Einundzwanzigster Gesang

[88] Von Brücke so zu Brücke gehend sprachen

Wir manches, das mein Lied nicht erst berichtet.

Als wir erreicht des Bogens Höhe, standen

Wir still, ein neues Malebolgetal

Voll unfruchtbarer Tränen zu betrachten,

Und dunkler schien es mir noch als die andren.

So wie im Arsenal der Venezianer

Im Winter zähes Pech zu sieden pflegt,

Um schlecht gewordne Schiffe zu kalfatern

Die nicht mehr fahren können, und der eine

Ein neues Fahrzeug baut, indes der andre

Des vielgereisten lecke Flanken ausstopft,

(Der pocht am Schnabel, jener nächst dem Steuer,

Der schneidet Ruder, jener windet Taue,

[88] Der flickt am Besam-, der am Hauptmastsegel)

So kochte dort, doch, statt durch Feuersgluten,

Durch Gottes Wunderkräfte, dickes Pech,

Das beide Ufer klebrig überzog.

Ich sah es wohl, doch drin erkannt' ich nur

Die Blasen, die der Sud erhob, von dem

Das Pech bald anschwoll, bald sich niedersenkte.

Noch blickt' ich aufmerksam in jene Tiefe,

Da riß der Führer mit dem Ruf: Sieh dorthin! –

Vom Ort mich, wo ich weilt', an seine Seite.

Ich wandte mich gleich dem, der ungeduldig

Zu sehen ist, was ihn zum Fliehen nötigt,

Und, obwohl Furcht ihm plötzlich allen Mut nimmt,

Zu fliehn nicht abläßt, doch fortwährend hinstarrt.

Und hinter uns sah einen schwarzen Teufel

Den Fels heran im schnellen Lauf ich kommen.

Wie war sein Aussehn doch so wild und grimmig,

Wie schien so grausam mir sein Tun und Wesen,

Mit offnen Flügeln und mit leichten Sohlen!

Auf seiner Schulter, die sich spitz erhob,

Bracht' einen Sünder rittlings er getragen

Und an den Knöcheln hielt er ihn gepackt.

O Malebranche, rief er, diese Brücke,

Da ist ein Aldermann der heil'gen Zita!

Taucht ihn ins Pech; ich gehe, mehr zu holen

In jene Stadt, die reichsten Vorrat bietet.

Bis auf Bonturo ist dort jeder käuflich;

Das Nein wird dort für Geld zum Ja gewandelt. –

Hinunter stürzt' er ihn, und wandte dann

Den Fels zurück sich, eilender, als je

Ein losgelassner Hund den Dieb verfolgte.

Der ging zugrunde, und mit dem Kopf nach unten

Taucht' er noch einmal auf; jedoch die Teufel

Der Brücke schrien: Hier gibt's kein heilig Antlitz!

Hier gilt es anders schwimmen als im Serchio.

Drum, willst du nicht erfahren wie wir kratzen,[89]

So hüte aus dem Pech dich aufzutauchen. –

Dann faßten sie ihn mit wohl hundert Haken:

Hier gilt es, riefen sie, verdeckt zu tanzen,

Im Trüben, wenn es dir gelingt, zu fischen. –

So läßt der Koch wohl von den Küchenjungen

Mit langen Gabeln in des Kessels Mitte

Das Fleisch, daß es nicht schwimme, untertauchen.

Der gute Meister sprach: Damit sie dich

Noch nicht gewahren, so verbirg dich kauernd,

Wo dir ein Felsblock ein'gen Schutz gewähret,

Und, was sie mir vielleicht auch antun möchten,

So fürchte nicht. Ich bin der Dinge kundig;

Bestand ich doch schon früher gleichen Handel. –

Dann stieg die Brücke jenseits er hinab,

Und als betreten er das sechste Ufer,

Bedurft' er wahrlich Mut und Zuversicht.

Mit jener Wut, mit jenem Ungestüme,

Womit sich Hunde auf den Armen stürzen,

Der anhält und um eine Gabe bittet,

So brachen jene unterhalb der Brücke

Hervor und kehrten wider ihn die Spieße;

Er aber rief: Vergreif' an mich sich keiner!

Bevor eu'r Haken mich zu packen wagt,

Tret' einer vor und höre meine Rede;

Dann überlegt, ob ihr mich dennoch krallet. –

Da riefen alle: Geh' du, Malacoda. –

Und einer kam, dieweil die andren blieben;

Der aber sagte: Nun, was soll's ihm nutzen? –

Glaubst du wohl, Malacoda, sprach mein Meister,

Du würdest ohne Furcht vor euren Waffen

Hier angelangt mich sehn, wenn Gottes Wille

Und günstige Geschicke mich nicht führten?

Laß uns denn gehn; es ist des Himmels Wille,

Daß diesen rauhen Weg ich jemand weise. –

Da war der Übermut ihm so gesunken,

Daß niederfallen er den Haken ließ,[90]

Und den Gefährten zurief: Tut ihm nichts! –

Dann rief der Führer: Der, vom Felsenvorsprung

Der Brücke du verdeckt, dort heimlich kauerst,

Komm jetzo unbesorgt zu mir zurücke. –

So brach ich auf, und eilte schnell zu ihm.

Die Teufel aber traten all' hervor,

Weshalb ich des Vertrages Bruch besorgte.

So sah die Knappen, die auf Treu und Glauben

Abzogen von Caprona, einst ich zittern,

Als rings umher sie nichts als Feind' erblickten.

Da drängte mit dem ganzen Leib' ich mich

Eng an den Führer und kein Auge wandt' ich

Von ihren Blicken, die nur Unheil drohten.

Die Haken senkten sie und: Soll im Kreuze

Ich einhaun? – sprach der eine zu dem andern.

Ja! war die Antwort, aber pack' ihn tüchtig. –

Der Teufel aber, der mit meinem Führer

Geredet hatte, wandte sich in Eile

Und sagte: Ruhe, Ruhe Scarmiglione! –

Dann redet' er zu uns: Auf diesen Felsen

Könnt ihr nicht weitergehn, weil ganz zertrümmert

Der sechste Bogen in der Tiefe liegt.

Wenn aber fürder euch beliebt zu gehen,

So wandert fort auf diesem Felsendamme;

Bald trefft ihr einen Block der gangbar ist.

Erst gestern waren's doch fünf Stunden später

Als jetzt, zwölfhundertsechsundsechzig Jahre,

Seit unterbrochen hier die Straße ward.

Dorthinwärts schick' ich ein'ge meiner Leute,

Um nachzusehn, ob aus dem Pech wer auftaucht;

Begleitet sie und nichts soll'n sie euch antun. –

So tretet vor, Cagnazzo, Alichino,

Hub er zu reden an, und Calcabrina,

Doch Führer von den Zehn sei Barbariccia.

Auch Libicocco komm' und Draghignazzo,

Ciriatto mit den Hauern, Graffiacane[91]

Nebst Farfarell und Rubicant, dem tollen.

So spähet denn entlang dem heißen Peche,

Doch diese rührt bis zu der nächsten Brücke

Nicht an, die feststeht über all den Schluchten. –

O weh mir, rief ich, Meister, was erblick ich!

Laß ohne dies Geleite, weißt den Weg du,

Uns weitergehn, denn nicht begehr' ich seiner.

Merkst du so sorglich auf, als du gewohnt bist,

So schau nur hin, wie sie die Zähne fletschen

Und, sich einander winkend, uns bedräun. –

Und er zu mir: Du sollst dich drum nicht fürchten;

Laß nach Belieben sie die Zähne fletschen,

Sie tun das nur für die gesottnen Sünder. –

Nun wandten sie sich nach dem Damm zur Linken;

Doch gegen ihren Führer hatten alle

Zuvor die Zunge als Signal gebläkt,

Und als Trompete er den Steiß gebraucht.

Quelle:
Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Berlin [1916], S. 88-92.
Lizenz:
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