihr Wechsel nun gebricht

Mit Kält und warme Sonnen-Licht,

Mit Nächten und mit Tagen.


Die Frühlings-Bohten kamen schon

Mit Singen angezogen,

Die sind zugleich mit ihrem Ton

Für rauher Lufft verflogen,

Man bringt kein Grähtchen fast zu Kauff,

Die Fisch und alles wird zu hauff

Von uns zu ziehn bewogen.


Das Wild geht Krafftloß und verwirrt

Nach Nahrung in den Heyden,

Das Vieh ist traurig wie der Hirt

Und kann sich nirgends weyden,

Es blöckt und brüllt in grosser Schaar,

Man mus das Stroh von Dächern gar

Für sie zu Futter schneiden.


Der theure Holtz-kauff zehrt uns schier

Das Marck aus allen Beinen,

Man hört mit Jammer da und hier,

Für Frost das Armuht weinen,

Es schreyt dich an aus Angst und Qual:

Erbarm dich Gott, und laß einmahl

Die Sonne lieblich scheinen.


Wir aber sehen dis Geschrey,

O Gott für dir verlohren,

Es kömmt nicht deinem Hertzen bey,

Als wer auch dies erfroren.

Du kennst zwar unser Ungemach

Und hörst uns auch, ach aber ach,

Mit ungeneigten Ohren.


Dies alles liebster Vater macht

Der Winter unsrer Hertzen,

Die wir durch kalte Sünden-Nacht

Dein Gnaden-Licht verschertzen.

Wer ist auff dich in Lieb entbrand?

Drumb sind in Frost auch umbgewand,

Herr deine Liebes-Kertzen.


Wer hat dein heiliges Geheiß

Zu halten sich beworben?

Zu allem guten sind wir Eyß,

Und durch und durch erstorben,

Hie ist kein Füncklein Liebe mehr,

Für Lust zu Wollust, Geld und Ehr,

Und was uns sonst verdorben.


Wir klagen, Herr, dir solches Leid

Mit Kummer im Gewissen,

Ach laß in solcher Härtigkeit

Uns ja unhingerissen,

Erwärm uns durch dein Gnaden-Licht

Und laß uns unser Angesicht

Von heissen Thränen fliessen.
[491]

Und siehest du denn uns nicht an,

Das nimmer wird geschehen,

Was hat dir Vieh und Wild gethan,

Das neben uns muß flehen?

Vernimb nur ihr Geschrey und Weh,

Die Thier hastu zu Ninive

Schon vormals angesehen.


Du Sonne der Gerechtigkeit,

Laß deinen Glantz uns strahlen

Und dann die liebe Frühlings-Zeit,

Feld, Wald und Berge mahlen,

Laß sanffte Wind und Sonnenschein,

Sampt Regen die gehabte Pein

Zehnfältig auch bezahlen.


Du suchtest vor heim Land und Stadt,

So offt wir dich anrieffen,

Laß itzt auch deiner Füsse Pfad

Mit Fett und Oele trieffen:

Erhör uns Herr in aller Noht,

Uns, die wir deines Sohnes Tod

Mit Glauben fest ergriffen.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 490-492.
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