Drittes Kapitel.

[32] Ehe jedoch dies halbe Jahr ganz zu Ende war, versuchte jener jüngere Bruder, den ich am Anfang meiner Geschichte schon einige Malekurz erwähnt habe, mit mir anzubändeln, und als er mich eines Abends allein im Garten traf, sagte er mir ziemlich dieselben Worte her, die ich nun inzwischen schon so oft, wenn auch nicht von ihm gehört hatte: das heißt, er machte mir eine Liebeserklärung, nur daß er sie – und das war wohl ein bedeutsamer Unterschied – kurz und bündig mit einem klaren und ehrenhaften Heiratsantrage schloß.

Niemals in meinem Leben war ich in eine größere Verwirrung geraten, als in dem Augenblick. Ich wies den Antrag mit Hartnäckigkeit zurück und führte alles mögliche gegen ihn an: Ich wies ihn auf die Ungleichheit der Partie hin, auf die Behandlung, die mir die Familie gewiß zu teil werden[33] lasse, wenn sie von seinem Ansinnen erfahre, auf die Undankbarkeit, die ich durch meine Einwilligung gegen seinen guten Vater und seine gute Mutter begehen würde, die mich so großherzig aus dem niedrigsten Elend in ihr Haus aufgenommen; kurz, ich tat alles, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen, nur die Wahrheit sagte ich ihm nicht, die gewiß seinen Bemühungen ein sehr schnelles Ende gemacht haben würde, die ich aber natürlich nicht anzudeuten wagte.

Es trat nun in der Folge eine Wendung ein, die ich nie erwartet hätte und die mir dann viel zu schaffen machte. Da der junge Herr nämlich so geradeaus und ehrlich war, benahm er sich auch stets und bei allen Gelegenheiten so; und da er sich selbst nichts vorzuwerfen hatte, lag ihm nicht, wie seinem Bruder, etwas daran, daß seine Zuneigung zu Fräulein Betty der Familie ein Geheimnis bliebe; obgleich er niemandem gerade heraus erklärte, daß er schon mit mir gesprochen habe, tat und sagte er doch so deutliches, daß seine Schwestern notwendig erkennen mußten, wie er mir mit Liebe zugetan sei. Auch seine Mutter merkte seine Neigung heraus; und obgleich sie alle mir gegenüber nichts erwähnten, sprachen sie doch untereinander davon, und ich Arme, ich erfuhr nun, daß sie ihr Benehmen mir gegenüber gründlich veränderten.

Doch wenn ich auch wohl die Wolken sah, die sich zusammengezogen, so dachte ich nicht, daß das Unwetter so nahe wäre; zwar mußte bald ein jeder erkennen, daß sich die Stimmung der Familie gegen mich gründlich geändert habe und von Tag zu Tag schlimmer wurde; dennoch überraschte mich eines Tages die Erkenntnis, man werde mir bald sagen, es sei sehr wünschenswert, wenn ich binnen kurzem das Haus verließe.

Zwar war ich nicht allzu beunruhigt darüber denn ich sagte mir mit Genugtuung, daß ich wohl versorgt war und verhehlte mir nicht, daß ich jeden Tag erwarten konnte, mich guter Hoffnung zu sehen, und daß ich dann die Familie ja sowieso,[34] ohne einen Vorwand angeben zu können, verlassen müßte.

Nach einiger Zeit nahm der jüngere Herr eine Gelegenheit wahr, um mir zu sagen, daß seine Neigung zu mir seiner Familie bekannt geworden; ohne mein Verschulden, fügte er hinzu, denn er wisse ganz genau, wie die Sache herausgekommen sei. Seine eigenen Reden seien der Grund, und daß er aus seiner Hochachtung für mich einstweilen noch kein Geheimnis gemacht habe, wie er es eigentlich hätte tun sollen. Aber verbergen könne er nun einmal nichts, im Gegenteil, er werde, sobald ich einwillige, seine Ehefrau zu werden, allen offen mitteilen, daß er mich liebe und heiraten wolle. Weiter sagte er, daß sein Vater und seine Mutter allerdings damit nicht einverstanden und ungnädig zu mir sein würden, daß er aber selbständig leben könne, da er mündig sei und sich nicht davor fürchte, für mich mit zu sorgen, daß er, kurz gesagt, glaube, ich brauche mich seiner nicht zu schämen, er aber wolle sich meiner auch nicht schämen, er finde es verächtlich, mich, die er später als seine Frau anerkennen wolle, nicht auch jetzt schon als seine Braut anzuerkennen, ich habe nichts weiter zu tun, als ihm meine Hand zu geben, alles Übrige wolle er schon verantworten.

Ich befand mich nun in einer schlimmer Lage und bereute von ganzem Herzen, daß ich mich dem ältesten Bruder so leichtsinnig hingegeben hatte; nicht irgend welcher Gewissensbedenken halber, dergleichen war mir ganz unbekannt, aber ich konnte doch nicht daran denken, die Ehefrau des einen und die Geliebte des anderen Bruders zu sein. Außerdem kam mir in den Sinn, daß mir der ältere Bruder ja auch versprochen hatte, mich zu seiner Frau zu machen, sobald er in den völligen und endgültigen Besitz seines Vermögens gelange. Dabei fiel mir jetzt sehr auf, daß er, seit ich seine Geliebte geworden, nie mehr davon geredet hatte, mich später auch zur Ehefrau zu nehmen. Es hatte mich das jedoch bis dahin nicht weiter bekümmert,[35] denn wie seine Zuneigung zu mir nicht zu erkalten schien, ließ auch seine Freigebigkeit nicht nach, obwohl er klug genug war, nur von mir zu verlangen, daß ich nicht einen Pence für Kleider ausgäbe oder sonst irgend welchen Aufwand triebe, damit es in der Familie nicht zu Eifersucht und Argwohn käme, da sich jedermann hätte sagen müssen, daß ich nicht auf rechtliche Weise, sondern nur durch geheime Freundschaft, deren Art man gar bald erraten hätte, zu solchem Putz gekommen sein könne.

Ich befand mich nun in einer großen Klemme und wußte nicht, was zu tun sei. Das Schlimmste war, daß der jüngere Bruder nicht nur unentwegt um mich warb, sondern es vor jedermanns Augen tat. So kam er wohl in das Zimmer einer seiner Schwestern oder seiner Mutter, setzte sich zu uns und sagte mir vor ihren Ohren tausend liebe Dinge über mich, so daß das ganze Haus bald davon sprach und die Mutter ihm Vorwürfe machte. Sie ließ denn auch bald einige Reden fallen, die darauf schließen ließen, sie werde mich aus der Familie entfernen, das hieß klar und deutlich, sie wolle mich vor die Türe setzen. Nun mußte ich mir doch sagen, daß meine Lage dem ältesten Bruder kein Geheimnis mehr sein konnte, es sei denn, er glaubte, was kein Mensch sonst in der Familie tat, der jüngere Bruder habe versprochen, in einem solchen Falle für mich zu sorgen. Da ich aber einsah, daß die Mutter es nicht bei bloßen Worten bewenden lassen werde, drängte sich mir die Notwendigkeit auf, mit ihm zu reden, nur wußte ich noch nicht, ob ich selbst von der Sache anfangen solle, oder warten, bis er auf sie zu sprechen kam.

Nach ernsthaftem Nachdenken – ich begann jetzt nämlich, aber auch erst jetzt, die Dinge ernsthaft zu betrachten – beschloß ich bei mir, selbst zuerst davon zu reden; und es dauerte auch nicht lange, so bot sich mir eine Gelegenheit, denn schon am nächsten Tage begab sich sein Bruder in Geschäften nach London, die Damen der Familie machten einen Besuch,[36] und wie es früher so oft vorgekommen, kam er auch diesmal seiner Gewohnheit folgend zu mir herauf, um sich ein oder zwei Stunden mit Fräulein Betty zu vergnügen.

Als er ein Weilchen bei mir war, bemerkte er eine Veränderung in meinem Wesen, ich war nicht so offen und munter wie gewöhnlich, auch sah er, daß ich geweint hatte. Er fragte mich gleich mit vieler Güte, was denn geschehen sei und ob mich irgend etwas bekümmere. Ich hätte nun gerne noch eine Zeitlang geschwiegen, doch konnte ich meine Unruhe nicht länger verbergen; nachdem er mich noch heftiger bestürmt hatte, um das aus mir herauszuholen, was ich gerne so lange wie möglich verschwiegen hätte, sagte ich ihm, daß er recht gesehen und daß mir etwas Kummer mache, und zwar etwas, das ihm kaum verborgen geblieben sein könne, obwohl ich nicht recht wisse, wie ich es ihm mitteilen solle; daß die ganze Wendung mich nicht nur überrascht, sondern mich geradezu verwirrt, kopflos gemacht, und daß ich nicht aus, noch ein wisse, und nicht, wie ich mich zu betragen habe, wenn er mich nicht leiten wolle. Er antwortete mir darauf mit großer Zärtlichkeit: was es für eine Angelegenheit auch immer sei, ich solle mir nur ja keine Sorgen machen, er werde mich vor der ganzen Welt verteidigen.

Ich holte nun recht weit aus und sagte zuerst, ich fürchtete, den Damen seien unsere Beziehungen im Geheimen bekannt geworden; denn ein jeder müsse doch sehen, daß sich ihr Benehmen gegen mich durchaus geändert habe, daß sie nun plötzlich allerlei an mir zu tadeln fänden, ja oft geradezu rauh mit mir verführen, obwohl ich ihnen keine Veranlassung dazu gäbe; auch habe ich früher immer bei der ältesten Schwester geschlafen, während man mich neuerdings allein oder bei einer der Mägde schlafen ließe; und oft habe ich gehört, wie die Damen unter einander sehr unliebenswürdig von mir gesprochen hätten; was meine Befürchtung aber ganz besonders bestätige, sei der Umstand, daß eine der Dienstmägde mir gesagt, sie habe gehört, ich solle vor die Türe[37] gesetzt werden, weil es zu gefährlich für die Familie sei, mich noch länger im Hause zu behalten.

Er lächelte, als er dies alles hörte, und ich fragte ihn, wie er die Sache nur so leicht nehmen könne, da er sich doch sagen müsse, daß es um mich geschehen sei, wenn man wirklich irgend etwas entdeckt habe und daß es auch ihm schaden werde, wenn es ihn auch nicht ins Verderben stürze wie mich. Ich warf ihm vor, er sei eben auch so wie alle Männer, die, wenn der Ruf und das Glück einer Frau in ihrer Hand läge, ihren Scherz damit trieben, oder das zum mindestens wie eine Kleinigkeit behandelten und den Untergang derer, bei denen sie ihren Willen durchgesetzt, als ein Unbedeutendes, Selbstverständliches und ganz Gleichgültiges betrachteten.

Als er sah, daß ich sehr erregt und in bitterem Ernste sprach, schlug er sofort einen anderen Ton an; er sagte, es betrübe ihn sehr, daß ich dergleichen von ihm denken könne; er habe mir doch nie den geringsten Grund dazu gegeben, sondern sei auf meinen Ruf stets nicht weniger bedacht gewesen, als auf seinen eigenen; auch sei er sicher, daß unsere Beziehungen, die wir mit soviel Geschick verheimlicht hätten, von niemandem in der Familie geahnt würden, und daß er vorhin nur gelächelt habe, weil er erst ganz kürzlich noch den Beweis erhalten, daß niemand auch nur im Entferntesten von unserm Einverständnisse wisse, und wenn er mir erst gesagt, wie viel Grund ich habe, die Sache ebenfalls leicht zu nehmen, so werde auch ich lächeln, denn er sei überzeugt, mich vollständig beruhigen zu können.

»Das verstehe ich nicht,« antwortete ich. »Wie könnte ich wohl beruhigt werden, da ich doch bestimmt weiß, daß man mich vor die Türe setzen will; denn wenn man unsere Beziehungen nicht erraten hat, dann weiß ich wahrhaftig nicht, was ich getan haben soll, um die ganze Familie, die mich früher so gütig behandelte, als sei ich selbst ein Kind des Hauses, gegen mich aufzubringen.«

»Sieh mal, Liebste,« sagte er, »es ist wahr, daß sie deinetwegen in Unruhe sind, es ist jedoch ausgeschlossen,[38] daß sie auch nur ahnen, wie die Sachen liegen – zwischen uns beiden, meine ich. Ja, haben sie doch sogar meinen Bruder Robin im Verdacht, oder vielmehr, sie glauben, er mache dir den Hof, ja, der Narr hat es ihnen eigentlich selbst in den Kopf gesetzt, denn er spöttelt damit den ganzen Tag um sie herum und macht sich selbst zum Spott; ich muß gestehen, ich halte das für ein großes Unrecht von ihm, weil er doch sehen muß, daß sie das ärgert und der Grund ist, weshalb sie dich weniger gut behandeln als früher; mir ist es jedoch eine große Beruhigung, weil es mir beweist, daß sie nicht den geringsten Verdacht auf uns beide haben, und ich hoffe, das wird dich auch beruhigen.«

»Gewiß,« erwiderte ich, »doch ... doch ... das ist es ja auch eigentlich gar nicht, was mich so beunruhigt ... das mit dir ... obgleich es mir auch schon große Sorge gemacht hat.«

»Ja, was kümmert dich denn sonst noch?« fragte er verwundert, »wir sprechen doch eben davon –!«

Darauf brach ich dann in Tränen aus und konnte überhaupt nichts antworten. Er tat alles mögliche, um mich zu beruhigen, drängte mich jedoch immer heftiger, ihm zu sagen, was es denn sei. Endlich antwortete ich ihm, daß ich es ihm sagen wolle, denn er habe ein Recht, es zu wissen, daß ich übrigens seinen Rat nötig habe, denn ich sei so verwirrt, daß ich gar nicht wisse, wie ich mich zu verhalten habe.

Und nun erzählte ich ihm die ganze Geschichte, sagte ihm, wie unvorsichtig sein Bruder handele, daß er seine Gefühle so öffentlich zeige; denn hätte er sie mir nur im geheimen gestanden, so hätte ich ihn einfach abweisen können, ohne einen Grund dafür angeben zu müssen, und er würde seine Bitten schon nach und nach eingestellt haben; so jedoch habe er die Eitelkeit gehabt, erstens anzunehmen, daß ich ihn gewiß nicht abweisen werde, und zweitens seine Absicht dem ganzen Hause bekannt zu geben.

Ich erzählte ihm auch, wie hartnäckig ich seines Bruders Werbung widerstanden und wie aufrichtig[39] und ehrenhaft seine Anträge dabei gewesen. »Aber,« sagte ich, »meine Lage ist nun doppelt unangenehm. Sie nehmen es mir übel, daß er mich zur Frau haben will, aber sie werden noch viel aufgebrachter sein und es mir noch übler auslegen, wenn ich ihn abweise. Ich bin überzeugt, sie werden sagen, dahinter stecke etwas. Sie werden sicher annehmen, ich sei schon gebunden, weil ich sonst wohl keinesfalls eine so günstige Partie ausschlagen würde.«

Diese Rede überraschte ihn sehr. Er entgegnete, daß es wirklich schwer sei, sich in dieser kritischen Situation richtig zu benehmen, er sehe selbst noch nicht klar, wie ich mich am besten aus der Schlinge ziehen könne; er wolle jedoch darüber nachdenken und mich bei unserer nächsten Zusammenkunft wissen lassen, zu welchem Entschluß er gekommen sei. Mittlerweile möge ich jedoch seinem Bruder weder mein bestimmtes Jawort, noch eine glatte Abweisung geben, sondern ihn im Ungewissen halten.

Bei den Worten, ich solle ihm mein Jawort nicht geben, fuhr ich aber auf. Er wisse doch wohl, sagte ich, daß ich es überhaupt nicht mehr zu vergeben habe, daß er versprochen, mich zu heiraten, daß ich also folglich mit ihm verlobt sei, daß er mir die ganze Zeit hindurch vorgeredet, ich sei so gut wie seine Frau, und daß ich mich selbst so gewiß dafür gehalten, als hätten die üblichen Ceremonien schon stattgefunden. Er habe mich doch selbst des langen und breiten überredet, mich seine Frau zu nennen.

»Nun, meine Liebe,« sagte er, »mache dir nur keinen Kummer deshalb. Wenn ich auch nicht dein Gatte bin, so will ich doch in jeder Weise seine Stelle für dich vertreten. Laß dich nur nicht beunruhigen. Sobald ich die Sache klar überschaue, werde ich dir mehr darüber sagen können.«

Er beschwichtigte mich auf diese Weise, so gut er konnte. Nur fand ich, daß er immer nachdenklicher wurde. Doch war er sehr gütig zu mir und blieb noch zwei ganze Stunden.

Sein Bruder Robin kam erst nach fünf oder[40] sechs Tagen aus London zurück, und erst zwei Tage später fand er Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Doch tat er es sehr eingehend und wiederholte mir noch am selben Abend ihr ganzes Gespräch, das ungefähr so verlaufen war:

Er sagte zu seinem jüngeren Bruder, er habe während seiner Abwesenheit seltsame Dinge erfahren müssen, er, Robin, mache ja dem Fräulein Betty ernsthaft den Hof.

»Und was weiter?« antwortete ihm sein Bruder ein wenig ärgerlich, »geht das irgend jemanden etwas an?«

»Aber Robin,« erwiderte der ältere, »sei doch nicht gleich so aufgebracht! Ich behaupte ja nicht, daß es mich etwas angeht, ich finde nur, daß die Familie die Sache übel aufnimmt und daß das arme Mädchen darunter zu leiden hat, was ich nicht ruhig mit ansehen kann.«

»Wen meinst du mit ›die Familie‹?« fragte Robin.

»Na, die Mutter und die Schwestern,« erwiderte der ältere. »Ist es dir denn wirklich ernst,« fuhr er fort, »liebst du das Mädchen wirklich?«

»Nun denn,« sagte Robin, »ich will dir die Wahrheit gestehen. Ich liebe sie mehr, als irgend jemanden in der Welt, und ich will sie zur Frau haben, mögen sie sagen und tun, was sie wollen. Ich glaube, das Mädchen wird mich auch nicht abweisen.«

Das Herz tat mir weh, als er mir das erzählte, denn mein Gewissen zwang mich ja, ihn doch abzuweisen, und ich wußte, daß dies mein Verderben sein würde.

Mein Vorteil verlangte jedoch, anders zu reden, als mir zu Mute war. Ich unterbrach meinen jungen Herrn in seiner Geschichte und rief aus: »Ei, er glaubt, ich werde ihn nicht abweisen? Er soll bald sehen, wie gründlich ich seine Werbung zurückweise.«

»Laß mich die Geschichte erst auserzählen,« begann er wieder, »und dann sage erst, wie du dich entscheiden willst. Ich antwortete meinem Bruder nämlich: Lieber Robin, du weißt doch, daß sie nichts[41] hat, daß du jedoch zwischen mehreren Damen mit gutem Vermögen wählen konntest. ›Das kommt nicht mehr in Betracht‹, antwortete mir Robin, ›ich liebe das Mädchen und ich will doch meine Börse nicht füllen, wenn ich heirate, und mein Gemüt dabei leer ausgehen lassen.‹ Du siehst also, meine Liebe, daß du seinem Antrage nicht mehr widerstehen kannst.«

»Gewiß kann ich das,« rief ich, »ich habe jetzt Nein sagen gelernt, obwohl ich es vorher nicht konnte, und wenn der größte Herr im Lande mir einen Antrag machte, er sollte kein Ja von mir hören.«

»Aber meine Liebe, was willst du ihm dann antworten? Du hast doch vorhin selbst gesagt, daß er dich nach Gründen fragen wird. Die ganze Familie wird sich wundern und die Ursache deiner Ablehnung erfahren wollen.«

»Nun,« meinte ich lächelnd, »ich kann ihnen ja allen mit einem Worte den Mund stopfen, indem ich ihm und ihnen sage, daß ich schon mit seinem älteren Bruder verheiratet bin.«

Dieser ältere Bruder lächelte zwar ein wenig bei meinen Worten; doch hatte ich wohl bemerkt, daß er zusammengefahren war; auch konnte er seine Verlegenheit nicht verbergen. Doch antwortete er scheinbar ruhig: »Wenn dies auch im gewissen Sinne wahr ist, hoffe ich doch, daß es nicht dein Ernst sein wird, ihnen eine solche Antwort zu geben. Es wäre aus vielen Gründen nicht angebracht.«

»Nein, nein,« erwiderte ich lachend, »mir liegt nichts daran, das Geheimnis ohne deine Einwilligung zu verraten.«

»Aber was kannst du ihnen denn sonst antworten,« fragte er mich wieder, »wenn sie wissen wollen, weshalb du eine so durchaus vorteilhafte Heirat mit solcher Entschiedenheit ausschlägst?«

»Nun,« entgegnete ich, »da kann ich eigentlich nicht in Verlegenheit kommen, den erstens kann mich niemand zwingen, ihnen überhaupt einen Grund anzugeben, und anderseits kann ich ihnen ja einfach sagen, daß ich schon vergeben bin und dann stillschweigen.[42] Auch er wird dann schweigen müssen, denn weiteres Fragen kann ihm ja nichts mehr nützen«.

