An einem Hochzeitstag

[32] Mit einer Malerei


Hier, liebe Leute, in diesem schönen Wagen

fahren zwei Menschen seit vielen schönen Tagen.

Sie fahren bei Regen wie bei Sonnenschein

immer gradaus ins Blaue hinein.

Auch das schlechteste Wetter ist ihnen nicht grau;

hell lacht der Mann, warm lächelt die Frau.

Sie schaukeln das Glück auf ihren Knien,

und an einem Hochzeitstag fragt sie ihn:


Wenn wir so immer weiter reisen

und lassen die Sterne den Weg uns weisen,

kümmern uns um kein irdisch Ziel,

treiben nur mit dem Glück unser Spiel,[32]

aber endlich wird's uns vom Tod da genommen –

was meinst du wohl, wohin wir kommen?


Der Mann blickt nach den milchweißen Kühen,

die den bunten Wagen ruhig ziehen,

er blickt nach dem Kutscher, der Augen macht

so unergründlich schwarz wie die Nacht –

dann sagt er heiter:


Ich meine, wir kommen immer weiter!


Der Kutscher nickt. Der Himmel ist blau;

warm lächelt der Mann, hell lacht die Frau.

Und die weißen Kühe sagen sich beide:

zwei Menschen fahren auf lebensgrüner Weide.

Quelle:
Richard Dehmel: Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 1908, S. 32-33.
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