[Frau Königin ward mein Gemahl]

[619] Frau Königin ward mein Gemahl

Auf einer Insel im Kanal.


In einem Kirchlein, klein und bieder,

Knieten wir am Altare nieder,


Und niemand hat gelacht, geweint,

Als uns der Priester still geeint.


Doch als wir aus der Kirch' hinaus,

Sahn beide wir erstaunter aus.


Den Ehring ungewohnt ich fand,

Und er ging leicht mir von der Hand.


Denn stets, wenn ich nach Hause ging,

Legte ich ab Hut, Stock und Ring.


Gar lästig scheint der Außenzwang,

Hat man so vielen Innendrang.


Als Gast bei unserm Hochzeitsschmaus

War nur ein weißer Rosenstrauß.


Wir saßen leis wie im Versteck

Mit unserm Glück in einer Eck.
[619]

Schön kann erst recht die Hochzeit sein,

Sind Braut und Bräutigam allein.


Doch was die Lieb' erst wirklich macht,

Das ist das Fest der Hochzeitsnacht.


Man ahnte sich ja vorderhand

Nur immer durch die Kleiderwand,


Und man wird dann sich erst zu eigen,

Darf man dem Kleiderschrank entsteigen.


Wir stammen sicher nicht vom Affen,

Zu herrlich ist der Mensch geschaffen.


Das göttlich zarte Ebenmaß

Der Affe ganz bei sich vergaß.


Wir Menschen dürfen sagen laut,

Wir haben edel uns gebaut.


Doch was beim ersten Kuß gesagt,

Sei auch zur Hochzeitsnacht geklagt.


Sie ist nicht so, wie man sie denkt,

Viel schönere die Zukunft schenkt.


Denn ist man keusch, fühlt man ein Trennen,

Man tut sich kleiderlos nicht kennen,


Der Leib fühlt sich noch unverwandt,

Nur das Gesicht bleibt uns bekannt.


Doch selig süß wird das Erschrecken,

Tut man allmählich sich entdecken.


Der Körper in so fremder Weise

Dünkt ohne Kleider uns so leise,


Fast unsichtbar wirkt man als nackt,

Bis uns das Blut am Herzen packt.
[620]

Das Blut, der alte Götterwein,

Mit Küssen schenkt man ihn sich ein,


Der ganze Mensch verbrennt davon

Und steigt zur vierten Dimension.


Der Tod, sagt man, beschließt das Leben,

Und dann soll's noch was Beßres geben.


Doch wenn sich lebt ein Weib, ein Mann,

Man sich nichts Beßres wünschen kann.


Das Bett, das ist das Himmelreich,

Dort sind wir Gott und Mensch zugleich,


Dort liegt des Weltalls Schwergewicht,

Mehr Glück als Liebe gibt es nicht.


Von meiner Nacht ist noch bekannt:

Viel Volk ist laut umhergerannt,


Die Fenster klirrten von den Wagen,

Ich hörte schreien, hörte fragen,


Am Fenster zuckte rot ein Tanz,

Zum Himmel flog ein Feuerkranz.


Gleich Hochzeitsfackeln in der Stadt

Ein Feuer hell gewütet hat.


Deshalb der Lärm in allen Gassen,

Das Feuer schien heut nacht zu prassen.


Ich hielt es heiß in meinem Arm,

Und eine Stadt ward davon warm.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 619-621.
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