»Aber,« erwiderte er, »das ganze Haus wird dann an dir herumzerren, und wenn du ihnen keine genaue Auskunft gibst, werden sie zornig werden und, was schlimmer ist, Verdacht schöpfen.«

»Was soll ich aber sonst tun? Weißt du vielleicht etwas? Ich habe dir doch die ganze Sache mitgeteilt, um deinen Rat zu hören!«

»Meine Liebe,« entgegnete er, »sei überzeugt, daß ich reiflich über die Sache nachgedacht habe, und obgleich der Rat, den ich dir geben will, für mich selbst viel Schmerzliches enthält und dir zuerst seltsam vorkommen wird, sehe ich doch ein, daß es für dich keinen besseren Ausweg gibt, als wenn du den Wunsch meines Bruders erfüllst; da er es ehrlich und ernsthaft meint – heirate ihn.«

Ich blickte ihn bei diesen Worten ganz entsetzt an, fühlte, daß ich bleich wurde und auf dem Stuhle, auf dem ich saß, halb ohnmächtig hintüberglitt.

Er sprang auf und rief voll Angst: »Was fehlt dir, was machst du?« oder dergleichen. Und durch Schütteln und lautes Rufen brachte er mich wieder ein wenig zu mir selbst. Doch dauerte es noch eine ganze Weile, ehe ich meiner Sinne wieder mächtig war; sprechen konnte ich jedoch noch mehrere Minuten lang nicht.

Als ich mich endlich wieder einigermaßen erholt hatte, begann er von neuem: »Ich möchte nur, meine Liebe, daß du dir den Fall einmal klar über legtest und dir ausmaltest, wie die Familie sich zu uns stellen würde, wenn sie aus deiner Weigerung, Robin zu heiraten, schließen müßte, daß wir beide schon lange im Geheimen etwas mit einander gehabt; sie würden ja außer sich geraten!«

»So,« rief ich aufgebracht, »der Unwille deiner Familie macht also alle deine Beteurungen und Schwüre zu nichte? Hast du nicht, wenn ich einmal davon redete, gesagt, er sei dir ganz gleichgültig und[43] könne dir nicht schaden, und nun kommst du mir mit solchen Ausflüchten? Ist das deine Liebe, deine Treue und Ehrenhaftigkeit, und willst du so dein Versprechen halten?«

Er antwortete mir trotz aller meiner Vorwürfe, mit denen ich jetzt nicht mehr sparte, vollständig ruhig und betonte zum Schluß noch einmal: »Meine Liebe, ich habe dir kein Versprechen gebrochen; ich sagte, ich wolle dich heiraten, sobald ich in den Besitz meiner Güter träte, aber du siehst doch selbst, daß mein Vater ein gesunder, starker Mann ist, der noch gut dreißig Jahre leben kann und dann noch immer so rüstig sein wird, wie mancher alter Herr aus unserer Bekanntschaft. Du selbst hast doch nie darauf bestanden, mich eher zu heiraten, weil du wußtest, daß es mir schaden würde; und was das Übrige angeht, nun, so habe ich es dir doch wohl an nichts fehlen lassen.«

Ich konnte keins dieser Worte Lügen strafen. »Aber wie kannst du mir nur zu einem so abscheulichen Schritte raten,« rief ich bloß aus, »weshalb soll ich dich verlassen, da du mich nicht verlassen hast! Weshalb willst du mir denn nicht gestatten, daß ich dir Zuneigung und Liebe beweise, nachdem du mir so viel davon bewiesen hast? Glaubst du denn nicht an die Aufrichtigkeit meiner Liebe? Sind die Opfer, die meine Ehre und meine Scham dir gebracht haben, nicht Bande, die uns zu fest mit einander verbinden, um jemals zerrissen werden zu können?«

»Es bietet sich dir jetzt aber eine Gelegenheit, in eine gesicherte Lage zu kommen, vor aller Augen als eine ehrenhafte Gattin dazustehen. Die Erinnerung an das, was zwischen uns nun einmal vorgekommen ist, soll in ewiges Schweigen begraben werden, als wäre das alles nie gewesen; meine Zuneigung aber soll dir immer erhalten bleiben, nur wird sie sich in den Grenzen halten, die ich meinem Bruder gegenüber zu beachten schuldig bin. Du sollst mir eine liebe Schwester sein, wie du mir jetzt eine liebe –« hier hielt er inne.[44]

