Ein Luftschiffer

[57] Ich kann ein Luftschiffer werden,

immer höher schlägt mein Herz;

da fliehn die Flüsse unter mir

wie dünne Adern Erz,

meine Gondel steigt und steigt.


Die Luft wird immer reiner;

das wirre Erdgewühl

wird alles klein und kleiner,

wird alles wie ein Spiel.

Ich gleite drüber hin.
[57]

Hin, wo die Wolken schweigen;

kaum noch ein Berghaupt blinkt.

Ich fühle mich nicht mehr steigen,

nur die Erde sinkt und sinkt;

mir träumt ein Schaukellied.


Ich schwebe nur und schwebe,

in die blaue Welt hinein.

Wer weiß wohin – ade, ade –

der Himmel wiegt mich ein:

fahr wohl, du kleiner Held.

Quelle:
Richard Dehmel: Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 1908, S. 57-58.
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