Die Vögel vom Niemandsland

[482] »Wir sind die Vögel vom Niemandsland«.

Ich ging am Meer, das lag da frei.

Da jagten Vogelscharen vorbei,

Und deutlich ich ihren Schrei verstand.


»Wir sind die Vögel vom Niemandsland.

Die Erde dort ist vom Tode blind.

Dort lebt kein Haus und lebt kein Gesind.

Wir lernten fressen aus Leichenhand.
[482]

Wir sind die Vögel vom Niemandsland,

Wo Wolken Eisen wild niedergehn.

Wo rund sich die Lüfte brüllend drehn,

Im Granatenloch das Nest uns stand.


Wir sind die Vögel vom Niemandsland.

Wo nur Männer sterben, Männer blühn,

Wo des Nachts noch die Geschosse glühn,

Aufflogen wir im Raketenbrand.


Wir sind die Vögel vom Niemandsland.

Dort ist der Tod der Tageslohn,

Singt die Kanone dem Leben Hohn.

Wir löschen den Durst beim Blut im Sand.


Wir sind die Vögel vom Niemandsland

Kein Baumzweig hat uns jemals gewiegt

Weil jeder Baum dort in Splittern liegt.

Wir fanden nur Schutz im Unterstand.


Wir sind die Vögel vom Niemandsland,

Wir sangen dem Manne am Brustwall zu,

Doch mehr als Lieder gab Helden Ruh

Die singende Kugel am Grabenrand.


Wir sind die Vögel vom Niemandsland.

Dort bei des Trommelfeuers Gedröhn,

Dort singt es sich gar so wunderschön,

Der Sterbende dankt, uns zugewandt.


Der Krieg weicht nicht, bis den Mann man fand,

Den Mann, vor dem den Zärtlingen graut.«

Verschwindend riefen die Vögel laut:

»Wir suchen den Herrn vom Niemandsland.«


(Malang, 16. November 1916)


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 482-483.
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