[Den Mundrubin, der mich berücket]

[77] Den Mundrubin, der mich berücket,

In deinem Auge diese Pracht,

Die klarer, als die Sonne blicket,

Das Lockenhaar, das mich bestricket,

Das schwärzere, denn Mitternacht,

Den Lilienschnee, woraus geworden

Dein Busen ist, o mein Idol,

Beschreib' ich ihn dem Feinde wohl,

Dem dumpfen aus verrücktem Orden,

Dem gleichen einem Klotze schier?

All diese zarte, süße Zier,

Die göttlicher Natur Magie

Aus Seele, Duft und Lichte wob,

Beschreib' ich sie dem Schulpedanten,

Dem sich Gehirn und Herz verschob?

Was wissen sie, die Ignoranten,

Des krassen Unsinns Hierophanten

Voll abgeschmackter Prüderie,

Die Wühler in gelehrtem Schunde

Mit stierem Aug' und trocknem Munde,

Die traurigen, was wissen sie

Von der Physik der Poesie,

Was von der Liebe Pflanzenkunde,

Von ihrer Mineralogie,

Von ihrer Farbentheorie?

Quelle:
Georg Friedrich Daumer: Hafis. Hamburg 1846, S. 77-78.
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