[633] Ein Schicksal schon seit Ödipus

An jedem sich erfüllen muß,


Und hier sei langsam euch enthüllt,

Welch Schicksal sich an mir erfüllt.


Die Jahre gehen, wie man weiß,

Im Winter kalt, im Sommer heiß.


Nicht nur mit heiß und kalten Wangen,

Sind auch die Jahre mir vergangen.


Es war in meiner Vaterstadt,

Dort fand ein Wiedersehen statt,


Um Folgen von dem Wiedersehn

Tut sich das ganze Buch jetzt drehn.


In meiner Stadt steht auch ein Schloß

Und drinnen wuchs der Amor groß,
[633]

Bischöfe bauten dieses Haus,

Und flott sieht's wie bei Göttern aus.


Dort sind Tanz-, Spiel- und Spiegelsaal,

Und dreißig Küchen auf einmal.


Dreihundert Säle gibt es nur,

Wo man genießt Gott und Natur.


Im Garten, in verschämten Lauben,

Muß man an Seligkeiten glauben.


Süß Nacktes spielte hier Verstecken,

Und Amor ließ sich gern entdecken.


Ist er gemeißelt nur aus Stein,

Flößt er doch andern Leben ein.


Wein liegt hinter der Kellerpfort',

Der trägt das Herz gar hitzig fort,


Er bockt in Flaschen sehr markant,

Man hat Bocksbeutel ihn genannt.


Und oft an heißem Nachmittag,

Wenn Gott selbst nicht regieren mag,


Tat Bischof und Prälat sich laben,

Dem Wein sie die Regentschaft gaben.


Mit Nichten und verwandten Damen

Zum Karussellsaal sie hinkamen,


Die Pferdlein dort aus Holz nur sind,

Doch dreht man sie, so macht das Wind.


Denn war die Mahlzeit gar zu heiß,

Kühlt man sich gern den Erdenschweiß.


Man nimmt die Damen auf den Schoß,

Fromm ist stets ein lackiertes Roß,
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Und mit Musik dreht sich das Holz,

Und jedes Pferdchen bäumt sich stolz.


Die Dame, jung oder gereift,

Stets gern nach dem Bocksbeutel greift.


Ein Bischof ist auch keine Kuh,

Und heiß trinkt er der Dame zu.


»Gebenedeit sei die Natur,

Hebt hoch das Glas, toujours l'amour!«


Und die Prälaten rufen's nach:

»Toujours l'amour!« Fast springt das Dach.


Das Volk, das auf dem Schloßplatz steht,

Französisch nicht sofort versteht.


Hoch Schorle Morle, ruft es wieder,

Und Amor steigt zum Volk hernieder.


Kommt aus den Kellern dann die Nacht,

Wie Rotwein rot jed' Fenster lacht. –


Heut ist's in Schloß und Garten still,

Der kleine Gott mal schlafen will.


»Hoch Schorle Morle,« dacht' ich laut,

Weil's keiner sich zu rufen traut,


Denn offen ist dem Volk der Garten.

Wo Nachtigallen süß aufwarten


Und wo noch Amoretten stehn,

Da hatte ich ein Wiedersehn.


Ging in den Lauben auf und nieder,

Und ich erkannte jemand wieder.


Wir gingen rund um ein Bassäng,

Fast Aug' in Aug', der Weg war eng,
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Wie Würfelaugen fiel ihr Blick,

Wir würfelten um mein Geschick.


Glieder spielten ihr wie die Reben,

Wo unter Blättern Träublein leben,


Sie trug die Handschuh in der Hand,

Kein Ehering war der bekannt,


Die Hände weiß wie Sahnenflecken

Mochte man gern vom Kleid ablecken.


Sie klopft den Amor auf den Bauch

Aus Stein in dem Akazienstrauch.


Der alte Amor lachte froh,

Ihm wackelt der Sandsteinpopo.


»Du bist schon längst ein Ehemann,«

Sprach sie, »man sieht dir's gar nicht an.«


Sie fragte: »Bist du glücklich jetzt?«

Und hat sich auf die Bank gesetzt.


Ich setzte mich ganz still daneben,

Sprach: »Glücklich bin ich für das Leben.«


Fragte nicht, ob sie glücklich ist,

Sie sprach: »Ich freu' mich, wenn du's bist.«


Schwarz war sie wie ein Mohrenkind,

Die ganz schwarz durch und durch stets sind.


Wenn ich mein Alter rückwärts schiebe,

War sie einst meine Jugendliebe.


Damals stand bei der Stadt ein Haus,

Ein Mohrenkopf sah dort heraus,


Ich kam dort oft zu ihrer Mutter,

Bestellend für den Vater Butter.
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Der Mohrenkopf war nämlich keiner,

Ein Mädchen war er, braun und bräuner,


Mit echten Locken, ungelogen,

Ich hab's probiert und dran gezogen;


Wie Hobelspäne kraus, doch schwarz,

Und glänzend wie am Baum das Harz.


Mit ihr durft ich zum Stall hingehn,

Und Kühe in der Nähe sehn,


Sie wohnte nämlich mehr am Land,

Ich selber war nur stadtbekannt.


Im Kuhstall war's gar liebesam,

Irdischer Duft mein Herz benahm,


Ich war ein Knabe, sie ein Kind,

Und jener Duft, der kam vom Rind.


Sie war elf Jahre, ich dreizehn,

Ich lernte eben das Rauchen,


Wir suchten dunkle Ecken aus,

Dort waren wir mehr als zu Haus.


Den ersten Kuß, von dem man spricht,

Gab ich ihr in das Angesicht,


Doch, sagte sie, daß sie sich schäme,

Weil leicht ein Kind beim Küssen käme.


Das war die Ansicht ihrerseits,

Ich selber wußte mehr bereits,


Ich sagte, daß es nicht so wär',

Sie aber wollte mal nicht mehr.


Und jeden Tag ging Balthasar

Zum Mohrenkopf, der keiner war.
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Daß ich genehm auch ihrer Mutter,

Bestellt' ich täglich viele Butter.


Was täglich da an Butter war,

Das kaufte ich und zahlte bar.


Denn ich versetzte, was ich hatte,

Sogar am Bett die Vorlegmatte.


Doch da die Butter leicht verdirbt,

Die man von Kühen sich erwirbt,


Und daß der Vater nichts erführe,

Legt' ich's bei Häusern in die Türe.


So wie man Findelkinder macht,

Wenn man die Türen nicht bewacht.


Dies Mohrle sah ich plötzlich wieder,

Da sang mein Herze Bubenlieder,


Auf einmal war das ganze Land

Wie ein Spielkasten mir bekannt.


Vom Riesenturm her hinter Bergen,

War mir's, als käm' ich zu den Zwergen,


Wo alles sich von selbst verstand,

Zu Gold wurde der Gartensand,


Die Rose fällt dir in den Schoß,

Öffnest du still die Hände bloß.


Im Glück ich wie ein Bär mich fand,

Unglück schien mir interessant,


Glücklich zu sein, fand ich fast dumm

Und sah mich gern nach Unglück um.


Ich tat nach ihren Augen birschen,

Die hingen da schwarz wie Herzkirschen,
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Ich wollt' schon eine Leiter holen

Und hätte wie als Bub' gestohlen.


Plötzlich fiel sie mir in die Rede,

Fragte: Welch Ohr ihr klingen täte?


Ob's rechts oder im linken sei?

Mit Eile riet ich falsch dabei.


»Dann wird jetzt schlecht von mir gesprochen,«

Sprach sie und hat sacht abgebrochen,


Meinte, sie könnt' nicht weitergehn,

Sie grüßte, und ich durft' nachsehn.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 633-639.
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