Da geht ein alter Schäfer

[152] Da geht ein alter Schäfer,

Sieht ohne Gruß die Welt,

Gebückt tief wie ein Schläfer,

Der schlafend Reden hält.
[152]

Sein Hund fällt mit Gekeife

Die kleinste Fliege an.

Der Schäfer kaut die Pfeife

Und stolpert stumm bergan.


Die Schafe fliehn und jagen,

Der Berg gibt Bodenlaut,

Der Schäfer könnt' ihn fragen.

Nur zwein allein vertraut


Der Berg, was er gesprochen,

Dem Schäfer und den Schnecken,

Die ihm am Rücken krochen.


Doch eh' von Lippenrunzeln

Des Schäfers Frage will,

Da müßt' der Berg erst schmunzeln,

Drum schweigen beide still.


Sie wissen, was sie wissen:

Manch Ding lebt noch im Tod,

Ists Herz grau und zerschlissen,

Macht's keine Rede rot.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 152-153.
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