[169] 1.

Die Blicke deiner Augen,

O meine schöne Freundin,

So wie sie sich nur einmal

Den meinen zugelenkt, –

Ach diese Zauberblicke,

Die leuchtenden Geschosse,

Die mörderischen Pfeile

Mit süßem Gift getränkt! –

Sie haben ohne Zorn mich,

Sie haben ohne Feindschaft

Mich also schwer verwundet,

Mich also tief gekränkt,

Daß schon von Sterbedunkel

Mein irres Auge flimmert,

Daß sich mein Haupt ermattet

Zu Tod und Grabe senkt.


2.

O du, mein theures Leben,

Du, mein geliebter Tod!

O sähst du meine Thränen,

Die ohne Maß vergoßnen

In meiner heißen Noth!

Zu schmelzen harte Steine,[169]

Uralte Felsenblöcke,

Vermöchten diese Gluthen,

Vermöchten diese Fluthen,

Mit welchen meine Seele,

Mit welchen Kraft und Dasein

Hinströmet harmzerflossen

Aus schwimmender Augen Roth.


3.

Wie brennt sie, meine Wunde!

Wie fiebern meine Schläfe!

Mein Athem, ach, wie schöpft er

So ängstlich und so schwer!

Und rings in meinem Jammer,

Allrings in meiner Bange,

Nach einem Arzt der Liebe,

Nach Arzenei'n der Sehnsucht

Forsch' ich im Land umher.

Da wird mir aus dem Munde

Der Leute diese Kunde:

»Für solche schlimme Wunde,

Für solche böse Krankheit,

Sind alle Weltenrunde

An Rath und Hülfe leer;

Wenn nicht vielleicht durch jene

Dein sieches Herz gesundet,

Die dich so tief verwundet,

Die diese Noth gestiftet,[170]

Die deine Brust vergiftet

Mit dieser Gluthbeschwer.


4.

O du, von der getrennt mich

Unbeugsame Gewalten,

Feindselige Schrecken halten,

Die deiner Tage Herrn!

O sprich, wie kann ich athmen,

Wo deines Hauches Ambra

Nicht alle Lüfte würzet,

O sprich, wie kann ich athmen,

Von deinem Munde fern?

O sprich, wie kann ich leben,

Getrennt von einem Lichte,

Dem seine Strahlenwonne

Zu danken hat der Sonne

Lichtloser, dunkler Kern?

O sprich, wie kann ich leben

Fern deinem Angesichte,

Fern deinem Augenstern?


5.

Allein bei diesen Augen,

Bei'm Ambra dieses Mundes,

Bei deines Angesichtes

Geweihter Kaba schwör' ich:

Nicht lange mehr, so bin ich[171]

Verloren oder selig,

Vernichtet oder heil.

Nicht lange mehr, so wird man

In meiner Hand erblicken

Ein wuthgeschwungnes Beil.

Damit werd' ich die Thore,

Die prangenden, zerschmettern,

Die meiner Thräne spotten,

Verhöhnen alle Leiden,

Von deiner Brust mich scheiden,

O meiner Seele Heil!

Dann sei der Taumel Edens,

Sei namenlose Wonne,

Wo nicht, die Pein der Hölle,

Sei Untergang mein Theil!

Quelle:
Georg Friedrich Daumer: Hafis. Hamburg 1846, S. 169-172.
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