A Vespero

[12] Die Sonne fällt zur Erde. Gellend zerspringt ihr Licht.

Dicht vor dem blauen Tempel rollt sie nieder. Die berstenden Strahlen jagen durch den Tempelhain. Das Laub fliegt in braunroten Fetzen, geronnene Blutschlacken, triefende Purpurbrände. Alles rast durch die Bäume. Und die Bäume alle von unten in gequollenem Blut und stockend gründumpf.

Gestalten in blauen Laken und in Scharlach ziehen zum Licht.

Helle Wege sickern wie Wasserläufe unter den Bäumen. Blasse blaue Marmorgötter auf breiten flachen Rasenstufen die Anhöhe empor. Grün, blau, rot splittert das Licht über dem Grase, und in kritzelndem Wirbel wie glühende Metallspäne in der Luft.

Ein Schwefelhagel. Es prasselt aus der Sonne. Gellende Strahlstöße, fletschende Goldbrunst hochgeschleudert über den blauen Tempel, über den blutroten Hain.

Eine Bläue von geweihten heiligen Düften quillt aus der Halle, aus öden Säulen schwüles samthaariges Weihrauchblau.

Aber draußen die blutrote Ruhe im Hain steift sich gegen das tolläugige Licht.

Das rasende Gelb verzerrt, reißt das stockende geronnene Schweigen nieder.

Jede Grasspitze knistert, sticht Licht hoch. Rot, und[12] Blau und ätzendes Grün. Das rote Dunkel stöhnt im Laube, versengt gekrümmt. Die Bäume in flatternde Fetzen gerissen, flachgepreßt. Und das Licht prallt gegen die Stämme, und verzerrt das Geäst.

Aber das Rot krampfhaft mit braunen röchelnden Kräften und hemmend die gelbe Wut und die Gier. Von den Baumfratzen trieft Purpur. Der Rasen blutet. Und wundgeritzt, rotentzündet der Boden.

Die Gestalten in blassem Blau und stierem Scharlach, alle beugen sich vor dem Lichte, vor der Sonne, die auf die Erde gefallen.

Die Duftbläue raucht aus dem Tempelmarmor. Und das Blau der Tempelhalle beugt sich vor der Sonne.

Das gewaltige Licht steht wie ein schmetternder Donner hochgeschwungen über allem, mit der Kraft berstender Tuben.

Die Sonne opfert.

Inbrünstige Feuer knien vor dem Tempel, klammern an den Säulen.

Auf goldroten Flügeln schwingt es hoch. Ein Hallelujah aus brausenden Himmelsschlünden.

Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 12-13.
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