Ein Tierbändiger

[48] Ich kann Tierbändiger werden,

ich bin den Bestien gut;

sie würden gerne Menschen sein,

nur Qual ist ihre Wut,

drum sind ihre Augen so traurig.


So wie in Wahnsinn versunken,

so gläsern manchmal, so stier.[48]

Aber man braucht sie blos zu lieben,

das fühlen sie ganz wie wir

und lernen Vernunft annehmen.


Neulich am Raubtierkäfig

bot ich dem Tiger die Hand.

Er sah mich lange schnurrig an,

bis er mein Herz verstand;

dann ließ er sich ruhig tatzeln.


Er gähnte wie im Cirkus

und bog die Schwanzspitze sacht.

Ich wette, den dürft ich karbatschen,

er dächte: Du hast die Macht,

du bist ein kleiner Held.

Quelle:
Richard Dehmel: Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 1908, S. 48-49.
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