Abenteuer der zweiten Amme

[28] »Ja,« kam's von einer Andern

»Hab's Herrn Heinz nie verdacht,

Sein Herz tat fleißig wandern,

Es war dazu gemacht.


Auch meine Frau tut gleichen

Der Frau Brigitte sehr.

Zwei Männer, ganz als Leichen,

Gab sie für Heinzen her.«


Die sieben andern Ammen

Taten ans Herz sich fassen.

Sie rückten eng zusammen

Und stellten fort die Tassen.


»Die Fürstin«, sprach die Eine

Und wischte sich den Mund,

»Warf Perlen vor die Schweine

In ihrer Hochzeitsstund.«


Es ward Bonaventura

Bald untreu ihrem Mann.

Weil von ihm kaum 'ne Spur da,

Von dem, was da sein kann.


Mit einem Wort, es lebte

Der Fürst nur von Morphin.

Der Fürstin widerstrebte

Alles, was Medizin.
[29]

Sie fühlte sich verstanden

Vom Attaché de l'O ....,

Und da sie sich schon kannten,

Traf man sich leicht mal wo.


Sie kam im dichten Schleier

Zum ersten Rendez-vous.

Im Wald fühlt man sich freier,

Nur Bäume sehen zu.


Doch wie die Fürstin schwärmend

Anschaut den Attaché,

Schien er ihr nicht erwärmend,

Weil jemand in der Näh.


Ein Mann suchte für Tinte

Galläpfel, und es blitzt

Sein Aug wie eine Flinte,

Sein Blick, der zielt und sitzt.


Der Mann folgt ihren Schritten,

Zuerst war sie empört.

Er hat in Waldesmitten

Ihr Rendez-vous gestört.


Und auch am nächsten Tage

War überall er da.

Der Wald ward eine Plage

Frau Bonaventura.
[30]

Gewisse Augen sitzen

Von manchem Mannsgesicht.

Dann muß jed' Weib erhitzen,

Will sie es oder nicht.


Sie konnt ihn nicht vergessen.

Und er, der so geschaut,

Das ist Herr Heinz gewesen –

Sein Herz nahm sie zur Braut.


Der Attaché, nicht näher

War der von Heinz entzückt

Er glaubt, es wär ein Späher

Vom Fürsten ausgeschickt.


Darum schlug er zur Schonung,

Für Auge und für Ohr,

Auf morgen seine Wohnung

Als Rendez-vousplatz vor.


Die Fürstin in Gedanken

Sagt' gleichgültig nur: Ja.

Denn bei den Liebeskranken

Ist wenig Stimme da.


Fürstin Bonaventura

Hat sich nicht eingestellt.

Sie fand, 's wär mehr Natur da,

Wenn sie den Waldweg wählt.
[31]

Und diesmal wich die Fürstin

Dem Augenblick nicht aus,

Sie lehnte sich an Heinz hin,

Sprach: »Hier bin ich zu Haus.«


Denn bei ihm fand sie Sprache,

Er schwört bei jedem Kuß.

Natürlich war die Sache

Und nicht bloß, weil man muß.


Er tat nicht Galle suchen,

Er suchte ihren Mund.

Und unter grauen Buchen,

Da trieben sie es bunt.


Wie Zweige vom Epheue

War Leib an Leib gerankt.

Sie schwuren schwere Treue,

Und niemals würd' gezankt.


Sie konnt' ihn los nicht lassen,

Noch wie der Mond aufging,

Küßt sie ihn ohne Maßen –

Der Wald fast Feuer fing.


Sie sprach: »Ich bin entschlossen,

Noch heute reiß ich aus,

In meiner Staatskarossen

Fliehn wir zur Stadt hinaus.«
[32]

Sie nahm all ihre Broschen

Und's silberne Besteck.

Der Fürst fror in Galoschen,

Starb Mittags noch am Schreck.


Herr Heinz und seine Fürstin,

Sie flohn durch Feld und Straß'.

Die Pferde flogen glatthin,

Weil nichts im Wege saß.


Doch an dem nächsten Flecken

Traf sie ein langer Brief;

Und dieser tat bezwecken,

Daß nachts man nicht mehr schlief.


Der Attaché schrieb klagend:

Er wollt' sie nochmals sehn,

Der Fürstin Lebwohl sagend,

Nur so könnt' er bestehn.


Er sei im städt'schen Garten

Mittags von eins bis zwei.

Und möcht' nicht länger warten,

Auf's Höchst' bis Viertel drei!


Und sei sie nicht entschlossen

Und käme nicht genau,

So hätt' er sich erschossen –

Er schösse nicht in's Blau.
[33]

Die Frau wollt' er verfluchen,

Dies Weib, das ihn betört;

Sein Geist würd' sie aufsuchen,

Auch wenn er nächtlich stört.


Die Fürstin las das Schreiben

Dem Heinzen, Satz um Satz.

Heinz zwang sie nicht zu bleiben,

Sprach: »Geh hin, schönster Schatz!


Hast meine warmen Küsse

Als einen Talisman,

So daß Revolverschüsse

Und Dolch nichts schaden kann.«


Die Fürstin ging zum Garten,

Wie Heinzen ihr's empfahl.

Sie tat bis zwei Uhr warten

Und tat es ohne Qual.


An Heinz dacht' sie beständig,

Um zwei ging sie nach Haus.

Froh, daß sie ganz lebendig,

Zog sie die Uhr heraus.


Schob sacht den Zeiger weiter,

Den sie vorher verstellt.

Denn deshalb hat sie leider

Das Rendez-vous verfehlt.
[34]

Sie hat sich schlau gerettet

Aus dieser schweren Stund.

Und Heinz hat recht gewettet:

Sie kehrte heim gesund.


Doch abends, da sie eben

Im Bett ihr Haar aufsteckt,

Sieht sie was Weißes schweben.

Was Schüttelfrost erweckt.


Sie muß ans Bettend starren,

Als müßt' dort Jemand stehn.

Mit Angst in allen Haaren

Muß sie das Weiße sehn.


Heinz sagt, es ist 'ne Falte

Im Vorhang. 'S geht nicht fort.

Sie fühlt die Luft, die kalte, –

Der Attaché sitzt dort.


Sie floh in Schreckensnöten

Zu Heinz unter die Deck.

Da muß der Geist erröten,

Und später blieb er weg.


Doch eh er ging für immer,

Sprach er: »Bonaventur,

Du Weib, Du bist noch schlimmer

Wie's Weib sonst von Natur.«
[35]

Und früh las sie im Blatte,

Man fand den Attaché

Erschossen, wo sie hatte

Verfehlt ihn ganz exprés.


So tat Bonaventura

Aus Liebe zu Herrn Heinz.

Für ihn war sie jetzt nur da,

Und alles war ihr eins.


Liegen so Zwei im Bette

Und kommt auch noch ein Geist,

Sind sie der Nachwelt fette

Beweis', was Liebe heißt.


Und heut weint meine Fürstin

Noch mehr als Jede weint.

Es starb ihr Lebensgeist hin

Mit Heinzen, ihrem Freund.


»Auch ich«, schloß hier die Amme

»Will jetzt Kaffee einschenken.

Wahr ist's, kein Mensch verdamme!

Das Leben gibt zu denken.« –


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 28-36.
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