»Eine liebe Dirne bist, willst du sagen und hättest es auch sehr gut sagen können. O, ich verstehe dich jetzt. Und wie ich dich verstehe! Aber ich möchte dich doch nur noch einmal an deine langen Reden und die viele Mühe erinnern, die du dir gabst, um mich zu überzeugen, daß ich mich nach wie vor für ein anständiges Mädchen halten könne, daß ich in Wahrheit deine Frau sei, und daß wir so gewiß ein richtiges Ehepaar wären, als habe uns der Pfarrer hier am Orte öffentlich getraut. Du weißt, daß ich nur deine eigenen Worte wiederhole.«

Ich fand, daß ich ihm schon ziemlich hart zusetzte, ließ es damit jedoch noch nicht genug sein. Er blieb eine Zeitlang ganz still und erwiderte nichts. Ich aber begann wieder: »Du konntest doch auch nicht glauben, daß ich all diesen Beteuerungen und deinem ganzen Drängen nachgab, ohne eine so starke Liebe, daß sie durch nichts, was sich auch später ereignen mochte, wieder zu brechen war. Wenn du aber dennoch jemals solch unehrenhafte Gedanken über mich gehabt hast, muß ich dich fragen, in wie fern ich dir Grund gegeben habe? Willst du mir das sagen? Ja! Wenn ich meiner eigenen Liebe zu dir nachgegeben, nachdem du, du selbst mich überredet hattest, ich könne mich für deine Frau halten, soll nun all das Lüge gewesen sein? Bin ich bloß deine Dirne, bloß deine Geliebte gewesen, was dasselbe ist? Willst du mich so einfach deinem Bruder überlassen? Und ich, kann ich denn so einfach meine Liebe von dir auf ihn übertragen? Kannst du mir kurzweg befehlen, dich nicht mehr, sondern von nun ab ihn zu lieben? Liegt es in meiner Macht, mein Wesen auf Verlangen so zu ändern? Nein!!« rief ich aus, »mache dir nun klar, daß es ganz unmöglich ist, und, was in dir sich auch immer verändert haben mag – ich werde stets wahrhaftig und treu sein, und, das kannst du mir glauben, ich wäre noch immer lieber deine Dirne, als deines Bruders Frau!«

Diese letzten Worte schienen ihm sehr zu gefallen und ihn auch zu rühren, denn er antwortete mir, er stehe mir ebenfalls mit ganz unveränderten[45] Gefühlen gegenüber, er habe kein Versprechen, das er mir je gegeben, gebrochen, nur habe sich ihm eine ganze Menge schrecklicher Gedanken über meine Zukunft aufgedrängt, so daß ihm der Antrag seines Bruders als ein wahrhafter Ausweg erschienen sei. Schmerzlich sei ja allerdings die Trennung, die uns bevorstände, doch könnten wir ja unser Leben lang Freunde bleiben und unsere Zuneigung mit größerer Sicherheit und Ruhe genießen, als in unseren jetzigen Verhältnissen. Ich brauche nie zu fürchten, daß er unser Geheimnis jemals verraten werde, es brächte ja ebensowohl ihm als mir den Untergang, wenn es ans Tageslicht käme. Er habe nur noch eine Frage zu stellen, die hier in Betracht käme. Nur diese Frage könnte noch, nach all dem, was er mir gesagt, von Einfluß auf meine Entscheidung sein.

Ich erriet gleich, worauf er anspielte: er wollte wissen, ob ich vielleicht schwanger sei. Ich antwortete ihm, er möge sich darüber nur keine Gedanken machen; ich sei nicht schwanger.

»Nun, meine Liebe,« entgegnete er, »wir haben jetzt keine Zeit, weiter über die Angelegenheit zu reden, denke über sie nach, ich kann dir auch jetzt nur sagen: willige ein! Das ist das Beste, was du tun kannst.«

Mit diesen Worten verließ er mich, und zwar ziemlich eilig, denn eben klingelte seine Mutter, die mit den Töchtern von einem Besuch zurückkam, am Haustore.

