[13] Bild: Altes kleines Landhaus mit Obstgärtchen. Rechts Wald und Gartenzaun. Links hinten das Haus. Vorn entlang Landstraße. An der Hauswand links ein Wegweiser, dessen drei Arme folgende Aufschriften tragen: Zur Stadt, Zur Grube, Feldweg. Am Gartentisch sitzen Michel Michael, der rote Karl und der schwarze Karl; daneben steht Lise Lied mit der Laute, in hellgrünem Sommerkleid und weißer Schürze.
[13]
LISE LIED singt bei offner Bühne weiter, während die Andern nur den Kehrreim mitsummen.
Einst fiel alles Leben vom Himmel herab,
über Tag.
Wir Bergleute schürfen's aus dem Grab,
unter Tag.
Wir fördern's herauf, das tote Gestein;
Glückauf!
Wir machen's wieder zu Sonnenschein;
Glückauf!
Die Männer stoßen mit ihren großen Schnapsgläsern an und trinken sie leer.
MICHEL MICHAEL in schwarzer Gamaschenhose und weißem Hemd mit offenem Halskragen.
So, Lise, nun hol uns noch jedem so ein Glas;
denn die Bergmannskehle
LISE.
Weiß schon: ist mehr trocken als naß.
O Michel! –
MICHEL.
Blos heut mal so'n kleinen Seelenwärmer;
morgen fließt wieder Milch und Sauerbrunn durch die Därmer.
Man muß sich doch für das nächtliche Fest vorbereiten.
LISE.
Ja, und dann stöhnt ihr über die schweren Zeiten.
Sie geht mit den Gläsern und der Laute ins Haus.
[14]
DER ROTE KARL trägt gewöhnlichen schwarzen Jackettanzug, schwarzen Schlapphut und rote Krawatte.
Also willst du wirklich nachher aufs Johannisfest?
MICHEL.
Warum nicht?
DER ROTE KARL.
O blos: weil der Michel sonst sich zehnmal bitten
läßt,
eh er einmal kommt. Aber ja: der Herr Bergrat hat's gewunschen,
da ist's freilich ratsam, sich untertänigst mitzubepunschen.
Sicher wittert man's da oben so gut wie ich:
manche Stimme in der Knappschaft schwört auf dich.
Hast ein eigen Haus, bist bald Vorhäuer, kannst Leute dingen,
möchtest dich vielleicht gar zum Steiger aufschwingen;
wirst morgen für 'ne Stütze von Thron und Altar gelten,
und der Bergrat
MICHEL.
Hör mal, roter Karl: den lass ich nicht schelten.
Er meint's leutselig mit uns Arbeitern allzumal.
Er bezahlt auch heute Nacht wieder Musik und Saal.
DER ROTE KARL.
Sehr wahr! und in vier Wochen ist Reichstagswahl.
Du Schäfersohn läßt dir leicht was vormusizieren.
DER SCHWARZE KARL trägt gleichfalls schwarzen Jackettanzug, aber steifen Hut, schwarze Krawatte und eine auffällig große Hornbrille mit dunkelblauen Gläsern.
Ja, ich meine auch: man muß sich doch wohl etwas salvieren.[15]
Ich sage nichts gegen den Regierungskandidaten,
aber der Herr Bergrat privatim ist doch sozusagen ein Teufelsbraten.
Nicht etwa weil er – obzwar: auch das ist bedeutungsvoll –
'ne jüdische Urgroßmutter gehabt haben soll.
Aber was man so im stillen von seinem Lebenswandel hört –
DER ROTE KARL.
Du, hörst du's, Michel? der Schwarze ist christlich empört!
Fraglos ist er einzig drum aus der Stadt gekommen,
um hier dem Heil deiner armen Seele zu frommen.
Lise kommt mit den gefüllten Schnapsgläsern wieder.
DER SCHWARZE KARL.
Hoffte allerdings, Sie, Herr Namensvetter, nicht anzutreffen.
DER ROTE KARL sein Glas nehmend.
Ja, gottvoll, wie sich die Menschen äffen.
DER SCHWARZE KARL ebenso.
Nun, Gevatter Michael weiß, welche Tiere am lautesten kläffen.
MICHEL mit ihnen anstoßend.
Holla! Frieden, ihr Karle! Gäste solln sich vertragen!
Muß ich junger Kerl das euch beiden alten sagen?
Hie Knappschaft! Glückauf! Jeder Knappe im Schacht
nehm sich vor falschen Wettern in Acht![16]
DER SCHWARZE KARL.
Glückauf, Jungfer Lise! auf das schöne Lied vom Himmel.
LISE während die Männer trinken.
O, das ist am schönsten ohne euer Kümmelgebimmel.
MICHEL.
Sieh mal, roter Karl: deine Zukunftsrepublik,
das ist doch auch 'ne Art Rattenfängermusik.
Und sehn Sie, schwarzer Karl: Ihr Ewigkeitsparadies
lockt wohl erst recht die liebe Maus zur Mies.
Und derweil ihr Pfiffikusse so die Gegenwart vexiert,
hat der dumme Michel sie längst sehre anderst kapiert.
Denkt ihr, ich will blos drum heut aufs Maskenfest,
weil der Bergrat da ein paar Sektproppen tanzen läßt?
dann tät ich mich lieber mit euch hier draußen besaufen.
Nein, ich will mein Haus an die Grubengesellschaft verkaufen
und in die Stadt ziehn, werte Zeitgenossen!
LISE.
Michel, nein!
MICHEL.
Ja, Lise; das ist nun mal beschlossen.
Er langt ein paar Schriftstücke aus der Brusttasche.
Hier, ich hab schon alles mit dem Rechtsanwalt aufgesetzt,
und der Bergrat ist kein Knicker; besonders jetzt,
wo sie doch die Vorstadtzeche weiter austeufen wollen
und Platz brauchen für den neuen Wetterstollen,
da wird er heut Nacht bei'ner Buddel Wein
gern zu sprechen sein[17]
und mir die werte Unterschrift geben.
Potz Taler, Lise! sollst sehn, das wird ein Leben!
Na, was machst du denn fürn Sechsdreiergesicht?
LISE.
Mir ist bang um dich, Michel. O bitte, tu's nicht!
MICHEL.
Achgottedoch! daß dir's Herzchen nur nicht bricht!
Brennst doch sonst drauf, mit in die Stadt zu fluttschen.
LISE.
Aber für immer?
MICHEL.
Für immer tut kein Weibsbild muckschen.
Er nimmt ihre Hand.
Weißt du: wenn wir Abends hier manchmal so einsam sitzen
und ich seh da drüben im Tal den großen Lichterknäul blitzen,
die Bahnkörperlampen, die Schaufenster, die Straßenlaternen,
wie sie wetteifern mit den Sternen,
und was hinter den erleuchteten Scheiben
all die tausend Menschenköpfe wohl sinnen und treiben,
was für Strahlen hin-und-herzucken zwischen ihnen
aus den wunderlichen Instrumenten, Apparaten, Maschinen,
elektrischen Drähten –
Er erhebt sich.
ich kann's garnicht ganz sagen,
wie das strahlt – und mittendurch rollen funkelnd die Wagen,
wodrin Hoch und Niedrig zusammen übers Pflaster jagen,
zu Festsälen, Theatern, Bibliotheken, Klubs, Volkshallen,
kann sich Jedermann immer höher bilden mit Allen –[18]
ja, dann fühl ich's wild: da bewegt sich die Welt!
so wild, du, daß mir's manchmal die Stirnadern schwellt!
Er setzt sich und nimmt einen großen Schluck.
DER ROTE KARL.
Ja, Fräulein Lise: Sie können's noch nicht ermessen:
in der Stadt, da erwacht der Mensch zu edlern Interessen.
Er nimmt gleichfalls einen großen Schluck.
DER SCHWARZE KARL.
Ja –! Nämlich auch die Kirchen nicht zu vergessen!
Er trinkt sein Glas leer.
MICHEL auf die Schriftstücke hauend.
Kurzum, ich will mehr, als mein väterlich Erbteil begaffen,
ich will mir auf eigne Faust meinen Fußboden schaffen;
das ist mein Intresse! Jawohl! Wirst es auch noch kapieren;
wirst vielleicht dereinst noch in seidnen Kleidern stolzieren,
in Glaßeehandschuhen und Diamanten und ausländischen Spitzen,
und an Einer Tafel mit dem Bergrat sitzen.
Also Kopf hoch, Lise! maul nicht! du übertreibst es.
LISE.
O Michel, du bist ein Träumer – und bleibst es.
MICHEL.
Hat noch niemand unter meinen Träumen gelitten.
Er trinkt Rest mit dem roten Karl.
Komm, bring uns lieber noch solchen lütten dritten
und sing eins![19]
DER SCHWARZE KARL.
Darum allerdings möcht ich gleichfalls schön
bitten.
Das heißt, ums Singen mein'ich.
LISE.
Meinen Sie! ums Singen!
O, euch sollt alle miteinander der Hörselberg verschlingen!
Sie beißt in den Schürzenzipfel und rennt ins Haus.
DER ROTE KARL.
Hast sie doch wohl ein bißchen gar zu herrisch überrascht.
Mich auch, muß ich sagen. Wer erst am Kapitalismus nascht –
MICHEL nochmals auf die Schriftstücke hauend.
Ach was, Redensarten! Ich tue, was sich verintressiert.
Ihr lauert blos immer und lamentiert.
Er steckt die Papiere wieder in die Tasche.
DER ROTE KARL.
Michel, Michel –: jeder Knappe im Schacht
nehm sich vor falschen Wettern in Acht!
DER SCHWARZE KARL.
Deren gibt's allerdings manche auch über Tag.
MICHEL.
Ja, wenn's eure Trinksprüche täten, dann ging's Schlag auf Schlag.
Schwerenot! ihr macht einem wirklich den Feiertag schwül;
und dabei ist's ein Abend, wie feucht Moos so schön kühl.
Hee, Lise! Racker! gleich kommst du! auf der Stelle![20]
DER SCHWARZE KARL.
Ich hol sie –
Er begibt sich durch die Gartenpforte vors Haus zur Tür.
LISE mit einer sehr großen Schnapsflasche ihm entgegen.
Da habt ihr eure Intressenquelle!
Sie drückt ihm die Flasche in den Arm.
DER SCHWARZE KARL heimlich, während der rote mit Michel gestikuliert.
Pst, Jungfer Lise, im Vertrauen! ich mein's wirklich gut.
Wenn der Michel nun, und sein Sie froh, daß er's tut,
in die Stadt zieht: dann drängen Sie ihn so Schritt für Schritt,
daß er in das Kränzchen zur heiligen Elisabeth tritt!
und Sie, Jungfer Lise, natürlich mit!
Es ist vergnüglich, und lohnt sich, wie jede Christenpflicht.
LISE.
Ja, wenn Sie Eins mir versprechen als Christ; sonst nicht.
DER SCHWARZE KARL.
Gern! Und?
LISE.
Daß er nicht in die Stadt zieht, Sie Kirchenlicht!
Sie macht ihm einen Knix und verschwindet.
DER SCHWARZE KARL.
Verflixte Hexe! –[21]
MICHEL.
Also wirklich, Roter: gib dich endlich zufrieden:
die hohen Herrn, die dienen mir blos, um vorerst mein Eisen zu schmieden.
Nachher – – Was! die ganze Flasche schickt sie uns her?
DER SCHWARZE KARL die Flasche auf den Tisch stellend.
Ja, die Jungfer scheint sehr entgegenkommend; sehr.
MICHEL.
Aha! sie will ihren Vormund mal wieder im stillen beschämen.
Jetzt soll sie's aber merken: ich kann mich bezähmen!
Kein Schluck jetzt wird getrunken!
DER SCHWARZE KARL.
Hm –
DER ROTE KARL.
Nu ja –
DER SCHWARZE KARL.
Ja, im Grunde
soll der Mensch sich beherrschen –
DER ROTE KARL.
Besonders mit dem Munde.
MICHEL.
Sie denkt gewiß, weil ich manchmal Händel anfange;
und da ist ihr vor den fremden Stadtmenschen bange.[22]
DER SCHWARZE KARL.
Oder vielleicht auch – hm – vor den Menschern.
MICHEL.
Wie?
Ach so! Nein, Schwarzer: ich bin kein solches Vieh.
Und sie kennt mich; wie Bruder und Schwester sich kennen.
DER ROTE KARL.
Könnt drum doch wohl so'n Fünkchen Eifersucht brennen.
Woher hast du sie eigentlich so als Mündel genommen?
MICHEL.
Ja, woher? – Aus fernem Süden wohl ist sie gekommen.
Es war ein Abend wie heute. Da im Wald.
Ich suchte Vogelnester, war so zwölf dreizehn Jahre alt,
da hör ich auf einmal ein fremdländisch Lied erklingen;
rein als wollt mich ein Bergquell tief aus der Erde durchdringen.
Und wie ich mich leise im Moose näher stehle,
sitzt da ein klein braun Mädel in einer Höhle,
so klein noch, und barfuß, gewiß kaum sechs Jahr,
einen Kranz wilde Efeuranken im Haar,
und mit Augen, wie der Kuckuck fürwahr –
ja, so saß sie unter dem Felsenhang
und sang – und sang – –
Konnte anfangs kein deutsches Wörtchen sagen,
ließ sich nur ihren Namen, der hieß Lilith, abfragen,
aber weil sie sang, wo sie ging und stand,
haben wir sie Lise Lied genannt;[23]
bis sie schließlich ganz unsre Sprache angenommen
und vergessen hat, woher sie gekommen.
Und da mein Vater starb, eh daß sie großjährig war,
bin eben Ich jetzt ihr Vormund; bis zum neuen Jahr.
DER SCHWARZE KARL.
Wird wahrscheinlich irgend ein verlaufen Zigeunerkind sein.
Ward sie denn getauft?
MICHEL.
O! reichlich! mit Wasser und mit Wein.
DER ROTE KARL.
Da sollt man doch eigentlich eins drauf trinken.
DER SCHWARZE KARL.
Hm. Ist Alles Gottesgabe.
MICHEL.
Jawoll! pros't Schinken:
jetzt wird gefastet! Und wenn ihr noch so druckst!
Leise.
Sie steht nämlich hinter der Gardine und luchst;
ich kenn sie.
DER SCHWARZE KARL.
Scheint ja indertat recht schwesterlich aufzupassen.
MICHEL.
Je nun, ich muß sie doch im Haus schalten lassen;
hütet auch heute Nacht wieder allein das Nest.[24]
DER ROTE KARL.
So – sie geht nicht mit aufs Johannisfest?
MICHEL.
Nein; sonst würd sie mir doch vielleicht das Geschäft verleiden.
DER ROTE KARL.
So, so –
DER SCHWARZE KARL an der Flasche fingernd.
jo, jo –
DER ROTE KARL.
Und wie willst denn Du dich verkleiden?
MICHEL.
Ich geh einfach in Vaters Schäferhut-und-rock
und mit seinem langen Hirtenstock.
Hat nun manch Jahr schon still in der Ecke gestanden,
und strich früher wie'n Feldherrnstab hier herum in den Landen.
Ja: kannst mir's glauben: gern zieh ich auch nicht heraus
aus dem lieben alten Haus,
wo ich von Kind auf jeden Holzpflock drin kenne.
Aber wenn ich Morgen für Morgen zur Schicht auf die Zeche renne
und ich denk mir, wir solln hier ewig so hocken,
uns immer wieder denselben Alltagsbrei einbrocken –
denn ihr, was wollt ihr denn? blos lüstern aufmucken
und euch dann untern öffentlichen Suppenlöffel ducken,[25]
zu dem schon jetzt alle Ja und Amen nicken,
bis selbst die Bettelleute schließlich im Fett mitersticken –
hrr, dann fühl ich's heiß mir durch jede Pore toben:
Luft!!! schenkt uns einen Krieg, ihr Herrn da oben!
Er greift nach der Flasche, gießt sich das Glas voll und trinkt.
DER SCHWARZE KARL sich bekreuzend.
Josef-Maria, Krieg! Gevatter, das heißt Gott versuchen!
Mit Verlaub –
Er gießt sich gleichfalls ein.
DER ROTE KARL.
Ja erlaube, Michel: du hast leicht fluchen.
Du bist noch jung, und kennst den Krieg nicht, und meinst voll Feuer,
er sei 'ne Art Welteroberungsabenteuer.
Ist er auch; und tät heute die Sturmtrommel schlagen,
ich würd meine Knochen wieder mit auf die Schanze tragen;
das steckt uns im Blut, uns Bestien. Ja, 'ne Wollust ist der Krieg,
verhilft unsern Raubtiergelüsten zum Sieg;
aber Glück, Michel, menschlich Glück schafft er keins.
MICHEL.
Papperlapapp, Karl; ist dein Glück etwa meins?
Halt keine Volksreden, Roter! trink lieber eins!
Ihm einschänkend und dann mit Beiden anstoßend.
Glück, das ist ein Wort wie'ne Fliegenfalle;
Glückauf! es lebe der Sirup für Alle!
Sie trinken.
[26]
LISE tritt lachend aus der Tür an die Hausecke.
Wohl bekomm's! – Ihr beherrscht euch aber lustig.
MICHEL.
O, du Kobold du! Seht ihr's, da habt ihr's, das wußt'ich.
LISE tritt an den Gartentisch und nimmt die Flasche.
Will sie aber doch vor euch Selbstbeherrschern lieber verstecken.
Gute Nacht, ihr Herrn! und laßt's euch schön langsam schmecken!
Sie geht wieder ins Haus.
DER SCHWARZE KARL.
Potz Kuckuck –
DER ROTE KARL.
Glaub mir's, Michel: du kennst die Kriegswut
schlecht.
Höchstens aus Notwehr ist sie ein Menschenrecht;
das sollte man nicht als ein Glücksspiel verkündigen.
DER SCHWARZE KARL.
Nein, bei den heiligen Nothelfern allen: das heißt sich versündigen.
DER ROTE KARL.
Verspielst blos deine Kraft, wenn du immer so überschäumst
MICHEL.
und dabei den Zukunftsstaat versäumst –[27]
DER ROTE KARL.
Auch die Gegenwart, Michel. Glaub mir's: du träumst! –
DER SCHWARZE KARL.
Das kommt, wenn man sich dem ewigen Heil verschließt
und zuviel in den neuen Büchern liest.
Er nippt behutsam an seinem Glas.
MICHEL.
O, auch in den alten. Ich könnt euch manche Historie sagen,
wie sich's hier in Wahrheit einstmals hat zugetragen,
als unsre Urväter im Herzgau von allen deutschen Landen
hier zwischen der Wartburg und dem Blocksberg ihr Seelenheil fanden,
zwischen dem Kyffhäuser und dem Hörselberg.
Damals ging's Handeln noch nicht so überzwerch
mit Flausen und Klauseln und Staatsrücksichten wie heute;
damals vermochten noch stracks die aufstrebsamen Leute
mit der Faust oder Stirn ihren Hochsinn durchzudrücken,
sich selbst und allen Nachkommen zum Entzücken.
O, ich sag euch: hier so lesen von den glorreichen Zeiten,
und die Dämmrung beginnt aus den Schatten der Zweige zu gleiten,
daß die Buchstaben flimmern auf den vergilbten Seiten:
schier leibhaftig seh ich sie dann Gestalt annehmen
und einherschreiten, die gewaltigen Schemen,
die gewappneten Herren aus trutzigem Bauerngeschlechte,
die frommen Einsiedler, die klugen Schalksknechte,
mit ihren blinkenden Schwertern, Kruzifixen, Helmzierden, Drommeten,[28]
gleich als wollten sie da aus dem Wald zu mir treten
und mit mir beten – –
DER SCHWARZE KARL.
Was! Hier? Gestalten? hier unter diesen Bäumen?
Nein, Gevatter Michael: es scheint wirklich, Sie träumen.
Er nippt wieder ein Schlückchen.
MICHEL.
Na! dann seid ihr Beiden ja endlich einmal einig.
Und könnt austrinken! Es wird dunkel, mein'ich.
DER ROTE KARL.
Ist freilich Mondschein. Erstes Viertel, wie du siehst.
Aber wenn du meinst – und dich unsre Gesellschaft verdrießt –
Er trinkt aus.
DER SCHWARZE KARL.
Ja, dann wollen wir wahrlich keine Zeit verlieren.
Er trinkt ebenfalls aus.
MICHEL.
Na, ich mein blos: ich muß mich doch zum Fest ausstaffieren.
LISE LIED singt im Innern des Hauses.
Willkommen, weißer Mond im Blauen,
allein!
Laß mich in deine Heimat schauen,
sei mein![29]
Ich sitz im Dunkeln voll Geduld,
du scheinst!
O leuchte Jedem heim voll Huld,
dereinst!
DER SCHWARZE KARL.
Meiner Seel! wenn sie singt, dann ist sie der reine Engel.
DER ROTE KARL aufstehend.
Ja, und winkt uns heim mit dem Tulpenstengel.
Im Haus wird Licht angesteckt, hinterm Dachfenster.
Also, Michel, Glückauf; vielleicht siehst du mich noch um Mitternacht.
MICHEL gleichfalls aufstehend.
Wie?
DER ROTE KARL.
Nu, es ist doch Maskenfreiheit angesagt
und jeder wahlberechtigte Bürger nebst Familie eingeladen;
da wirds 'nem alten Kriegsveteranen, denk ich, wohl auch nicht schaden.
MICHEL.
Siehst du, Roter: das ist wacker! Wahrhaftig, das freut mich.
DER ROTE KARL.
Trotz dem Bergrat? – Na! ich will nicht hoffen, es reut dich.
Er schüttelt ihm die Hand und geht langsam links ab.
[30]
DER SCHWARZE KARL.
Ich denk, ich komm auch.
MICHEL.
So.
DER SCHWARZE KARL.
Ja. Ich denk, es bringt Segen,
unsre alte ehrwürdige Knappentracht wieder mal anzulegen.
MICHEL.
Schön; stolper nur niemand nicht übern Degen!
Glückauf, Gevatter! –
Er winkt ihm Abschied und geht ins Haus; der schwarze Karl folgt verdutzt dem roten.
TYLL EULENSPIEGEL kommt von rechts aus dem Wald geschlichen, steigt über den Zaun auf die Garteubank und ruft gedämpft.
Immer vorwärts, gnädiger Herr! die Luft ist jetzt
rein.
Nur das Jungfräulein wäscht sich im Kämmerlein.
Auch unten im Haus wird ein Fenster hell.
DER KAISER ROTBART tritt aus dem Wald, in goldner Rüstung, mit geschlossnem Visier, sodaß nur sein langer Bart sichtbar ist.
Hüt dich, Schalk: sie hat Augen, hurtig wie Eidechsen.
DER GETREUE ECKART in schwarzer Kutte mit hohem Kreuzstab, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sodaß nur sein weißer Bart hervorguckt.
Und könnt dich leicht wie den braven Michael behexen.[31]
EULENSPIEGEL.
O, der Michel, der ist gänzlich in sich selber versunken.
Seht: er hat nicht mal sein Glas ausgetrunken.
DER ROTBART zu Eckart.
Wie stellen wir's an, Getreuer, ihm zu erscheinen?
EULENSPIEGEL von der Bank springend.
Hopp! wir erscheinen eben. Das genügt, sollt ich meinen.
ECKART.
Mir deucht, gnädiger Herr, der Schalk rät gut.
EULENSPIEGEL nach dem untern Fenster deutend.
Seht: er ist ganz behext von – dem alten Schäferhut.
Ach, er küßt ihn –
Ahmt den Kuß ulkig nach.
ECKART.
Darüber soll man nicht lachen!
EULENSPIEGEL.
Nun, dann werd ich uns mal ernstlich bemerkbar machen.
Er klappt mit der Pritsche an die Scheibe und klingelt dazu mit einer Schelle, die am linken Zipfel seiner Gugelkappe hängt.
MICHEL MICHAEL tritt in Schäfertracht auf die Schwelle, in blauem Rock und grauem Mantel, eine brennende Kerze in der Hand, sodaß die Scheibe nun dunkel ist.
Wer klopft so spät und dringlich an meinem Fenster?
Wer sind die Herren –[32]
DER ROTBART wie ein Standbild aufs Schwert gestemmt.
Gestalten –
ECKART.
Gestalten –
EULENSPIEGEL mit Verbeugung.
sozusagen Gespenster.
MICHEL.
Die Herren scheinen sehr spaßhaft gelaunt. Ich vermute,
Sie wollen in die Stadt
EULENSPIEGEL.
mit dir auf die Maskenredute;
wenn du uns den Weg zeigen willst. Denn merke dir:
mit Gespenstern spricht man per Du und Ihr.
ECKART.
Wir kommen, Michel Michael, um dich aus deinem Unmut zu reißen;
ich vom Hörselberg, der getreue Eckart geheißen.
DER ROTBART.
Ich habe bislang im Kyffhäuser meinen Rotbart beglotzt;
nun hat mich dein Wagmut endlich heraufgetrotzt.
EULENSPIEGEL.
Ich brauch mich, Vetter Michel, wohl nicht vorzustelln.
Ich bin überallher und starb bekanntlich in Mölln.
Das Dachfenster wird plötzlich dunkel.
[33]
Weiß also nirgends mehr auf dieser Erde Bescheid,
aber desto gründlicher in der Ewigkeit.
Lise kommt die Flurtreppe herab, wie früher gekleidet, doch ohne Schürze; tritt unbemerkt hinter Michel.
ECKART.
Willst du uns nun, hier wo sich die Wege verzweigen,
die rechte Richtung durchs nächtliche Vaterland zeigen –
DER ROTBART.
so wollen wir's lohnen und dir zum guten Gelingen
deines gewagten Geschäftes beispringen –
EULENSPIEGEL.
zum Verkauf deines Hauses –
MICHEL.
Wie?? Ihr wißt??
EULENSPIEGEL.
Daß der Herr Michael heute durchaus kein Träumer mehr ist.
ECKART.
Brauchst nicht starrstehn, als stünd hier der Antichrist;
wir haben nur im Wald da vorhin ein wenig gelauscht.
LISE.
Michel, tu's nicht! Stehst ja jetzt schon wie ausgetauscht!
MICHEL.
Was! du bist noch auf, Lise?[34]
LISE.
Soll wohl mit dir um die Wette träumen?
Ich muß doch noch euer Teufelsgeschirr da beiseite räumen.
Sie will an ihm vorbei in den Garten.
EULENSPIEGEL ihr zuvorkommend.
Auf Ihr Wohl, mein frommes Fräulein, den teuflischen Rest!
Er spritzt ihn hoch in die Luft und überreicht ihr die Gläser.
Dürfen wir hoffen, Sie wallfahrten auch mit aufs Fest?
LISE.
Danke. Hab keine Lust.
Leise.
Ich bitt dich, Michel, tu's nicht!
Was sind das für Leute?
EULENSPIEGEL durch die hohle Hand.
Lockspitzel fürs Jüngste Gericht!
MICHEL noch leiser.
Sind wohl Grubenbesitzer aus dem Nachbarkreis.
Sei friedlich, Lise!
LISE ihm den Leuchter abnehmend.
Ist mancher friedloser, als er weiß – –
Sie geht mit den Gläsern und dem Licht ins Haus; ein andres Fenster als vorher wird hell.
MICHEL.
Entschuldigen die Herrn: sie kommt wenig unter Leute,
mein Mündel. Und ist voller Unruh heute.[35]
DER ROTBART nach links zeigend.
Das dort unten, der Lichterhaufen, das ist wohl die Stadt?
MICHEL.
Ja, Herr. Nicht wahr: was das einen Andrang nach oben hat!
Wie die Glanzpunkte einander immer übersteigen,
überflügeln, und doch sich zusammentun zum Reigen;
rein als möcht sich der Erdkreis da selber von Grund aus beschwingen,
immer heller hinauf in den dunkeln Weltkreis zu dringen
EULENSPIEGEL pathetisch.
und nachher kopfüber wieder herunter zu springen.
MICHEL.
Wie?
ECKART.
Der Eulenspiegel hat dir nur andeuten wollen –
DER ROTBART.
daß es nun wohl Zeit sei, uns langsam hinunter zu trollen.
MICHEL.
Ja so! Ja.
Ins Haus rufend.
Lise! bring mir mal Vaters Stock,
den langen! – Ich hoffe, mein schlichter alter Rock
paßt zu den Herren Gespenstern nicht schlecht amende?
EULENSPIEGEL.
Vortrefflich, Vetter! Besonders
Leise.
zu meinem nagelneuen Hemde.[36]
LISE.
Hier, Michel.
MICHEL den Stock nehmend.
So! – Jetzt, ihr Herrn, sollt ihr sehn,
ob der Michel versteht, durchs nächtliche Deutchland zu gehn
und bis Tagesanbruch sein festlich Geschäft zu vollbringen
und auch ohne euern Beistand
LISE.
einen Rausch zu erringen.
DER ROTBART.
Ei, gestrenges Fräulein, im Rausch wird die Herzenslust rege.
Gute Nacht! Ich gönn euch ein rauschend Herz allerwege.
Er verneigt sich und schreitet linkshin davon.
EULENSPIEGEL ihm folgend.
Ich schenk euch alles Rauschgold droben im Blauen.
ECKART ebenso.
Ich wünsch euch, allen himmlischen Festrausch zu schauen.
LISE ihnen nachrufend.
Und ich euch ein höllisches Morgengrauen! –
Ach, Michel![37]
MICHEL.
Gute Nacht, du ewige Unruh du.
Geh schön schlafen. Und schließ die Haustür hübsch zu.
Wirst schon sehn, ich sorge für dich aufs väterlich beste;
und übers Jahr kannst du auch mit auf solche Feste.
So, jetzt laß mich gehn, du; wirklich, es ist höchste Zeit.
Also leg dich aufs Ohr und träum dir ein fein neu Kleid.
Indem er den Andern nacheilt.
Und schick deine Mucken heim, du! da auf die Mondsichel,
du dumme Lise –
Er verschwindet.
LISE ihm mit beiden Händen einen Kuß nachwerfend.
Du dummer Michel! –
Sie huscht ins Haus, löscht das Licht, kommt gleich darauf wieder, in einen langen schwarzen Schleier gehüllt, ein silbernes Diadem mit flimmerndem Stern auf dem Haar, einen langen silbernen Stab in der
Hand, der oben wie eine Wünschelrute gespalten ist, und verschließt die vom Mond beglänzte Tür. Dann sich reckend.
O ja, ich schließ zu. Und den Schlüssel
Ihn hebend.
sollst du erst finden,
Ihn ins Mieder steckend.
wenn dir die Sinne vor Unruh um mich schwinden,
du Väterlicher! – Ja: berausch dich nur gut,
du Lieber! Ich fühl's was dir braust im Blut.
Ich folg dir, ich halt dich im Heimatland –
O, er weiß noch, wie er sein Findelkind fand![38]
wie's ihn durchdrang, durchdrang, Herz, als er mich sah:
wie ein Bergquell tief aus der Erde –
In Gesang ausbrechend.
ja –:
so saß ich unter dem Felsenhang –
Linkshin davonschreitend, während der Vorhang sich schließt.
und sang – und sang – –[39]
EULENSPIEGEL als Zwischenredner.
Tritt aus dem Mittelspalt des Vorhangs, klingelt mit seinem Schellenzipfel.
Meine Herrschaften, das Fest ist in vollem Schwung;
selbstverständlich mit polizeilicher Genehmigung.
Die ganze Stadt schwebt auf dem Gipfel der Seligkeit;
einschließlich der beiderseitigen Geistlichkeit.
Jeder darf sich also, ohne irgend eine Pflicht zu entheiligen,
an der allgemeinen Begeisterung voll-und-ganz beteiligen.
Das soll nicht etwa heißen, ich buhle um Ihre Gunst;
sondern blos mein Herr, der Dichter, betreibt diese schändliche Kunst.
Er betreibt sie leider mit höchst wohlgeziemenden Mitteln
Das Gestampf einer Maschine wird hörbar.
und ist fest überzeugt, Sie finden nichts dran zu kritteln;
wie Sie hören, sogar mit Dampfkraft und Elektrizität,
weil's ohne diese Errungenschaften heut nicht mehr geht.
Dennoch muß ich sagen
Eine laut schnarrende Stimme hinterm Vorhang wird hörbar.
– na aber! das wird denn doch zu kräftig;
ich bitte um Ruhe dadrinne! Hee! Sie begeistern sich zu heftig!
Heda, Ruhe! oder ich ruf die Regie!
Ich bin ein Gespenst, ich kann nicht so schrein wie Sie,
Er schreit immer stärker.
Sie rattern ja lauter als die Dynamomaschine;
bitte schließen Sie gefälligst Ihre Phrasenterrine! –
Sie! hören Sie nicht? jetzt habe Ich das Wort! –
Er hört nicht. Er rattert ruhig fort.[40]
Ich fürchte, über solchen voll-und-ganzen Begeisterungston
verfügt nur eine wirkliche neuhochdeutsche Regierungsperson;
jeder andre Geist krigte davon den Schlucken.
Da muß ich braves altdeutsches Gespenst mich wohl ducken
Er tut es.
und ehrerbietigst das Mundwerk der hohen Behörde enthüllen,
damit Sie auch lernen, so begeistert zu brüllen.
Er schiebt geduckt den Vorhang linkshin auf und verkriecht sich im Vordergrund der Bühne.
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Die Fledermaus ist eine berühmtesten Operetten von Johann Strauß, sie wird regelmäßig an großen internationalen Opernhäusern inszeniert. Der eingängig ironische Ton des Librettos von Carl Haffner hat großen Anteil an dem bis heute währenden Erfolg.
74 Seiten, 4.80 Euro
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
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