Dritter Aufzug


[74] Bild: Große Höhle aus Bergkristall in weiß-und-grüner Flackerbeleuchtung. Rechts und links durcheinandergetürmte Pfeiler. In der Mitte des Hintergrundes, auf einer phantastischen Pyramide, thront Frau Venus, ebenso vermummt wie Lise Lied; nur trägt sie lange weiße Glaßeehandschuhe, und ihr grünes Kleid ist aus funkelnder Seide, ihr schwarzer Schleier mit Diamanten besetzt. Zu Füßen des Throns, in Gesteinspalten, hocken schlafende Kobolde, wieder blaugrau mit Zippelmützen und weißen Bärten. Zu beiden Seiten des Throns zerklüftete Grotten, mit Schnüren aus Bruchkristallen verhängt, hinter denen ein rotgelb glühender Glanz bald aufwärts bald abwärts quillt und strudelt, sodaß sie wie feuriges Netzgeflecht aussehn; hin und wieder zieht rötlicher Rauch durch die Höhle.


EULENSPIEGEL sofort, noch während der Vorhang sich öffnet, ins Knie sinkend.

Verzeiht, Göttin Venus: ich weiß zwar, Ihr glaubt es kaum:

aber wirküch, wir sind Beide jetzt nichts als Traum –

also entschuldigt den frechen Possenreißerstreich!

FRAU VENUS zögernd.

Wer dringt hier ein in mein heimlich Reich?

EULENSPIEGEL.

Nur ein armer Schalk namens Tyll, aber abgesandt


Er erhebt sich.
[74]

von Euerm mächtigsten Nachbarn im ganzen deutschen Land,

von des Kaiser Rotbarts verewigter Majestät,

der voll Unruh, Schönste, hinab in den Hörselberg späht,

denn auch ihn treibt des Michels Traumblick her.

FRAU VENUS.

So vermelde des hohen Herrn Begehr,

der so mächtig ist, daß ein stiller schlaftrunkner Mann

seinen ewig wachen Willen verunruhen kann.

EULENSPIEGEL.

Oh, Frau Venus, Zaubrin, sehr gewaltig ist dein Bann,

aber nimm in Gnaden die zarte Gewissensfrage hin:

Traumschöpferin,

warst du niemals von deinen Geschöpfen gebannt?

FRAU VENUS.

O Schalk! –

EULENSPIEGEL.

So erfahre: des Michels Seele ist unauslöschlich entbrannt

von all und jeder Machtsehnsucht Himmels und der Erden,

heute Nacht soll sein Hauptwunsch entschieden werden.

Du hast eine Flamme in seinem Blut angefacht,

die hat all sein junges Hirn in Rausch und Aufruhr gebracht;

nun kennt er sich selbst kaum vor lauter hochfliegenden Brünsten.

Drum, erlauchte Göttin, dank deinen Zauberkünsten,

sind die andern unsterblichen Hauptpersonen,

die seit Alters in seiner Geisterwelt wohnen,[75]

aus ihrer gottseligen Ruhe jählings mitaufgeschreckt –

und als der stärkste von seinen Schutzgeistern streckt

der Kyffhäuserherr die gepanzerte Faust dir entgegen:

Wenn du ebenso mächtig bist wie verwegen,

mögest du ehrlichen Wettstreit mit ihm pflegen

um des Michel Michaels wahres Seelenheil.

Desgleichen mit mir für mein bescheiden Teil;

du wirst es nicht weigern, erlauben wir uns zu hoffen.

FRAU VENUS.

Mein Reich steht allen Geistern, starken und schwachen, offen.

EULENSPIEGEL.

Ja, Gnädigste: offen wie ein Grab.

Und dein zauberkräftiger Wünschelstab

glänzt empor über deine dunkeln Schleierfalten

wie ein Irrsternschweif nach zwei Seiten gespalten,

indessen die Weltküglein an den beiden Spitzen

gar nach jeglicher Windrichtung drehbar blitzen.

Ich seh's, Vielgewandte, trotz unsern verhüllten Mienen;

denn auch ich verstehe, Herrin, zweeen Welten zu dienen.

FRAU VENUS.

So schwör ich bei diesem einen unlöslichen Ringe,

kraft dessen mein Szepter die zwiegespaltene Schwinge

der immer wieder sich verjüngenden Welt

in der Schwebe hält:

du nahst ungefährdet meinen vulkanischen Quellen.

EULENSPIEGEL.

Und meine Begleitung?[76]

FRAU VENUS.

Ist gefeit wie du vor den feuerbrünstigen Wellen.

EULENSPIEGEL tritt dem Thron etwas näher und klappt mit der Pritsche, während zugleich der Rotbart von links und Eckart von rechts aus den Pfeilergängen treten, Beide noch immer mit vermummten Gesichtern.

Wohlan, edle Hexe! du siehst, wie stracks wir uns stellen.

FRAU VENUS auffahrend.

Ah, Schalk! du verkündetest mir der Wettkämpen zwei!

jetzt seid ihr drei? –


Wieder ruhig sich setzend.


Nun, Eckart: du warst von jeher ein Schleichwegverfechter.

ECKART.

Ich war von jeher, Frau Venus, dein treuster Torwächter.

Ich tue nichts wider dich, als am Eingang des Hörselbergs warnen;

wer der Warnung trotzt, den magst du getrost umgarnen.

EULENSPIEGEL.

Und selbst für Göttinnen bleibt's doch ein Akt der Huldigung immer,

wenn sich drei Mannsleute mühn um ein Frauenzimmer.

Sieh da, du lächelst! dein ganzer Schleier lacht!

FRAU VENUS.

Vor Dir, Eulenspiegel, hat wohl mein Ernst keine Macht.

Und auch den Rotbart wird schwerlich ein trauerndes Weibsbild rühren.[77]

DER ROTBART.

Hoh, Huldin, wir hoffen noch innigst Eure Trauer zu spüren,

wenn erst der Michel von uns Selbstbeherrschung annimmt.

Inzwischen freilich sind wir herzlich wenig gestimmt,

christliche Stufen zu Euerm heidnischen Thronsitz zu hobeln.

EULENSPIEGEL.

Also kurz und gut: ich schlage vor, sein Seelenheil auszuknobeln.


Er holt den Würfelbecher aus der Tasche und schüttelt ihn.


Bester Wurf: Alles Eins! –


Er stülpt die Würfel auf einen Kristallblock.


Hier –: dreimal der nackte Spatz!

FRAU VENUS.

In der Tat: ein unwiderleglicher Satz.

Gib her!

ECKART.

Halt, Hexe! leg erst den Zauberstab nieder!

FRAU VENUS.

Das versprach ich nie wem.

ECKART.

Dann, Schalk, nimm den Becher wieder!

Rasch! nimm ihn! rasch! –

Die Unholdin wirft dir Pasch auf Pasch;

so bliebe das Wettspiel in alle Ewigkeit gleich.[78]

FRAU VENUS.

Ich hätt ihn heimzahlen können, den schnöden Gauklerstreich;

aber, Tyll, des Michels Seele gilt mir zu viel

für ein Würfelspiel!

Ich sehe, Rotbart, zu meiner Freude: du nickst.

DER ROTBART.

Ich fühle, Feindin, wie ehrlich du um dich blickst.

FRAU VENUS.

So hört meinen rückhaltlosen Bescheid:

der Michel Michael selber löse im Traum unsern Streit!

Wenn du Herrscher in seinem dir zugeweihten Land,

du Wächter an deinem ihm geheiligten Stand,

du Landstreicher da aus vogelfreien Bezirken,

wenn ihr vermögt seiner Sehnsucht ein habhaftes Ziel zu erwirken,

das ihm wettmacht den einen einzigen unruhvollen Bann,

den meine Inbrunst, die verwunschne, ihm antun kann:

so sei er hinfort, in Zeit und Ewigkeit,

von mir befreit! –

Seid ihr's zufrieden?

DER ROTBART UND EULENSPIEGEL.

Zufrieden! Zufrieden!

ECKART.

Nur unter der Sicherheit,

daß dein Szepter, solange der Streit dich drängt,

sein träumendes Haupt nicht berührt noch umkreist noch sonstwie lenkt.[79]

FRAU VENUS.

Die Sicherheit geb ich.

ECKART.

Dann ruf ihn! die Wette hängt.

FRAU VENUS berührt die Kobolde mit dem Szepter.

Aufgewacht, Klopfgeister, aufgewacht!

der Wunschquell sprudelt; öffnet den Schacht!

Feuerfluß werde kristallene Flut!

Erde, enthölle dein Himmelsblut!

verschlinge das Trübe, beschwinge das Reine!

Erscheine, Michael, erscheine! –


Die Kobolde haben die Kristallschnurgeflechte der rechten Grotte inzwischen geöffnet, und eine ferne

langsame Tanzmusik ertönt. Aus rötlichem Qualm auftauchend erscheint ein Zug schwarzgekleideter Gestalten. Voran fünf Kaplane, im Gänsemarsch mit Polkaschritt. Dann je fünf Landräte und Bürgermeister, die den schlafenden Michel Michael auf seiner Bank einhertragen; er hat noch immer die Zippelmütze auf dem Kopf und ist mit dem Tischtuch an die Bank festgebunden, mit dickem Knoten auf der Brust, doch so, daß seine Arme frei sind. Hinterdrein fünf Pastoren, wieder im Polkaschritt. Jeder Kaplan, Landrat, Bürgermeister, Pastor ist den vier übrigen zum Verwechseln ähnlich, in den gleichen Kostümen und Masken wie früher.


CHOR DER LANDRÄTE UND BÜRGERMEISTER.

Hier naht er, hier naht er,

der Weltpotentater.


CHOR DER KAPLANE UND PASTOREN.

Da liegt er im Wickel,

das Hochmutskarnickel.
[80]

DIE LANDRÄTE UND BÜRGERMEISTER.

Du Großmaul! du Saufsack! du Raufbold! du Strolch!

DIE KAPLANE UND PASTOREN.

Jetzt kommt die Vergeltung, du Sündenmolch!

Rache! –


Der Zug macht ruckhaft in vier Kolonnen Halt und stellt die Bank in der Mitte der Höhle nieder, Michels Füße dem Venusthron zugekehrt; zugleich wird die Grotte wieder verhängt, sodaß die Tanzmusik verstummt, und die Kobolde eilen auf ihre Sitze zurück. Michel liegt immerfort regungslos.


FRAU VENUS.

Erhebt ihn!

DIE LANDRÄTE.

Äh –?

DER ROTBART.

Erhebt ihn!!!

EULENSPIEGEL.

Ja ja! hier pariert man aufs Wort!

Immer artig, werte Herrn! hübsch kusch und apport!


Halblaut.


Held Michel, hier braucht dich blos das geheimste Lüstchen zu jucken,

und wir sind allesamt deine tiefst leibeignen Haiducken.


Die Amtspersonen haben inzwischen, unter schreckhaften Bücklingen, die Bank mit Michel hochgekippt, sodaß sein ganzer Körper verdeckt

steht; so dem Venusthron zugewandt, an die aufgerichtete Bank gebunden, bleibt er stehen, bis sich der Vorhang schließt, und nur ab und zu wird Arm oder Hand von ihm sichtbar.
[81]

DER ROTBART.

Hier schützt dich mein Schwert, es ist allzeit unbestechlich.

ECKART.

Hier stützt dich mein Kreuz, es ist unzerbrechlich.

EULENSPIEGEL.

Hier nützt dir meine Pritsche, sie ist unüberwindlich;

und deine Schlafmütze, sie ist unergründlich.

MICHEL immer mit schlafbefangener Stimme.

Wo – bin – ich?

FRAU VENUS.

Im Reich deiner reinsten Kräfte.

Hier siehst du im Glanz kristallklarer Säulenschäfte

deine stärksten Schutzgeister tausendfältig sich spiegeln

und dir ihre innerste Strahlenfülle entriegeln.

Hier hast du für immer die Wahl zwischen ihnen und mir;

hier bist du Alleinherr.


Zu den Amtspersonen.


Kniet nieder, ihr!

DIE KAPLANE gehorchend.

Herr, erbarme!

DIE PASTOREN UND BÜRGERMEISTER ebenso.

dich unser!

DIE LANDRÄTE aufmuckend.

Himmelkreizrudiment![82]

EULENSPIEGEL sie einzeln rasch mit der Pritsche duckend.

Nieder! nieder! nieder! nieder! nieder, Blitzelement!

DER ROTBART Michels Kopf mit dem Schwert berührend.

Ich, Michel, kröne dein Haupt mit dem herrlichsten Mut,

dem zu dir selbst; bewahre ihn gut!

ECKART desgleichen mit dem Kreuzstab.

Ich, Michael, mit der heiligsten Macht,

der über dich selbst; nimm sie wohl in Acht!

EULENSPIEGEL.

Ich verhalte mich selbstverständlich ergebenst stille,

denn die Hauptsache bleibt: es geschehe dein Wille!


Ihm ins Ohr.


Wenn du willst, ist der ganze Weltrummel nichts als 'ne Flause.

MICHEL.

Ich – will – nach Hause!

DER ROTBART.

Hier bist du's!

ECKART.

Ewig!

FRAU VENUS.

Dies Haus kannst du nie verkaufen.

Michel Michael, bald ist die Zeit abgelaufen,[83]

in der du den Raum der Geister heimlich erleuchtet siehst;

wenn du willst, daß dein innerstes Heim sich erschließt,

ich zeig dir's!

MICHEL.

Wer – bist – du?

FRAU VENUS von feurigem Rauch verhüllt.

Ich weiß nicht mehr.

Wohl aus tiefem Süden kam ich einst her,

wohl aus höchstem Norden: aus allen Zonen,

wo Urvater Schmerz und Allmutter Wonne wohnen.

Wohl der einsamen Glut seines Geistes bin ich entsprossen,

wohl vom willigen Feuer ihrer Seele durchflossen

in des Erdgrunds kreisenden Leib getropft,

aus dem nun mein Himmelsblut flammt und flackert und drängt und klopft,

auf begehrlich durch deine, auch deine irdischen Adern hin –

ECKART.

Hut dich, hüt dich, Michael, vor der Teufelin!

DIE KAPLANE sich bekreuzend.

Teufelin!

DER ROTBART.

Schweigt, ihr Winsler!

FRAU VENUS.

Hab Dank! Ja, Gebieter, ich bin

nur die Stimme, die aus dir selber lacht,

wenn dein Mutwille hochlodert aus dem Kyffhäuserschacht.[84]

Ich, Eckart, brauche des Michels Haupt nicht mit wirren

Machtsprüchen ewigen Heils zu kirren,

nicht wie du, Freund Tyll, mit gleißenden Freiheitsblicken

sein Hirn bestricken:

ich rühre nur leise an sein Herz –


Sie senkt ihren Stab auf Michels Brust.


seht, wie er aufzuckt! – Sag, Michel: Ist's Schmerz?

MICHEL.

Schmerz –

FRAU VENUS.

Ist's Wonne?

MICHEL.

Wonne –

FRAU VENUS.

Ist's Heimweh nach dem Licht?

MICHEL.

Licht!

FRAU VENUS ihren Stab wieder hebend.

Fühlst du nun des Blutes selige Unruhpflicht?

Oder willst du leben – sprich – wie diese Machtstreber hier,

ein Ruhestifter voll furchtsamer Gier?

MICHEL die Arme breitend.

O Göttin!

DIE PASTOREN.

Gnade![85]

EULENSPIEGEL mit der Pritsche klappend.

Ruhe!

DIE BÜRGERMEISTER während sich die Kaplane bekreuzen.

Gnade, Göttin!

EULENSPIEGEL.

Ruhe!!!

DIE LANDRÄTE.

Göttlichste Göttin!!!

FRAU VENUS.

Ihr??

Ihr meint eine Andre! Ihr meint die teuflische Fratze,

die jene Diener des Heils da


Auf die Kaplane weisend.


mit plump geiler Tatze

an die Wand euch malten; drum sitz ich im Trauerschleier.

Aber auch euch treibt heimlich – wißt es! – mein mißgunstfreier

Hauch, eure Ängste auszurasen

und euren unreinen Atem irgendwie von euch zu blasen;

so habt ihr den Erdball zum Höllenkessel gemacht.


Die Kobolde mit dem Szepter streifend.


Auf, Klopfgeister! öffnet den Wetterschacht,

durch den der Qualm ihrer Süchte zur Läuterung niederquillt!

Jetzt, ihr Herrn, beseht, beseht euch das Ebenbild

eurer knechtischen Notdurft und krampfhaften Mühseligkeit,[86]

eurer zielbewußten Wohlfahrtsbeflissenheit,

eurer mammonstollen Stoftwechselpracherei,

eurer jammervollen Naturgesetzschacherei,

des zivilisierten Barbaren würdigste Konkubine:

da steht eure Göttin: die Maschine! –


Die Kobolde haben währenddem das kristallene Flechtwerk der linken Grotte geöffnet, und schwarzgrauer Dampf ist herausgequollen. Nun wird ein feuriges Ofenloch sichtbar, neben dem der rote Karl in seiner militärischen Maske zwischen maskierten Bergleuten und rußschwarzen Heizern hockt, und darüber eine Schwungradmaschine; zugleich hört man wieder das dumpfe Kolbengestampf, aber weniger laut als früher.


DIE LANDRÄTE sich die Ohren zuhaltend.

Himmelkreizru –

DER ROTE KARL tritt drohend vor.

man stopp!

CHOR DER HEIZER UND BERGLEUTE dumpf.

man stopp, man stopp, man stopp!

DER ROTE KARL.

Jetzt kommt die Vergeltung! los, Genossen! hopp hopp!

Rache!

DIE HEIZER UND BERGLEUTE schaufeln und Spitzhacken schwingend, bilden mit hoppsenden Tanzschritten einen Halbkreis um die Amtspersonen, die sich mit flehenden Geberden knierutschend um Michel zusammendrängen.

Wir sind nicht mehr Menschen; wir dienen, wir dienen,

lebend'ge Maschinen, den toten Maschinen.[87]

Jetzt wolln wir mal herrschen, mit Gewalt, mit Gewalt,

wir armen Teufel in Menschengestalt.

Rache!

DIE KAPLANE UND LANDRÄTE.

Wir flehn ehrerbietigst um Gnade, um Gnade.

DIE PASTOREN UND BÜRGERMEISTER.

Es wäre doch schade, jammerschade, jammerschade

DIE KAPLANE UND LANDRÄTE.

um unsre christlich-germanische Staatskultur.

DIE PASTOREN UND BÜRGERMEISTER.

O Michel, o Michel, besinne dich nur!

EULENSPIEGEL klopft mit dem Finger an die Rückseite von Michels Bank.

Michel, hörst du?

MICHEL.

Ich höre.

DER ROTBART.

So verschließ dir einstweilen die Ohren!

ECKART.

Und verwechsle nicht Uns mit diesen vom Zeitgeist besessenen Toren!

FRAU VENUS.

Nein, hör sie nur betteln, die dich mit städtischer Hoffahrt benebeln,

um hinterrücks deinen bäurischen Waghals zu knebeln;[88]

seht, ihr Kriecher, jetzt schlägt sie über die Schnur,

die tückische Glut eurer Unnatur.


Eine grelle Flamme pufft aus dem Ofenloch; die Amtspersonen fahren entsetzt in die Höhe und taumeln geblendet durcheinander.


Sie macht alles so hell,

sie macht alles so schnell,

daß eure lichtscheuen Sinne sich dran verbrennen,

bis ihr nichts mehr könnt als blindwütig hasten und rennen;

nun, ich will euch erlösen, ihr armen Irrlichtschürer.

Los, ihr Hetzteufel alle, packt eure Verführer!

DIE HEIZER UND BERGLEUTE hinter den flüchtenden Amtspersonen her.

Hetz-hetz, ins Feuer!

DIE KAPLANE UND LANDRÄTE.

Erbarmen, Erbarmen!

DIE HEIZER UND BERGLEUTE.

Ihr Fettungeheuer!

DIE PASTOREN UND BÜRGERMEISTER.

Wir Armen, wir Armen!

DIE HEIZER UND BERGLEUTE nehmen einen Landrat und einen Kaplan am Kragen, während die übrigen in den Pfeilergängen verschwinden.

Ihr Schweinepriester, ihr Rindviehmagnaten,

jetzt singt Halleluja, jetzt werdt ihr gebraten!

marsch!

DER KAPLAN.

O Sankt Michael, hilf uns![89]

DER LANDRAT.

Inhibieren Sie diesen Radau!

DER KAPLAN.

O Sankt Eckart, bitt für uns bei der gnädigen Frau!

ECKART.

Fahr zur Hölle, Memme!

DER ROTE KARL.

Höllaluja! marsch, marsch!

DIE HEIZER.

Ins Feuer!

DER KAPLAN wird ins Ofenloch geschoben.

Au! au – –

DER LANDRAT

Sackerment –


Plötzlich sich losreißend.


Herr Corpsbruder!!!

DER BERGRAT kommt sofort durch das Flechtwerk der rechten Grotte gehopst, maskiert wie früher.

– wünschen? –

DER LANDRAT während er wieder gepackt wird.

Na Hilfe, kreuzsackerment!

DER BERGRAT nach der linken Grotte hinübergaloppierend.

Bedaure! bin beschäftigt! im Dienst der Herrin! es brennt!

DIE BÜRGERMEISTERIN kommt plötzlich aus der rechten Grotte ihm nachgaloppiert.

Ach bitte, bitte, bitte! Na warte, ich werd dich schon kriegen![90]

DER ROTE KARL.

Jawollja! marsch marsch! immer ran, verehrliche Fliegen!

DIE HEIZER den Bergrat gleichfalls ins Feuer schiebend und die Bürgermeisterin hinterdrein.

Immer rin, immer rin, immer rin ins Vergniegen! –

DER ROTE KARL zum Landrat.

Marsch marsch! immer schneidig!

DER LANDRAT.

Na, wenn's sein muß, dann los!

Platz da –


Er stürzt sich selbst in das Ofenloch.


DER ROTE KARL.

Allerhand Achtung!

DIE HEIZER UND BERGLEUTE.

So'n Schubbiak! so'n Gernegroß!

DER ROTE KARL.

Still, Genossen!

DIE BERGLEUTE.

Ohoh!

DER ROTE KARL.

Ich sag auch: der Kerl hatte Schneid für drei!

DIE DREI HEIZER.

Hoh!!!

EULENSPIEGEL ihm mit der Pritsche auf die Schulter klopfend.

Nimm dir'n Beispiel dran, Roter! jetzt kommst

Du an die Reih![91]

DER ROTE KARL.

Wa –?

EULENSPIEGEL.

Zu dienen, Herr Volksbefreier! jetzt ist man

so frei.

DER ROTE KARL.

Zu Hilfe, Genossen!

DIE HEIZER UND BERGLEUTE.

Hoh! ohoh!

EULENSPIEGEL.

Die Zeit ist vorbei!

DER OBERHEIZER.

Vorbei, du Schreihals! jetzt wird nicht mehr schwadroniert.

DER ROTE KARL.

Aber Kameraden!

EIN BERGMANN.

Jawollja! hast uns lange genug kommandiert!

Marsch ins Feuer!

DIE GANZE BANDE.

Marsch marsch, du Freiheitsverräter!

du Rädelsführer! du Erzschuft! du Hauptattentäter!

DER ROTE KARL.

Zu Hilfe, Michel!

EULENSPIEGEL.

Der läßt sich erst recht nicht drillen.[92]

DER ROTBART mit besonders wuchtigem Tonfall.

Hier ist Jeder nur Bruchstück von Seinem Willen.

FRAU VENUS.

Und sein Wille ist, ihr Schächer: ich soll euch ein bißchen läutern!

euch Alle!

EULENSPIEGEL.

Nachher könnt ihr säuberlich weitermeutern –

ECKART.

und einer den andern mit reinem Gewissen regieren –

EULENSPIEGEL.

und euch gegenseitig immer reiner kuli-kultivieren.

Was meinst DU, Michel?

MICHEL die Hand nach dem Feuerloch hebend.

Marsch, marsch!

FRAU VENUS.

Hinein, ihr Teufel, hinweg!

Klopfgeister, schließt den Sündenversteck!

Erde, enthölle dein Himmelsblut!

Feuerfluß werde kristallene Flut,

beschwinge die Zeiten, durchdringe die Räume,

bringe Klarheit ins Reich der Träume!


Der rote Karl wird inzwischen samt seinen Genossen von den Kobolden an das Ofenloch gedrängt, und das Flechtwerk der Grotte schließt sich hinter ihnen, auch die Kobolde mitverbergend; zugleich verstummt das Geräusch der Maschine.


Sag, Kyffhäuserherr, ist nun zur Genüge gestritten?[93]

DER ROTBART.

Frag den Michel, edle Feindin! du kennst die Geistersitten.

FRAU VENUS.

Ja, du Herrlicher du, werd's endlich inne:

ich bin nur den Armsünderseelen die Teufelinne.

Aus dem Samen, den ich Verschwenderin streue,

keimt alles Künftige, alles Junge und Neue,

jeder Traum von Schönheit und Kühnheit, von Freude und Ruhm,

jeder Glaube an wahrhaftes Heiligtum.

Wahrlich, Eckart, unser Wettstreit bleibt ewig gleich;

denn dein wie mein ist das Erd- wie das Himmelreich.

Also, Eulenspiegel, schür sie nur immer fort,

die Hölle der Freiheit zwischen hier und dort!

und sorge dafür, daß deine Schelle

selbst in die verschlafensten Ohren gelle!

EULENSPIEGEL.

Zu Befehl, gnädige Frau!


Er hockt sich ans Fußende von Michels Bank.


FRAU VENUS.

Ich nehm dich beim Wort auf der Stelle.

Sprich, Michel: glaubst du an unsre Schutz- und Trutz-Einigkeit?

und willst du ihr treu sein, treu sein in Lust und Leid?

MICHEL.

Lust – und – Leid!
[94]

FRAU VENUS.

Und willst du mir, was dein Mund so im Traum verspricht,

auch beschwören von Augen- zu Augenlicht?

MICHEL.

Augenlicht!

FRAU VENUS.

O, erkenne mich erst, du! – Weißt du nicht mehr:

Fremd aus fernem Süden wohl kam ich einst her,

so fremd, daß ein Schreck dein nordisches Blut durchlief,

wie ein Bergquell wohl aus der Erde tief,

eines Abends im Wald, war kaum sechs Jahr,

einen Kranz wilde Efeuranken im Haar –


Sie lüftet lächelnd ihren Schleier.


und mit Augen, wie der Kuckuk fürwahr –

MICHEL jäh einporgreifend.

Lise!!! –

FRAU VENUS.

Ja, so saß ich unter dem Felsenhang

und sang –

MICHEL.

und sang – –

FRAU VENUS nickt und verhüllt sich wieder.

Und nun siehst du mich hier, wie du wünschtest, in seidnen Kleidern sitzen,

mit Glaßeehandschuhen und Diamanten und ausländischen Spitzen;[95]

und gilt dir doch alldas in Wahrheit nicht einen Niet

gegen ein einziges kleines heimatliches Lied

von Herzensgrund

aus meinem Mund –

MICHEL.

deinem Mund –

FRAU VENUS sich erhebend.

Hört's, Geister, hört's! schlingt den Zauberreigen!


Die Kobolde eilen von rechts wie links durch das Flechtwerk aus den Grotten herbei.


Raunt mein Gebet ihm ein in sein innigstes Eigen:

in Fleisch und Blut,

in Mark und Mut:

Körperrausch werde Seelenglut!


Sie senkt ihr Szepter wieder auf Michels Brust, während der Rotbart mit dem Schwert und Eckart mit dem Kreuzstab sein Haupt berühren; zugleich beginnen die Kobolde, ringelreih um die Bank zu schreiten, während Eulenspiegel am Fußende kauern bleibt.


FRAU VENUS.

Michel Michael! Mehr kann kein menschlicher Geist erwerben

DIE KOBOLDE gedämpft.

Geist erwerben

FRAU VENUS.

als ein Haus, das er heiligt für seine Erben!

DIE KOBOLDE wie vorher.

seine Erben![96]

FRAU VENUS.

als einen Hof, wo er spielt mit Weib und Kind!

DIE KOBOLDE.

Weib und Kind!

ECKART.

als einen Herd, an dem er Frieden findt!

DIE KOBOLDE.

Frieden findt!

DER ROTBART.

eine Schwelle zum Himmel, wenn er den Kampf bestand

für seine Muttererde, sein Vaterland!

DIE KOBOLDE allmählich lauter.

seine Muttererde, sein Vaterland.

EULENSPIEGEL alle zehn Finger hochspreizend.

Dieser Traum der Menschheit, Michel, hat vielerlei Enden!

DIE KOBOLDE.

vielerlei Enden!

FRAU VENUS

laß dich nicht von Träumen, die eitel sind, blenden!

DIE KOBOLDE plötzlich niederknieend.

blenden!
[97]

ECKART.

Bei dem Gott, dem der Geist deiner Väter entsprang –

DER ROTBART.

bei deines Namens hellem Erzengelklang –

EULENSPIEGEL den Schellenzipfel hebend, doch noch nicht klingelnd.

bei der dunkeln Macht, über die ich weine und lache –

FRAU VENUS

erwache, Michael –

DIE KOBOLDE UND EULENSPIEGEL aufspringend, Zippelmützen und Schellenzipfel schwenkend, während der Vorhang sich schließt.

erwache! – –[98]


EULENSPIEGEL als Zwischenredner.


Aus dem Mittelspalt des Vorhangs tretend, mit verlegenem Achselzucken.


Er schläft immer noch. Was tun?


Aufhorchend.


Jetzt schnarcht er sogar.

Das ist höchst bedenklich; denn wir laufen alle miteinander Gefahr,

noch geisterhafter von ihm geträumt zu werden,

und das könnte doch vielleicht unsern leiblichen Zustand gefährden.

Ich würde ihn wecken; aber wer weiß, was passiert,

wenn er unversehens seine Zippelmütze verliert

und ernstlich nachdenkt über dies nächtliche Abenteuer.

Auch unserm Herrn Dichter übrigens scheint das durchaus nicht geheuer;

ich glaube, er fragt sich lieber schon garnicht mehr,

wer jetzt wirklich Herr ist, wir oder er.


Hinterm Vorhang beginnt leise Tanzmusik.


Aha! da läßt er gleich wieder den Fidelbogen schwingen;

vermutlich, um den Gang der Handlung besser in Trab zu bringen.

Seit wir dem Michel klarmachen mußten, was er im Grunde will,

steht dem Herrn sein Wille ebenso gründlich still

vor den unberechenbaren Folgen dieser Geisterstunde.

Ich hör ihn bereits mit sperrangelweitem Munde

um unsern Beistand gegen seinen schnarchenden Helden flehn;

ja, so dreht sich der Weltlauf im Handumdrehn.[99]

Wenn nun der Michel träumen will bis zum Jüngsten Tage,

was wird dann aus der ganzen tatsächlichen Lage?

Sein Haus fällt der Grubengesellschaft in die Hände,

und seine Glücksfee nimmt womöglich als alte Jungfer ein Ende;

ich muß doch mal nachsehn, was sich da machen läßt.


Er steckt einen Augenblick den Kopf in den Vorhangspalt.


Halt! er schnarcht nicht mehr. Er liegt bombenfest;

nicht einmal seine Krone ist verschoben,

und man hat ihn inzwischen sogar auf den Thron gehoben.

Da heißt's doppelt Vorsicht. Ich warne nochmals Jeden vor Schaden;

denn Sie wissen, er ist reichlich mit allerlei Sprengstoff geladen,

und wie leicht kann der plötzlich ganz von selber loskrachen!

Also werd ich ihm mal Platz für den Explosionsfall machen.


Er schiebt den Vorhang nach rechts beiseite.


Quelle:
Richard Dehmel: Michel Michael. Berlin 1911, S. 74-100.
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Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

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