Abenteuer der sechsten Amme

[62] Jemand muß heut' noch sterben,

Ein Hund heult so heut' Nacht!

Die Zähn' klappern wie Scherben,

Jed' Amme Kreuze macht.


In sich gebückt wie Knäule

Zwei Kreuz' noch Jede macht.

Endlos ist's Hundsgeheule,

Ja, Jemand stirbt heut Nacht! –


Und eine Amme wieder

Sprach: »Alles nimmt ein End,

Enden tun alle Lieder,

Man ist das schon gewöhnt.


Durch Horchen hört man eben,

Wie man beim Reden spricht.

Heinz wär' heut' noch am Leben,

Horchte Babette nicht.


So denk' ich mir das Ganze:

Der Teufel war im Spiel.

Oft sitzt an einer Wanze

Sein Pech, wann er es will.«


Die sieben andern Ammen

Mußten ans Herz sich fassen.

Sie rückten eng zusammen

Und stellten fort die Tassen.
[63]

Babett tut Schornstein fegen,

Wird Schornsteinrat genannt.

Und schwarz ist sie deswegen

Und dadurch stadtbekannt.


Einmal da rutscht sie 'runter,

Herrn Heinz just in die Arm'.

Vom Dach fiel sie hinunter,

Noch war sie ganz rußwarm.


Er trug sie in sein Zimmer

Und wusch sie etwas klar.

Und daraus ward was schlimmer,

Etwas, was furchtbar war.


Nämlich 'ne Mordgeschichte

Entstand aus diesem Akt.

Vorher da schloß im Schornstein

Der Teufel seinen Pakt.


Der Teufel kam gekrochen,

Sprach: »Babett, kriegst 'nen Mann,

Wenn nach so'n so viel Wochen

Ich mir ihn holen kann.


Du mußt ihm dann erzählen,

Was ich Dir sagen tu.

Denn nur so darfst Du wählen

Und gibst dem Teufel Ruh.
[64]

Dafür darfst Du auch küssen,

Kriegst einen ganzen Mann.

Du kannst nichts Beßres müssen.«

Was liegt der Babett d'ran!


Kaum ist sie einverstanden,

Schmeißt Jemand sie vom Dach.

Sie tut bei Heinzen landen –

Der Teufel sieht ihr nach.


Der Heinz hat sie gewaschen,

Und als sie rein genug,

Läßt sie Heinz Küsse naschen,

Nascht selber zart und klug.


Bald lebten sie wie Tauben,

Sie liebte selbstbewußt,

Tat seine Lampen schrauben,

Wenn eine Lampe rußt.


Des Morgens stieg sie wieder

Zum Schornsteine hinauf,

Abends zu Heinz hernieder;

Das war ihr Lebenslauf.


Doch endlich nach acht Wochen,

Da kam dann der Termin.

Der Teufel kam gekrochen,

Saß im Kamine drin.
[65]

Babett gleich einem Storchen

Kehrt just beim Advokat.

Auf einem Bein zu horchen

Sie die Gewohnheit hat.


Dort war grad' Herrenessen.

Man renommierte sehr,

Und bei dem besten Fressen

Fiel über Heinz man her.


Man sprach, man könnt' nicht zählen,

Wie groß sein Harem sei.

Er tät' die Mädchen schälen

Und liebte sie zu Brei.


Und alle Frauen wüßten,

Zu hitzig ging er um.

Doch all' ihn lieben müßten,

Nur eine bliebe stumm.


»Und diese seltne eine«,

Lachte der Advokat,

»Ist eine selten Reine,

Die ich mal küssen tat.«


Die Ohren der Babette,

Die wuchsen riesengroß.

Wenn sie doch keine hätte!

Jetzt ist der Teufel los.
[66]

Der Advokat spricht: »Heute

Sieht man's dem Heinz nicht an,

Welch' ideale Leute

Der Heinzen lieben kann.


Das war damals Sylvester,

Da saß ich auf dem Land,

Wo meine Milichschwester

Tief in Prozessen stand.


Im Haus war eine Dame,

Sie schrieb die Schreibmaschin'.

Rosalie war ihr Name,

Sie schrieb stets still dahin.


Rosalie zu Sylvester

Auch sie goß mit uns Blei.«

Sprach: »Advokat, mein Bester,

Steht mir 'ne Frage frei?


Sagt mir doch das Orakel

Hier aus dem Blei heraus!

Besah mir den Spektakel

Und ward nicht klug daraus.


Sie fragte mich so eigen,

Als müßt' in diesem Jahr

Sich was besondres zeigen,

Dran ihr gelegen war.
[67]

Und später traf ich richtig

Im Dunkeln sie allein,

Und dies soll immer wichtig

Bei allen Damen sein.


Laß mir das nicht entgehen,

Ich habe sie geküßt.

Sie ließ es auch geschehen,

Und ich bekam Gelüst,


Das Neujahr zu beginnen,

So gut's am Lande geht.

Wollt' um mehr Küsse minnen –

Doch Rosa widersteht.«


Die Ohren der Babette,

Sie sind schon wie ein Faß.

Wenn sie jetzt keine hätte,

Sie hörte doch etwas.


»Ich fragt'«, warum den einen

Kuß sie gelitten hat,

Sie sprach: »Ich war im Reinen

Nicht ganz, Herr Advokat,


Mit mir. Ich dacht voll Lachen

Als man den Kuß mir nahm:

So dürfte es sich machen,

Wär' hier mein Bräutigam.
[68]

Ich tue ihn erwarten

Jetzt volle zwanzig Jahr.

Frag' stündlich nur die Karten,

Auch dies macht mich nicht klar!«


Ich hörte zu allmählich.

Sie sprach sich einfach aus:

Herr Heinz, er mach' sie selig,

Sie kenn' ihn von zu Haus.


Sie war damals 'ne kleine

Liebliche Kindsperson,

Ein Kindermädchen, reine,

Mit Sucht nach höhrem Ton.


Sie schob den Kinderwagen

Und sagte höchstens: »ach!«

Heinz tat um Lieb sie fragen.

Und sie sprach: »Heinz, hernach!«


Denn er ging noch zur Schule

Mit der Primanerschar,

Las ihr König von Thule,

Wo eine Buhle war.


Sie traf unter Kastanien

Den Heinz da jede Nacht,

Nahm gerne die Geranien,

Die er ihr mitgebracht.
[69]

Sie hielten sich die Hände,

Doch mehr gab sie ihm nicht.

Weil es ihr besser stände,

Wenn sie sich ihm verspricht.


Er steckte an den Finger

Ein Ringlein ihr aus Stahl,

Wertvoller als Golddinger,

Die's sonst gibt jedesmal.


Sie tat sich ihm geloben –

Schwur Heinz stählerne Treu,

Darum hielt sie sich oben.

Noch heut ist sie ihm neu.


Und treu will sie ihm bleiben

Auch in dem neuen Jahr.

Es ist nicht zu beschreiben,

Wie Rosa komisch war.


Da brüllten alle Herren,

Es brüllt der Advokat.

Solch Lachen muß verzerren,

Er wußt' nicht, was er tat.


Er hob sein Glas zur Höhe

Und rief: »Es leb' der Kuß!

Treu beißen auch die Flöhe,

Weil man sich nähren muß.«
[70]

Plötzlich ertönt ein Poltern –

Der Schornstein stürzt fast ein.

Mit ihren Liebesfoltern

Fällt die Babett herein.


Sie muß zuerst sich schütteln,

Dann schreit sie hoch in Wut:

»Dem Anwalt und den Bütteln

Schmeckt das Verschwärzen gut!


Herr Advokat, Sie brennen

Sich ganz gemein den Mund,

Wenn Rosa Sie verkennen

In ihrer besten Stund.


Gleich muß der Heinz mir her da!

– Wie ihr doch dreckig lacht! –

Wüßt ich doch, ob aus Rosa

Mein Heinz sich viel noch macht!«


Vor Staub und Ruß konnt niemand

Den andern richtig sehn.

Das Lachen schnell dahinschwand,

Der Ruß nur blieb bestehn.


Das End vom Herrenessen

Schien ein Kinnbackenkrampf.

Weit auf standen zwölf Fressen,

Und der Verstand ward Dampf.
[71]

»Der Teufel!« schrieen alle,

Und selbst ein Staatsanwalt

Rief: »Ja, in diesem Falle

Kam er in Weibsgestalt.«


Babette aber, eiligst,

Flog sturmgebläht nach Haus.

Herr Heinz übt grad kurzweiligst

Die Kunst am Waldhorn aus.


Sie hört schon aus drei Straßen,

Wie schön er tremoliert.

Sie muß ans Herz sich fassen,

Weil sie dort was verliert.


Sie fühlt sich wie erstochen:

Heinz gehört Rosa an!

Rosa ist er versprochen!

Sie hat kein Recht daran!


Es zieht die Trän' wie Säure

Linien durchs Rußgesicht.

Wie schön bläst Heinz der Teure!

Und Schwärze kennt er nicht.


Keine hat er vergessen,

Doch auch behalten – nie.

Auf nichts war er versessen,

Nur auf die Rosalie.
[72]

So denkt es sich Babette

Ganz schmierig im Gesicht.

Wenn sie nicht Ruß dran hätte,

Wär sie wie ein Gedicht.


Rosa wollt' er nicht rühren

Der Heinz, wie sonst er's tat,

Weil er ja zum Verführen

Die andern Alle hat.


Auch denkt sich jetzt Babette

Im Herz den Hexenschuß:

»Wenn keins gesprochen hätte!

Da ich doch horchen muß!«


Denn Heinz, er ging zur Stunde,

Nachdem Babette sprach,

Zur Herrentafelrunde

Und machte einen Krach.


Schlug sich dann ohne Sorgen

Im Wäldchen mit dem Herrn.

Kaum lag er tot am Morgen,

Da hätt' ihn Jeder gern.


Ihm fließt vom Herz ein Fädchen

Tiefrot und leuchtet sehr,

Weil Heinz von seinen Mädchen

Verteidigte die Ehr!
[73]

Babett, wenn auch gewaschen,

Fühlt stündlich sich nicht rein.

Schuld sitzt in ihren Taschen,

Schwarz wie Kamine sein.


Sie möcht' am Sarge toben,

Weil sie jetzt nichts mehr hat,

Als in dem Schornstein oben

Den Titel Schornsteinrat.


»Nun möcht ich«, sprach die Amme,

»Einmal die Tassen schwenken.

Der Rest schmeckt stets infame.

Leben tut Gräber schenken« –


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 62-74.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon