Zu Gott

[149] Nach Paul Verlaine.


1.

Mein Gott hat mir gesagt: »Sohn, man muß Mein sein! Mein!

Sieh meine durchbohrte Brust, mein strahlend, blutend Herz

und meine wunden Füße, die Magdalenens Schmerz

mit Thränen wusch; und siehst, siehst die große Pein

meiner Arm-und-Hände durch deine Sündenschuld,

siehst das Kreuz, die Nägel, und siehst und fühlst und glühst,

daß diese bittre Welt des Fleisches Nichts versüßt,

als Mein Fleisch und mein Blut, mein Wort und meine Huld.


War ich nicht dein, mein Sohn, dein bis in den Tod?

mein Bruder du im Vater, mein Kind, mein Sohn im Geist!

Und hab ich nicht geduldet, wie die Schrift verheißt?

Hab ich nicht geschluchzt für deine Angst und Not?

Und war mein blut'ger Schweiß nicht der Schweiß deiner Nächte,

mein Freund, mein armer Freund du, der gern zu mir möchte!«


2.

Und ich –: Herr! du sagtest meine ganze Seele.

Ja! ich will zu dir, Herr, suche und finde nicht.

Du, dessen Liebe lodert wie aller Sonnen Licht:

ich Dein sein, Dein? ich Wurm im Staub und voller Fehle!
[150]

Du Friedensborn, den alle Kreatur erlechzet,

ach, Einen Blick nur träufle in meinen Gram und Wahn!

Darf ich denn wagen, Herr, nur deiner Spur zu nahn,

ich, der auf eklen Knieen hier vor dir kriecht und ächzet?


Und dennoch such'ich dich, taste, tappe nach dir,

daß auf mein Elend falle nur deines Schattens Zier,

doch Du bist ohne Schatten, Du, dessen Liebe lodert,

du süßer Springquell, bitter nur dem, deß Herz noch modert

im Rausche seiner Schmach, du Licht, ganz Licht, deß Glut

und schwerer Kuß den trüben Menschenaugen wehe thut!


3.

»Man muß, muß mein sein! Ja: ich bin, bin der Kuß

der Welten, bin der Odem, bin dieser Mund, du lieber

Kranker, von dem du stammelst, der glühende; und dies Fieber,

das deine Nächte schüttelt, bin Alles Ich! man muß

nur wagen, mein zu sein! Ja: meine Liebe, die

zu Höhen lodert, wo dein armes Ziegenseelchen

nicht hinklimmt, wird dich, wie der Adler ein Rotkehlchen,

empor zu Himmeln tragen, oh, Himmeln, die – oh sieh,


sieh meine helle Nacht, du weinend Auge du

im Scheine Meines Mondes! sieh dieses Bett von Reinheit,

all diese Unschuld sieh, all diese Ruh!

Sei mein! die zwei Worte sind meine höchste Einheit,

denn dein allmächtiger Gott vermag zu wollen – nein

nur erst vermögen will ich dich: sei, sei Mein!«


4.

– Herr, Herr, zuviel! ich wag's nicht. Ich Dein? Wer? ich, und Dein?

Nein nein, nur zagen darf ich, doch wagen – nein! ich bebe![151]

ich will's nicht, ich bin unwert! Ich Dein? du, Kelch und Rebe,

du aller Heiligen Herz, du liebreich Brot und Wein,

du, aller Gnadenwinde ungeheure Rose,

du Eifrer Israels, du lichter Falter, dem

nur die junge Blume der Unschuld angenehm:

und ich soll Dein zu sein vermögen? ich lichtlose


Schlacke, ich Frevler, Dein? Herr, bist du rasend?! Ich

Befleckter, dem die Sünde Beruf ist, der – o Fluch –

in allen seinen Sinnen, Gefühl, Geschmack, Geruch,

Gehör, Gesicht, ja selbst in seinem Rausch nicht Dich,

in seiner Reue selbst nur das Entzücken fühlt,

mit dem der alte Adam nach neuen Lüsten in ihm wühlt!


5.

»Drum muß man mein sein! Ich bin's, der in dir rast,

bin der neue Adam, der den alten frißt,

dein Hunger und dein Mannah; und meine Liebe ist

so strömender, je näher du der Quelle nahst.

Ein strömend Feuer ist sie, drin all dein brünstig Blut

auf immer sich verzehrt und wie ein Duft verdampft,

und ist die Sündflut, deren schwangere Wut zerstampft

jedweden schlimmen Keim und all die trübe Brut,


die Ich gesät, daß einst mein Kreuz so heller strahle

und daß auch du dereinst durch ein furchtbar Mirakel

der Gnade Mein sein müßtest, entsühnt all deiner Makel –

sei mein! empor! sei Mein! Empor mit Einem Male

aus deiner Nacht zu Mir, Mir, du verlaßner armer

Staub, dem Nichts blieb als Ich, dein ewiger Erbarmer!«
[152]


6.

– Herr! Herr! ich fürchte mich. Mein Herz zittert und zagt.

Ich seh, ich fühl's: man muß, muß Dein sein. Aber wie,

wie, Gott mein Gott, dein werden? du Richter, dessen Knie

selbst der Gerechte kaum anzurühren wagt.

Ja, wie? Denn sieh, es wankt der Grund, darinnen hier

mein Herz sein Grab sich grub, und über mich wie Glut

fühl ich herniederstürzen des Firmamentes Flut

und rufe: Herr! wo führt ein Weg von Dir zu mir?!


Reich mir die Hand, mein Leben, daß dieses Fleisches Weh

und dieser kranke Geist nur fühle deine Spur!

Denn jemals zu empfangen und zu genießen je

die himmlische Umarmung: Herr, ist das möglich nur?

dein zu sein dereinst, selig in deinem Schooß,

an deinem Herzen, Herr, zu ruhn: selig, sündelos?!


7.

»So möglich, wie gewiß. O komm, o siehe, welch

Entzücken deiner harrt! Laß ab von deinem Harme

und deinem Trotz! komm, sinke in meine offnen Arme,

gleichwie der Glühwurm in den erblühten Lilienkelch.

Komm und verdien es dir! Komm an mein Ohr, schütt aus

all deine Niedrigkeit mit deinem höchsten Mute;

sag Alles, Sohn – frei, schlicht und ohne Stolz im Blute;

reich mir der Reue blassen, schmachtenden Blumenstrauß!


Dann tritt an meinen Tisch, einfältiglich; da soll

ein köstlich Mahl, dem selbst die Engel andachtvoll

nur zusehn dürfen, dich erquicken und entsühnen,

da sollst den Wein du trinken, den Wein des immergrünen

Weinstocks, dessen Güte und Kraft und Süßigkeit

dein Blut befruchten werden für die Unsterblichkeit.
[153]

Dann geh und glaube fromm, demütig an das Urwort

der Liebe, allwodurch ich dein Leib-und-Seel ich bin;

und kehre ja, mein Sohn, sehr oft von Neuem in

mein Haus ein, meinen Wein dort zu kosten und den Schwur dort

zu leisten auf mein Brot, ohn welches all dein Streben

nur ein Verrat vor mir; und bitte mich, wie Brauch,

mich, Vater Sohn und Geist, und meine Mutter auch,

daß du das Lämmlein werdest, das stumm versprützt sein Leben,


daß du das Kindlein werdest, bekleidet mit dem Linnen

der Unschuld, und dein eigen armselig Sein und Sinnen

vergessest, um einst Mir ein wenig gleich zu werden,

Mir, der zu Zeiten des Pilatus und Herodes,

des Petrus und des Judas auch dir gleich ward auf Erden,

für dich am Kreuz zu sterben eines verruchten Todes.


Und um zu lohnen deinen Eifer in diesen Pflichten,

die also süß, daß ihre Wonnen unsäglich sind,

will ich dich schmecken lassen schon auf Erden, Kind,

den Vorschmack Meines Friedens: meine dunkellichten

geheimen Nächte, wo der Geist sich meinen Söhnen

aufthut und vom ew'gen Kelch der Verheißung trinkt,

wo hoch vom heil'gen Himmel der fromme Vollmond winkt

und aus der rosigen Finsternis die Engelchöre tönen,


verkündend die Entrückung empor zu Meinem Lichte,

die ew'gen Küsse meiner Langmut und Erbarmung,

die Psalmen meines Ruhms und ewigen Traumgesichte,

die ewige Weisheit und die ewige Umarmung

im Taumel deiner süßen Schmerzen, die auch mein:

die strahlende Verzückung, Mein zu sein!«


8.

[154] – Ach! Herr! wie wird mir! siehe, weinend vor Deine Füße

stürz'ich, schluchzend und jauchzend; deine Stimme macht

mir wohl und weh! mein Auge weint, meine Seele lacht!

und all das Weh, das Wohl hat all die selbe Süße!

Aus Thränen jubl'ich, Herr; aus meinem Rausche wecken

mich Hörnerrufe, Waffen winken auf klirrender Au,

funkelnde Schilde, und drüber Engel in Weiß und Blau,

und dieser Hörnerruf füllt mich mit Wut und Schrecken!


Den Taumel fühl'ich, fühle das Graun der Auserwählten!

Ja, ich bin unwert, aber: Herr, Deine Gnad ist groß!

Sieh: voll Gebet, voll Demut: hier, sieh mich Schweißgequälten,

siehe mich Glutbeglückten – obgleich ein namenlos

Erschauern, Herr, den Trost mir Deines Mundes schwächt,

und zitternd geht mein Atem – –


9.

»So, armes Herz, so recht!«

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 149-155.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon