Klage eines verliebten Schäfers vber die Vntrew seiner Phyllis

[70] Vor 1640.


Es fieng ein Schäfer an zu klagen:

Wie seine liebste Phillis Ihn

Noch liebgehabt vor wenig Tagen,

Vnd nun geschlossen aus dem Sinn,

Auch jhren schönen Krantz von Myrthen

Gegeben einem andern Hirten.


Er senckt' inß Graß die matten Glieder

Bey einer Silber-klahren Bach,

Vnd warff da Stab vnd Tasche nieder,

Sein Irden Trinck-geschirr zerbrach,

Verflucht' auch seine Wald-Schalmeyen

Vnd fieng erbärmblich an zu schreyen:


Numehr werd' ich doch nimmer singen,

Ich dancke meinem Leben ab!

Vor dich, O süsses Seiten-zwingen,

Erwähl' ich mir ein Todten-Grab,

In welchem ich auch noch vor Morgen

Wil schliessen alle Pein vnd Sorgen.
[70]

Ihr Sternen, ewig' Himmels Liechter,

Die jhr den Kreiß der Welt durchrennt,

Seyd zwischen mir vnd Phyllis Richter!

Erwegt es bey euch vnd erkennt:

Ob ich mit Recht mein JungesLeben

Vmb jhrentwillen auff-soll geben?


Hab' ich Sie nicht, wie meine Seele,

Ja noch viel hertzlicher geliebt,

So sey auch in des Grabes Höle

Was mich viel mehr als jezt betrüebt!

Hab' ich Ihr nicht mein Hertz verpfändet,

So werde nie mein Leid geendet!


Ihr Hirten, die jhr ferne weidet,

Ihr Ficht-vnd Linden-Baüm' allhie,

Ihr Quellen, die jhr vnterscheidet

Hier zwischen mein-vnd jenem Vieh',

Ihr Könnet, wollet jhr nur, zeugen,

Wie ich gewesen jhr Leib-eigen!


Ich habe meiner selbst vergessen,

Vnd einig nur auff Sie geschawt,

Bin Schlaff-lohs manche Nacht gesessen,

Erfrohren vnd gar nass bethawt,

Vnd nur gespielt, daß ich für allen

Ihr möcht' im Hertzen wolgefallen.


Was ich ie gutes hab' erzwungen,

Ward Ihr zu Ehren angewandt,

Ihr hab' ich es zu gut gesungen,

Was von mir in der Welt bekant;

Mich liebten andre Schäferinnen,

Sie aber war nicht zu gewinnen.


Man schaw' auff mein' vnd ihre Heerde,

Was für ein großer Vnterscheid

Darunder doch begriffen werde!

Vnd dieses in gar kurtzer Zeit!

Weil ich nur Ihr Vieh' außgetrieben,

Mein Eigenthumb nie können lieben.


Was hab' ich mir nicht vnverdrossen

Entzogen, vnd Ihr zu-gesteckt?

Sie hat stets meiner Milch genossen,

Mit meiner Wolle sich gedeckt,

Daß Sie nur möchte zierlich prangen,

Bin ich offt nackt vnd bloß gegangen.


Vor meine trewe Dienst' vnd Gaben

Werd' ich nun also ab-gelohnt,

Daß frembd' auff meinem Acker graben,

Ein böser Gast mein Reich bewohnt,

Mein Feld, das mir solt' ewig bleiben,

Das seh' ich andere betreiben.


Was wil ich Armer aber machen?

Ich lass' es jetzt also geschehn;

Doch, wie sie vor-steh' jhren Sachen,

Das wird Sie selbst in kurtzen sehn:

Der Frefel so vntrewer Thaten

Pflegt selten glücklich zu gerahten.


Nicht, daß Ihr Vnglück vnd Verderben

Mich kützeln vnd ergetzen solt'!

Ach nein! vnd muß ich jetzt gleich sterben,

So bin ich dennoch Phyllis hold,

Solt' ich Ihr jetzt was böses gönnen,

So hett' ich nie recht lieben können.
[71]

Ich wünsch' Ihr noch vielmehr daneben,

Daß sie in steter Lust vnd Ruh

Mit jhrer Heerde möge leben

Vnd nehm' an Lieb' vnd Güttern zu!

Auß diesen allen aber scheinet,

Wie Sie's bißher mit mir gemeinet!


Mich jammert wenn ich muß bedencken,

In was für Vnglück Sie sich stürtzt,

Wie hefftig Sie es noch wird kräncken,

Daß Sie mir jetzt mein Leben kürtzt!

Ich weiß, Sie wird noch im Gewissen

Viel meinetwegen leiden müssen.


Waß aber häuff' ich meine Schmertzen?

Mein ernster Vorsatz ist der Tod,

Die Endschafft meiner Müh' im Hertzen,

Die Grab-stät aller Pein vnd Noht,

Was ich mir gäntzlich vor-genommen,

Dem kan vnd wil ich nicht entkommen.


Gehabt euch wol, ihr Berg' vnd Felder,

Mit ewrer wol-begrünten Zier!

Ihr Quellen, Felsen, Püsch' vnd Wälder,

Ihr Wilden-vnd ihr Zamen Thier',

Ihr Wiesen, reich an klahren Bächen!

Kein Mensch sol mich mehr sehn vnd sprechen.


Hierüber ward der Tag geschlossen,

Die Sternen gaben keinen Schein,

Ein dick Gewölck kam auf geschossen

Vnd hieß den Mond gantz finster seyn,

Es blitzet' aber vngehewer,

Die Wälder stunden wie im Fewer.


So bald Aurora nun beym Zügel

Die Sonn' einführt' vnd eylte fort,

Hat man nur einen Grabes-Hügel

Gemercket an demselben Orth

Mit frischen Rosen vberschüttet,

Da Er der Schaafe vor gehütet.


Kein Schäfer war da zu erfragen,

Die Heerde nahm sehr ab vnd starb,

Die Bäume fiengen an zu klagen,

Das Graß sanck nieder vnd verdarb,

Die Bäche scheineten mit Thränen

Nach ihrem Schäfer sich zu sehnen.


Nicht weit davon stundt eine Linde,

Viel höher alß die andern Baüm',

An Esten reich, in derer Rinde

War eingeschnitten dieser Reim:

Hie Liegt der Schäfer her begraben,

Den Phyllis nie recht lieb wolt' haben.


Wol dem, der sich der Lieb' entschläget

Vnd thut, was Ihm vertrawet ist!

Wol der, die ein gut Hertze träget,

Die ohne Wanckel, Schein vnd List

Dem, welcher Sie von Hertzen liebet,

Gantz vngefärbet sich ergiebet.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 1, Halle a.d.S. 1936, S. 70-72.
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