Er ließ mich in furchtbarer Verwirrung zurück; ich wußte nicht, wie ich mich zu halten hätte, und er mußte das am folgenden Tage und die ganze Woche hindurch auch merken; doch fand er erst am Sonntag wieder Gelegenheit, mit mir zu reden, als ich nämlich nicht wie gewöhnlich zur Kirche ging, da ich mich unwohl fühlte und auch er irgend einen Grund fand, zu Hause zu bleiben.

Und nun nahm er mich wieder eine Stunde lang und noch eine halbe vor und kam wieder und immer wieder mit denselben Beweisen und Gründen, die ich schon so oft gehört hatte, bis ich[46] ihn zum Schluß gerade heraus und sehr erregt fragte, welche Meinung er denn eigentlich von meinem Schamgefühl habe, daß er annehmen könne, ich werde jemals einwilligen, bei zwei Brüdern zu schlafen? Dazu werde ich mich nie und nimmer verstehen. Und wenn er mir auch sage, daß er mich nie mehr sehen wolle – ein Wort, so schrecklich für mich zu hören, daß bloß der Tod mir noch schrecklicher sein könne – so werde ich doch nie auch nur einen Augenblick lang so etwas in Erwägung ziehen; denn das wäre ebenso unehrenhaft für mich, wie erniedrigend für ihn. Und deshalb müsse ich ihn bitten, wenn er noch eine Spur von Achtung oder Zuneigung für mich habe, nie wieder davon zu reden und lieber den Degen zu ziehen und mich zu töten.

Mein Eigensinn, wie er es nannte, schien ihn mit Verwunderung zu erfüllen. Er erwiderte, ich handele sehr unklug, sowohl gegen mich, als gegen ihn. Wir hätten ja beide einen solchen Ausgang nicht voraussehen können, doch wisse er keinen anderen Weg, der uns beide zu retten vermöchte; weshalb meine Hartnäckigkeit also auch zugleich eine große Lieblosigkeit gegen ihn bedeute; da er jedoch nicht mehr von der ganzen Sache reden solle, fügte er mit ungewöhnlicher Kälte hinzu, wisse er nicht, was wir beide überhaupt noch zusammen zu bereden hätten, und stand auf, um sich zu verabschieden. Auch ich erhob mich, anscheinend mit derselben Gleichgültigkeit, doch als er mir sozusagen einen Abschiedskuß gab, fing ich so furchtbar zu weinen an, daß ich, obgleich ich sprechen wollte, kein Wort hervorbringen konnte, und nur seine Hand so heftig drückte, als wolle ich ihm ewiges Lebewohl sagen.

Dies schien ihn sichtlich zu bewegen. Er setzte sich wieder hin und sagte mir eine Menge liebe Dinge, kam jedoch immer wieder auf die Notwendigkeit zurück, der Werbung seines Bruders zu folgen – wenn er sich auch verpflichten wolle, für mich zu sorgen, wofern ich ihm diesen Wunsch nicht erfülle; doch ließ er mich deutlich merken, daß er mich auf keinen Fall mehr[47] zur Geliebten haben wolle, daß es ihm vielmehr Ehrensache sei, die Frau, die doch vielleicht früher oder später seines Bruders Gattin sein werde, nicht mehr zu berühren.

Daß ich ihn nur als Liebhaber verlieren sollte, bekümmerte mich nicht so tief, als der Gedanke, überhaupt seine Liebe verloren zu haben, denn ich selbst liebte ihn noch sehr; und daß nun alle meine Hoffnungen dahinsanken, die stets darin gegipfelt hatten, ihn eines Tages als meinen Gatten zu sehen, das schlug mich mit so viel Schmerz und Kummer, daß mich mein Gemütszustand in ein schweres, hitziges Fieber warf; und es sollte lange dauern, ehe man in der Familie wieder an mein Aufkommen glaubte.

Quelle:
Daniel De Foe: Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders. Berlin [1903]., S. 32-48.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders
Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders, die im Zuchthaus geboren wurde, zwölf Jahre Dirne, acht Jahre deportierte Verbrecherin in Virginien war, schließlich ehrbar lebte und reuig starb .

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Das Leiden eines Knaben

Das Leiden eines Knaben

Julian, ein schöner Knabe ohne Geist, wird nach dem Tod seiner Mutter von seinem Vater in eine Jesuitenschule geschickt, wo er den Demütigungen des Pater Le Tellier hilflos ausgeliefert ist und schließlich an den Folgen unmäßiger Körperstrafen zugrunde geht.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon